Dortmunder Deklaration 2009



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Transkript:

Dortmunder Deklaration 2009 April 2009 Über Qualitätskriterien, Inhalte, Methoden und Nutzen der betrieblichen Rückenschule gemeinsame Erklärung der Teilnehmer des Expertenworkshops vom 14. März. Hintergrundinformationen Anlässlich des Tages der Rückengesundheit fand am 14. März 2009 als zentrale Veranstaltung der Konföderation der deutschen Rückenschulen (KddR) ein Experten-Workshop in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) statt. Ausgehend von dem bereits erarbeiteten Konzept der Neuen Rückenschule, sollte in dem Workshop der Transfer dieser Präventionsmaßnahme in die betriebliche Gesundheitsförderung vorgenommen werden. Das moderne Konzept zur Förderung der Rückengesundheit geht nicht nur auf physische, sondern auch auf mentale und psycho-soziale Aspekte des Rückenschmerzes ein. Im ersten Teil der Veranstaltung wurden von sechs Referenten erfolgreiche Praxisbeispiele der betrieblichen Gesundheitsförderung vorgestellt: Dr. Egmont Baumann, Stadt Dortmund Grundlagen und Qualitätsstandards der Betrieblichen Gesundheitsförderung Klaus Pelster, Institut für Betriebliche Gesundheitsföderung BGF GmbH Die Neue Rückenschule Ein Baustein der BGF 1

Gregor Mertens, Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung BGF GmbH Qualitätskriterien der arbeitsplatzbezogenen Rückenschule im gewerblichen Bereich Beate Missalek, MOVEDU-Gesundheitsmanagement Missalek Qualitätskriterien der bildschirmarbeitsplatzbezogenen Rückenschule Ulrike Lübbert, ErgoPhysConsultin Betriebliche Gesundheitsförderung aus dem Blickwinkel eines ErgoPhysConsultant Frank Bertelsmeier, Revitalis Gesundheitsakademie Gesundheitsförderung am Beispiel der Warsteiner Brauerei Im zweiten Teil der Veranstaltung erarbeiteten neunzig Bewegungsfachkräfte (Gymnastiklehrer, Mediziner, Physiotherapeuten, Sportwissenschaftler) in drei Arbeitsgruppen die Inhalte der Dortmunder Deklaration. Der Expertenworkshop wurde veranstaltet in Kooperation mit: Aktion Gesunder Rücken e. V. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin - baua Deutsches Grünes Kreuz (DGK) e. V. Konföderation der deutschen Rückenschulen (KddR) Präambel Die Förderung der Rückengesundheit im Arbeitsumfeld ist eine wichtige Zukunftsaufgabe. Muskel-Skelett-Erkrankungen nehmen nach wie vor eine besonders ernst zu nehmende Stellung im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen ein. Fast jeder vierte 2

Arbeitsunfähigkeitstag geht auf die Erkrankungen des Bewegungsapparates zurück (BARMER-Gesundheitsreport 2008). Jede fünfte Frau und jeder sechste Mann leiden in Deutschland unter chronischen Rückenbeschwerden. Dieses Krankheitsbild verursacht jährlich direkte und indirekte Kosten von über 25 Milliarden Euro (Robert-Koch-Institut 2006). Der Arbeitsplatz oder die Arbeitsplatzumgebung bieten sich aus zwei Gründen als geeignetes Setting für Präventionsmaßnahmen an: Zum einen wird über den Arbeitsplatz ein großer Teil der Bevölkerung erreicht und zum anderen stehen eine Reihe der Risikofaktoren für Rückenschmerzen in direktem Zusammenhang mit beruflichen Tätigkeiten. Weitgehend unbestritten ist dabei der Einfluss physischer Fehlbelastungen durch z. B. häufiges Heben von Lasten, Arbeiten in gebückter oder verdrehter Haltung sowie Ganzkörpervibrationen (Lühmann, 2006). Es gibt klare Belege hinsichtlich des Einflusses mentaler Zwangsbedingungen und psychosozialer Einflussfaktoren, wie z. B. Über- und Unterforderung, geringe soziale Unterstützung bei der Arbeit, geringe Arbeitszufriedenheit und geringer Handlungsund Entscheidungsspielraum bei der Arbeit (vgl. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, 2002). Wissenschaftliche Studien belegen, dass mit multimodalen, arbeitsplatzbezogenen Rückenschulmaßnahmen beachtliche Verbesserungen erzielbar sind. Häufigkeit und Schweregrad von Rückenbeschwerden sowie dadurch verursachte Arbeitsunfähigkeitszeiten können vermindert werden. Allerdings dürfen die Interventionen nicht nur auf reine Wissensvermittlung abzielen, sondern sie müssen einen hohen Trainings- und Übungsanteil 3

aufweisen. Die derzeit vorliegenden Daten legen den Schluss nahe: Prävention von wiederkehrenden Rückenschmerzen ohne Sport und Bewegung funktioniert nicht! (Lühmann, 2008). Darüber hinaus sollten die Programme neben Information und Training auch verhaltenspsychologische Elemente zur Änderung der Krankheitseinstellungen enthalten. Die betriebliche Rückenschule zielt nicht nur auf die Senkung der Arbeitsunfähigkeitstage ab, sondern versucht insgesamt die gesundheitliche Situation der Berufstätigen zu verbessern, ihre gesundheitlichen Ressourcen zu stärken, die Arbeitszufriedenheit und das Wohlbefinden zu steigern. Qualitätskriterien, Inhalte, Methoden und Nutzen betrieblicher Rückenschulmaßnahmen A. Top Ten der Qualitätskriterien 1. Vernetzung mit der Unternehmenspolitik und der betrieblichen Gesundheitsförderung Die betriebliche Rückenschule ist vernetzt mit den Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen eines Betriebes. Sie ist ein Baustein der betrieblichen Gesundheitsförderung und verfolgt in Kombination mit anderen Maßnahmen verhaltens- und verhältnisorientierte Präventionsziele. 2. Akzeptanz und Unterstützung durch die Führungskräfte Wichtigster Erfolgsfaktor für die Durchführung der betrieblichen Rückenschule ist die aktive Beteiligung der Führungskräfte. Die Geschäftsleitung muss sehr glaubwürdig hinter den Aktivitäten stehen, 4

da die Rückenschule zu strukturellen Veränderungen im Betrieb führen kann, welche von der Geschäftsleitung gestützt werden müssen. 3. Beteiligung (Partizipation) der Mitarbeiter Ebenfalls sehr wichtig ist ein partizipatives Vorgehen bei der Programmdurchführung. Die Mitarbeiter sind von Beginn an zu informieren und zu beteiligen. Bei der Umsetzung der Maßnahmen sollen die Erfahrungen der Mitarbeiter aktiv in den Prozess eingebunden werden. Sie sind die Fachkundigen für ihre Arbeitstätigkeiten und erkennen am schnellsten, wo noch gesundheitsförderliches Verbesserungspotenzial besteht. Die Betroffenen werden dadurch zu Experten für ihre Rückengesundheit gemacht, ebenso wird ihre Eigenverantwortung und Motivation für ihre Tätigkeit gestärkt. 4. Zielgruppenorientierung Die arbeitsplatzbezogenen Rückenschulmaßnahmen sollten möglichst eindeutig an spezifische Zielgruppen ausgerichtet sein, wie z. B. Auszubildende, Mitarbeiter in spezifischen Tätigkeitsfeldern, Personen mit bereits vorhandenen Rückenschmerzen, ältere Mitarbeiter. Die genauen Kenntnisse der Arbeitsbelastungen, körperlichen und psychischen Voraussetzungen, subjektiven Erwartungen, Bedürfnisse und Gewohnheiten sind für die Akzeptanz und Motivation der Zielgruppe sowie für die didaktische und organisatorische Gestaltung der Maßnahme unentbehrlich. 5. Arbeitsplatzbezug Die theoretisch-praktischen Schulungseinheiten berücksichtigen möglichst praxisnah die konkreten Arbeitsplatzverhältnisse. 5

Die praktischen Einheiten zur Anwendung der erworbenen rückenfreundlichen Verhaltensmuster werden am eigenen Arbeitsplatz durchgeführt. Ebenso werden hier ergonomische und organisatorische Veränderungen von Bedingungen des Arbeitsplatzes entwickelt und umgesetzt. 6. Verhaltens- und verhältnispräventive Zielsetzung Die betriebliche Rückenschule beinhaltet sowohl verhaltens- als auch verhältnisorientierte Maßnahmen. Sie verbindet den Ansatz der Risikoreduktion mit dem des Ausbaus von Schutzfaktoren und Gesundheitspotentialen (vgl. Luxemburger Deklaration zur betrieblichen Gesundheitsförderung in der Europäischen Union, 2007). Die betriebliche Rückenschule zielt auf die Symbiose von optimal gestalteter Ergonomie der Arbeitsmittel, Arbeitsorganisation und Arbeitsumgebung sowie gesundheitsorientiertem Arbeitsverhalten ab. Ergonomische Verbesserungsprozesse sind nachweislich erfolgversprechender, wenn gleichzeitig die Mitarbeiter für gesundheitsförderliche Verhaltensweisen sensibilisiert werden. 7. Bio-psycho-sozialer Ansatz Nach diesem Ansatz basiert das Stärken der Gesundheitspotentiale und Steigern des Wohlbefindens am Arbeitsplatz auf einem komplexen und ganzheitlichen Gesundheitsverständnis (Salutogenese). Dabei werden die verschiedensten Einflussbereiche wie körperliche, psychische und soziale Faktoren bei der Intervention mit berücksichtigt. Daher besteht die betriebliche Rückenschule nicht nur aus isolierten Bewegungsübungen oder ergonomischen Informationen, sondern betrachtet z. B. neben der individuellen Haltungs- und Bewegungsmuster, auch die mentalen und psycho-sozialen Belastungen 6

am Arbeitsplatz. Stressvermeidung, Stressbewältigung und Entspannung sind wichtige Inhalte der Rückenschule am Arbeitsplatz. 8. Phasenorientierte Programmgestaltung (Projektmanagement) Die betriebliche Rückenschule sollte in genau definierten Phasen durchgeführt werden, dazu zählen: Phase 1: Einstieg, Vorgespräche Phase 2: Ist-Analyse, Gesundheitsbericht Phase 3: Konzepterstellung -im Anschluss an das Sammeln verschiedener Lösungen- mit Zielformulierung, Maßnahmen- und Zeitplan Phase 4: Durchführung der Maßnahmen Phase 5: Dokumentation und Bewertung der Ergebnisse Phase 6: Maßnahmen zur Nachhaltigkeit, Verankerung in den Unternehmensgrundsätzen und - leitlinien 9. Interdisziplinäre und kooperative Zusammenarbeit Arbeitskreise für Gesundheit oder Gesundheitszirkel sind wichtige Instrumente der betrieblichen Gesundheitsförderung. Die Mitglieder dieser Gremien steuern die geplanten Maßnahmen und bestimmen somit auch die arbeitsplatzbezogene Rückenschule. Da die betriebliche Rückenschule als Baustein innerhalb der betrieblichen Gesundheitsförderung gemeinsam mit zusätzlichen Bausteinen zum Tragen kommt, sollten Bewegungsfachkräfte mit weiteren externen Anbietern, wie z. B. Psychologen oder Ernährungsberatern kooperieren. Darüber hinaus erfordert die arbeitsplatzbezogene Präventionsmaßnahme die Zusammenarbeit mit internen Fachkräften, wie z. B. dem Betriebsarzt oder der Fachkraft für Arbeitssicherheit. 7

10. Anbieterqualifikation Zur Durchführung entsprechender Maßnahmen kommen ausschließlich Fachkräfte mit einer staatlich anerkannten Ausbildung im Bereich Bewegung und der Zusatzqualifikation Rückenschullehrer nach den Richtlinien der KddR in Betracht. Top Ten der Zusatzqualifikationen für Rückenschullehrer im Betrieb 1. Grundkenntnisse der Ergonomie, Arbeitssoziologie, Arbeitspsychologie, und betrieblichen Gesundheitsförderung 2. Kenntnisse und Berücksichtigen der unterschiedlichen Aufgaben relevanter Berufs- und Tätigkeitsfelder, wie z. B. Betriebsarzt, Betriebsrat, Geschäftsführer, Personalleiter, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Sicherheitsbeauftragter, Sozialbetreuer 3. Hohe Sozialkompetenz durch Zeigen von z. B. Empathie, Wertschätzung, Zuverlässigkeit 4. Gute Kommunikationsfähigkeiten, z. B. Einsatz der Methode der Motivierenden Gesprächsführung von Miller, Rollnick 2004 und des Kommunikationsmodells von Schulz von Thun, 1979 5. Sensibilität für unterschiedliche Verhaltens- und Denkmuster der Mitarbeiter 6. Teamfähigkeit, da betriebliche Gesundheitsförderungsprojekte interdisziplinär durchgeführt werden, 7. Fähigkeit Arbeitshaltungen und Arbeitsbewegungen präzise zu beobachten und zu dokumentieren, 8. Flexibilität und Kreativität bei der Durchführung zielgruppenspezifischer Programme (mit wenigen, einfachen Mitteln viel erreichen), 8

9. Fähigkeiten, auftretende Probleme im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse zu moderieren und als Mittler zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitern zu handeln, 10. Bereitschaft, den bio-psycho-sozialen Ansatz zur Erreichung verhaltens- und verhältnispräventiver Ziele authentisch zu vertreten. B. Inhalte und Methoden Die Inhalte und Methoden der betrieblichen Rückenschule basieren auf dem Konzept zur Neuen Rückenschule (www.kddr.de). Darüber hinaus erfordert das erweiterte Zielspektrum zusätzliche arbeitsplatzspezifische Inhalte und Methoden. Mögliche Inhalte und Methoden der betrieblichen Rückenschule 1. Individuelle Rückenschulberatung am Arbeitsplatz Der Rückenschullehrer geht an die Arbeitsplätze und analysiert die wichtigsten Körperhaltungen und Bewegungsabläufe der Mitarbeiter. Darüber hinaus nimmt die Bewegungsfachkraft möglichst viele Belastungsfaktoren, wie z. B. Schichtarbeit, Führungsstil, mentale und psychosoziale Belastungen, Raumklima, Lärm, Licht oder Beleuchtung wahr. Die Rückenschulberatung besteht aus Theorieeinheiten zur Vermittlung von Handlungs- und Effektwissen zur Rückengesundheit sowie Praxiseinheiten zum Automatisieren rückenfreundlicher Verhaltensweisen am Arbeitsplatz. 2. Rückenschulseminar Im Mittelpunkt eines praxisorientierten Seminars stehen 9

arbeitsplatzspezifische Inhalte, wie z. B. gesundheitsförderliche Haltungs- und Bewegungsschulung am Bildschirmarbeitsplatz, Einsatz von Hebe- und Tragehilfen, Ausgleichsübungen und Empfehlungen zur Stressvermeidung. Besonders empfehlenswert ist die Integration eines Minizirkels in dem die Mitarbeiter ihre Wünsche für Veränderungen am Arbeitsplatz äußern können. Die Bewegungsfachkraft dokumentiert diese Wünsche und bespricht diese mit der Geschäftsleitung. Zusätzlich werden ausgewählte Themen zur Stärkung der Rückengesundheit in der Freizeit behandelt, die sich an den Arbeitsbelastungen der Mitarbeiter orientieren. 3. Arbeitsplatzbezogener Rückenschulkurs In den Kursen werden arbeitsplatzbezogene Haltungs- und Bewegungsmuster automatisiert, Einstellungen zu Rückenschmerzen verändert und die Bindung an gesundheitsfördernde Aktivitäten am Arbeitsplatz und in der Freizeit verstärkt. 4. Weiterführende, fachübergreifende Rückenschulmaßnahmen Hierzu zählen z. B. aufbauende Rückenschulkurse, Fortführung der individuellen Rückenschulberatungen am Arbeitsplatz, Durchführung von regelmäßigen Entspannungs- und Bewegungsübungen, Aufbau und Vernetzung betrieblicher und außerbetrieblicher Bewegungsangebote, Qualifizierung von Mitarbeitern zu Moderatoren für Rückengesundheit. C. Top Ten der Vorteile für die Arbeitsgeber 1. Steigern der Arbeitszufriedenheit und Mitarbeitermotivation, dadurch Verbessern des Betriebsklimas und stärken des Wir- Gefühls 2. Erhöhen der Arbeitsproduktivität und damit Steigerung der Qualitäts- und Produktionsprozesse 10

3. Optimale Nutzung und Verbessern der ergonomischen Ressourcen am Arbeitsplatz und Umsetzen der gesetzlichen Arbeitsschutzbestimmungen, wie z. B. Umsetzung der Bildschirmverordnung oder Lasten-Handhabungsverordnung 4. Die Mitarbeiter werden für die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse sensibilisiert und können somit aktiv zur Humanisierung ihres Arbeitsplatzes beitragen 5. Die Gesundheitsförderungsmaßnahmen verbessern die Kommunikation und das Sozialverhalten der Mitarbeiter (Minderung der psychosozialen Stressoren) und der betrieblichen Kommunikation und Kooperation 6. Das mit Spaß und Freude erlebte Gesundheitsangebot fördert bei den Mitarbeitern die innere Einstellung zum Betrieb, 7. Die Serviceleistung des Betriebes verbessert das Image innerhalb und außerhalb des Unternehmens. 8. Nachhaltige Reduktion der Fehlzeiten und des Krankenstandes und Erhalten einer hohen Arbeitsfähigkeit bis zum Rentenalter 9. Senken der Fluktuationsrate 10. Einsparen von Kosten, da die Rückenschule im Gegensatz zu Massagen und Gerätetraining von den gesetzlichen Krankenkassen finanziell unterstützt wird und ab dem 1.1.2008 Maßnahmen des Arbeitsgebers zur Gesundheitsförderung und Prävention bis zu 500 Euro pro Beschäftigten steuerfrei bleiben ( 3 Nr. 34 EStG-E). D. Top Ten der Vorteile für die Arbeitnehmer 1. Steigern der Rückengesundheit und Belastungsfähigkeit 2. Verbessern der Körperwahrnehmung und der 11

Entspannungsfähigkeit 3. Verbesserter Umgang mit Stress durch Erlernen von problemorientierten und emotionsregulierenden Stressbewältigungsstrategien 4. Verbessern der Bewältigung von Rückenschmerzen und somit Verringern des Risikos für die Entstehung chronischer Rückenschmerzen 5. Reduzieren der Arbeitsbelastung, Erhalt der Arbeitsfähigkeit, und Steigern der Arbeitszufriedenheit und des allgemeinen Wohlbefindens durch den zielorientierten Einsatz von Hilfsmitteln und verhaltenspräventiven Maßnahmen. 6. Steigern der physischen und psychischen Gesundheitsressourcen in allen Lebensbereichen 7. Aufbau und Bindung an gesundheitsorientierte Aktivitäten 8. Senken der Gesundheitsausgaben durch z. B. seltenere Arztbesuche, verringerter Medikamenten-, Heil- und Hilfsmittelverbrauch 9. Profitieren von den gesundheitsfördernden Bonusmodellen der gesetzlichen Krankenkassen. 10. Eigenverantwortliches gesundheitsorientierte Handeln durch Stärkung der Selbststeuerungskompetenzen Fazit Die multimodale, betriebliche Rückenschule senkt krankheitsbedingte Kosten und steigert die Produktivität des Unternehmens durch eine gesündere Belegschaft mit höherer Motivation, besserer Arbeitsmoral und angenehmeren Arbeitsklima. 12

Schlussbetrachtung Multimodale Rückenschulmaßnahmen am Arbeitsplatz sind besonders gut geeignet, die Rückengesundheit der Mitarbeiter zu fördern und Risikofaktoren für die Entstehung chronischer Rückenschmerzen zu reduzieren. Darüber hinaus können durch die erlebnis- und handlungsorientierten Inhalte die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden gesteigert werden. Diese Ziele sind nur erreichbar, wenn die betriebliche Rückenschule grundlegende Qualitätskriterien aufweist und die Anbieter über besondere fachliche und pädagogische Qualifikationen verfügen. Die Präventionsmaßnahme kann als Einstieg mit einfachen Bewegungsübungen beginnen, langfristig sollte sie jedoch mit multimodalen Programminhalten verhaltens- und verhältnispräventive Ziele verfolgen. Die betriebliche Rückenschule leistet zukünftig einen wichtigen Beitrag für den Paradigmenwechsel im Gesundheitsverständnis. Dieser Wechsel vollzieht sich von der bio-medizinischen zur bio-psychosozialen, ressourcenorientierten Sichtweise. Konföderation der deutschen Rückenschulen (KddR) Joachim Fleichaus, Ulrich Kuhnt, Günter Lehmann, Carsten Löwenkamp April 2009 13