ZögU Zeitschrift. Unternehmen. Nomos. Aus dem Inhalt. Abhandlungen. Kurzbeiträge



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ZögU Zeitschrift Unternehmen für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Journal for Public and Nonprofit Services zugleich Organ des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen Deutsche Sektion des CEEP Herausgegeben von Frank Schulz-Nieswandt Thomas Lenk Holger Mühlenkamp Johann Christian Pielow Dieter Kurt Tscheulin Aus dem Inhalt Abhandlungen Dirk Meyer Zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts Fragwürdige Förderzwecke und Diskriminierungen Kurzbeiträge Heinz Bolsenkötter Modernisierung des Bilanzrechts Auswirkungen auf öffentliche Unternehmen und Verwaltungen 3 2008 31. Jahrgang Seite 249 344 ISSN 0344-9777 Nomos Georg von Schnurbein Einfluss der Organisationsstrukturen auf die Governance in Wirtschaftsverbänden

ZögU 3 2008 Organ des Bundesverbandes Deutsche Sektion Seite Öffentliche Dienstleistungen des CEEP 31. Jahrgang 249 344 Gegründet von Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Eichhorn Dr. Achim v. Loesch Herausgegeben von Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt, Universität zu Köln (geschäftsführend) Prof. Dr. Thomas Lenk, Universität Leipzig Prof. Dr. Holger Mühlenkamp, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Prof. Dr. Johann Christian Pielow, Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Dieter Kurt Tscheulin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Herausgeberbeirat: Prof. Dr. Gerold Ambrosius, Universität Siegen Prof. Dr. Dietmar Bräunig, Justus- Liebig-Universität Gießen Wilhelm Georg Hanss, Vorsitzender der Geschäftsführung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH Wolf Leetz, Geschäftsführer des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen Deutsche Sektion des CEEP e.v. (BVÖD), Berlin Reiner Metz, Geschäftsführer ÖPNV des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen e.v, Köln Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen e.v. (VKU), Köln Prof. Dr. Christina Schaefer, Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin Dr. Dieter Steinkamp, Vertriebsvorstand Rheinenergie AG, Köln Dr. Patrick Steinpaß, Direktor des Deutschen Sparkassen-Giroverbandes, Berlin Prof. Dr. Ludwig Theuvsen, Georg- August-Universität Göttingen Redaktionsteam: Dipl.-Ges.-Ök. Saskia Alich Jana Dotschkal Dipl.-Kff. Kristina Mann Sabrina Witschkofski Inhalt Abhandlungen Lukas Haag und Ashok Kaul Reformen auf der Suche nach Skaleneffekten: Die Struktur der Verwaltungsund Verfahrenskosten der öffentlichen Unfallkassen in Deutschland Reforms aiming at economies of scale: The structure of administration and management costs of public statutory accident insurance funds in Germany... 249 Dirk Meyer Zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts Fragwürdige Förderzwecke und Diskriminierungen Charity privilege discriminates Annotations to a reform of the German charity act... 268 Guido Offermanns Neue prospektive Steuerungsinstrumente im Mehrebenensystem des Gesundheitswesens New prospective instruments of governance on different system levels in health care... 284 Kurzbeiträge Heinz Bolsenkötter Modernisierung des Bilanzrechts Auswirkungen auf öffentliche Unternehmen und Verwaltungen............................................................... 302

Georg von Schnurbein Einfluss der Organisationsstrukturen auf die Governance in Wirtschaftsverbänden.......................................................... 311 Frank Schulz-Nieswandt Zur Morphologie des Dritten Sektors im Gefüge zwischen Staat, Markt und Familie. Ein Diskussionsbeitrag zur Ciriec-Studie Die Sozialwirtschaft in der Europäischen Union............................................................. 323 Mitteilung Hans Jürgen Rösner XVI. Internationale genossenschaftliche Tagung (IGT) vom 7.-9. Oktober 2008, Universität zu Köln Beiträge genossenschaftlicher Selbsthilfe zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung... 337 Buchbesprechungen Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des ÖPNV (Michael Ronellenfitsch)... 340 Olaf Werner und Ingo Saenger, Die Stiftung Recht, Steuern, Wirtschaft (Peter Eichhorn)... 341 Autoren des Heftes... 343

Abhandlungen Lukas Haag und Ashok Kaul Reformen auf der Suche nach Skaleneffekten: Die Struktur der Verwaltungs- und Verfahrenskosten der öffentlichen Unfallkassen in Deutschland Einsparpotenziale; Kostendegression; Reform der öffentlichen Unfallkassen; Skaleneffekte; Verwaltungs- und Verfahrenskosten Wir untersuchen die Struktur der Verwaltungs- und Verfahrenskosten der öffentlichen Unfallkassen in Deutschland. Als Datengrundlage dienen die Zahlen aus den Geschäftsund Rechnungsergebnissen der Unfallträger der öffentlichen Hand. Die Ergebnisse einer Regressionsanalyse liefern Aufschlüsse über Kostentreiber und Skaleneffekte. Die Verwaltungs- und Verfahrenskosten im Jahr 2005 konnten durch meldepflichtige Unfälle in der Allgemeinen- und Schülerunfallversicherung sowie die Präventionsintensität der Unfallkassen sehr gut erklärt werden. Die Arbeit hat drei Hauptergebnisse. Erstens sind die Unfallkassen sehr heterogen bezüglich ihrer Verwaltungs- und Verfahrenskosten. Zweitens haben diese Kostenunterschiede nichts mit der Größe der Unfallkassen zu tun: Es kann keinerlei Evidenz für Kostenvorteile größerer Unfallkassen (Skaleneffekte) gefunden werden. Drittens ziehen Schülerunfälle erheblich geringere Kosten in der Verwaltung nach sich als Unfälle in der Allgemeinen Unfallversicherung. Ferner gibt es Hinweise, dass eine höhere Präventionsintensität einer Unfallkasse auch höhere Kosten in der Verwaltung nach sich zieht. I. Einleitung Steigende Gesundheitskosten, Strukturwandel, sich ändernde Rahmenbedingungen und ein System, das seinen Ursprung Ende des 19. Jahrhunderts hat, rufen förmlich nach Reformen. Die Rede ist hier von einem bedeutenden aber in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Zweig der Sozialversicherungen, nämlich der gesetzlichen Unfallversicherung. Seit einigen Jahren sind nun Forderungen zur Reform des deutschen Systems der Wir danken Prof. Michael Wolf (IEW, Universität Zürich) und Dr. Ingrid Stein (Deutsche Bundesbank) für kritische Kommentare und hilfreiche Verbesserungsvorschläge sowie Prof. Bernd Fitzenberger (Universität Freiburg) für anregende Diskussionen bezüglich der empirischen Spezifikation. Schließlich bedanken wir uns bei Ina Wietheger und Fabian Sommerrock (Roland Berger Strategy Consultants), die unsere Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt haben. ZögU 31. Jg. 3/2008 249

Lukas Haag und Ashok Kaul Unfallversicherung von Verbänden an die Politik ergangen und aufgegriffen worden. So werden unter anderem eine Kürzung des Leistungskatalogs, Deregulierung und Bürokratieabbau durch eine Reform der Organisationsstruktur gefordert. 1 Eine Bund-Länder- Arbeitsgruppe wurde deshalb im Oktober 2004 damit beauftragt, Reformoptionen zu prüfen und notwendige Verfahren einzuleiten. Ein erster Beschluss der Arbeitsgruppe wurde Ende Juni 2006 verabschiedet, der vorsieht, die Unfallversicherungsträger der gewerblichen und der öffentlichen Unfallversicherung drastisch zu reduzieren, mit dem Ziel, durch Straffung der Organisation, die Wirtschaftlichkeit und Effektivität zu verbessern (Bund-Länder-Arbeitsgruppe 2006, S. 2). Weitere Kreise haben sich diesem Thema durch fundierte Analysen angenommen. Zwei Gutachten seien hier erwähnt: Ein Gutachten von Roland Berger Strategy Consultants wurde im September 2005 publiziert (Roland Berger Strategy Consultants 2005). Es wurden verschiedene Strukturvarianten untersucht im Wesentlichen mit dem Ziel, Verwaltungskosten der gesetzlichen Unfallversicherung zu senken, um die Unternehmen zu entlasten (ver.di-bundesvorstand 2006, S. 3). Bert Rürup (Darmstadt) und Heinz-Dietrich Steinmeyer (Münster) schlagen in ihrem Gutachten Neuorganisation der gesetzlichen Unfallversicherung einen zentralen Träger für die öffentliche und gewerbliche Unfallversicherung vor (Rürup/Steinmeyer 2006). Die Hauptverbände der Unfallversicherer ließen aber mit Kritik an den geplanten Reformen nicht lange auf sich warten. Zu den Vorschlägen der Bund Länder-Arbeitsgruppe antwortet der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften: Staat statt Selbstverwaltung das ist der Geist, der die Vorschläge von Bund und Ländern bestimmt, so der Vorstandsvorsitzende Klaus Hinne (HVBG 2006, S. 1). Dr. Joachim Breuer, Hauptgeschäftsführers des HVBG, merkt an (HVBG 2006a, S. 1): Der Kahlschlag, den sich die Politik bei den Berufsgenossenschaften vorstellt, wäre der Abschied von der branchenbezogenen Prävention. Zum Einheits-Unfallversicherungsträger kontert der Berufsverband der Unfallkassen: Die Gefährdungslagen in den Verwaltungen, Betrieben und Institutionen der öffentlichen Hand sind mit denen in gewerblichen Bereichen nicht vergleichbar. Zudem folge die Prävention in Schulen, Kindertageseinrichtungen und Universitäten anderen Anforderungen als in der gewerblichen Wirtschaft (BUK 2006, S. 3). Diese Arbeit befasst sich ausschließlich mit den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand. Ziel ist es, mittels einfacher statistischer Analysen mögliche Kostentreiber der Verwaltungen der Unfallkassen zu finden und eventuell Größeneffekte zu erkennen. Hierfür dienen die Daten der Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand aus dem Jahre 2005, wobei die Analyse die landesunmittelbaren Träger betrachtet. 2 1 MIT 2005; Beschluss der Bund-Länder-Arbeitsgruppe 2006; Voßhoff 2005. Mit einer möglichen Neuorganisation der Unfallversicherung beschäftigte sich auch das Gutachten von Bert Rürup (Technische Universität Darmstadt) und Heinz-Dietrich Steinmeyer (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) 2006. Siehe dazu auch: Fickinger 2006. 2 In einer anderen Arbeit wird eine ähnliche Analyse wie in dieser Arbeit für die gewerblichen Berufsgenossenschaften durchgeführt (Kaul/Haag 2007). 250 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland Das erste Kapitel widmet sich der Struktur und den Aufgaben der Unfallkassen. Danach folgt ein deskriptiver Überblick über die Unfallkassen. Zum Schluss werden die landesunmittelbaren Unfallkassen mit einer Regressionsanalyse untersucht, um mögliche Größeneffekte für die Verwaltungen zu quantifizieren und weitere Kostentreiber zu identifizieren. II. Die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand im Überblick Die Unfallkassen als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung der öffentlichen Hand unterscheiden sich zumindest was ihre Aufgabe betrifft nicht stark von den Berufsgenossenschaften der gewerblichen Unfallversicherung. Im Wesentlichen leisten sie Entschädigungen für Unfallopfer, sei es in Form von Rentenzahlungen oder Geldzahlungen für die medizinische, die berufliche oder die soziale Rehabilitation. Wie bei der gewerblichen Unfallversicherung gehören die Arbeitsunfälle (inklusive Wegeunfälle) und die Berufskrankheiten zu den Versicherungsfällen. Weiter haben die Unfallkassen auch den Auftrag, mit geeigneten Präventionsmaßnahmen die Zahl der Unfälle und der berufsbedingten Erkrankungen zu reduzieren. Insgesamt versichern die öffentlichen Versicherungsträger 28,9 Mio. Personen (Stand 2005). Der größte Teil (17,4 Mio.) davon sind Kinder in Tageseinrichtungen, Schüler in allgemein- und berufsbildenden Schulen und Studierende während ihrer Aus- oder Fortbildung. Sie alle gehören der Schüler-Unfallversicherung an. Der Rest der Versicherten fällt in die Allgemeine Unfallversicherung. Ungefähr 4 Mio. Personen sind Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes sowie Haushaltshilfen in Bund, Länder und Gemeinden. Weiter werden 7,5 Mio. versichert, die außerhalb eines Beschäftigungsfeldes im Interesse der Allgemeinheit tätig sind. Hierbei handelt es sich um freiwillige Helfer in Unglücksfällen oder allgemeiner Not, Blut- und Organspender sowie für Bund, Länder und Gemeinde ehrenamtlich Tätige und Zeugen. Der größte Teil umfasst hier jedoch auf den Schutz für Personen aus sozialstaatlichen Gründen (BUK 2005), zum Beispiel Arbeitslose. Die Träger der öffentlichen Unfallversicherung lassen sich in vier verschiedene Typen einteilen: Die Landesunfallkassen (LUK) versichern Angestellte in Verwaltungen und Betrieben der Länder und Bildungseinrichtungen sowie Studenten. Die Gemeindeunfallversicherungsverbände (GUVV) sind zuständig für Versicherte in Gemeindeverwaltungen und -betrieben sowie Privathaushalten, Kindertageseinrichtungen und Schulen, sofern deren Sachkosten von den Gemeinden oder Gemeindeverbänden getragen werden. Die Unfallkasse des Bundes versichert Arbeitnehmer der Verwaltungen, Anstalten, Einrichtungen und Betriebe des Bundes. Sie ist eine der drei bundesunmittelbaren Unfallkassen in der öffentlichen Unfallversicherung. ZögU 31. Jg. 3/2008 251

Lukas Haag und Ashok Kaul Als letztes bleiben die Feuerwehrunfallkassen (FUK). Sie sichern die Mitarbeiter des Feuerwehrdienstes ab. Von den 33 bestehenden Unfallkassen (2005) sind 30 in landesunmittelbarer Trägerschaft. 3 Das heißt, im Gegensatz zur gewerblichen Unfallversicherung sind die Unfallkassen regional gegliedert. Zu den drei bundesunmittelbaren Kassen gehören neben der Unfallkasse des Bundes noch immer die Eisenbahn-Unfallkasse und die Unfallkasse Post und Telekom. Finanziert werden die Aufwendungen der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand durch die jeweiligen beitragspflichtigen Mitgliedsunternehmungen. Wie auch in der gewerblichen Unfallversicherung kommt hier das Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung nach dem Umlageverfahren zum Zuge. 4 Die Höhe der Beiträge richtet sich in erster Linie nach der Einwohnerzahl, nach der Zahl der Versicherten und nach den Arbeitsentgelten. 5 Erfüllt ein Unfall die gesetzlichen Voraussetzungen, so haben die gesetzlichen Unfallversicherungsträger die Versicherten zu entschädigen. Im Jahr 2005 registrierten die öffentlichen Unfallversicherungsträger insgesamt 1.579.035 meldepflichtige Unfälle, davon sind jedoch nur 163.603 (10,4 %) der Allgemeinen Unfallversicherung zuzuschreiben. Der große Rest entfällt auf die Schüler-Unfallversicherung. Die Häufigkeit der Schadensereignisse entspricht nicht den Proportionen der Versichertenzahlen, wo der Anteil der durch die Allgemeine Unfallversicherung versicherten Personen 40 % beträgt. 6 Ein Blick auf die Jahre 1998 bis 2005 (siehe Abbildung 1) der landesunmittelbaren Unfallkassen zeigt, dass sich die Versichertenzahlen der Allgemeinen Unfallversicherung und der Schüler-Unfallversicherung nicht wesentlich veränderten (BUK 1998, 1999, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005, 2005a). Insgesamt stieg die Zahl um 1,78 %. Abbildung 2 zeigt für die landesunmittelbaren Unfallkassen, dass bei der Allgemeinen Unfallversicherung (-31,7 %) wie auch bei der Schüler-Unfallversicherung (-13,3 %) ein deutlicher Rückgang der meldepflichtigen Unfälle seit 1999 verzeichnet werden konnte. 7 3 Am 1. Juli 2006 haben die Feuerwehr-Unfallkasse Hamburg mit der Feuerwehr-Unfallkasse Nord zur hanseatischen Feuerwehr-Unfallkasse Nord, sowie die Feuerwehr-Unfallkassen Sachsen-Anhalt und Thüringen zur FUK Mitte fusioniert. 4 Bei den GUVV, den LUK und den FUK ist die nachträgliche Beitragsdeckung nicht ausdrücklich vorgesehen (Rürup/Steinmeyer 2006, S. 73 f.). 5 185 Abs. 4 SGB VII vom 7. August 1996 (BGB1. I, S. 1254) zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 24. April 2006 (BGB1. I, S. 926). 6 Rechnet man nur mit den Unfallkassen (landesunmittelbare), die Schüler versichern, reduziert sich diese Zahl auf 24 %. Schüler wird hier als Sammelbegriff für Kinder in Tagesstätten, Schüler und Studenten verwendet. 7 Bemerkenswert ist, dass die Anzahl der Unfälle in der gewerblichen Unfallversicherung um etwa ein Drittel geringer als bei den Unfallkassen ist, obwohl die Unfallkassen ungefähr ein Drittel weniger Personen versichern als die gewerbliche Unfallversicherung (HVBG 2005). Dies liegt an der hohen Unfallhäufigkeit der Schüler. 252 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland 25.000.000 20.000.000 Versicherte 15.000.000 10.000.000 5.000.000 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Versicherte in der Allgemeinen Unfallversicherung Versicherte in der Schüler-Unfallversicherung Abb. 1: Versicherte der landesunmittelbaren Unfallkassen, 1998-2005 Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 1998; 1999; 2000; 2001; 2002; 2003; 2004; 2005 Meldepflichtigen Unfälle 2.000.000 1.800.000 1.600.000 1.400.000 1.200.000 1.000.000 800.000 600.000 400.000 200.000 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Unfälle in der Allgemeinen Unfallversicherung Unfälle in der Schüler-Unfallversicherung Abb. 2: Meldepflichtigen Unfälle 1998-2005 der landesunmittelbaren Unfallkassen Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 1998; 1999; 2000; 2001; 2002; 2003; 2004; 2005 ZögU 31. Jg. 3/2008 253

Lukas Haag und Ashok Kaul Bezüglich Berufskrankheiten wurde in der allgemeinen Unfallversicherung 2005 über 3.775 Fällen entschieden, von denen 35,6 % als Berufskrankheiten anerkannt wurden. Daraus ergaben sich 253 neue Renten. Bei den Fällen auf Verdacht auf Berufskrankheiten fällt die Schüler-Unfallversicherung nicht ins Gewicht. Tabelle 1 gibt einen Überblick über wichtige Kennzahlen der Unfallkassen. Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand 2005 Anzahl Versicherungsträger 33 Versicherte der Allgemeinen Unfallversicherung Versicherte der Schüler Unfallversicherung 11.546.184 17.373.585 Gesamt 28.919.769 Gemeldete Unfälle 1.892.198 Rentenbestand 112.262 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit 6.186 Entschädigungsleistungen 1.203.230.663 Prävention 76.408.341 Vermögensaufwendungen 129.407.160 Verwaltungs- und Verfahrenskosten 179.193.494 Tab 1: Kennzahlen der Unfallkassen 2005 Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 2005 III. Verwaltungs- und Verfahrenskosten der öffentlichen Unfallkassen: Deskriptive Statistiken In unserer Analyse der öffentlichen Unfallversicherung stehen die Verwaltungs- und Verfahrenskosten der Unfallkassen im Zentrum der Betrachtung. In einem ersten Schritt wird daher ein Überblick der möglichen Kostentreiber gegeben. Als erste Variable soll die Anzahl der Versicherten betrachtet werden. Weiter wird untersucht, ob unterschiedliche Versichertenanteile in der Allgemeinen Unfallversicherung respektive in der Schüler- Unfallversicherung Einfluss auf die Verwaltungskosten haben könnten. Sodann wird geprüft, inwiefern Ausgaben für Präventionsmaßnahmen mit zusätzlichen Ausgaben in den Verwaltungen verbunden sind. 254 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland Als Datenbasis dienen die Geschäfts- und Rechnungsergebnisse des Bundesverbandes der Unfallkassen der Jahre 1999 und 2005. 8 Die Untersuchung konzentriert sich auf die 23 landesunmittelbaren Unfallkassen. Die bundesunmittelbaren Unfallkassen (Unfallkasse des Bundes, Eisenbahn-Unfallkasse und Unfallkasse Post und Telekom) sowie die Feuerwehr-Unfallkassen werden in dieser Analyse nicht miteinbezogen. Ihre Versicherten- und Risikostruktur würden mögliche Erkenntnisse verfälscht wiedergeben. 9 In den folgenden Betrachtungen werden die Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten als Vergleichszahl herangezogen. Die Zahlen für 1999 werden in Preisen des Jahres 2005 ausgedrückt. Inbegriffen ist damit auch die Schüler-Unfallversicherung. Zwar weisen die Geschäfts- und Rechnungsergebnisse des Bundesverbandes der Unfallkassen eine separate Buchführung für die Schüler-Unfallversicherung auf, jedoch werden nur Verfahrenskosten, aber keine Verwaltungskosten, ausgewiesen (BUK 2005). Eine genaue Zurechnung der Verwaltungs- und Verfahrenskosten in die Allgemeine Unfallversicherung und in die Schüler-Unfallversicherung ist somit unmöglich. 1. Gliederung nach Größe Die größte landesunmittelbare Unfallkasse, die Unfallkasse Baden-Württemberg, zählt rund 3 Mio. Versicherte; demgegenüber hat die kleinste etwas mehr als 190.000 Versicherte (Braunschweiger GUVV). 8 Zu beachten ist die unterschiedliche Anzahl von landesunmittelbaren Versicherungsträgern in den beiden Jahren. 1999 bestanden noch 26 Kassen, 2005 zählte man derer 23. Im Jahr 2003 bildeten der Badische Gemeindeunfallversicherungsverband, der Württembergische Gemeindeunfallversicherungsverband, die Badische Unfallkasse und die Württembergische Unfallkasse die Unfallkasse Baden-Württemberg. 9 Der Versichertenkreis der Unfallkasse des Bundes umfasst einen hohen Anteil Arbeitsloser, die sonst in keiner Unfallkasse versichert sind. Die Eisenbahn-Unfallkasse und Unfallkasse Post und Telekom sind der Versicherten- und Risikostruktur den gewerblichen Berufsgenossenschaften ähnlich (Kaul/Haag 2007). Die Versichertenzahlen der Feuerwehr-Unfallkassen sind äußerst gering, im Jahr 2005 waren es durchschnittlich rund 5.000 Versicherte. ZögU 31. Jg. 3/2008 255

Lukas Haag und Ashok Kaul Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten 8,0 7,0 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0,0 kleine Unfallkassen mittelgroße Unfallkassen große Unfallkassen Kleine Unfallkassen: Anzahl Versicherte 500.000. Mittlere Unfallkassen: 500.000 < Anzahl Versicherte 1 Mio. Große Unfallkassen: Anzahl Versicherte > 1 Mio. Abb. 3: Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten nach Größe (Anzahl Versicherte) der Unfallkassen Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 1999; 2005 1999 2005 Für Abbildung 3 wurden die landesunmittelbaren Unfallkassen für die Jahre 1999 und 2005 in drei Kategorien eingeteilt und jeweils die Durchschnitte der Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten ermittelt. Dabei sind weder über die beiden Jahre hinweg noch in Abhängigkeit von der Größe der Unfallkassen gewichtige Unterschiede erkennbar. 10 Tendenziell haben große Kassen durchschnittlich geringere Verwaltungskosten je Versicherten als kleine (6,1 zu 6,7 im Jahr 2005). Jedoch weisen mittelgroße Unfallkassen die höchsten Werte auf (1999: 7,1 ; 2005: 7,4 ). 11 2. Schüler-Unfallversicherung versus Allgemeine Unfallversicherung Wie bereits im Eingangskapitel erwähnt, geschehen im Durchschnitt der Unfallkassen mehr Schülerunfälle je versichertem Schüler als allgemeine Unfälle je allgemein Versichertem. Abbildung 4 zeigt, dass sich dieses Muster nicht nur im Durchschnitt, sondern bei fast jeder landesunmittelbaren Unfallkasse erkennen lässt. Auf der Abszisse wird das 10 Zur Darstellung der 1999er Zahlen sind die Unfallkassen Württembergische UK, Badische UK, Badischer GUVV und die Württembergische UK getrennt und nicht als fusionierte Unfallkasse in die Rechnung eingegangen. Die Durchschnittswerte der jeweiligen Kategorien werden dabei aber nur unwesentlich berührt. 11 Im Vergleich zu den gewerblichen Berufsgenossenschaften sind diese Unterschiede minimal (Kaul/Haag 2007). 256 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland Verhältnis der gemeldeten Unfälle zwischen der Schüler-Unfallversicherung und der Allgemeinen Unfallversicherung abgebildet auf der Ordinate das Verhältnis der versicherten Schüler zu den allgemein Versicherten. Falls das Unfallgeschehen gleich dem Versichertenverhältnis wäre, müssten die Unfallkassen, dargestellt durch Punktwerte, auf der Winkelhalbierenden zu liegen kommen. Die überwiegende Mehrheit der Punkte für die Unfallkassen befindet sich aber rechts davon. Dies bedeutet, dass fast alle Kassen relativ viele Schülerunfälle zu verzeichnen haben. 12 Verhältnis der Versicherten: Schüler Unfallversicherung / Allgemeine Unfallversicherung 10 8 6 4 2 0 0 2 4 6 8 10 12 Verhältnis der gemeldeten Unfälle: Schüler-Unfallversicherung / Allgemeine Unfallversicherung Abb. 4: Unfälle versus Versicherte (Relation der Schülerunfallversicherung gegenüber der Allgemeinen) Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 2005 Inwieweit dieser Umstand Einfluss auf die Verwaltungs- und Verfahrenskosten der öffentlichen Unfallversicherung haben könnte, versucht Abbildung 5 aufzuzeigen. Es geht die Vorüberlegung voraus, dass das Unfallmuster in der Schüler-Unfallversicherung viel homogener ist als bei der Allgemeinen Unfallversicherung. Unfälle von Schülern und Studenten haben auch weniger Renten zur Folge. Obwohl bei den landesunmittelbaren Unfallkassen mehr als dreimal soviel Versicherte in der Schüler-Unfallversicherung sind, können den Schülerunfällen nur 44 % der gesamten neuen Unfallrenten (2005) zugeschrieben werden (BUK 2005). Bei den anerkannten Berufskrankheiten fallen gerade einmal sechs von insgesamt 1.000 in die Schüler-Unfallversicherung. Es ist also davon auszugehen, dass Schüler zwar mehr Unfälle verursachen, diese jedoch im Großen und Ganzen nicht schwerwiegend sind. Dies zeigt unter anderem auch ein Blick auf die Leistungen je Versicherten als Indiz für die Schwere der Unfälle. Bei allen landesunmittelbaren Unfallkassen werden deutlich weniger Leistungen für Schüler ausbezahlt. ZögU 31. Jg. 3/2008 257

Lukas Haag und Ashok Kaul Abbildung 5 teilt daher die Unfallkassen gemäß ihrer Verhältniszahlen für die Versicherten respektive Unfallzahlen in zwei Gruppen ein. 12 Für jede Kategorie wurden die durchschnittlichen Verwaltungs- und Verfahrenskosten berechnet. Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten 8,0 7,0 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0,0 Geringes Verhältnis: Schüler- / Allgemein Versicherte Hohes Verhältnis: Schüler- / Allgemein Versicherte Geringes Verhältnis: Versicherte Schüler Unfallversicherung/Versicherte Allgemeine Unfallversicherung 3,5. Hohes Verhältnis: Versicherte Schüler Unfallversicherung/Versicherte Allgemeine Unfallversicherung > 3,5. Abb. 5: Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten für Unfallkassen mit geringem und hohem Schüleranteil Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 1999; 2005 1999 2005 Aus der Abbildung ist zu sehen, dass tendenziell geringere Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten für die Unfallkassen bestehen, die einen hohen Anteil an Schülern aufweisen. Mit einem geeigneten statistischen Schätzverfahren werden wir untersuchen, ob dieser deskriptive Zusammenhang robust ist. 3. Prävention und Verwaltungs- und Verfahrenskosten Neben Rehabilitation und Entschädigung gehört die Prävention zu den Hauptaufgaben der Unfallversicherungsträger (BUK 2005a). Die Unfallversicherungsträger leisten dabei zwar keine direkte Prävention, sind aber in erster Linie dafür verantwortlich, Präventionsvorschriften zu erlassen, die Durchführung dieser Vorschriften zu überwachen sowie die Unternehmen (im Sinne des SGB VII 125 ff., z. B. Bund, Länder und öffentliche 12 Für das Jahr 2005 wurde die Anzahl der gemeldeten Unfälle genommen. Die Anzahl der gemeldeten Unfälle wird erst seit 2003 erhoben. 1999 wurden daher die meldepflichtigen Unfälle verwendet. 258 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland Betriebe) und die Versicherten zu beraten. Präventionsanstrengungen haben demzufolge direkte Aufwendungen für die Unfallkassen zur Folge. Obwohl mit Mittel für Unfallverhütungsvorschriften ein separates Konto für solche Präventionsanstrengungen besteht, dürften Präventionsanstrengungen auch mit Verwaltungsaufwendungen belastet sein. Diesen Umstand beschreibt Abbildung 6. Die Ausgaben für Präventionsmaßnahmen wurden durch die Zahl der Versicherten geteilt, um so ein Maß für die Präventionsintensität zu erhalten. Die Unfallkassen wurden entsprechend ihrer Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten in drei Gruppen eingeteilt. Danach wurden für jede Gruppe die durchschnittlichen Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten berechnet. In die Berechnungen gingen wiederum nur die landesunmittelbaren Unfallkassen ein. Abbildung 6 zeigt, dass Unfallkassen mit höherer Präventionsintensität auch höhere Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten haben. Für das Jahr 2005 hatte die Kategorie mit geringerer Präventionsintensität im Durchschnitt 5,40 Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten. Im Gegensatz dazu betrugen die Kosten je Versicherten 8 für Unfallkassen mit hohen Präventionsausgaben je Versicherten. Gerade bei den landesunmittelbaren Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand, die sich weitgehend als homogene Träger präsentieren, könnte diese Erkenntnis interessant sein. Inwieweit aber die Verwaltungskosten von den Präventionsausgaben beeinflusst werden muss noch genauer untersucht werden. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die deskriptiven Statistiken bei den landesunmittelbaren Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand bezüglich der Verwaltungs- und Verfahrenskosten keine wesentlichen Größeneffekte erkennen lassen. Weiter wurde gezeigt, dass die Schüler-Unfallversicherung eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Die Schüler verursachen zwar weniger schwerwiegende Unfälle, was sich in geringeren Leistungen je Versicherten niederschlägt, bezüglich den Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten ist der Anteil der Schüler an der Gesamtversichertenzahl aber nicht zu vernachlässigen. Es wurde darauf hingewiesen, dass höhere Verwaltungskosten durch höhere Präventionsausgaben entstehen können. ZögU 31. Jg. 3/2008 259

Lukas Haag und Ashok Kaul Verwaltungs- und Verfahrenskosten je Versicherten 9,0 8,0 7,0 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0,0 geringe Präventionsausgaben je Versicherten mittlere Präventionsausgaben je Versicherten hohe Präventionsausgaben je Versicherten 1999 2005 Geringe Präventionsintensität: Ausgaben für Prävention je Versicherten 2. Mittlere Präventionsintensität: 2 < Ausgaben für Prävention je Versicherten 2,5. Hohe Präventionsintensität: Ausgaben für Prävention je Versicherten > 2,5. Abb. 6: Präventionsintensität in drei Gruppen und Verwaltungs- und Verfahrenkosten je Versicherten Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 1999; 2005 IV. Regressionsanalyse der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand In den vorherigen Kapiteln wurden die Unfallkassen als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung genauer beschrieben und ein relativ homogenes Bild der Versicherer festgestellt. Tendenziell sind zwar keine wesentlichen Größeneffekte erkennbar, höhere Ausgaben für Prävention könnten aber höhere Verwaltungskosten nach sich ziehen. Inwieweit diese Erkenntnisse bestätigt werden können, wird nun mittels einer multiplen Regressionsanalyse aufgezeigt. Dabei werden die absoluten Verwaltungs- und Verfahrenskosten als abhängige Variable einigen ausgewählten erklärenden Variablen gegenübergestellt. 1. Spezifikation Als Daten stehen die Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand aus dem Jahre 2005 zur Verfügung. Ausgeschlossen aus dem Datensatz wurden die bundesunmittelbaren Unfallkassen (Unfallkasse des Bundes, Eisen- 260 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland bahn-unfallkasse, Unfallkasse Post und Telekom) und alle Feuerwehr-Unfallkassen. Im Laufe der Analyse wurde die Unfallkasse Baden-Württemberg als Ausreißer erkannt und nicht mehr für die Schätzungen benutzt, wobei als Maß zur Identifikation von Ausreißern die Cooks Distanz verwendet wurde. Die Stichprobe umfasst schließlich 22 landesunmittelbare Unfallkassen. Als zentraler Kostentreiber kann die Zahl der gemeldeten Unfälle vermutet werden. 13 Diese Größe wird ab dem Berichtsjahr 2003 in den Geschäftsergebnissen ausgewiesen. Man möchte somit den tatsächlichen, über den gesetzlichen Meldeweg hinausgehenden Umfang der einzelnen Unfallkassen dokumentieren (BUK 2005). 14 Weiter ist es sinnvoll, die Unfälle aus der Allgemeinen und der Schüler-Unfallversicherung als separate Variablen zu testen. Wie im vorherigen Kapitel gesehen, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Unfälle dieser beiden Sparten der öffentlichen Unfallversicherung, unterschiedlich auf die Verwaltungs- und Verfahrenskosten auswirken könnten. Die erste Schätzgleichung lautet deshalb (mit u als Fehlerterm): (A): VV = 0 + 1 Anzahl gemeldete Unfälle (Allgemeine Unfallversicherung) + 2 Anzahl gemeldete Unfälle (Schüler-Unfallversicherung) + u In einer zweiten Schätzung werden die gemeldeten Unfälle quadriert und der vorherigen Gleichung hinzugefügt. Somit wird geprüft, ob Skaleneffekte bezüglich Kassengröße bei den Verwaltungsausgaben bestehen (B, C). Gegebenenfalls lässt sich somit erkennen, wo Größeneffekte vorherrschen, bei der Schüler-Unfallversicherung oder der Allgemeinen Unfallversicherung. 15 (B): VV = 0 + 1 Anzahl gemeldete Unfälle (Allgemeine Unfallversicherung) + 2 Anzahl gemeldete Unfälle 2 (Allgemeine Unfallversicherung) + 3 Anzahl gemeldete Unfälle (Schüler-Unfallversicherung) + u (C): VV = 0 + 1 Anzahl gemeldete Unfälle (Allgemeine Unfallversicherung) + 2 Anzahl gemeldete Unfälle (Schüler-Unfallversicherung) + 3 Anzahl gemeldete Unfälle 2 (Schüler-Unfallversicherung)+ u In der letzten Schätzung wird eine Kennzahl für die Präventionsintensität, nämlich Ausgaben für Präventionsmaßnahmen je Versicherten, hinzugefügt. Wie im deskriptiven Teil bereits vermutet, könnten die Präventionsbemühungen wesentlichen Einfluss auf die Verwaltungs- und Verfahrenskosten haben. Die Gleichung (D) lautet wie folgt: 13 Andere Variablen, die als Kostentreiber in Frage kommen und gegebenenfalls auf Größeneffekte schließen lassen sind mit der von uns verwendeten Variable hoch korreliert und können daher nicht zusätzlich verwendet werden. 14 Die gemeldeten Unfälle korrelieren stark mit der Anzahl der Versicherten: Der Korrelationskoeffizient ist 0,94. 15 Es wurde angesichts der kleinen Stichprobe darauf verzichtet, eine Spezifikation mit beiden quadratischen Termen aufzuführen. Die Ergebnisse ändern sich kaum. ZögU 31. Jg. 3/2008 261

Lukas Haag und Ashok Kaul (D): VV = 0 + 2 Anzahl gemeldete Unfälle (Allgemeine Unfallversicherung) + 2 Anzahl gemeldete Unfälle (Schüler Unfallversicherung) + 3 Ausgaben für Prävention je Versicherter + u 2. Resultate Die Koeffizienten der Schätzgleichung werden mittels Kleinste-Quadrate Verfahren (KQ) berechnet. Tabelle 2 fasst die Resultate der Schätzungen zusammen. In Klammern stehen jeweils die Standardfehler (s. e.) und die p-werte. Allerdings sind die üblichen KQ-Standardfehler hier nicht vetrauenswürdig, da ein begründeter Verdacht auf Heteroskedastie besteht, denn je größer die Unfallkasse ist, desto größer ist tendenziell die Fehlervarianz. Es ist deshalb wichtig, Standardfehler zu benutzen, die gegen Heteroskedastie robust sind. In der Regel werden hierzu die wohlbekannten White-Standardfehler verwendet (auch HC0 genannt). Allerdings haben Studien gezeigt, dass diese Standardfehler bei geringem Stichprobenumfang oft zu liberaler Inferenz führen (und das sogar, wenn Heteroskedastie gar nicht vorliegt), d. h. wahre Nullhypothesen zu häufig irrtümlich verworfen werden. Wir verwenden deshalb die so genannten HC3 Standardfehler, welche insbesondere bei kleinem Stichprobenumfang bedeutend bessere Eigenschaften haben. Die Details hierzu sind in Long/Ervin (2000) beschrieben. Bei den Schätzungen wird das Signifikanzniveau bezüglich einseitiger p-werte angegeben. Dabei liegt die Überlegung zu Grunde, dass mehr Unfälle und höhere Präventionsausgaben je Versicherten mit Sicherheit nicht zu geringeren Verwaltungs- und Verfahrenskosten führen. Bei den quadrierten Koeffizienten werden jedoch die p-werte aus dem zweiseitigen Hypothesentest abgebildet, denn hier ist theoretisch denkbar, dass große Unfallkassen ineffizienter arbeiten. 262 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland Abhängige Variable: Verwaltungs- und Verfahrenskosten Variable in A B C D Konstante gemeldete Unfälle (Allgemeine Unfallversicherung) gemeldete Unfälle 2 (Allgemeine Unfallversicherung) gemeldete Unfälle (Schüler- Unfallversicherung) gemeldete Unfälle 2 (Schüler- Unfallversicherung) Ausgaben für Prävention je Versicherten Koeffizient 233.437,9 263.007,7 566.459,40-1.567.359 s.e. (35.1942,2) (52.0321,5) (72.1639,8) (78.0650,5) p-wert Koeffizient 205,3** 198,3* 230,8* 203** s.e. (111,3) (127,6) (150,4) (92,0) p-wert (0,040) (0,069) (0,071) (0,020) Koeffizient 0,0002 s.e. (0,006) p-wert (0.969) Koeffizient 61,5*** 61,6*** 43,0 65,6*** s.e. (19,7) (19,3) (55,4) (18,6) p-wert (0,003) (0,003) (0,224) (0,001) Koeffizient 0,00009 s.e. (0,0002) p-wert (0,695) Koeffizient 571.914,9* s.e. (418.537,6) p-wert (0,094) Stichprobengrösse N 22 22 22 22 R 2 0,9347 0,9347 0,9362 0,9454 * signifikant auf 10 %-Niveau, ** signifikant auf 5 %-Niveau, *** signifikant auf 1 %-Niveau. Signifikanz bez. einseitiger p-werte (außer gemeldete Unfälle 2 ). Robuste Standardfehler HC3 (siehe Long/Ervin 2000). Tab. 2: Resultate der Schätzungen Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 2005 Die Resultattabelle der Schätzgleichung (A) zeigt für beide Variablen signifikante Koeffizienten. Die Schätzung weist zudem eine hohe Güte (R 2 ) auf, was darauf hindeutet, dass alleine diese beiden Variablen die Verwaltungs- und Verfahrenskosten gut erklären. Ein gemeldeter Unfall mehr zieht in der Allgemeinen Unfallversicherung einen Anstieg der Verwaltungs- und Verfahrenskosten um 205 Euro nach sich, ein Unfall in der Schüler- Unfallversicherung jedoch nur einen Anstieg um 61 Euro. Das ist rund 3,4 mal mehr. Dies bestätigt unter anderem die Annahme im vorherigen Kapitel, dass die Schüler die Verwaltungen weniger beschäftigen als die restlichen Versicherten. Im Zuge von möglichen Fusionen von Unfallkassen und somit von möglichen Einsparungen im Verwaltungsbereich, sind die Schätzungen (B) und (C) von größerer Bedeutung. Kostendegression würde bei negativen Vorzeichen der quadratischen Variablen vorliegen. Dies ist aber bei keinem der beiden Koeffizienten der Fall. Zudem fehlt die nötige Signifikanz. Insgesamt deuten die verwendeten Daten weder für die Allgemeine Unfallversicherung noch für die Schüler-Unfallversicherung auf Kostendegression (Skaleneffekte) bezüglich Verwaltungs- und Verfahrenskosten hin. ZögU 31. Jg. 3/2008 263

Lukas Haag und Ashok Kaul Die Präventionsintensität, gemessen anhand der Ausgaben für Präventionsmaßnahmen je Versicherten, hat einen signifikanten Einfluss (10 %-Niveau) auf die Verwaltungs- und Verfahrenskosten (D). Erhöht man die Ausgaben für Prävention je Versicherten um eine Standardabweichung (0.802), so steigen die Verwaltungskosten um 451.812, was rund 7,25 % der durchschnittlichen Verwaltungs- und Verfahrenskosten ausmacht. Die Koeffizienten der Variablen für die gemeldeten Unfälle sind weiterhin signifikant und bleiben ungefähr auf den vorangegangenen Niveaus. Das Verhältnis der Koeffizienten zwischen Allgemeiner Unfallversicherung und Schüler-Unfallversicherung ist von 3,4 auf 3,1 gefallen. Ein Unfall in der Allgemeinen Unfallversicherung kostet somit in den Verwaltungen etwa dreimal mehr als ein Schadensereignis in der Schüler- Unfallversicherung. Um die Spezifikation weiter zu verfeinern und weitere Kostenträger der Verwaltungen ausfindig zu machen, wurde die Schätzung noch mit der Anzahl der Personen mit Verdacht einer Berufskrankheit, mit der Anzahl der neuen Unfallrenten bzw. mit einer Risikovariablen ( Neue Arbeitsunfallrenten je 1.000 Vollarbeiter und Neuen Unfallrenten je 1.000 Schüler ) erweitert. Jedoch konnte für keine der Variablen ein signifikanter Einfluss auf die Verwaltungs- und Verfahrenskosten gefunden werden. Bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften ist dies anders (Kaul/Haag 2007). Dort liegt auch eine sehr viel größere Variation in der Risikovariablen vor. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es bei den untersuchten landesunmittelbaren Unfallkassen keine Hinweise auf Kostendegression gibt. Die Verwaltungs- und Verfahrenskosten scheinen linear von der Anzahl der gemeldeten Unfälle abhängig zu sein. Durch die Trennung der gemeldeten Unfälle nach Allgemeiner Unfallversicherung und Schüler- Unfallversicherung konnte festgestellt werden, dass allgemeine Unfälle die Verwaltungen bis zu 3,1 bis 3,4 mal mehr kosten als Schülerunfälle. Weiter wird aufgezeigt, dass Ausgaben für Prävention erhöhte Verwaltungskosten nach sich ziehen. V. Die Kostenstruktur der Unfallkassen im Vergleich Durch die aus der Regressionsanalyse gewonnenen Koeffizienten können nun für die 22 Unfallkassen die Verwaltungs- und Verfahrenskosten vorhergesagt und mit den tatsächlichen Kosten verglichen werden. VV bezeichnet dabei die aus der statistischen Analyse vorhergesagten Verwaltungs- und Verfahrenskosten: VV = -1.567.359 + 203 Anzahl gemeldete Unfälle (Allgemeine Unfallversicherung) + 65,6 Anzahl gemeldete Unfälle (Schüler Unfallversicherung) + 571.914 Ausgaben für Prävention je Versicherten In Abbildung 7 wird für jede Unfallkasse die Differenz zwischen den tatsächlichen und den vorhergesagten Verwaltungs- und Verfahrenskosten in Relation wiederum zu den tatsächlichen Kosten gesetzt. Die Unfallkassen in der Abbildung sind dabei nach ihrer 264 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland Größe (gemessen als Höhe der Verwaltungs- und Verfahrenskosten) geordnet. Gegeben die benutzten Merkmale in der Regression, kann somit festgestellt werden, welche Unfallkasse eine kostengünstigere Verwaltung im Vergleich zu den anderen Kassen besitzt. Einen Spitzenwert erzielen dabei die Unfallkasse Rheinland-Pfalz und die GUVV Oldenburg, die etwa 40 % bzw. 30 % weniger Kosten verursachen als angesichts ihrer Charakteristika prognostiziert wird. Schlechter schneiden die Landesunfallkasse Hamburg und die Unfallkasse Mecklenburg-Vorpommern ab, die beide etwa 20 % über den prognostizierten Kosten liegen. 30 % 20 % 10 % 0 % -10 % -20 % -30 % -40 % Braunschweiger GUVV GUVV Oldenburg Unfallkasse München Unfallkasse Bremen Unfallkasse Saarland Landesunfallkasse Niedersachsen Bayerische Landesunfallkasse Unfallkasse Mecklenburg- Vorpommern Unfallkasse Schleswig-Holstein Unfallkasse Thüringen Unfallkasse Sachsen-Anhalt Landesunfallkasse Hamburg Unfallkasse Rheinland-Pfalz Unfallkasse Brandenburg Landesunfallkasse Nordrhein- Westfalen GUVV Hannover Unfallkasse Sachsen Unfallkasse Berlin Bayerische GUVV Unfallkasse Hessen GUVV Westfalen-Lippe Rheinischer GUVV -50 % Abb. 7: Abweichung der tatsächlichen von den vorhergesagten Verwaltungs- und Verfahrenskosten (in Prozent der tatsächlichen VV-Kosten) Quelle: Eigene Darstellung. Zahlen: BUK 2005 VI. Fazit und Ausblick Ziel dieser Arbeit war es, mittels statistischer Analysen mögliche Kostentreiber der Verwaltungen der Unfallkassen zu eruieren und eventuell Skaleneffekte bezüglich den Verwaltungs- und Verfahrenskosten ausfindig zu machen. Aus den Regressionsanalysen auf Grundlage von Daten aus dem Jahr 2005 gingen nur die gemeldeten Unfälle und die Ausgaben für Präventionsmaßnahmen als Kostentreiber hervor. Bei den gemeldeten Unfällen wurde noch nach Unfällen zwischen der Allgemeinen Unfallversicherung und der Schüler-Unfallversicherung unterschieden. Dabei hat ein gemeldeter Unfall in der Allgemeinen Unfallversicherung gut dreimal höhere Verwaltungs- und Verfahrenskosten zur Folge als in der Schüler-Unfallversicherung. Obwohl die Schüler relativ zu ihrer Anzahl ZögU 31. Jg. 3/2008 265

Lukas Haag und Ashok Kaul mehr Unfälle verursachen, scheinen diese nicht schwerwiegend zu sein, womit sie den Verwaltungen wesentlich weniger Aufwand verursachen. Als zweiter Kostentreiber konnten die Ausgaben für Präventionsmaßnahmen ausgemacht werden. In die Schätzung gingen diese mittels eines Maßes für die Präventionsintensität, die Ausgaben für Prävention je Versicherten, ein. Erhöhte Ausgaben haben höhere Verwaltungs- und Verfahrenskosten zur Folge. Bei der Betrachtung der einzelnen Unfallkassen, muss dieser Umstand in Betracht gezogen werden. Denn höhere Verwaltungskosten, die aus einer besseren Prävention und der damit einhergehenden Betreuung von Präventionsprogrammen resultieren, sind möglicherweise effizient! Dies kann abschließend aber erst mit einer Paneldatenanalyse ermittelt werden, da dynamische Effekte von Präventionsausgaben auf die Unfallzahlen zu untersuchen wären. Dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die Verwaltungs- und Verfahrenskosten scheinen linear von der Anzahl der gemeldeten Unfälle abzuhängen. Offenbar haben es die Unfallkassen mit einem im Großen und Ganzen homogenen Unfallmuster zu tun. Innerhalb der Unfallkassen scheint es aber unabhängig von der Größe der Kasse erhebliche Kostenunterschiede zu geben. Erstes Ziel der Politik sollte es daher sein, die daraus resultierenden Einsparpotenziale zu realisieren. Es können keine Hinweise dafür gefunden werden, dass die Unfallkassen bei einer Neuorganisation zu wenigeren größeren Trägern geringere Verwaltungs- und Verfahrenskosten pro Unfall oder Versicherten erreichen, d. h. Skaleneffekte erzielen können. Dieses Ergebnis stellt eine wesentliche Begründung für eine Reform hin zu einer Einheitsunfallversicherung in Frage. Ein möglicher Effizienzgewinn liegt aber in der Vermeidung von Fixkosten, die pro existierende Unfallkasse anfallen. Abstract Lukas Haag and Ashok Kaul; Reforms aiming at economies of scale: The structure of administration and management costs of public statutory accident insurance funds in Germany Administration and Management Costs; Accident Insurance Reform; Economies of scale; Potential Cost Savings; Public statutory accident insurance funds We analyze the cost savings potential with regard to administration and management costs by merging Public Employment Accident Insurance Funds (Öffentliche Unfallkassen) in Germany. Our data base consists of the annual reports of the public statutory accident insurance funds from 1999 to 2005. Results of a multivariate regression analysis help to identify cost drivers and the potential existence of economies of scale. The numbers of employee accidents and pupil accidents as well as expenditures to prevent accidents serve as explanatory variables for administration and management costs. The main results are as follows. First, public accident insurance funds are very heterogeneous with 266 ZögU 31. Jg. 3/2008

Öffentliche Unfallkassen in Deutschland regard to administration and management costs. Second, these cost differences are unrelated to the size of insurance funds (the number of insured employees and pupils). There is no evidence for cost savings of larger insurance funds, i. e. economies of scale. Third, accidents of pupils entail substantially lower management and administration costs than accidents of employees. Furthermore, there is evidence that higher expenditures to prevent accidents such as accident prevention programs also involve higher administration and management costs. Literaturverzeichnis Bundesverband der Unfallkassen (BUK) (Hrsg.) (1998; 1999; 2000; 2001; 2002; 2003; 2004), Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand, München. BUK (Hrsg.) (2005), Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand 2005, München. BUK (Hrsg.) (2005a) Bundesverband der Unfallkassen Jahresbericht 2005, http://www.unfallkassen.de/webcom/ show_article.php/_c-657/_nr-1/_lkm-605/i.html (Zugriff: 21.10.2006). BUK (Hrsg.) (2006), Einheits-Unfallversicherungstäger löst alle Probleme? Stellungnahme des BUK vom 4. Mai 2006, http://www.rheinischer-guvv.de /aktuell_05.php (Zugriff: 28.02.2008). Bund-Länder-Arbeitsgruppe (2006), Eckpunkte zur Reform der gesetzlichen Unfallversicherung, Beschluss der Bund-Länder-Arbeitsgruppe am 29. Juni 2006, http://www.rguvv.de/fileadmin/download/info_plus/eckpunkte Endfassung.pdf (Zugriff: 23.04.2008). Fickinger, Nico (2006), Rürup schlägt eine Berufsgenossenschaft für alle vor, in: FAZ vom 01.04.2006, Nr. 78, S. 14. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) (Hrsg.) (2005), Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften 2005, Sankt Augustin. HVBG (Hrsg.) (2006), Berufsgenossenschaften: Reformvorschläge fördern Bürokratie, 9. August 2006, http://www. hvbg.de/d/pages/presse/archiv/archiv06/reform.html (Zugriff: 27.02.2008). HVBG (Hrsg.) (2006a), Berufsgenossenschaften: Geplante Reform der Unfallversicherung gefährdet Prävention, 6. Juli 2006, http://www.hvbg.de/d/pages /presse/archiv/archiv06/eckpunkte_uv.html (Zugriff: 27.02.2008). Kaul, Ashok und Lukas Haag (2007), Einsparpotenziale bei Verwaltungs- und Verfahrenskosten durch die Fusion von gewerblichen Berufsgenossenschaften Eine empirische Analyse für Deutschland, in: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (ZVerWiss), Supplement 2007, S. 171-206. Long, Scott J. und Laurie H Ervin. (2000), Using heteroskedasticity consistent standard errors in the linear regression model, in: The American Statistician, vol. 54, no. 3, pp. 217-224. Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) (Hrsg.) (2005), Forderungen der MIT Deutschlands an die Deutsche Bundesregierung und Bundestagsabgeordneten der 16. Legislaturperiode; Sofortmaßnahmen zur Reform der gesetzlichen Unfallversicherung, 23. September 2005, Dresden. Roland Berger Strategy Consultants (Hrsg.) (2005), Auswirkungen möglicher Reformoptionen in der gesetzlichen Unfallversicherung, Gutachten im Auftrag des Landes NRW, September 2005, Hamburg. Rürup, Bert und Heinz-Dietrich Steinmeyer (2006), Gutachten zur Neuorganisation der gesetzlichen Unfallversicherung, Online Version vom 30. März 2006, Münster und Darmstadt, www.bgchemie.de/files/37/gutachten_ GUV_2006-03-30.pdf (Zugriff. 24.04.2008). ver.di-bundesvorstand (2006), Reform der gesetzlichen Unfallversicherung, Positionsbestimmung des ver.di- Bundesvorstandes, 25. April 2006, in: Sopoaktuell, Nr. 40. Voßhoff, Andrea (2005), Die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) in Deutschland, in: PKM Information, Sonderveröffentlichung, hrsg. von Hartmut Schauerte MdB, 1. Juni 2005. ZögU 31. Jg. 3/2008 267

Dirk Meyer Dirk Meyer Zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts Fragwürdige Förderzwecke und Diskriminierungen Abgabenordnung; externer Effekt; Gemeinnützigkeit; Klubgut; Spenden Die steuerliche Gemeinnützigkeit ist durch die Neuregelung zum Gemeinnützigkeitsrecht in Bewegung geraten. 1 Allein die aus der steuerlichen Gemeinnützigkeit ( 51-68 Abgabenordnung, AO) abgeleiteten Steuervergünstigungen und -befreiungen des so genannten Dritten Sektors betragen aufgrund von unterschiedlichen Schätzungen etwa 10 Mrd. Euro. 2 Darüber hinaus eröffnet die steuerliche Anerkennung der Gemeinnützigkeit den Zugang zu Gratisressourcen im geschätzten Umfang von ca. 14,3 Mrd. Euro (2000) allein im Wohlfahrtssektor. 3 Wissenschaftliche Gutachten im Regierungsauftrag haben zum einen den Umfang der Gemeinnützigkeitsförderung, zum anderen die damit verbundene Diskriminierung privat-gewerblicher Anbieter kritisiert. 4 Der folgende Beitrag geht auf die wesentlichen Regelungen des geltenden Rechts ein, insbesondere auf die Reformelemente, und stellt diesen eine ordnungs- und allokationspolitische Rechtfertigung der steuerlichen Gemeinnützigkeit gegenüber. In der Kritik werden das Kriterium der Selbstlosigkeit und das Gewinnausschüttungsverbot, die externe Nutzenstiftung für weite Personenkreise sowie verschiedene Diskriminierungstatbestände und die Vereinbarkeit mit dem EU-Wettbewerbsrecht problematisiert. Ordnungspolitische Konsequenzen und ein Plädoyer für eine grundlegende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts beschließen die Ausführungen. I. Die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts als aktueller Anlass Die Privilegien des Gemeinnützigkeitsrechts entfalten sich nach den steuerrechtlichen Regelungen der 51-68 AO und den darauf zurückgreifenden spezialrechtlichen Konkretisierungen. 5 Allgemein gewährt das Gesetz Körperschaften Steuervergünstigungen, Zwei anonymen Gutachtern sei Dank für bereichernde Hinweise. 1 Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements vom 10. Oktober 2007. 2 Vgl. hierzu Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes 2006, Anlage 3; Boss/Rosenschon 2006; Meyer 2005, S. 9 f. 3 Dieser Betrag ergibt sich aus Geldspenden für humanitär-karitative Zwecke (2 Mrd. Euro), der Bewertung von Zeitspenden aus Freiwilligenarbeit (10,4 Mrd. Euro) sowie dem unfreiwilligen Lohnverzicht der Zivildienst Leistenden (1,9 Mrd. Euro). Vgl. die Berechnungen von Meyer 2005, S. 10; ders. 2002, S. 583 ff. 4 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen 2006; Monopolkommission 1998, Ziff. 614 ff. sowie Meyer 1999, S. 126 ff. 5 Hierzu zählen nicht nur die Vergünstigungen in den jeweiligen Steuergesetzen, sondern auch Regelungen in verschiedenen Bereichen der Freien Wohlfahrtspflege, so beispielsweise in der Kinder- und Jugendhilfe, die gemeinnützige Anbieter privilegiert ( 74 ff. SGB VIII). Siehe hierzu ausführlicher Abschnitt III.3. 268 ZögU 31. Jg. 3/2008