Vom Leben zum statistischen Leben und zur empirischen Bestimmung seines Werts



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Transkript:

Konferenz Sichere Zeiten? des Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin, 13. 14.06.2013 Vom Leben zum statistischen Leben und zur empirischen Bestimmung seines Werts Prof. Dr. Hannes Spengler Fachhochschule Mainz Berlin, den 14.06.2013

Relevanz des Themas Der Wert eines statistischen Lebens (WSL) dient der pekuniären Bewertung des menschlichen Lebens WSL zielt auf immaterielle Werte / Schäden ab (pain, suffering and lost quality of life) Ergänzung zu Methoden der materiellen Schadensermittlung WSL geeignet zum Einsatz in Kosten-Nutzen-Analysen staatlicher Maßnahmen zur Risikoreduktion (USOMB-Richtlinien) WSL-Forschung sehr umfangreich: siehe Metastudien von Miller 2000, Mrozek & Taylor 2002, Viscusi 1993, Viscusi & Aldy 2003 Für Deutschland nur wenige Studien (Spengler 2004, 2005, Schaffner und Spengler 2005, 2010) 2/13

Gliederung 1. Wert des statistischen Lebens 2. Methoden zur Bestimmung des WSL 3. Empirische Analyse (Schaffner & Spengler 2010 in Resource and Energy Economics) 4. Fazit und Ausblick 3/13

1. Wert des statistischen Lebens (1/2) Grundsätzliches WSL bewertet nicht ein spezifisches, sondern ein unspezifisches statistisches Leben WSL ist nicht Antwort auf Frage, welchen Wert ein Mensch seinem eigenen Leben beimisst WSL ist auch nicht Antwort auf Frage, welchen Wert andere (z.b. der Staat) einem Leben beimessen Impliziter Bewertungsansatz auf Grundlage individueller Zahlungsbereitschaften (Akzeptanzbereitschaften) für Abwendung (Hinnahme) geringer Todesrisiken Ethisch prinzipiell vertretbar, da allein auf Risikobewertung sowie Zahlungs- oder Akzeptanzbereitschaften risikoexponierten Individuen beruhend 4/13

1. Wert des statistischen Lebens (2/2) hypothetisches Berechnungsbeispiel 10.000 Pendler benutzen täglich eine bestimmte Autobahn Jedes Jahr verunglücken 10 Pendler wegen Übermüdung am Steuer Ø individuelles Mortalitätsrisiko = 1 / 1.000 Durch Rüttelstreifen sei Senkung des Ø individuellen Mortalitätsrisiko um 50% auf 5 / 10.000 möglich Pendlern seien im Durchschnitt zur Zahlung von 1.500 Euro für diese Maßnahme bereit Insgesamt werden (10.000 x 1.500=) 15 Mio. Euro zur Vermeidung von 5 statistischen Todesfällen gezahlt Dies entspricht WSL von 3 Mio. Euro; dieser Betrag würde für Vermeidung eines statistischen Todesfalls gezahlt 5/13

2. WSL-Bestimmungsmethoden (1/2) Überblick Befragungsansätze (Contingent Valuation) Marktansätze Konsumgütermarktstudien Kompensatorische Lohndifferenziale 6/13

2. WSL-Bestimmungsmethoden (2/2) Kompensatorische Lohndifferentiale Lohn w i = α + x i β + γp i + i w 3 w 2 =21.500 w 1 =20.000 EU 2 G w(p) w i = Lohn des Arbeiters i α = Konstante x i = Vektor persönlicher Merkmale p i = tödliches Arbeitsunfallrisiko β,, = zu schätzende Koeffizienten i = Fehlerterm EU 1 F WSL w p ˆ "Dimensionskorrekturen" p 1 =0,0005 p 2 =0,001 Risiko 7/13

3. Empirische Analyse (1/5) Anforderung an und Verfügbarkeit von Daten Datenanforderung: Individualdatensatz mit Angaben zu Lohn und (tödlichen) Arbeitsunfallrisiken Sonstige Lohndeterminanten Panelstruktur zur Kontrolle zeitinvarianter unbeobachteter Heterogenität Verwendete Daten: IAB-Beschäftigtenstichprobe (IABS) - heute Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarktbiografien (SIAB) Arbeitsunfalldaten der Berufsgenossenschaften Zusammenführung auf Ebene der Berufskennziffer (ca. 250 Merkmalsausprägungen) erfolgen 8/13

3. Empirische Analyse (2/5) - Analysedatensatz Jährliches Panel für den Zeitraum 1985-1995 Nur männliche Arbeiter >550.000 Beobachtungen von 90.000 Personen mit 18.000 Berufswechseln Erklärende Variablen Tödliches Unfallrisiko (berufsspezifischer Durchschnitt) persönliche Merkmale (Alter, Familienstand) Bildungsabschluss Stellung im Beruf Betriebszugehörigkeit, Arbeitserfahrung Vorherige Arbeitslosigkeit Betriebsgröße Wirtschaftszweig 9/13

3. Empirische Analyse (3/5) - deskriptive Statistik der Risikovariable Tödliches Arbeitsunfallrisiko je 1.000 Vollerwerbsmannjahren (1985-1995) Rang Berufsordnung Mittelwert Standardabweichung 1 Gerüstbauer,798,364 2 Binnenschiffer / sonstige Wasserverkehrsberuf,714,249 3 Decksleute (Schifffahrt),681,428 4 Nautiker,513,334 5 Dachdecker,418,128 6 Bergleute,361,132 7 Maschinen-, Elektro- und Schießhauer,331,254 8 Luftverkehrsberufe,290,225 9 Sprengmeister / Sonstige Tiefbauer,277,069 10 Erdbewegungsmaschinenführer,267,097 10/13

3. Empirische Analyse (4/5) - Analysestrategie / Modellspezifikationen Querschnittsregressionen ohne Kontrolle unbeobachteter Heterogenität Panelschätzungen (Differenzenschätzungen) Kontrolle zeitkonstanter unbeobachteter Heterogenität Differenzenschätzung für Berufswechsler (Villanueva 2007) Kontrolle unbeobachteter Heterogenität bei schwächeren Annahmen an Zeitkonstanz Vermeidung von störender Within-Variation Methodisch einfach (OLS-Schätzung) 11/13

3. Empirische Analyse (5/5) - Ergebnisse Schätzungen des WSL nach Modellspezifikationen in Mio. (von 2008) Schätzmodell WSL Einzelne Querschnitte (1985-1995) 4,50 7,67 Gepoolte Querschnitte 6,09 Differenzenschätzungen Alle Beobachtungen 1,50 Pers. mit mind. einem Jobwechsel 1,82 Personen ohne Jobwechsel -0,29 Nur Jobwechsel 1,98 12/13

4. Fazit und Ausblick WSL-Ansatz dient der Bestimmung immaterieller Kosten aus Schmerzen, Leid und verlorener Lebensqualität WSL-Ansatz Komplement und nicht Substitut von Ansätzen zur Ermittlung materieller Kosten WSL beruht auf Zahlungs- bzw. Akzeptanzbereitschaften der Betroffenen selbst und ist deshalb nicht prinzipiell unethisch WSL von 2 Mio. könnte als Startpunkt für Kosten-Nutzen-Analysen staatlicher Maßnahmen zur Reduktion von Todesrisiken dienen Deutschland benötigt mehr WSL-Forschung um den Ansatz bekannter und die Ergebnisse belastbarer zu machen Geeignetes Forschungsfeld dort, wo Risiken für Leben und Gesundheit spürbar und Risikokompensationen flexibel sind 13/13