24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich

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24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Praxis und Prognose Forschungsbericht Juni 2015 Prof. Dr. Franz Kolland Projektleitung Mag. Christian Bischof Projektmitarbeit: Prognose der Nachfrage der 24-Stunden-Betreuung, Prognose des Arbeitskräfteangebots für die 24-Stunden-Betreuung) Dr. in Gudrun Bauer Projektmitarbeit: qualitative Studie zur 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Mag. a Anja Lerch Projektmitarbeit: qualitative Studie zur 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Institut für Soziologie, Rooseveltplatz 2, A-1090 Wien franz.kolland@univie.ac.at, http://www.univie.ac.at/soziologie

Inhaltsverzeichnis 1 Prognose der Nachfrage der 24-Stunden-Betreuung... 5 1.1 Demografische Entwicklung... 9 1.2 Epidemiologische Entwicklung mittels Pflegegeldbezug... 11 1.3 Prognose der 24-Stunden-Betreuung... 21 2 Prognose des Arbeitskräfteangebots für die 24-Stunden-Betreuung... 29 3 Qualitative Untersuchung zur 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich... 34 3.1 Darstellung der Erhebungsmethode... 34 3.2 Die Perspektive der Angehörigen zur 24-Stunden-Betreuung... 39 3.3 Die hausärztliche Perspektive zur 24-Stunden-Betreung... 56 Exkurs: Rolle der PersonenbetreuerInnen... 64 3.4 Handlungsfelder in der 24-Stunden-Betreuung... 67 4 Qualitätskriterien für Vermittlungsagenturen (Checklist)... 72 5 Bibliografie... 74

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Ablauf der Prognoserechnung... 5 Abbildung 2: Bevölkerungsentwicklung 2000-2030, Niederösterreich... 10 Abbildung 3: Anzahl Pflegegeldbezug nach Altersgruppen, Niederösterreich... 11 Abbildung 4: Altersspezifische Pflege-/Betreuungsquote nach Geschlecht, Niederösterreich... 12 Abbildung 5: Altersspezifische Pflege-/Betreuungsquote nach Prognoseregionen 2013... 13 Abbildung 6: Zusammenhang Pflege-/Betreuungsquote 2013 durchschnittliches Gesamteinkommen 2011, Altersgruppe 65-84... 14 Abbildung 7: Zusammenhang Pflege-/Betreuungsquote 2013 durchschnittliches Gesamteinkommen 2011, Altersgruppe 85+... 15 Abbildung 8: Epidemiologische Szenarien... 18 Abbildung 9: Prognose Pflegegeldbezug, Niederösterreich... 20 Abbildung 10: Prognose Pflegegeldbezug nach Altersgruppen, Szenario Referenz, Niederösterreich... 20 Abbildung 11: Anzahl 24-h-Betreuung nach Altersgruppen, Niederösterreich... 21 Abbildung 12: Altersspezifische Betreuungsquote (Anzahl 24-h-Betreuung/ Bevölkerung), Niederösterreich... 22 Abbildung 13: Altersspezifische Betreuungsquote nach Bezirken (Anzahl 24-h-Betreuung/ Bevölkerung), Altersgruppe 85+... 23 Abbildung 14: Altersspezifische 24-h-Betreuungsquote nach Prognoseregionen 2013... 24 Abbildung 15: Prognose 24-h-Betreuung, Niederösterreich... 26 Abbildung 16: Prognose 24-h-Betreuung nach Altersgruppen, Szenario Referenz, Niederösterreich... 27 Abbildung 17: Zusammenhang 24-h-Betreuungsquote Aufnahmequote Pflegeheim Daueraufnahme, 2013, 85+... 28 Abbildung 18: Analyseebenen der Migrationsforschung... 29 Abbildung 19: Anzahl selbständige PersonenbetreuerInnen nach Status, Niederösterreich... 31 Abbildung 20: Herkunftsländer selbständige PersonenbetreuerInnen, Status aktiv + ruhend, Niederösterreich... 32 Abbildung 21: Betreuungsverhältnis selbständige PersonenbetreuerInnen je 24-h-Betreuung, Niederösterreich... 32 Abbildung 22: Prognose selbständige Personenbetreuer, Niederösterreich... 33

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Verwendete Daten... 6 Tabelle 2: Prognoseregionen... 7 Tabelle 3: Übersicht qualitativer Interviews... 38 Tabelle 4: Übersicht ExpertInneninterviews... 38 Tabelle 5: Übersicht Angehörige... 39

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 5 1 Prognose der Nachfrage der 24-Stunden-Betreuung Die Prognose der Nachfrage der 24-h-Betreuung erfolgt nach dem in Abbildung 1 dargestellten Ablauf. Die demografischen Daten bilden die Grundlage für die Prognose, diese beschreiben die demografischen Veränderungen bis zum Jahr 2030 und haben den stärksten Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der 24-h-Betreuung. Die Daten zum Bezug von Pflegegeld bestimmen die Anzahl der pflege- und betreuungsbedürftigen Personen. Aus diesen wird die Pflege- /Betreuungsquote berechnet und auf den Prognosezeitraum übertragen. Die Anzahl der pflege- bzw. betreuungsbedürftigen Personen ist die Basis zur Berechnung der Personen, welche die 24-h- Betreuung in Anspruch nehmen (Bayer-Oglesby/ Höpflinger 2010). Diese Anzahl ist abhängig von der Betreuungsquote in der 24-h-Betreuung, d.h. in welchem Ausmaß die 24-h-Betreuung als Pflegeform in Anspruch genommen wird. Abbildung 1: Ablauf der Prognoserechnung Bevölkerung (Statistik Austria + ÖROK) Prognose Hauptszenario Demografische Entwicklung Bezug von Pflegegeld (Hauptverband SV) Pflege- /Betreuungsquote Epidemiologische Entwicklung (4 Szenarien) Förderung der 24-h-Betreuung (NÖ Landesregierung) Betreuungsquote 24-h-Betreuung Prognose 24-h-Betreuung (4 Szenarien) Die Berechnungen basieren auf den in Tabelle 1 angeführten Datenquellen. Als Stichtag gilt jeweils das Jahres- bzw. Quartalende (Abweichungen davon werden kenntlich gemacht). Die Basisperiode umfasst

6 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich die Jahre 2008 bis 2013, der Projektionshorizont den Zeitraum 2014 2030. Die geografische Grundlage bilden grundsätzlich die politischen Bezirke von Niederösterreich. Die Berechnungen wurden für fünf Altersgruppen durchgeführt und bilden summiert die Gesamtanzahl. Tabelle 1: Verwendete Daten Kleinräumige Bevölkerungsprognose 2010-2030 (Österreichische Raumordnungskonferenz) Bevölkerungsprognose 2014-2030, Hauptszenario (Statistik Austria - STATcube) Bezug Pflegegeld 2012-2014Q3 (Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger) Förderung 24-h-Betreuung 2008-2014Q3, alle Förderungen eines Monates (Amt der NÖ Landesregierung) PflegeheimbewohnerInnen mit Sozialhilfebezug 2012-2014Q3, alle BewohnerInnen eines Monates (Amt der NÖ Landesregierung) Selbständige PersonenbetreuerInnen 2008-2014Q3 (Wirtschaftskammer Niederösterreich) Üblicherweise werden derartige Prognoserechnungen auf Stichtagsbasis durchgeführt, da zur Berechnung von Pflege-/Betreuungsquoten der Bevölkerungsstand benötigt wird und dieser an einen Stichtag gebunden ist. Die Zahlen zum Pflegegeldbezug liegen ebenfalls zu einem Stichtag vor, bei der Förderung der 24-h-Betreuung sind hingegen nur Monatsgesamtwerte verfügbar. Es werden in diesem Fall alle Personen erfasst, die im Laufe eines Monates eine Förderung bezogen haben, dieser Wert liegt daher über den Stichtagswerten. Da die Prognoseergebnisse der 24-h-Betreuung mit Jahresende für den gesamten Dezember dargestellt werden, sind diese Werte deutlich niedriger als die im Sozialbericht angeführten Jahresgesamtzahlen (Altersalmanach 2011 basiert ebenso auf Monatswerten). Prinzipiell sind Stichtagszahlen exakter, da hier die Bezugsdauer keine Rolle spielt, Jahresgesamtzahlen sind sehr stark von der Bezugsdauer abhängig (eine kurze Dauer erhöht die Jahresanzahl). Eine einfache Umrechnung der Monatswerte auf Jahresgesamtzahlen (x 12) ist für die Prognose nicht möglich, dazu müsste erst die aktuelle Bezugsdauer bestimmt und diese für die Zukunft hochgerechnet werden. Um Veränderungen des Pflege- und Betreuungsbedarfs zu erfassen, werden vier Szenarien berechnet. Diese Szenarien umfassen Annahmen, zu welchem Zeitpunkt im Lebensverlauf die Pflege beginnt und wie lange diese dauert. Die Szenarien mit pessimistischen bzw. optimistischen Annahmen zeigen die obere bzw. untere plausible Grenze: Referenzszenario Szenario Expansion der Pflegebedürftigkeit (pessimistische Annahmen) Szenario relative Kompression der Pflegebedürftigkeit Szenario absolute Kompression der Pflegebedürftigkeit (optimistische Annahmen)

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 7 Da die kleinräumige ÖROK Bevölkerungsprognose für die Bezirke Amstetten und Waidhofen an der Ybbs keine getrennten Prognosewerte zur Verfügung stellt, wurden diese beiden Bezirke für alle Berechnungen zusammengefasst. Auch bei anderen Bezirken gab es aufgrund der zugrundeliegenden Daten Probleme der eindeutigen Zuordnungen zu politischen Bezirken. Dies liegt darin begründet, dass bei vielen Daten die geografische Zuordnung auf der Postleitzahl beruht, diese aber z.t. nicht eindeutig einem Bezirk zuordenbar ist. Speziell die Bezirke Sankt Pölten-Stadt (12,2% nicht eindeutige Zuordnung beim Pflegegeldbezug) und Sankt Pölten-Land weisen dieses Problem auf. Aus diesem Grund wurden Bezirke zusammengefasst, betroffen sind die Statutarstädte St.Pölten, Krems, Waidhofen an der Ybbs und Wiener Neustadt. 1 Es ergeben sich folgende Prognoseregionen. Tabelle 2: Prognoseregionen Krems an der Donau (Stadt+Land) Sankt Pölten (Stadt+Land) Wiener Neustadt (Stadt+Land) Amstetten-Waidhofen an der Ybbs Baden Bruck an der Leitha Gänserndorf Gmünd Hollabrunn Horn Korneuburg Lilienfeld Melk Mistelbach Mödling Neunkirchen Scheibbs Tulln Waidhofen an der Thaya Wien-Umgebung Zwettel Da die politischen Bezirke sich hinsichtlich der Pflege-/Betreuungsquote sehr stark unterscheiden, wurde die Prognose nach dem Bottom-Up Prinzip durchgeführt. D.h. alle Berechnungen wurden für jede Prognoseregion separat durchgeführt, das Gesamtergebnis für Niederösterreich wird durch die Summe dieser Einzelergebnisse gebildet. Im Bericht werden vorwiegend Prognoseergebnisse für Niederösterreich dargestellt, die vollständigen Zahlen auf Bezirksebene sind in der zugehörigen Excel- Datei abrufbar. Weitere Ergebnisse, die im Laufe dieses Berichts abgehandelt werden und in Diagrammen abgebildet sind, werden in einem Excel Tabellen-Anhang dargestellt. 1 Bei Wiener Neustadt (Stadt) und Wiener Neustadt (Land) ergaben sich keine Probleme, aus Gründen der Vereinheitlichung Statutarstadt + umgebender Bezirk wurden dieses Bezirke ebenfalls aggregiert. Trotz der Aggregation von Bezirken bleibt das Problem der falschen Zuordnung in einigen Bezirken bestehen. Den höchsten Wert weist Scheibbs beim Pflegegeldbezug mit 4,2% auf (komplette Liste im Excel Tabellen-Anhang).

8 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Diese Prognose ist nur in der Lage die bestehende Situation zu erfassen und die beobachtete Konstellation in die Zukunft zu übertragen. Änderungen der Rahmenbedingungen, wie die Voraussetzungen des Zugangs zu den Pflegeleistungen, verändern die Grundparameter der Prognose und machen somit auch die Prognoseberechnung obsolet. Soweit ausführbar wurden Analysen durchgeführt, um ein möglichst exaktes Bild der gegenwärtigen Situation zu schaffen. Über die hinter den Zahlen liegenden Zusammenhänge und die verschiedenen Interessen in dem komplexen System der Pflegevorsorge kann diese Prognose nur bedingt Auskunft geben. Im Sinne des Auftrags mit einer hohen Praxisorientierung wird weitgehend auf eine Theoriebildung verzichtet. Ebenso wird auf die Bildung von Hypothesen verzichtet und datengeleitete Forschung betrieben, im Vordergrund steht das Dass (etwas ist so) und nicht das Warum (deshalb ist es so), dies ist auch der Komplexität des Themas geschuldet.

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 9 1.1 Demografische Entwicklung Die demografische Ausgangslage ist durch die Veränderung der Altersstruktur der Gesellschaft in den nächsten Jahren gegeben. Die kleinräumige ÖROK Bevölkerungsprognose stellt Werte für die Bezirke zur Verfügung, da diese Berechnungen aus dem Jahr 2010 stammen, sind dieses nicht mehr uneingeschränkt verwendbar. Beim Vergleich der Werte der ÖROK Prognose für Niederösterreich gesamt und der aktuellen Bevölkerungsprognose der Statistik Austria (Hauptszenario-mittlere Fertilität, Lebenserwartung, Zuwanderung) zeigen sich deutliche Abweichungen, speziell in der für diese Untersuchung relevanten Gruppe der Personen 85+. So weist die ÖROK Prognose im Jahr 2030 einen Wert von 66.263 auf, die Statistik Austria Prognose ist um 4520 Personen höher und ergibt 70783 Personen. 2 Aus diesem Grund wurde die aktuelle Prognose der Statistik Austria verwendet, da diese nur für Niederösterreich gesamt verfügbar ist, musste diese mit der kleinräumigen Prognose 2010 kombiniert werden, um für die Prognoseregionen eine aktualisierte Prognose zur Verfügung zu haben. Die Werte der aktuellen Niederösterreichprognose wurden anteilig nach den Merkmalen Altersgruppe x Prognoseregionen der kleinräumigen Prognose aufgeteilt. D.h. es wurde die Verteilung auf die Prognoseregionen mittels der Prognoseergebnisse von 2010 durchgeführt, dadurch ergibt sich eine Unschärfe für die Prognose auf Ebene der Prognoseregionen. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um zumindest für Niederösterreich gesamt valide Ergebnisse zu ermöglichen. Da die ÖROK Prognose keine Differenzierung nach dem Geschlecht aufweist, konnte dieses bedeutende Merkmal für die Berechnung der Pflege-/Betreuungsquoten nicht verwendet werden. Die ÖROK Prognose differenziert auch nur nach fünf Altersgruppen (0-19, 20-44, 45-64, 65-84, 85+), diese Gruppen bilden die Basis für diesen Bericht. Für eine wiederholte Prognose des Pflege- und Betreuungsbedarf besteht betreffend der Verfügbarkeit einer differenzierteren Bevölkerungsprognose (Geschlecht x Altersgruppen (5er) x politischer Bezirk) Verbesserungspotential. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung in den nächsten Jahren, die Bevölkerungszahlen gehen weiterhin in den für den Pflegebereich relevanten Altersgruppen kontinuierlich nach oben. Von besonderem Interesse ist die Altersgruppe 65-69 (blau), diese hat im Jahr 2009 einen Höchststand erreicht. In einem Abstand von fünf Jahren verschiebt sich dieser Spitzenwert nach rechts und nimmt gleichzeitig ab, da auch das Alter dieser Personengruppe zunimmt und Personen versterben. Ihre besondere Relevanz erreicht diese Kohorte der 1940-1944 Geborenen ab 2024, wenn diese Personen das Alter 2 Die Registerzählung der Statistik Austria brachte zum Stichtag 31.10.2011 ein von der Statistik des Bevölkerungsstandes abweichendes Ergebnis, aus diesem Grund war eine Revision der Bevölkerungsstatistik notwendig. Ein Vergleich der Bevölkerungsprognosen findet sich im Excel Tabellen-Anhang.

10 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 80-84 erreicht haben und somit in ein Alter gekommen sind, wo ein erhöhter Pflege- und Betreuungsbedarf besteht. Diese Darstellung zeigt also bereits den Zeitpunkt, zu dem ein starker Anstieg auftritt. Für den bearbeiteten Projektionshorizont bis 2030 noch nicht relevant, ist der starke Anstieg der Gruppe 65-69 (blau) ab 2022, diese Gruppe erreicht im Jahr 2042 das Alter 85-89, das Alter mit einem hohen Pflege- und Betreuungsbedarf. Die demografische Entwicklung wird in den nächsten Jahrzehnten somit einen verstärkten Bedarf von Pflege- und Betreuungsleistungen zur Folge haben. Abbildung 2: Bevölkerungsentwicklung 2000-2030, Niederösterreich Quelle: Statistik Austria, Hauptszenario (mittl. Fert., Lebenserw., Zuwand)

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 11 1.2 Epidemiologische Entwicklung mittels Pflegegeldbezug Ein erster Schritt zeigt die Ausgangslage des Zeitraums 2012 bis zum 3. Quartal 2014. 3 Wie Abbildung 3 zeigt, bleibt die Anzahl der PflegegeldbezieherInnen in den meisten Altersgruppen relativ konstant, einzig bei der Gruppe 85 + zeigt sich ein deutlicher Anstieg von 27.379 im Jahr 2013 auf 30.219 im 3. Quartal 2014 Abbildung 3: Anzahl Pflegegeldbezug nach Altersgruppen, Niederösterreich Quelle: Hauptverband SV, eigene Berechnung Die absoluten Zahlen können aber keine valide Aussage liefern, da immer die Anzahl an potentiellen Personen zu beachten ist, welche Pflegeleistungen in Anspruch nehmen können. Ein absoluter Anstieg kann durch eine größere Bevölkerungsanzahl in einer Altersgruppe oder durch eine veränderte Inanspruchnahme bedingt sein. Als relevanter Kennwert gilt daher die altersspezifische Pflege- und 3 Die vorherigen Jahre wurden nicht berücksichtigt, da vor 2012 noch eine Trennung in Bundes- und Landespflegegeld aufrecht war und dies eine weitere Datenaufbereitung notwendig gemacht hätte. Der relevante Kennwert der Pflege-/Betreuungsquote zeigt sich in den letzten Jahren als konstant, daher wurde auf die Werte vor 2012 verzichtet. Des Weiteren wurden im Jahr 2011 auch die Zugangsgrenze in den Pflegegeldstufen 1 und 2 erhöht und dadurch die Vergleichbarkeit reduziert. Mit 1. Jänner wurden die Grenzen für die Pflegegeldstufen 1 (von 60 auf 65 Stunden) und 2 (von 80 auf 95 Stunden) bei Neuanträgen wiederum angehoben, zukünftige Veränderungen können daher noch nicht bei der Prognoserechnung berücksichtigt werden.

12 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Betreuungsbedarf Pflege-/Betreuungsquote, die Wahrscheinlichkeit für die Inanspruchnahme in Abhängigkeit der Altersgruppe. Die Pflege-/Betreuungsquote wird durch den Anteil der PflegegeldbezieherInnen an der Gesamtbevölkerung bestimmt, wobei die PflegegeldbezieherInnen die pflege- und betreuungsbedürftigen Personen repräsentieren. Es wird die Annahme getätigt, dass diejenigen Personen die Pflegegeld beziehen, auch pflege- und betreuungsbedürftige sind. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass der Antrag für Pflegegeld durch eine medizinische Expertise begleitet wird. Abbildung 4 zeigt die altersspezifische Pflege-/Betreuungsquote für Niederösterreich, es wird deutlich, dass die Quote im Jahr 2012 und 2013 nahezu identisch ist, für die weiteren Berechnungen wird daher der aktuellere Werte von 2013 verwendet. Es zeigt sich auch eine höhere Pflege-/Betreuungsquote bei Frauen. Für spätere Berechnungen kann diese Information aufgrund der nicht vorhandenen Prognose nach dem Geschlecht nicht benutzt werden. Abbildung 4: Altersspezifische Pflege-/Betreuungsquote nach Geschlecht, Niederösterreich Quelle: Statistik Austria, Hauptverband SV, eigene Berechnung Für die Prognose der epidemiologischen Entwicklung wird die empirische Pflege-/Betreuungsquote nach Altersgruppen verwendet. Für die Berechnung nach weiteren Kriterien, wie dem politischen Bezirk, wird die Formel erweitert (Rothgang/ Vogler 1997), d.h. es wird für jede mögliche Kombination Altersgruppe x politischer Bezirk (5 x 21 =105) eine Quote berechnet:

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 13 PQ ik = P ik B ik P = Personen Pflegegeldbezug PQ = Pflege-/Betreuungsquote (Wahrscheinlichkeit Pflegegeldbezug) B= Bevölkerungsanzahl i = 1, 2, 3, 4, 5 Altersgruppen (0-19, 20-44, 45-64, 65-84, 85+) k = 1,..., 21 Prognoseregionen (politische Bezirke) Die Abbildung 5 zeigt die Pflege-/Betreuungsquote für die beiden relevantesten Altersgruppen. Bei der Gruppe 65-84 reichen die Werte von 10,2 % (Mödling) bis 18,9 % (Melk). Die Gruppe 85+ hat erwartungsgemäß deutlich höhere Werte, von 63,4 % (Mödling) bis 73,6 % (Scheibbs). Abbildung 5: Altersspezifische Pflege-/Betreuungsquote nach Prognoseregionen 2013 65-84 85+ 19 % 74 % 15 % 69 % 10 % 63 % Quelle: Statistik Austria, Hauptverband SV, eigene Berechnung Auffällig sind die niedrigen Pflege-/Betreuungsquote rund um den erweiterten Großraum von Wien und die hohen Werte in den abgelegenen ländlichen Bezirken. Die Erweiterung dieser Zahlen um das Einkommen in den beiden folgenden Abbildungen liefert eine mögliche Erklärung. Es besteht ein starker Zusammenhang der Pflege-/Betreuungsquote mit dem durchschnittlichen Gesamteinkommen in den Prognoseregionen, je höher das Einkommen, umso niedriger die Quote. Bei der Altersgruppe 65-84 wird dies durch die sehr hohe Korrelation von -0,929 (Pearson-Korrelationskoeffizient) ausgedrückt, bei der Gruppe 85+ ist der Zusammenhang mit einem Wert von -0,761 schwächer (beim

14 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Ausschluss des Ausreißers Wien-Umgebung steigt der Wert auf 0,872). Mit höherem Alter wird dieser Zusammenhang somit geringer. Abbildung 6: Zusammenhang Pflege-/Betreuungsquote 2013 durchschnittliches Gesamteinkommen 2011, Altersgruppe 65-84 Prognoseregionen mittel KFZ-Kennzeichen bezeichnet. Quelle: Statistik Austria - Integrierte Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2011, eigene Berechnung

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 15 Abbildung 7: Zusammenhang Pflege-/Betreuungsquote 2013 durchschnittliches Gesamteinkommen 2011, Altersgruppe 85+ Prognoseregionen mittel KFZ-Kennzeichen bezeichnet. Quelle: Statistik Austria - Integrierte Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2011, eigene Berechnung Das durchschnittliche Gesamteinkommen übt keinen ursächlichen Einfluss auf die Pflege- /Betreuungsquote aus. Es kann angenommen werden, dass andere Faktoren ebenso verantwortlich sind und diese im Zusammenhang mit dem Einkommen stehen. Der Pflege- und Betreuungsbedarf steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Gesundheitsverhalten, und dieses ist wiederum sehr stark von der Bildung und dem Einkommen beeinflusst. Auch die frühere berufliche Tätigkeit spielt eine Rolle beim Bedarf in der Pflege und Betreuung, so wird den Anteil von Personen mit manuellen Tätigkeiten in den ruralen Bezirken deutlich höher ausfallen, als in den Bezirken im Großraum Wien. Des Weiteren verändert sich die Bevölkerungsstruktur und damit auch die Einkommenssituation, so gibt es im Großraum Wien einen Zuzug von einkommensstarken Personen. Da die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten in den ländlichen Bezirken eingeschränkt sind, findet hier hingegen ein Abzug von jungen und gut ausgebildeten Personen statt und in der Folge ein Rückgang des

16 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Gesamteinkommens durch eine Überalterung der Bevölkerung. Da das Hauptziel dieses Berichtteils die Erstellung einer Prognose der 24-h-Betreuung ist, kann keine weitere Ursachenuntersuchung betrieben werden. Epidemiologische Szenarien Mittels der demografischen Entwicklung und der alters- und bezirksspezifischen Pflege- /Betreuungsquote wird die zukünftige Entwicklung des Pflege- und Betreuungsbedarfs mittels vier Szenarien berechnet. Diese Szenarien dienen als Basis für die weitere Berechnung der Nachfrage der 24-h-Betreuung. Um eine möglicherweise veränderte Nachfrage zu berücksichtigen, werden auf Basis der Kompressionshypothese und der Medikalisierungshypothese mehrere Szenarien berechnet. Die Kompressionshypothese besagt, dass der Zeitpunkt der Pflege erst in einem höheren Lebensalter eintritt, Personen also in der Zukunft nicht nur länger leben, sondern auch mehr Jahre in Gesundheit verbringen und sich der Zeitraum der Pflege verringert. Die Medikalisierungshypothese hingegen geht davon aus, dass sich der Zeitraum der Pflege verlängert. Beide Hypothesen sind mit Daten gut belegt, die wissenschaftliche Auseinandersetzung ist aber noch nicht beendet (Blinkert/ Gräf 2009, Rothgang/ Vogler 1997). Das Szenario relative Kompression der Pflegebedürftigkeit entspricht der Kompressionshypothese, nach dieser tritt der Zeitpunkt der Pflegebedürftigkeit erst später ein. Der spätere Zeitpunkt wird mit der gesteigerten Lebenserwartung von 2,4 Jahre bemessen. Somit bleibt die Dauer der Pflegebedürftigkeit gleich, die Pflegebedürftigkeit verschiebt sich nach hinten. Abbildung 8 stellt die Szenerien dar (Bayer-Oglesby/ Höpflinger 2010). Die erste Darstellung zeigt den Ausgangspunkt, die Pflegebedürftigkeit tritt zu einem bestimmten Zeitpunkt ein, dauert einen Zeitraum und endet. Dieses Szenario wird nicht berücksichtigt, es geht davon aus, dass die Lebenserwartung bis zum Jahr 2030 gleich bleibt. Dies ist aber nicht der Fall, die fernere Lebenserwartung für Personen im Alter von 65 aus Niederösterreich nimmt vom Jahr 2013 bis zum Jahr 2030 um 2,4 Jahre zu: im Jahr 2013 beträgt die Lebenserwartung für 65-Jährige 84,3 Jahre und im Jahr 2030 86,7 Jahre 4. Die Lebenserwartung zum Alter von 65 Jahren wurde gewählt, da wie Abbildung 4 zeigt, zu diesem Zeitpunkt die Pflegewahrscheinlichkeit stark ansteigt. Das Alter 80 als Ende der Pflegebedürftigkeit stellt keinen empirischen Wert dar, dieser Zeitpunkt dient nur zur Darstellung des Prinzips. Aus den verwendeten Daten lässt sich auch keine durchschnittliche Bezugsdauer berechnen. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger konnte auf Nachfrage auch 4 STATcube. Abruf 25.11.2014: http://www.statistik.at/web_de/services/datenbank_superstar/index.html

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 17 keinen Wert nennen. Das blaue Dreieck in der Darstellung symbolisiert die Wahrscheinlichkeit des Pflegebedarfs, welche mit höherem Alter steigt. Das Szenario Expansion der Pflegebedürftigkeit trägt der verlängerten Lebenserwartung Rechnung, dadurch verlängert sich die Zeit der Pflegebedürftigkeit beim gleichen Eintrittsalter um 2,4 Jahre. Dieses Szenario entspricht der Medikalisierungshypothese. Da die verlängerte Lebenserwartung von 2,4 Jahren erst im Jahr 2030 gilt, wurde dieser Anstieg auf den Zeitraum 2013 bis 2030 gleichmäßig verteilt. Das Szenario relative Kompression der Pflegebedürftigkeit entspricht der Kompressionshypothese, nach dieser tritt der Zeitpunkt der Pflegebedürftigkeit erst später ein. Der spätere Zeitpunkt wird mit der gesteigerten Lebenserwartung von 2,4 Jahre bemessen. Somit bleibt die Dauer der Pflegebedürftigkeit gleich, die Pflegebedürftigkeit verschiebt sich nach hinten 5. 5 Die Verschiebung des Eintritts der Pflegebedürftigkeit wurde mit den Ergebnissen des EU-SILC validiert, diese Erhebung erfasst die Lebensjahre ohne funktionale Beeinträchtigungen im Alter von 65 Jahren, dieser Wert hat sich im Zeitraum 2003 bis 2013 um 2 Jahre verlängert, d.h. Personen leben um 2 Jahre länger in Gesundheit (keine Beeinträchtigung bei der Verrichtung alltäglicher Arbeiten durch eine Behinderung oder eine sonstige gesundheitliche Beeinträchtigung ). Die Projektion dieser Verlängerung von 2 Jahren ohne Beeinträchtigung bis zum Prognosejahr 2030 würde eine Verlängerung von 3,8 Jahren ergeben. Da eine derartige Verschiebung als zu groß erscheint und die Pflege-/Betreuungsquote zu stark nach unten revidieren würde, wurde auf die Verlängerung der Lebenserwartung von 2,4 Jahren als relevanter Wert zurückgegriffen.

18 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Abbildung 8: Epidemiologische Szenarien Abbildung adaptiert (Timonen 2008) Das Szenario absolute Kompression der Pflegebedürftigkeit geht davon aus, dass sich der Eintritt der Pflegebedürftigkeit noch weiter nach hinten verschiebt und dadurch die Dauer der Pflegebedürftigkeit verkürzt wird. Dieser weitere Rückgang ist bedingt durch die Verschiebung um die Lebenserwartung und der Annahme der Kompressionshypothese, nach der aufgrund der verbesserten Gesundheitsvorsorge, auch die Pflege später eintritt Als Wert der Verschiebung wurde die doppelte Lebenserwartung gewählt, der Eintritt des Pflegebedarfs tritt also um 4,8 Jahre später ein. Als ein weiteres Szenario wurde nach der Prognoserechnung das Referenzszenario eingeführt, dieses bildet den Mittelwert der Szenarien Expansion der Pflegebedürftigkeit und relative Kompression der

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 19 Pflegebedürftigkeit. wahrscheinlichste Variante. Das Referenzszenario bildet aufgrund der projektierten Ergebnisse die Prognose des Pflegegeldbezugs Mittels der dargestellten epidemiologischen Szenarien wurden die Pflege-/Betreuungsquoten für den Projektionszeitraums 2014 bis 2030 berechnet. Die alters- und bezirksspezifische Quote für jedes Prognosejahr mit der Bevölkerungszahl von jedem Prognosejahr multipliziert, ergibt die prognostizierte Anzahl von pflege- und betreuungsbedürftigen Personen. Diese Berechnung wird für jedes Szenario durchgeführt. PG = Personen Pflegegeldbezug PG = B ik PQ ik PQ = Pflege-/Betreuungsquote (Wahrscheinlichkeit Pflegegeldbezug) B= Bevölkerungsanzahl i k i = 1, 2, 3, 4, 5 Altersgruppen (0-19, 20-44, 45-64, 65-84, 85+) k = 1,..., 21 Prognoseregionen (politische Bezirke) Die folgende Abbildung zeigt die Prognoseergebnisse für Niederösterreich. Das optimistische Szenario absolute Kompression stellte die niedrigste Variante dar und kommt auf einen Rückgang der Personenanzahl des Pflegegeldbezugs im Prognosezeitraum. Diese Variante, mit einem weit nach hinten verschobenen Zeitpunkt des Pflege-/Betreuungseintritts, erscheint als zu optimistisch angesetzt und kann nur als absolut niedrigste Grenze betrachtet werden. Die übrigen drei Szenarien weisen einen höheren Praxisbezug auf. Wobei das Szenario Referenz sich am besten angepasst zeigt, ein moderater Anstieg bis zum Jahr 2023 und danach der starke Anstieg, der sich in der demografischen Entwicklung durch die Gruppe der über 85 Jährigen bedingt bereits gezeigt hat.

20 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Abbildung 9: Prognose Pflegegeldbezug, Niederösterreich Quelle: eigene Berechnung Die Abbildung 10 zeigt deutlich den Anstieg der Gruppe 85+ nach dem Jahr 2023, die Gruppe der 65-84 Jährigen bleibt aber die größte Gruppe Abbildung 10: Prognose Pflegegeldbezug nach Altersgruppen, Szenario Referenz, Niederösterreich Quelle: eigene Berechnung

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 21 1.3 Prognose der 24-Stunden-Betreuung Zu Beginn wiederum ein Blick auf die empirischen Zahlen, nach einem starken Anstieg im ersten Jahr nach der Einführung der Förderung der 24-h-Betreuung zeigt sich bei den beiden wichtigsten Altersgruppen 65-85 und 85+ ein kontinuierlicher linearer Anstieg. Im Gegensatz zu den bisherigen Daten handelt es sich um keine Stichtagsdaten, sondern um Monatsdaten, d.h. die gesamte Anzahl der 24-h-Betreuungen in einem Monat. Diese Statistik umfasst nur Personen, die durch eine Förderung der 24-h-Betreuung erfasst sind, Personen, die wegen eines zu hohem Einkommen nicht gefördert werden, sind hier nicht inkludiert. Abbildung 11: Anzahl 24-h-Betreuung nach Altersgruppen, Niederösterreich Quelle: Amt der NÖ Landesregierung Von großer Relevanz für die Prognose ist die altersspezifische Betreuungsquote, die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der 24h-Betreuung, berechnet als Quotient aus der Anzahl der 24-h-Betreuungen durch die Bevölkerungsanzahl. Die beiden wichtigsten Altersgruppen zeigen auch hier einen kontinuierlichen Anstieg, der sich aber im Jahr 2013 abschwächt und eine Sättigung erreicht.

22 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Abbildung 12: Altersspezifische Betreuungsquote (Anzahl 24-h-Betreuung/ Bevölkerung), Niederösterreich Quelle: eigene Berechnung Altersgruppe 85+: rechte y-achse Berechnung der Betreuungsquote Wie bei den Quoten des Pflegegeldbezugs, sind auch die Betreuungsquoten regional sehr unterschiedlich, zusätzlich gibt es hier auch unterschiedliche zeitliche Verläufe zu berücksichtigen. Abbildung 13 zeigt die empirischen Quoten der Altersgruppe 85+bis zum vierten Quartal 2013.

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 23 Abbildung 13: Altersspezifische Betreuungsquote nach Bezirken (Anzahl 24-h-Betreuung/ Bevölkerung), Altersgruppe 85+ Einige Bezirke befinden sich bereits in einem stagnierenden Zustand (z.b. Waidhofen an der Thaya seit j2011q4, Sankt Pölten seit j2013q3, Mödling seit j2013q1), einige in einem Zustand der beginnenden Sättigung (z.b. Korneuburg, Krems, Tulln) oder in einem weiteren kontinuierlichen linearen Anstieg (z.b. Baden, Mistelbach, Scheibbs). Diejenigen Bezirke, die sich bereits in einem stagnierenden Zustand oder in einem Zustand der beginnenden Sättigung befinden, stellen für die Prognose kein Problem dar, hier lässt sich aufgrund des bisherigen Verlaufs die Betreuungsquote für die Prognoserechnung leicht extrapolieren. Bei den Bezirken mit einem anhaltenden linearen Anstieg lässt sich das Ende des Anstiegs nicht vorhersagen, darum wurde hier die Annahme getroffen, dass der Anstieg noch ein Jahr linear anhält, anschließend beginnt eine einjährige Phase der Sättigung und mit j2016q1 tritt ein Zustand der Stagnation ein. Die Betreuungsquoten wurden mittels dieser

24 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Vorgehensweise bei allen Bezirken angepasst, so dass sich mit dem 1. Quartal 2016 alle Bezirke in einer Stagnation befinden und mit dieser fixen Quote bis zum Ende des Projektionszeitraums die Prognoserechnung durchgeführt wird. Die altersspezifische Betreuungsquote für die Gruppe 65-84 wurde ebenfalls auf diese Art und Weise anpasst. Die Quoten für die übrigen Altersgruppen befanden sich bereits in einem stagnierenden Zustand und bedurften keiner weiteren Anpassung. Für die Prognose der 24-h-Betreuung dienen die Prognoseergebnisse des Pflegegeldbezugs als Basisgröße, mittels dieser Werte wird die Anzahl der 24-h-Betreuungen berechnet. In diesem Fall wird die Anzahl der Personen der 24-h-Betreuung nicht ins Verhältnis zu der Bevölkerung gesetzt, sondern mit der Anzahl der PflegegeldbezieherInnen. Die im vorherigen Bearbeitungsschritt mittels der Bevölkerungsanzahl berechnete 24-h-Betreuungsquote wird in eine 24-h-Betreuungsquote umgerechnet, welche in Bezug zu der Anzahl der PflegegeldbezieherInnen steht. Die Quote der 24-h- Betreuung beschreibt die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der 24-h-Betreuung im Verhältnis zu der Anzahl des Pflegegeldbezugs. Es gilt die Annahme, durch den Pflegegeldbezug wird die Pflegeund Betreuungsbedürftigkeit vorausgesetzt und diese Personen verteilen sich dann auf die verschiedenen Pflegeformen: informelle Pflege, mobile Pflege, stationäre Langzeitpflege, 24-h- Betreuung, betreutes Wohnen, etc. Die Berechnung der 24-h-Betreuungsquote geschieht wiederum für jede mögliche Kombination Altersgruppe x politischer Bezirk: BQ ik = Ph ik PG ik Ph = Personen 24-h-Betreuung BQ = 24-h-Betreuungsquote (Wahrscheinlichkeit 24-h-Betreuung) PG = Personen Pflegegeldbezug i = 1, 2, 3, 4, 5 Altersgruppen (0-19, 20-44, 45-64, 65-84, 85+) k = 1,..., 21 Prognoseregionen (politische Bezirke) Die Berechnung der alters- und bezirksspezifischen Betreuungsquote erfolgt dieses Mal nur einmal und nicht für alle Szenarien. Die Szenarien werden durch die unterschiedlichen Szenarien aus der Pflegegeldprognose gebildet. Die folgende Abbildung zeigt die Betreuungsquoten für die Altersgruppen 65-84 und 85+. Gänserndorf ist in beiden Altersgruppen mit der höchsten Betreuungsquote vertreten, bei den 65-84 Jährigen werden 7,9 % der PflegegeldbezieherInnen im Rahmen einer 24-h-Betreuung versorgt, bei den über 85 Jährigen sind es 13,7 %. Abbildung 14: Altersspezifische 24-h-Betreuungsquote nach Prognoseregionen 2013 65-84 85+

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 25 8 % 14 % 6 % 9 % 3 % 3 % Quelle: Statistik Austria, Hauptverband SV, eigene Berechnung Waidhofen an der Thaya stellt mit 3,3% (65-84) und 3,8% (85+) den Bezirk mit der gesamt niedrigsten Betreuungsquote. Mödling weist bei der Gruppe 65-84 den niedrigsten Wert auf. Eindeutige geografische Zuordnungen wie beim Pflegegeld sind dieses Mal nicht zu erkennen. Einige interessante Ergebnisse zeigen sich dennoch, so weisen die Bezirke Mistelbach und Gänserndorf hohe Betreuungsquoten auf, dies ist erklärbar durch die Nähe zur Slowakei, von dort kommen 57,9% (19.10.2012) bzw. 50,6% (20.11.2014) des aktiven Betreuungspersonals in Niederösterreich. In den ebenso grenznahen Bezirken Horn, Waidhofen an der Thaya und Gmünd hingegen zeigt sich eine sehr niedrige Quote, aus Tschechien kommt mit 2% (19.10.2012) bzw. 1% (20.11.2014) nur ein sehr geringer Anteil der selbständigen PersonenbetreuerInnen in Niederösterreich. Scheibbs, Sankt Pölten und Tulln fallen durch hohe Quoten auf. In den direkt an Wien grenzenden Bezirken Mödling und Wien-Umgebung zeigen sich sehr niedrige Quoten. Prognose der 24-h-Betreuung Die alters- und bezirksspezifische 24-h-Betreuungsquote für jedes Prognosejahr mit der Anzahl der PflegegeldbezieherInnen jedes Prognosejahrs multipliziert, ergibt die prognostizierte Anzahl der Nachfrage nach der 24-h-Betreuung. Diese Berechnung wird für jedes epidemiologisches Szenario durchgeführt. Ph = Personen 24-h-Betreuung BQ = 24-h-Betreuungsquote (Wahrscheinlichkeit 24-h-Betreuung) PG = Personen Pflegegeldbezug i = 1, 2, 3, 4, 5 Altersgruppen (0-19, 20-44, 45-64, 65-84, 85+) k = 1,..., 21 Prognoseregionen (politische Bezirke)

26 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Ph = i k PG ik BQ ik Die folgende Abbildung zeigt die Ergebnisse der Prognose für die Nachfrage der 24-h-Betreuung. Bezüglich der Szenarien, auch hier ist die Variante absolute Kompression als das untere Limit, das Szenario Expansion als oberes Limit und das Referenzszenario als am besten angepasst zu betrachten. Abbildung 15: Prognose 24-h-Betreuung, Niederösterreich Quelle: eigene Berechnung Analog zur Pflegegeldprognose tritt auch hier die Gruppe der über 85 Jährigen mit einem deutlichen Anstieg nach dem Jahr 2023 hervor. Im Gegensatz zur Prognose des Pflegegeldbezugs sind die über 85 Jährigen auch die größte Gruppe.

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 27 Abbildung 16: Prognose 24-h-Betreuung nach Altersgruppen, Szenario Referenz, Niederösterreich Quelle: eigene Berechnung Exkurs Pflegeheime Daueraufnahme Um zu überprüfen, ob es Zusammenhänge zwischen der 24-h-Betreuung und der stationären Pflege gibt, wurden Daten der Daueraufnahme in Pflegeheimen in die Analyse miteinbezogen. Die 24-h- Betreuung und die Daueraufnahme stellen die Pflegearten mit der höchsten Pflege- und Betreuungsintensität dar. Die Überprüfung findet auf der Ebene der politischen Bezirke statt, um festzustellen, ob eventuell ein zu geringes oder nicht geeignetes Angebot an Pflegeheimen zu einer Verlagerung zu der 24-h-Betreuung führt. Also ob hier Dependenzen bestehen, welche zu höheren Kennwerten der 24-h-Betreuung führen. Die Aufnahmequote der Daueraufnahme in Pflegeheime wird analog zur Pflege-/Betreuungsquote berechnet: die BewohnerInnenanzahl wird in Verhältnis zur Anzahl der PflegegeldbezieherInnen gesetzt 6. Als Maßzahl für den Zusammenhang zwischen der 24-h- Betreuungsquote und der Aufnahmequote wird die Korrelation nach Pearson verwendet, in beiden Altersgruppen ist dieser Wert mit -0,31 relativ gering. Daher wird keine gegenseitige Abhängigkeit der 24-h-Betreuung und der Pflegeheim Daueraufnahme angenommen. Abbildung 17 zeigt die Gruppe der über 85 Jährigen, so zeigt sich bei Waidhofen an der Thaya eine hohe Aufnahmequote mit einer geringen 24-h-Betreuungsquote und somit ein Zusammenhang. Bei Mistelbach hingegen sind beide Wert hoch und kein Zusammenhang erkennbar. Auf dem Streudiagramm lassen sich insgesamt keine deutlichen Abhängigkeiten erkennen, aus diesem Grund und der nicht vollständig validen Pflegeheimdaten wurde darauf verzichtet, diese Analyseergebnisse zur Prognose der 24-h-Betreuung heranzuziehen. 6 Die Pflegeheimdaten beruhen auf einer Auswertung von BewohnerInnen, die Sozialhilfe beziehen und stellen daher keine vollständige Population der Pflegeheime dar. Validere Daten waren zum Zeitpunkt der Berichtsstellung nicht verfügbar. Außerdem wird nur der Ort des Pflegeheims berücksichtigt und nicht der frühere Wohnort der BewohnerInnen (kein Herkunftsprinzip). Aus diesen Gründen kann keine endgültige Aussage getroffen werden.

28 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Abbildung 17: Zusammenhang 24-h-Betreuungsquote Aufnahmequote Pflegeheim Daueraufnahme, 2013, 85+ Prognoseregionen mittel KFZ-Kennzeichen bezeichnet. Quelle: eigene Berechnung

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 29 2 Prognose des Arbeitskräfteangebots für die 24-Stunden- Betreuung Das Betreuungspersonal in der 24-h-Betreuung unterliegt speziellen Bedingungen der Arbeitsmigration, diese Personen befinden sich zwischen den Polen einer permanenten Migration und dem Pendeln zum Arbeitsplatz. Die Betreuungskräfte reisen für ihre Tätigkeit an, üben diese mehrere Wochen aus, kehren für einige Wochen wieder in das Herkunftsland zurück, um danach wiederum für ihre Tätigkeit anzureisen. Aus diesem Grund ist es besonders schwierig einen theoretischen Rahmen zu bestimmen. Generell ist es ein Zusammenspiel vieler Einflüsse, wie politischer, sozialer, ökonomischer, historischer und kultureller Faktoren. Diese Faktoren treten sowohl im Herkunftsland der Betreuungskräfte, wie auch im Land ihrer Tätigkeit auf. Einflüsse, die als Push-Faktoren bezeichnet werden, umfassen zumeist negative Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes. Pull- Faktoren stellen positive Gründe um einer Tätigkeit in einem anderen Land nachzugehen. Viele Faktoren wirken gleichzeitig als Push- und Pull-Faktoren, so steht einem niedrigen Einkommen im Herkunftsland ein höheres Einkommen im Land der Tätigkeit entgegen. Einkommensunterschiede gelten als wichtigste Einflussfaktoren und machen eine Prognose schwierig, da die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsländern unklar ist und die damit verbundenen Einkommensunterschiede als Antrieb für Arbeitsmigration schwer abzuschätzen sind (Lenhart 2010). Eine weitere Perspektive in der Migrationstheorie ist durch die Einbeziehung der möglichen Analyseebenen gegeben. Abbildung 18: Analyseebenen der Migrationsforschung Makroebene: strukturell Mesoebene: relational Mikroebene: individuell Ökonomie: Einkommen, Arbeitsplätze, ökonomisches Kapital Politik: Regulierung, Konflikte, Interdependenzen kultureller Kontext: Normen Demografie und Ökologie: Bevölkerungsentwicklung technologische Entwicklung Quelle: Faist 1997 soziale Bindungen: Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz, Gemeinschaft soziales Kapital: Ressourcen durch Partizipation in Netzwerken und Kollektiven individuelle Präferenzen: Ziele, Werte individuelle Ressourcen: ökonomisches Kapital, Humankapital Erwartungen

30 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Auf der einen Seite steht die Makroebene, gekennzeichnet durch politische, ökonomische und kulturelle Strukturen in Ländern, Organisationen, Institutionen, Systemen. Der Gegenpol wird durch die Mikroebene gebildet, die individuelle Ebene in Form von Präferenzen und Ressourcen der potentiellen Migranten. Die Mesoebene stellt das Bindeglied zwischen der Makro- und Mikroebene (Faist 1997). Dies Push- und Pull-Faktoren unterliegen einem ständigen Wandel in allen beteiligten Ländern und stehen in einem direkten Zusammenhang. Selbst bei einer Konstanz aller Faktoren in einem Aufnahmeland, kann sich der Zulauf der Betreuungskräfte verändern, da es sich um einen transnationalen Markt der Pflege- und Betreuungskräfte handelt und ein anderes Aufnahmeland eventuell bessere Bedingungen bietet. Diese Vielzahl an Faktoren, die in einem transnationalen Umfeld wirken und einer hohen theoretischen Komplexität unterliegen, lassen sich im Rahmen dieses Berichts nicht sinnvoll zu einer empirisch fundierten Prognose verarbeiten. Zumal auch das generelle Problem der Verfügbarkeit von relevanten und validen Daten aus den Herkunftsländern der Betreuungskräfte besteht. Eine quantitative Prognose unter Berücksichtigung der Push- und Pull- Faktoren und der Datensituation wäre nur näherungsweise möglich. Eine qualitative Klärung über die momentane Situation der Personalrekrutierung mittels Experteninterviews mit Institutionen von Betreuungsleistungen bzw. Vermittlungsagenturen wäre hier wohl erfolgversprechender. Um dennoch eine quantitative Prognose des Betreuungskräfteangebots zu erstellen, wird ein strikt datengeleiteter Prozess angewandt, der auf Daten der Wirtschaftskammer Niederösterreich beruht. Es handelt sich dabei um Mitgliedsdaten der selbständigen PersonenbetreuerInnen im Zeitraum 2008-2014Q3, mit der Reform der 24-h-Betreuung seit 1.1.2008 ist die Meldung der selbständigen Tätigkeit als PersonenbetreuerInnen verpflichtend für den Bezug der Förderung. Bei einer unselbständigen Tätigkeit ist ein Arbeitsvertrag Voraussetzung. Da unselbständige PersonenbetreuerInnen nahezu keine Rolle spielen (im Jahr 2011 0,56% der Förderung von 24-h-Betreuungen, bis 2014 rückläufig auf 0,31 %), können diese vernachlässigt und die Mitgliedsstatistik der WK-NÖ als Datenbasis verwendet werden. Die Anzahl der PersonenbetreuerInnen erhöht sich seit Ende 2008 annähernd linear (Abbildung 19), die Datenreihe aktiv zeigt Personen, welche zum Stichtag der Erfassung einer Tätigkeit als PersonenbetreuerInnen nachgehen, die Personen der Dateireihe inaktiv sind als ruhend gemeldet. Der Status ruhend lässt sich keiner Generalisierung unterziehen, dies können Personen sein, die zurzeit kein aufrechtes Betreuungsverhältnis aufweisen oder auch Personen die sich innerhalb eines laufenden

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 31 Betreuungsverhältnisses turnusmäßig in ihrem Herkunftsland aufhalten. Die Variante der turnusmäßigen Auslegung scheint seltener vorzukommen, da sonst der Anteil der ruhenden Mitgliedschaften noch höher liegen müsste. Die Bundesländerwerte lassen keine klare Erklärung zu, dazu wäre die tatsächliche Entfernung zwischen Herkunftsort der PersonenbetreuerInnen und dem Ort ihrer Pflegetätigkeit erforderlich. Insgesamt waren mit Ende des 3. Quartals 2014 in Niederösterreich 18.733 selbständige PersonenbetreuerInnen gemeldet. Unabhängig vom Status, können diese gemeldeten Personen als im Betreuungsbereich tätig bezeichnet werden. Abbildung 19: Anzahl selbständige PersonenbetreuerInnen nach Status, Niederösterreich Quelle: Wirtschaftskammer Niederösterreich, eigene Berechnung Reihen interpoliert, Markierungen zeigen tatsächliche Datenpunkte Aktiv %: rechte y-achse Beim Herkunftsland sind nur zwei Zeitpunkte erfasst, es zeigt sich bei allen Herkunftsländern ein absoluter Anstieg, einen besonders großen Anstieg weist Rumänien auf, von 3.197 auf 5.248. Rumänien konnte seinen Anteil innerhalb von zwei Jahren von 34,7 % auf 41,2 % steigern. Die Slowakei bleibt in absoluten Zahlen mit 7.172 Personen an erster Position, sinkt aber von 52,3 % auf 41,2 %. Auf die restlichen Länder entfallen 13 % (2012) bzw. 13,4 % (2014).

32 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich Abbildung 20: Herkunftsländer selbständige PersonenbetreuerInnen, Status aktiv + ruhend, Niederösterreich Quelle: Wirtschaftskammer Niederösterreich, eigene Berechnung Für die Prognose ist der Kennwert notwendig, der die rechnerische Anzahl von selbständigen PersonenbetreuerInnen im Verhältnis zu den Förderfällen der 24-h-Betreuung angibt. Mit Ende des Jahres 2013 bis zum 3.Quartal 2014 zeigt sich eine Stagnation, zuletzt zeigt sich ein Betreuungsverhältnis von 3,42, d.h. je Förderfall sind ca. 3,5 Personenbetreuer in Niederösterreich gemeldet. Abbildung 21: Betreuungsverhältnis selbständige PersonenbetreuerInnen je 24-h-Betreuung, Niederösterreich Quelle: eigene Berechnung

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 33 Die Anzahl der notwendigen PersonenbetreuerInnen errechnet sich nun mittels des Betreuungsverhältnisses von 3,5 (je 24-h-Betreuung) mit der Anzahl der 24-h-Betreuungen im Projektionszeitraum multipliziert 7. Für die Prognoseberechnung wird keine Differenzierung hinsichtlich des Status aktiv oder ruhendend angewandt, beide Arten repräsentieren auch bei der zukünftigen Entwicklung das Betreuungspersonal der 24-h-Betreuung. In Abbildung 22 sind die Ergebnisse dargestellt, diese folgen wieder dem bereits bekannten Muster, mit einem Anstieg nach 2023, der durch die Altersgruppe 85+ begründet ist. Das Referenzszenario erreicht wiederum im Jahr 2029 mit 26.030 selbständigen Personenbetreuern seinen Höchststand. Dies entspricht gegenüber dem letzten Wert von 18.733 (30.09.2014) einem Anstieg von 39 Prozent. Abbildung 22: Prognose selbständige Personenbetreuer, Niederösterreich Quelle: eigene Berechnung 7 Die Prognoseberechnung konnte nur für Niederösterreich gesamt durchgeführt werden, da auf Bezirksebene die Daten der selbständigen Personenbetreuer nicht verfügbar sind. Ein unbekannter Faktor für die Berechnung des Betreuungsverhältnisses ist, in welchem Ausmaß die gemeldeten selbständigen Personenbetreuer in der geförderten 24-h-Betreuung tätig sind. Personenbetreuer könnten auch in der nicht geförderten 24-h-Betreuung aktiv sein, z.b. beim Überschreiten der Einkommensgrenze.

34 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 3 Qualitative Untersuchung zur 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 3.1 Darstellung der Erhebungsmethode Im Rahmen des Auftragsprojekts 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich wurden qualitative Interviews mit ExpertInnen und Angehörigen von pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen, die eine 24-Stunden-Betreuung durch selbstständig tätige PersonenbetreuerInnen in Niederösterreich in Anspruch nehmen, durchgeführt. Ziel war es, Einschätzungen zur Verbesserung allgemeiner Rahmenbedingungen im Bereich der 24-Stunden-Betreuung von ExpertInnen zu erhalten sowie Erfahrungen und Erwartungshaltungen von betroffenen Angehörigen zu sammeln. Offene Forschungsgespräche beginnen nicht mit der ersten Frage, sondern bereits mit der Planung und Kontaktaufnahme. So wird im Folgenden die projektbezogene, methodische Vorgehensweise anhand der sechs Phasen qualitativer Interviews nach Froschauer und Lueger (2003) dargestellt. 1. Phase: Interviewplanung Bereits vor der Feldphase wurden die Zugangsmöglichkeiten zum Forschungsfeld abgeklärt. Für die Einhaltung der Projektziele bzw. für die Beantwortung der Forschungsfragen wurden die Angehörigen von pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen, die eine 24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich in Anspruch nehmen, als zentrale Forschungssubjekte (InterviewpartnerInnen) definiert. Die Befragung von Angehörigen ermöglichte die Untersuchung von Erfahrungen mit und Erwartungen an eine 24-Stunden-Betreuung aus der Perspektive dieser betroffenen Gruppe. Gespräche mit pflege- und betreuungsbedürftigen Personen, die eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch nehmen, wurden aufgrund der meist hohen Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit und der damit einhergehenden stark limitierten Interviewmöglichkeit ausgeschlossen. Weiters wurden AllgemeinmedizinerInnen (HausärztInnen) als InterviewpartnerInnen gewählt, da sie in den 24-Stunden-Betreuungsdienst im Rahmen ihrer medizinischen Tätigkeit involviert sind und eine alternative Sichtweise bieten. Die Perspektive von in der 24-Stunden-Betreuung tätigen PersonenbetreuerInnen wurde in eingehenden Studien bereits umfassend untersucht (siehe z.b. Österle, Bauer 2015; Bauer, Österle 2013; Bauer, Österle 2012). Die qualitativen Interviews fanden im Zeitraum Dezember 2014 bis März 2015 in den Privathaushalten im Bundesland Niederösterreich statt.

24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich 35 2. Phase: Kontaktaufnahme Nach Definition der Forschungssubjekte (InterviewpartnerInnen) wurde über die Art und Weise der Kontaktaufnahme entschieden. Für den Erstkontakt wurde ein Informationsblatt für Angehörige von pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen als auch für HausärztInnen erstellt. Dieses Dokument enthält allgemeine Informationen zum Projekt (Zeitraum, Ziele etc.) und Themenbereiche, die im Rahmen der Interviews angesprochen wurden. Im ersten Schritt wurde eine umfassende E-Mailbasierte Anfrage an Anbieter einer 24-Stunden-Betreuung (Agenturen, Trägerorganisationen) gestartet, um Kontaktdaten zu KlientInnen bzw. deren Angehörigen zu erhalten. Diese Agenturen wurden durch die auf der Homepage des Landes NÖ gelisteten Vermittlungsagenturen einer 24-Stunden- Betreuung und durch weitere Internetrecherchen identifiziert. Insgesamt wurden 25 Agenturen und drei Trägerorganisationen um Unterstützung hinsichtlich der Übermittlung von Kontaktdaten zu Haushalten gebeten. Davon boten zwei der 25 Agenturen und eine von drei Trägerorganisationen ihre Mithilfe an und verwiesen vor dem Hintergrund der hohen Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit ihrer KlientInnen auf deren Angehörige. Trägerorganisationen beziehen sich auf in Österreich tätige Wohlfahrtsorganisationen (z.b. Caritas, Hilfswerk), die im Rahmen ausgegliederter, jedoch der Wohlfahrtsorganisation zugehöriger Unternehmen bzw. Vereine die private Dienstleistung der 24- Stunden-Betreuung anbieten. Dennoch wurden nur wenige Kontakte durch die unterstützenden Agenturen bzw. durch die Trägerorganisation übermittelt. Kriterien zur Auswahl von InterviewpartnerInnen bzw. Haushalten (z.b. nach unterschiedlichen Bezirken oder nach Einkommensniveau der Haushalte) stellten sich zudem als potentiell schwierig heraus. Folglich wurde die Suche auf das persönliche und berufliche Umfeld der Forscherinnen erweitert, was das Auffinden erster InterviewpartnerInnen ermöglichte. Durch das in Folge angewendete Schneeballverfahren konnten weitere Kontakte zu InterviewpartnerInnen generiert werden. Um einen Zugang zu AllgemeinmedizinerInnen zu erhalten, wurden die interviewten Angehörigen um Kontakte zu deren HausärztInnen gebeten, da sich eine direkte Kontaktaufnahme mit den ÄrztInnen als nicht erfolgreich erwies. Eine Übersicht zu den Interviews kann in Tabelle 1 nachgesehen werden. 3. Phase: Gesprächseinstieg Zu Beginn der Gespräche wurden die Projektziele den InterviewpartnerInnen vorgestellt und die Art und Weise der Interviewdurchführung kurz erläutert. Weiters wurde für diese Phase des qualitativen Interviews eine Einverständniserklärung erstellt, welche Antworten zu den Fragen wie Ist die Gesprächsaufzeichnung erlaubt?, Was passiert mit dem Interviewmaterial?, Bleibt das Interview anonym?, Wie lange dauert das Gespräch? enthält. Diese Einverständniserklärung diente zur Absicherung beider Seiten: die ForscherIn verspricht der/dem GesprächspartnerIn, dass Ergebnisse aus den Interviews Dritten nur in anonymisierter und zusammengefasster Form zur Verfügung gestellt