4/2015 Z e i t s c h r i f t f ü r d a s F ü r s o rg e w e s e n. Von Harald Ansen und Utz Krahmer *



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Transkript:

4/2015 Z e i t s c h r i f t f ü r d a s F ü r s o rg e w e s e n Gegenwärtige Befunde zur Wirksamkeit der Sozialen Schuldnerberatung: Impulse für ihre Weiterentwicklung unter besonderer Berücksichtigung der sozialempirischen Forschung sowie ins besondere der gesetzgeberischen Implementation eines sozial hilferechtlichen Rechtsanspruchs auf Schuldnerberatung Von Harald Ansen und Utz Krahmer * Die Soziale Schuldnerberatung erzielt trotz teilweise ungünstiger Rahmenbedingungen hinsichtlich ihrer Finanzierungsgrundlagen und ihrer Ausstattung durchaus beachtliche Erfolge. Überschuldete Menschen finden Unterstützung für einen finanziellen Neustart, sie erleben unmittelbare Entlastungen, für Gläubiger eröffnen sich Rückzahlungsoptionen, sie vermeiden teilweise kostenträchtige Maßnahmen, und die öffentlichen Haushalte profitieren von der Sozialen Schuldnerberatung durch eingesparte Sozialleistungen, wenn Schuldner wieder berufstätig werden und es gelingt Probleme zu deeskalieren, die ansonsten weitere soziale Dienstleistungen erfordern würden. Vorliegende Evaluationen und Wirksamkeitsstudien der vergangenen Jahre verweisen gleichzeitig auf noch unausgeschöpfte Potenziale dieses wichtigen Arbeitsfeldes. Ausgehend von den empirischen Daten über Überschuldung und dem konzeptionellen Selbstverständnis der Sozialen Schuldnerberatung werden in einem ersten Teil dieses Beitrags (unten 1. - 4.) vorhandene Studien ausgewertet und Vorschläge für die Weiterentwicklung präsentiert. In einem zweiten Teil wird ein Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung im Sozialhilferecht formuliert und als Auftrag an den Gesetzgeber begründet (unten 5. - 8.). * Prof. Dr. Harald Ansen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fakultät Wirtschaft und Soziales, Department Soziale Arbeit; Prof. Dr. Utz Krahmer, Düsseldorf, E-mail: utz.krahmer@fh-duesseldorf.de 86

Z e i t s c h r i f t f ü r d a s F ü r s o rg e w e s e n 4/2015 1. Das soziale Problem Überschuldung Trotz des im Januar 2012 in Kraft getretenen Überschuldungsstatistikgesetzes kann die Zahl derer, die überschuldet sind, wegen der Freiwilligkeit der Übermittlung von Daten nur geschätzt werden. Zwei zentrale empirische Hinweise werden aufgegriffen: Im Vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (vgl. BMAS 2013, S. 361 f.) wird die Zahl der Betroffenen mit einer hohen Verschuldungsintensität (gemeint ist damit eine Verknüpfung negativer Merkmale wie juristische Streitverfahren, unstreitige Inkassofälle oder nachhaltige Zahlungsstörungen in Verbindung mit wiederholt ergebnislosen Mahnungen) mit 3,7 Mio. Personen über 18 Jahren in rund 1,8 Mio. Haushalten angegeben. Das Ausmaß der Überschuldung insgesamt liegt nach Angaben im Schuldneratlas 2014 (vgl. Creditreform 2014, S. 4) bei 6,67 Mio. Betroffenen über 18 Jahren in rund 3,36 Mio. Haushalten. Die Soziale Schuldnerberatung steht vor einer quantitativ enormen Herausforderung, die sie mit ihren begrenzten Mitteln nicht bewältigen kann. Auch die sehr unterschiedlichen Lebensumstände der Ratsuchenden erfordern ein breites und flexibles Beratungsangebot, das gegenwärtig noch nicht ausreichend vorhanden ist. In einer nicht nur symptombezogenen Sozialen Schuldnerberatung müssen die zentralen Ursachen der Überschuldung berücksichtigt werden. Hierzu zählen heute Arbeitslosigkeit und unfreiwillig reduzierte Arbeit, Trennung und Scheidung, Konsumverhaltensmuster, Krankheit, Einkommensarmut und gescheiterte Selbstständigkeit (vgl. Knobloch u. a. 2014, S. 10). Überdies kommt es in der Beratungspraxis darauf an, die Angebote auf eine sehr heterogene Klientel in Bezug auf vorhandene Sprach-, Bildungs-, Einkommens- und Vermögenspotenziale sowie ganz unterschiedliche Lebenslagen abzustimmen (vgl. ebd., S. 42). Überschuldung ist mehr als ein materielles Problem, wie vielfältige Konsequenzen zeigen, die von einer Bedrohung der Existenzgrundlagen über soziale Vereinzelungen und wirtschaftliche Entbehrungen bis hin zu physischen und psychischen Belastungen reichen, allen voran Stress, Versagensgefühle, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schmerzzustände (vgl. BMAS 2013, S. 365). Die vielfältigen Implikationen einer Überschuldung erfordern konzeptionell einen breiten Zugang der Sozialen Schuldnerberatung. 2. Konzeptionelles Selbstverständnis der Sozialen Schuldnerberatung Die Soziale Schuldnerberatung als ein Unterstützungsangebot für hochverschuldete und überschuldete Per - sonen zielt darauf, finanzielle Probleme zu lindern oder zu überwinden und im Ergebnis die sozialen Teilhabechancen der Betroffenen zu verbessern. Idealtypisch werden die folgenden Richtungen unterschieden, die sich je nach der Einzelfallkonstellation in vielfältiger Weise überlagern: Finanz- und Budgetberatung: Bearbeitet werden finanzielle Aspekte der Ver- und Überschuldung sowie das Einnahme- und Ausgabeverhalten der Betroffenen. Ökonomische Krisenintervention: Zentrale Themen sind die Wohnungs- und Energieversorgungssicherung, finanzielle Grundsicherung und Vermeidung von Geldstrafen bedingten Inhaftierungen. Soziale Arbeit: Die systematische Berücksichtigung persönlicher, familiärer und sozialer Lebensumstände im Kontext von Ver- und Überschuldung steht im Mittelpunkt. Verbraucherschutz: Verbraucherinformationen und Prävention dominieren auf dieser Ebene (vgl. Schruth u. a. 2011, S. 24). Konzeptionell entspricht die Soziale Schuldnerberatung den mit einer Ver- und Überschuldung verbundenen Problemen. Die Soziale Schuldnerberatung erfolgt in ihrer spezialisierten Variante heute verbunden mit der Verbraucherinsolvenzberatung nach 305 InsO. Die Durchführung erfordert angesichts des breiten Anforderungsprofils gleichermaßen sozialarbeiterische, juristische und kaufmännische Kompetenzen. Hinsichtlich ihrer Wirksamkeit stößt die Schuldnerberatung insbesondere wegen ihrer quantitativen Ausstattungslücken sowie folgender inhaltlicher Aspekte an ihre Grenzen: Nach wie vor besteht kein einheitliches Berufsbild für die Soziale Schuldnerberatung, denn die Weiterentwicklung ihres methodischen Profils, das berufsgruppenübergreifend strukturiert sein sollte, steht noch aus (vgl. Ebli/Groth 2007, S. 1165). Bisher dominieren in der Auseinandersetzung um die Schuldnerberatung juristische und finanztechnische Aspekte. Methoden der Gesprächsführung, die im Beratungsdiskurs eine zentrale Rolle spielen, werden wenn überhaupt nur sehr zögerlich rezipiert (vgl. Ansen 2014, S. 81 f.). In der Beratungspraxis dominieren heute standardisierte Vorgehensweisen einschließlich der zuweilen vorschnellen Insolvenzberatung, nicht zuletzt um der immensen Nachfrage gerecht werden zu können. Dafür sind u. a. auch die Finanzierungsgrundlagen verantwortlich, die ein schematisierendes Vorgehen begünstigen (vgl. AG SBV 2011, S. 10 f.). Den komplexen Lebenslagen der Ratsuchenden wird damit nur teilweise entsprochen. Ver- und Überschuldung ist in vielen Fällen mit Armut verbunden. Die Soziale Schuldnerberatung kann mit ihren begrenzten Mitteln diesen strukturellen Hintergrund nicht überwinden. Sie muss aufpassen, dass sie nicht ungewollt dazu beiträgt, ein gesellschaftliches Problem zu individualisieren (vgl. Ebli 2013, S. 140 f.). Trotz der einschränkenden Hinweise, die auf Entwicklungsaufgaben der Sozialen Schuldnerberatung verweisen, werden schon heute bemerkenswerte Ergebnisse erzielt, wie die Auswertung von Evaluations- und Wirksamkeitsstudien belegt. 3. Wirksamkeit der Sozialen Schuldnerberatung Der empirische Wirksamkeitsnachweis der Sozialen Schuldnerberatung ist bislang problematisch, weil die vorliegenden Erhebungen und Untersuchungen in ihrer methodischen Ausrichtung, ihrer Reichweite und dem erfassten Zeitraum erkennbar disparat sind. Im Einzelnen handelt es sich um Selbstevaluationen, Dissertationen, Fremdevaluationen und klassische Wirksamkeitsstudien, die nur mit Abstrichen untereinander verglichen werden können. Trotz dieser Einschränkung ist es möglich, die Wirksamkeit der Sozialen Schuldnerberatung für finanziell-wirtschaftliche, psychosoziale, informatorische, kompetenzorientierte und die Zugänge zur Privatinsolvenz ermöglichende Dimensionen nachvollziehbar zu belegen. Die folgenden Schlaglichter vermitteln einen Eindruck des Leistungsspektrums: 87

4/2015 Z e i t s c h r i f t f ü r d a s F ü r s o rg e w e s e n Finanziell-wirtschaftliche Wirkungen: Mittels der Sozialen Schuldnerberatung gelingt es die materiellen Lebensgrundlagen zu sichern. So weisen Hamburger/Kuhlemann/Wahlbrühl (2004) in ihrer Untersuchung der Wirksamkeit der Schuldnerberatung (die in den 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung eingeflossen ist) nach, dass die Sicherung der Wohnsituation Ratsuchender von 63,8 % auf 99,1 % im Verlauf der Beratung gesteigert werden konnte. Eine andere Dimension der finanziell-wirtschaftlichen Wirkungen tangiert die Themen Schuldenregulierung und verfügbares Einkommen: In außergerichtlichen Schuldenregulierungen werden ca. 40 % Schuldenverringerungen verhandelt, wie Walbrühl in seiner im Auftrag des Sozialdienstes Katholischer Männer Köln (2013) erstellten Wirksamkeitsstudie aufzeigt. In einer im Auftrag des Diakonischen Werks Hamburg durchgeführten Untersuchung der zentralen Effekte der Schuldnerberatung (Ansen/Samari 2012) geben 23 % der Befragten an, dass sich ihre Einkommenssituation im Verlauf der Beratung durch die Verringerung oder Einstellung von Ratenbelastungen, die Erschließung von Sozialleistungen und die Klärung der Haushaltssituation verbessert hat. Die finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Ratsuchenden werden auch durch eine Verbesserung ihrer beruflichen Situation erreicht; so weist Meinhold (2003) für die Schuldnerberatung in Berlin exemplarisch darauf hin, dass durch die Beratung rund 40 % der bestehenden Arbeitsverhältnisse gesichert werden konnten. Psychosoziale Wirkungen: Unter dieser Bezeichnung werden in unterschied - lichen Studien üblicherweise psychische, soziale und gesundheitliche Wirkungen erfasst. In Bezug auf psychische Wirkungen der Sozialen Schuldnerberatung stellt Arnemann (2010) in ihrer Erhebung heraus, dass rund 60 % der Ratsuchenden durch die Beratung ihre schuldenbedingten Ängste überwinden. In der bereits erwähnten Studie im Auftrag des Sozialdienstes Katholischer Männer Köln (2013) stellt Walbrühl fest, dass Ratsuchende neue Zuversicht aufbauen, zufriedener sind, Schuldenproblemen motivierter begegnen und insgesamt eine bessere Grundstimmung bei sich feststellen. Durch die Soziale Schuldnerberatung verbessern sich auch die sozialen und interaktionsbezogenen Lebensumstände. So unterstreicht Arnemann (2010), dass Ratsuchende eine Entlastung ihrer familiären Situation und eine bessere soziale Integration als einen Beratungseffekt benennen. Betrachtet man die gesundheitlichen Auswirkungen, so berichten rund 50 % der Ratsuchenden, die im Rahmen der Studie des Diakonischen Werks Hamburg (2012) befragt wurden, dass sie sich insgesamt aufgrund des Beratungsverlaufs gesundheitlich deutlich weniger belastet fühlen. Informatorische Wirkungen: Angesprochen ist mit dieser Dimension die Vermittlung handlungsbefähigenden Wissens, ein zentrales Anliegen jeder Beratung. Die Ergebnisse streuen breit, man kann aber auf der Grundlage unterschiedlicher Studien davon ausgehen, dass Ratsuchende insbesondere für sie unmittelbar relevantes Wissen über Pfändungsschutz oder den Umgang mit Gläubigern erhalten. In ihrer Dissertation gibt Kuhlemann (2006) an, dass Ratsuchende zu rund 15 % unterstützende Informationen aufnehmen, zu einem ähnlichen Wert kommen Hamburger/Kuhlemann/ Walbrühl (2004). Informationen unterscheiden sich von längerfristigen Lernerträgen, die im folgenden Abschnitt aufgegriffen werden. Kompetenzerwerb: Kompetenzen beziehen sich auf die längerfristigen Wirkungen der Sozialen Schuldnerberatung. Signifikant verbessert sich bei Ratsuchenden ihr planvolles Verhalten im Umgang mit Geld, wie u. a. schon Kuhlemann (2006) hervorhebt. So geben auch in der von Arnemann (2010) durchgeführten Studie rund 60 % der Befragten an, bedingt durch die Beratung nun besser mit Geld umgehen zu können, und 80 % äußern, sich vor Vertragsabschlüssen gründlichere Gedanken zu machen. Solche Befunde sind insbesondere für die präventiven Wirkungen der Sozialen Schuldnerberatung bedeutsam. Verringerung von Zugangsbarrieren zum Privat - insolvenzverfahren: Der Zugang zum Privatinsolvenzverfahren ist für Ratsuchende mit einigen Hürden verbunden, ganz abgesehen von Wissenslücken steht vor allem der Nachweis eines gescheiterten außergerichtlichen Einigungsversuchs im Raum. Die Soziale Schuldnerberatung befasst sich nicht nur mit den formalen Hürden auf dem Weg in das Privatinsolvenzverfahren, Ratsuchende fühlen sich durch die Beratung auch inhaltlich und persönlich auf das komplexe Verfahren vorbereitet. In einer Befragung von 1.600 Ratsuchenden durch Lechner/Backert (2007), die bereits im Privatinsolvenzverfahren sind, gaben 83 % an, dass sie den Schritt in das Verfahren ohne die Soziale Schuldnerberatung nicht geschafft hätten. Aus den systematischen und den empirisch unterlegten Hinweisen auf die Soziale Schuldnerberatung können Impulse für die Weiterentwicklung dieses wichtigen Arbeitsfeldes abgeleitet werden. 4. Impulse für die Weiterentwicklung der Sozialen Schuldnerberatung Auf die Leistungen der Sozialen Schuldnerberatung sind Millionen Menschen in Deutschland angewiesen. Die Kommunen und die frei-gemeinnützigen Träger bieten Schuldnerberatung an. Sie als Leistungsträger, aber auch die Leistungserbringer und die Ratsuchenden selbst als Leistungsberechtigte sind darauf angewiesen, dass sich die Soziale Schuldnerberatung problemangemessen weiterentwickelt, darauf zielen die folgenden Hinweise: Auf die sowohl in der Quantität als auch der Qualität ausbaufähige Forschungslage wurde aufmerksam gemacht. Die vorliegenden Studien wurden verdienstvollerweise überwiegend mit den begrenzten Eigenmitteln der Träger der Sozialen Schuldnerberatung durchgeführt. Die Soziale Schuldnerberatung ist auf eine umfangreiche und unabhängige empirische Begleitforschung angewiesen, auch um die Soziale Schuldnerberatung nachhaltig anzulegen und Drehtüreffekte zu vermeiden. Dies bedeutet, dass Wege in, durch und aus der Überschuldung in den Blick zu nehmen sind und nicht nur die Beratung derer, die unmittelbar von einer hohen Ver- und einer Überschuldung betroffen sind. Bisher erreichen rund 10 bis 15 % der Betroffenen die Angebote der kommunalen und frei-gemeinnützigen Schuldnerberatung. Es ist wenig darüber bekannt, wo andere Betroffene eine angemessene Unterstützung in ihrer prekären Lebenslage finden. Die relativ geringe 88

Z e i t s c h r i f t f ü r d a s F ü r s o rg e w e s e n 4/2015 Quote der erreichten Betroffenen liegt sicherlich auch an den begrenzten Kapazitäten vor Ort. Ein bedarfsangemessener Ausbau der Sozialen Schuldnerberatung ist dringend geboten (zum sozialhilferechtlichen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung siehe unten 5. - 8.). Die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände geht in ihrem Positionspapier zur Finanzierung der Schuldnerberatung (2011) von rund 1.600 fehlenden Fachkräften (zum Untersuchungszeitpunkt) aus; entsprechend fordern sie in ihrer Berechnung, dass auf 50.000 Einwohner 2 Beratungsfachkräfte kommen sollen. Für eine Verbesserung der Qualität der Sozialen Schuldnerberatung sind auskömmliche Finanzierungsgrundlagen unabdingbar. Ohne eine ausreichende und unterschiedliche Beratungswege ermöglichende Finanzierung können die verborgenen Potenziale dieses Arbeitsfeldes nicht realisiert werden. So sind bspw. rund 50 % der Ratsuchenden im Privatinsolvenzverfahren auf weitere Hilfen der Sozialen Schuldnerberatung angewiesen, dafür stehen in der Regel keine soliden Finanzierungsmodelle zur Verfügung (vgl. Kokott 2013, S. 148). Die gegenwärtigen Finanzierungsbedingungen verführen möglicherweise zu einer raschen Überleitung in das Privatinsolvenzverfahren. Gestärkt werden sollten auch auf der Ebene der Finanzierung mögliche Interventionen außerhalb des Gerichtsverfahrens, schließlich ist Überschuldung ein multifaktorieller Prozess, der eine breite Interventionsbasis erfordert. Die bestehende Finanzierungsrealität wird als Patchworkfinanzierung beschrieben, die regional sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Neben der Entwicklung von Standards sollte die Ausschreibungspraxis ebenso wie die Einzelfallvergütung auf den Prüfstand gestellt werden. Schließlich und nicht zuletzt, sondern jetzt ist vom Gesetzgeber ein entscheidender Schritt zu tun, der die Betroffenen künftig in eine würdevolle Rechtsposition bringt: die Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Schuldnerberatung im Sozialhilferecht des SGB XII. 5. Die gegenwärtig missliche Gesetzeskonstruktion der sozialhilferechtlichen Schuldner - beratung sowie das sog. Annex-Urteil des BSG von 2010 Im Folgenden werden zwei Alternativen zur gesetzgeberischen Ausformulierung eines Rechtsanspruchs auf sozialhilferechtliche Schuldnerberatung vorgeschlagen ( 11 Abs. 5 Sätze 5 bis 7 SGB XII n. F. oder 68 Abs. 1 Satz 2 SGB XII n. F.), die Gegenstand der Gesetzgebung werden sollten. Die Platzierung eines Rechtsanspruchs auf Schuldnerberatung wird hier bewusst alternativ vorgeschlagen und bedarf nach nun erfolgter fachlicher Diskussion auf der Basis der Erfahrungen der Beratungsstellen endlich der rechtspolitischen Entscheidung (siehe schon Krahmer ZFSH/SGB 2014, 22 ff.). Finanziert werden könnte ein Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung aus öffentlichen und privaten Mitteln: Ganze Länder werden vor den Folgen zu großer Verschuldung mit Mitteln des deutschen Steuerzahlers geschützt, nun sollen auch die hier lebenden Menschen endlich einen Rechtsanspruch wenigstens auf Beratung zu möglicher Entschuldung bekommen. Dass auch diejenigen Institutionen sich an den Kosten der Schuldnerberatung beteiligen sollen, die mitursächlich an Verschuldungen sind (u. a. Kreditgeber und Ratenzahlungsverkäufer), liegt auf der Hand und könnte auf verschiedene Weise organisiert werden, z. B. durch freiwillige Abzweigungen von Schuldnerberatungs-Cents bei jedem entsprechenden Geschäftsvorgang in einen zu schaffenden Fonds. Der sozialhilferechtliche Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung ist schon seit Jahrzehnten immer wieder Gegenstand vieler Diskussionen, wissenschaftlicher Beiträge und Gerichtsentscheidungen. Dieser Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung muss nun auch Gegenstand der rechtspolitischen Bestrebungen, besser noch: der Gesetzgebung in der laufenden Legislaturperiode werden. Die bisherige Aufspaltung in einerseits einen individuellen Rechtsanspruch des Bürgers auf Beratung allgemein i. S. v. 10 Abs. 2 SGB XII (früher, d. h. bis 2005: 8 Abs. 2 BSHG) und in andererseits eine vage Verpflichtung der Sozialhilfeträger zur Finanzierung der Institutionen der Schuldnerberatung in 11 Abs. 5 Satz 3 SGB XII (früher: 17 Abs. 1 BSHG) hat zu einer diffusen Rechtslage, damit zu großer Finanzierungsunsicherheit der Beratungsstellen und dementsprechend zu einer würdelosen Bittsteller -Rolle der betroffenen Verschuldeten geführt. Nach 11 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 1 SGB XII muss nur für diejenigen Menschen Schuldnerberatung finanziert werden, die entweder Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU: 27 ff. SGB XII) schon erhalten oder bei denen diese existenzsichernde Leistung unmittelbar bevorsteht ( erwarten lässt ) dies nicht einmal als Rechtsanspruch der Betroffenen, sondern nur als Verpflichtung der Sozialhilfeträger gegenüber den Beratungsstellen formuliert. Nicht einmal mehr als Verpflichtung der Sozialhilfeträger, sondern nur noch als Ermessensentscheidung ( Kann -Regelung) formuliert, gibt es diesen Auftrag gegenüber den Stellen der Schuldnerberatung in anderen Fällen, d. h. ohne (drohenden) Bezug von HLU. Das für juristische Laien ziemlich Wirre dieser Rechtslage ist 2005 durch die sog. Hartz-IV-Reform noch gesteigert worden, indem nur für Erwerbsfähige i. S. v. 8 Abs. 1 SGB II in 16 a Nr. 2 SGB II Schuldnerberatung als Leistung zwar thematisiert wird, dies aber nur als Ermessensleistung, und diese auch nur, falls sie zur Eingliederung in Arbeit erforderlich ist. Hinzu kommt, dass in diese ohnehin unsichere Rechtslage hinein das Bundessozialgericht (BSG) in seinem sog. Annex-Urteil vom 13. 7. 2010 B 8 SO 14/09 R die faktisch zu Teilen rechtlose Stellung der betroffenen Verschuldeten noch zusätzlich verschlechtert hat, indem es generell sozialhilferechtliche Beratung und damit auch Schuldnerberatung nach 11 Abs. 5 Satz 3 SGB XII nur bei Bezug von Sozialhilfeleistungen nach dem Katalog des 8 SGB XII für rechtens erklärt, gleichsam eben als Annex ( Anhängsel oder Zubehör ) einer dieser Leistungen. Diese Entscheidung des BSG ist in Anbetracht des durchweg herrschenden Verständnisses von 14 SGB I mit seinem Rechtsanspruch auf Beratung schon bei entsprechend interessengeleiteter Fragestellung des Bürgers und eben nicht erst bei Bezug einer Sozialleistung in keiner Weise mit dem geltenden Recht vereinbar. Denn der Beratungsanspruch des 14 SGB I ist laut ausdrück - licher Regelung in 37 Satz 2 SGB I in Einzelgesetzen des Sozialrechts nicht anders regelbar, darf also dort nicht gleichsam aufgehoben werden, auch nicht durch eine (falsche) Gesetzesauslegung des sozialhilferechtlichen Beratungsanspruchs in besagtem Urteil des BSG. Übrigens stehen 14 SGB I und 37 Satz 2 SGB I schon seit fast 40 Jahren im Allgemeinen Teil des SGB: Auf beide Vorschriften und deren Wechselwirkung geht das BSG in seinem Annex-Urteil von 2010 mit keinem Wort ein. 89

4/2015 Z e i t s c h r i f t f ü r d a s F ü r s o rg e w e s e n Um die Rechtslage zu klären und Fehlentscheidungen zu korrigieren, sollten die Betroffenen nun endlich mit einem unmittelbaren Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung ausgestattet werden. Dazu kommen im Sozialhilferecht (als Netz unter dem Netz der sozialen Sicherung) zwei Alternativen in Betracht: Die erste knüpft an die derzeitige gesetzliche Regelung an, ergänzt sie allerdings gravierend insofern, als in 11 Abs. 5 SGB XII die folgenden Sätze 5 bis 7 angefügt würden: 6. Erste gesetzgeberische Alternative: Anfügung der Sätze 5 bis 7 in 11 Abs. 5 SGB XII (n. F.) Auf Schuldnerberatung haben überschuldete Menschen einen Rechtsanspruch, soweit ohne diese Hilfeleistung für sie ein Leben in Würde nicht geführt werden kann oder nicht zu erwarten ist. Hinsichtlich eines Einkommenseinsatzes sind die Kriterien der 85, 87 entsprechend anzuwenden. Soweit Leistungen nach 16 a Nr. 2 SGB II nicht erbracht werden, haben auch erwerbsfähige Menschen einen Anspruch auf Schuldnerberatung nach Maßgabe der Sätze 5 und 6. Begründung: Mit einem ausformulierten Rechtsanspruch nach 11 Abs. 5 Satz 5 SGB XII n. F. würden die Betroffenen unmittelbar zu Berechtigten der Inanspruchnahme von Schuldnerberatung. Ihr Kreis würde in verständlicher Weise positiv und unter fachlicher Orientierung an der wichtigsten Zielsetzung der Sozialhilfe nach 1 SGB XII (und 9 SGB I) benannt. Die Zahl der Berechtigten bliebe aufgrund des entsprechenden Abstellens auf die Einkommensgrenze des 85 SGB XII sowie unter entsprechender Verwendung der gleitenden Regelung des 87 Abs. 1 SGB XII (Einsatz etwaigen Einkommens des Betroffenen nur oberhalb der Einkommensgrenze und auch dies nur in zumutbarem Umfang) immer noch überschaubar. Weil Schuldnerberatung eine eigene Hilfeart der Sozialhilfe ist also auch nicht HLU nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, wären Erwerbsfähige (und -tätige) nicht vom Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung ausgeschlossen (siehe 5 Abs. 2 SGB II und 21 Satz 2 SGB XII); Forderungen nach präventiver Schuldnerberatung von Noch-Beschäftigten über 16 a Nr. 2 SGB II erübrigten sich insofern. Natürlich ergäbe eine nähere Befassung mit dieser Alternative einer Novellierung in der Folge auch die Notwendigkeit von Änderungen am jetzt geltenden Satz 3 des 11 Abs. 5 SGB XII, weil sich aufgrund des Rechtsanspruchs der Betroffenen auch die Vorgaben für die Finanzierungspflicht der Sozialhilfeträger gegenüber den Beratungsstellen ändern würden (dies gilt auch mit Blick auf die hier in der Einleitung angesprochene freiwillige Finanzierungsbeteiligung der Kreditinstitute und Ratenverkaufsunternehmen über einen einzurichtenden Fonds). Diese Feinjustierung der Novelle mag an dieser Stelle dem Gesetzgeber bzw. den beteiligten Ministerien überlassen werden. Die zweite gesetzgeberische Alternative ist die Platzierung des Rechtsanspruchs auf Schuldnerberatung in den 67 ff. SGB XII: 7. Zweite gesetzgeberische Alternative: Neufassung des Satzes 2 des 68 Abs. 1 SGB XII In notwendigen Fällen besteht bei Überschuldung ein Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung. Begründung: Schuldnerberatung würde bei einer Platzierung in 68 Abs. 1 Satz 2 SGB XII n. F. zu einer Hilfe in anderen Lebenslagen ( 47 bis 74 SGB XII), nämlich der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach 67 ff. SGB XII. Damit würden alle Debatten über das verfehlte Annex-Urteil des BSG für die Zukunft überflüssig, weil Schuldnerberatung ausdrücklich den Charakter einer eigenständigen Hilfeart (eben im Rahmen der 67 ff. SGB XII) bekäme. Ebenso wäre aufgrund der systematischen Stellung geklärt, dass (Noch-) Erwerbsfähige und -tätige i. S. v. 8 Abs. 1 SGB II nicht von der sozialhilferechtlichen Schuldnerberatung ausgeschlossen wären (vgl. 5 Abs. 2 SGB II sowie 21 Satz 2 SGB XII). Stigmatisierende Wirkungen auf die überschuldeten Menschen und ihre Familien wären aufgrund der schon vor mehr als 10 Jahren erfolgten Streichung des früheren Katalogs der von 67 ff. SGB XII typisiert erfassten Personenkreise (Nichtsesshafte, Obdachlose, Strafentlassene etc. siehe frühere 2 bis 6 der VO zu 72 BSHG) nicht in bedeutsamer Dimension zu befürchten. Ein Vorteil einer solchen Platzierung der Schuldnerberatung läge für die Betroffenen im Ausschluss von etwaigem Einkommens- und Vermögenseinsatz aufgrund des Dienstleistungscharakters der Schuldnerberatung ( 68 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Der berechtigte Personenkreis wäre über die Formulierung In notwendigen Fällen eingegrenzt (Orientierung an den Kriterien des 67 Satz 1 SGB XII). Folgeänderungen lägen in der Verschiebung der Gesamtplan-Regelung des jetzigen Satzes 2 in einen Satz 3 des 68 Abs. 1 SGB XII n. F. sowie in der Ergänzung des 3 Abs. 1 der VO zu 69 SGB XII um die Leistung Schuldnerberatung bei Überschuldung. 8. Fazit: Mehr sozialempirische Forschung zu den gesellschaftlich positiven Wirkungen von Sozialer Schuldnerberatung und als rechtspolitischer Impuls die Forderung nach Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Schuldnerberatung im SGB XII Die bisherigen sozialempirischen Befunde zur Sozialen Schuldnerberatung belegen bei all ihrer heterogenen und teilweise nur sporadischen Qualität die durchaus positiven Wirkungen auf Betroffene und die Gesellschaft insgesamt. Schuldner und ihre Angehörigen werden entlastet, durch die Beratung eröffnen sich für sie neue berufliche und wirtschaftliche Optionen, die ihre sozialen Teilhabechancen verbessern und nicht zuletzt auch das soziale Klima in der Gesellschaft fördern. Die Potenziale der Schuldnerberatung gehören weiterentwickelt bisherige Studien lassen dies lohnend erscheinen. In diesem Sinne sollte die sozialempirische Forschung intensiviert werden. Dazu bedarf es auch eines noch größeren Engagements von Wissenschaft und Politik; auch die Freie Wohlfahrtspflege muss sich hier einbringen. Schließlich: Die Schuldnerberatung muss endlich gesetzlich als Rechtsanspruch der Betroffenen formuliert und verankert werden. Die derzeitige Rechtslage ist diffus und ist dies noch mehr seit dem unsäglichen Annex-Urteil des BSG von 2010. Die beiden hier alternativ ausformulierten Novellierungsvorschläge zum SGB XII sollten nun umgehend in die Parteien sowie in die Fraktionen des Bundestages in der laufenden Legislaturperiode eingebracht werden. Literatur: Ansen, H.: Methodik der Sozialen Schuldnerberatung ein vernachlässigtes Thema. In: Knobloch, M., u. a.: IFF- Überschuldungsreport 2014, S. 67-86 90

Z e i t s c h r i f t f ü r d a s F ü r s o rg e w e s e n 4/2015 Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV): Positionspapier zur Finanzierung der Schuldnerberatung. Berlin 2011 www.schuldnerberatung-sh.de/ index.php?id=18;bundesministerium für Arbeit und Soziales: Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung: Lebenslagen in Deutschland. Bonn 2013 Creditreform: Schuldneratlas 2014. Neuss 2014 Ebli, H./Groth, U.: Schuldnerberatung. In: Nestmann, F./ Engel, F./Sickendiek, U. (Hrsg.): Das Handbuch der Beratung Band 2, S. 1161-1172. Tübingen 2007 Ebli, H.: Soziale Probleme und Soziale Arbeit eine Annäherung über den Zusammenhang von Überschuldung und Schuldnerberatung. In: Bareis, E. u. a. (Hrsg.): Episoden sozialer Ausschließung, S. 138-152. Münster 2013 Knobloch, M., u. a.: IFF-Überschuldungsreport 2014: Überschuldung in Deutschland. Hamburg 2014 Kokott, S.: Privatinsolvenzverfahren eine ausreichende Antwort des Gesetzgebers? In: Hergenröder, W. (Hrsg.): Forschungscluster Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke, Schulden und ihre Bewältigung, S. 141-153. Wiesbaden 2013 Schruth, P., u. a.: Schuldnerberatung in der Sozialen Arbeit. Sozialpädagogische, juristische und gesellschaftspolitische Grundkenntnisse für Theorie und Praxis. Weinheim und München 2011 Spezielle Wirksamkeitsstudien: Arnemann, K.: Psychosoziale Wirksamkeit von Schuldnerberatung aus der Sicht der Ratsuchenden am Beispiel einer hessischen Schuldnerberatungsstelle. Master-Thesis an der ev. FH Darmstadt 2010 Diakonie-Hilfswerk Hamburg e. V.: Untersuchung zentraler Effekte der Schuldnerberatung des Diakonischen Werks Hamburg. Durchgeführt von H. Ansen und F. Samari. Hamburg 2012 Hamburger, F./Kuhlemann, A./Walbrühl, U.: Wirksamkeit von Schuldnerberatung. Expertise im Auftrag des BM für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Gummersbach 2004 www.kwup.de/fileadmin/templates/down - load/expertisewirksamkeit_von_schuldnerberatung_2004 Kuhlemann, A.: Wirksamkeit von Schuldnerberatung. Empirische Untersuchungen zur Evaluation. Hamburg 2006 Lechner, G./Backert, W.: Menschen in der Verbraucher - insolvenz. Rechtliche und soziale Wirksamkeit des Verbraucherinsolvenzverfahrens einschließlich Darstellung der Haushaltsstrukturdaten des untersuchten Personenkreises. 2007 Meinhold, M.: Einspareffekte für das Land Berlin aus der Tätigkeit der Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen. Berlin 2003. www.schuldnerberatung-berlin.de/eval_ges. pdf Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) Köln: Ergebnisse einer Wirksamkeitsstudie zur Schuldnerberatung des SKM Köln (2013). Durchgeführt von U. Walbrühl. www.skm-koeln Zum ausformulierten Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung de lege ferenda in einem insofern novellierten SGB XII siehe auch die Fundstellennachweise in Krahmer Sozialrecht aktuell 2011, 161 ff. sowie ders. ZFSH/SGB 2014, 22 ff. 91