Mehr als Schule. Von Bildungslandschaften und Bildungsregionen Matthias Pfeufer

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Transkript:

Mehr als Schule Von Bildungslandschaften und Bildungsregionen Matthias Pfeufer

für die Jugendhilfe und dies ist nicht unwesentlich. Das Bundesverwaltungsgericht hat in höchstrichterlicher Rechtsprechung festgelegt: Der Staat ist in der Schule nicht auf das ihm durch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zugewiesene Wächteramt beschränkt. Vielmehr ist der staatliche Erziehungsauftrag in der Schule (Art. 7 Abs. 1 GG) dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Weder dem Elternrecht noch dem Erziehungsauftrag des Staates kommt ein absoluter Vorrang zu. Der Staat muss deshalb in der Schule zwar die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung Abb. 2 und 3; Leah Koen, Schulen allein sind überfordert ihrer Kinder achten, für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen aber so weit offen sein, als es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt. Während einer Lehrerkonferenz Ein zunehmend größerer Teil In diesem Rahmen darf er aber an einer Mittelschule wird zum der Familien käme der urei- grundsätzlich unabhängig von wiederholten Male die Klage genen Aufgabe nicht mehr den Eltern eigene Erziehungs- laut, dass die Elternbeteiligung nach, ihre Kinder angemessen ziele in der Schule verfolgen. sehr zu wünschen übrig ließe. zu erziehen, so auch die weit (BVerwG 6 B 65.07) Trotz großer Anstrengungen verbreitete Ansicht, geäußert Aus dieser doppelten Verantwor- wie etwa der Verlegung eines in der Lehrerkonferenz. tung heraus erklärt sich, warum großen Teils der Elternsprech- Aus rechtlicher Sicht steht sehr schnell der Ruf laut wird, stunden in den Nachmittag außer Frage, dass den Eltern die Schulen müssten an dieser würde das Angebot nur unzu- die Aufgabe der Pflege und oder jener Stelle kompensato- reichend wahrgenommen. Dies Erziehung obliegt (Art. 4 GG). risch einspringen. Dies wurde träfe insbesondere für die Daneben hat als Erzieher nur die in Deutschland insbesondere Eltern mit Migrationsgeschichte Schule Platz. Sie hat ebenfalls nach der Veröffentlichung der zu. Weitere Diskussionen ver- einen grundrechtlich veran- PISA-Ergebnisse im Jahr 2001 Titelbild (Ausschnitt): Deborah Schöne, laufen zunächst einmal im Sand. Vielleicht, wendet da die Schulsozialarbeiterin ein, sollte einmal außerhalb der Schule nach Unterstützung gesucht kerten Erziehungsauftrag durch Art. 7 GG. Alle sonstigen Miterzieher können nur mittelbar, auf dem Umweg über die Eltern mit deren Zustimmung aktiv deutlich: Die sich anschließende, teilweise hoch emotionale Bildungsdebatte über die Konsequenzen konzentrierte sich fast ausschließlich auf Kor- werden werden. Dies gilt insbesondere rekturen an den Schulen etwa

in organisatorischer Hinsicht oder in Sachen Einführung von Bildungsstandards. Angesichts des durch die PISA-Ergebnisse hinreichend belegten Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist diese Engführung allerdings hochproblematisch. Bis zum heutigen Tage sind entscheidende Fragen nicht oder zumindest nicht hinreichend geklärt: Was soll die öffentliche Schule leisten bzw. was kann sie leisten? Welche Kernaufgaben sollen und können Schulen zukünftig übernehmen? Welche Aufgabe haben die Eltern als unmittelbar Erziehungsberechtigte und Erziehungsverpflichtete? Welche weiteren Akteure sind zu berücksichtigen? Der frühere Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Ludwig Eckinger, hat vor einigen Jahren klargestellt, dass die Schule heute kein Reparaturbetrieb [ist], in dem man Probleme abgibt. Sie war es nie. Sie kann gesellschaftliche Fehlentwicklungen nicht beheben. Dazu fehlen ihr die Mittel. Und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Dass die Schule diese Rolle nicht übernehmen kann, scheint klar. Wie sie allerdings angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen reagieren sollte, hat Christian er in dieser Zeitschrift bereits vor Jahren skizziert: Keine Schule dürfte vor den Herausforderungen die Augen verschließen. Sie kann nicht so tun, als gäbe es all die Probleme nicht. Sie muss so gut es irgend geht an der Lösung dieser Probleme mitwirken. Dazu braucht sie gut ausgebildete Lehrer, Psychologen und Sozialpädagogen. Sie können den Problemdruck zumindest verringern, und damit wäre schon viel gewonnen. (Christian er 2005) Festzuhalten ist, dass heutige Schülerinnen und Schüler sehr viel mehr Zeit in der Schule verbringen als frühere Generationen. Das Leben von Kindern und Jugendlichen wird heute inhaltlich und zeitlich unmittelbar und mittelbar in erheblichem Ausmaß von Schule bestimmt. Ob es allerdings angemessen ist, in diesem Zusammenhang wie Norbert Blüm von schulischem Imperialismus zu sprechen, der sich in einem ehrgeizigen Expansionsdrang [zeige], für alles zuständig zu sein, was das Leben an Aufgaben den zukünftigen Erwachsenen abfordern könnte (Norbert Blüm 2012), sei dahingestellt. Es ist zwar richtig, dass die Schule über ihren traditionellen Kanon hinaus praktische Lebenshilfen wie etwa Verkehrserziehung, Medienpädagogik, Kommunikationstechniken in ihre Curricula aufgenommen hat, die möglicherweise früher außerhalb der institutionellen Einrichtung, nämlich in Familie, Vereinen und unter Freunden, initiiert wurden. Es stellt sich aber die Frage, ob es andere, alternative Lernorte gibt, die eine in diesen Bereichen notwendige Grundbildung für alle garantieren könnten.

Neu beantwortet und ausbuchstabiert werden muss die Frage, wie Bildung in modernen Gesellschaften auf breiter Ebene, also für möglichst alle Kinder und Jugendlichen, gewährleistet werden kann, sei es aufgrund der Erosion und der ständigen Weiterentwicklung eindeutiger Anforderungen an formale Qualifikationen ( lebenslanges Lernen ), sei es wegen der zunehmenden Bedeutung scheinbar unspezifischer, generalisierter Fähigkeiten und Fertigkeiten ( Schlüsselqualifikationen ), sei es infolge des sichtbar gewordenen Bedeutungszuwachses personaler Kompetenzen oder sei es aufgrund der weniger selbstverständlich und weniger erwartbar gewordenen Bildungsimpulse lebensweltlicher Zusammenhänge. (Zwölfter Kinder- und Jugendbericht 2005, S. 90) Veränderter Bildungsbegriff Seit den 1990er Jahren wird Bildung verstärkt nicht mehr nur als individuelle sondern auch als gesamtgesellschaftliche Ressource verstanden. Programmtisch in vielerlei Hinsicht ist der so genannte Delors-Bericht, der 1997 unter dem Titel Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum in Deutschland veröffentlicht wurde. Die Studie der UNESCO bündelt die Ergebnisse weltweiter Analysen und dreijähriger Beratungen der Internationalen Kommission Bildung für das 21. Jahrhundert mit Lehrern, Forschern, Studenten, Regierungsvertretern und Nichtregierungsorganisationen. Jacques Delors beschreibt die Chancen und Grenzen von Bildung wie folgt: Die Kommission sieht in Bildung weder ein Wundermittel noch eine magische Formel, die die Pforten zu einer von Idealen erfüllten Welt öffnet, aber sie ist eines der wichtigsten verfügbaren Werkzeuge für eine umfassendere und harmonischere Art Abb. 4: Deborah Weber, der menschlichen Entwicklung. Sie kann Armut, Ausgrenzung, Unwissenheit, Unterdrückung und Krieg überwinden helfen. Neben der Forderung nach verstärkter internationaler Zusammenarbeit, hat vor allem das Vier-Säulen-Modell des Berichts (Lernen, zusammenzuleben; Lernen, Wissen zu erwerben; Lernen zu handeln; Lernen für das Leben), das einen angemessenen Umgang mit den Bildungsbedürfnissen des 21. Jahrhunderts sichern soll, großen Einfluss auf die pädagogische Debatte genommen. Das Fundament dafür müsse eine breit angelegte Grundbildung sein, im Rahmen derer vor allem die Fähigkeit zu lebensbegleitendem bzw. lebenslangem Lernen erworben werden soll. Spätestens mit dem Delors- Bericht ist es Konsens, dass Bildung verstanden als ein aktiver, lebenslang unabgeschlossener Prozess der Weltaneignung durch ein sich bildendes Subjekt weit über die klassischen institutionellen Einrichtungen hinausgeht. Stark verkürzt könnte dafür folgende Formel stehen: Bildung endet weder am Schultor noch mit dem Schulabschluss. Mit großer Selbstverständlichkeit werden inzwischen unterschiedliche, auf die Aneignungsbedingungen bezogene Formen der Bildung differenziert.

Unter formeller Bildung wird dabei das gesamte hierarchisch strukturierte und zeitlich aufeinander aufbauende Schul-, Ausbildungs- und Hochschulsystem gefasst, mit weitgehend verpflichtendem Charakter und Leistungszertifikaten. Unter nicht formelle Bildung ist jede Form organisierter Bildung und Erziehung zu verstehen, die generell freiwilliger Natur ist und Angebotscharakter hat. Unter informeller Bildung werden ungeplante und nicht intendierte Bildungsprozesse verstanden, die sich im Alltag von Familie, Nachbarschaft, Arbeit und Freizeit ergeben, aber auch fehlen können. Sie sind zugleich unverzichtbare Voraussetzung und Grundton, auf dem formelle und nicht formelle Bildungsprozesse aufbauen. (Zukunftsfähigkeit sichern! Für ein neues Verhältnis von Bildung und Jugendhilfe. Eine Streitschrift des Bundesjugendkuratoriums, Dezember 2001.) Bildungslandschaften/ Bildungsregionen als angemessene Antwort auf die Herausforderungen? Angebote aus einer Hand Auf dem Weg zu kommunalen Bildungslandschaften so ist ein Teilabschnitt des Zwölften Kinder- und Jugendberichts aus dem Jahr 2005 überschrieben, in dem es weiter heißt: Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebote so aufeinander abgestimmt werden sollten, dass sie als stabiles und verlässliches Gesamtsystem Synergieeffekte bewirken und die bestmögliche Förderung von Kindern ermöglichen können. Ein vernetztes Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure erfordert nicht nur die Anerkennung ihrer öffentlichen Mitverantwortung. Der Aufbau eines integrierten Systems von Bildung, Betreuung und Erziehung bedarf darüber hinaus einer verbindlichen Koordination dieser Zusammenarbeit bei klarer Zuweisung der jeweiligen Kompetenzbereiche der einzelnen Teilsysteme und Orientierung an den Lebenswelten der jungen Menschen. (Zwölfter Kinder- und Jugendbericht 2005, S. 14) Mit diesem 12. Kinder- und Jugendbericht erreichte die Idee von kommunalen Bildungslandschaften eine breitere Öffentlichkeit, auch wenn bereits frühere Projekte in dieselbe Richtung zielten. So findet sich etwa 2002 in der gemeinsamen Erklärung des Bundesjugendkuratoriums, der Sachverständigenkommission für den Elften Kinder- und Jugendbericht und der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Bildung ist mehr als Schule. Leipziger Thesen zur aktuellen bildungspolitischen Debatte folgende Aussage: Bildung erfordert neue Formen der Vernetzung: Die verschiedenen Bildungsinstitutionen haben einen je eigenen Bildungsauftrag. Auf der Grundlage der Bedürfnisse und Interessen junger Menschen müssen die Bildungsaufgaben von Familie, Jugendhilfe, Schule und Berufsausbildung neu verbunden und aufeinander abgestimmt werden. Dabei sind vor dem Hintergrund heterogener und komplexer Lebenslagen die Übergänge zwischen den Bildungsorten neu zu gestalten. Unabdingbar ist daher eine übergreifende Verknüpfung der unterschiedlichen Bildungsinstitutionen und der politischen Verantwortlichkeiten. (These 10) Gemeinsam ist diesen ersten beiden Annäherungen an die Idee von Bildungslandschaften bzw. Bildungsregionen, dass von der Notwendigkeit einer Vernetzung und eines integrierten Systems der unterschiedlichen Akteure und Einrichtungen formeller, nicht formeller und soweit identifizierbar informeller Bildungsprozesse ausgegangen wird. Um im Bild zu bleiben: Die Orte in der Landschaft sind bereits vorhanden, es müssen neue, begehbarere Wege gebaut werden.

Lokale Bildungslandschaften sind langfristige, professionell gestaltete, auf gemeinsames, planvolles Handeln abzielende, kommunalpolitisch gewollte Netzwerke zum Thema Bildung, die ausgehend von der Perspektive des lernenden Subjekts formale Bildungsorte und informelle Lernwelten umfassen und sich auf einen definierten lokalen Raum beziehen. (Peter Bleckmann/Anja Durdel 2009, S. 12) Aber was sind die Ziele solcher Anstrengungen? Vernetzungen ergeben ja nur dann Sinn, wenn es gemeinsame inhaltliche Ziele gibt ohne diese bleiben es Vernetzungen um der Vernetzungen willen. Warum also sollen Zeit und Ressourcen in den systematischen Aufbau einer Bildungslandschaft bzw. -region gesteckt werden? Geht es etwa um ein gemeinsames pädagogisches Leitbild? Auch wenn die Antwort auf diese Frage idealerweise vor Ort (vgl. das aktuelle Programm des BMBF Lernen vor Ort ) gefunden werden sollte, können doch ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige übergeordnete, einen Mehrwert begründende Aspekte benannt werden: erfolgreiche Bildungsbiografien für alle Bürgerinnen und Bürger ( Niemand darf verloren gehen. ) Verbesserung der Angebotsstruktur mit stärkerer Ausrichtung auf die Nutzerinnen und Nutzer Parallelstrukturen identifizieren und vermeiden niedrigere Aufwendungen in den Sozialkassen positive wirtschaftliche Entwicklung der Region (Standortfaktor Bildung ) Diese Zielaspekte sollten allerdings neben einer notwendigen Differenzierung von organisatorischen und inhaltlichen Aspekten noch einmal daraufhin überprüft werden, aus wessen Perspektive sie formuliert sind. Allenthalben findet sich ein meist nur schwer zu entflechtendes Konglomerat aus individuellen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Interessen. So schreibt etwa der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.v. in seinen Empfehlungen zur Weiterentwicklung kommunaler Bildungslandschaften aus dem Jahr 2009: Bildung ist ein wesentlicher Faktor bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung von Städten, Landkreisen und Gemeinden. Festzuhalten bleibt: Wenn wie in ähnlicher Form häufig zu hören und zu lesen der Schlüssel zum Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen in der systematischen und kontinuierlichen Zusammenarbeit und der gemeinsam getragenen Verantwortung aller an Bildung und Erziehung beteiligten Akteure einer Region liegt, müssen bisherige Konzepte der Organisation von Bildung, Betreuung und Erziehung kritisch hinterfragt werden. Offene Fragen und Herausforderungen Wer initiiert eine Bildungslandschaft? Keineswegs unumstritten ist, wo die Verantwortung (das Zentrum, der Kern, ) für die wahlweise lokalen, kommunalen oder regionalen Bildungslandschaften oder -regionen zu verorten ist. Auch darüber, woher der Anstoß der systematischen Entwicklung kommen kann oder muss, herrscht Unklarheit. Vielerorts laufen unterschiedliche Prozesse ineinander, nicht zuletzt weil bereits seit etwa 15 Jahren Stiftungen und Vereine aber auch das Deutsche Jugendinstitut oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit Förderprogrammen Einfluss nehmen. In der Aachener Erklärung des Deutschen Städtetags von 2007 wird als Ausgangspunkt für Bildungsprozesse in den verschiedenen Lebensphasen ( ) die kommunale Ebene betont. In aktuellen Konzepten der Bertelsmann-Stiftung die bereits seit Ende der 1990er Jahre mit zahlreichen Initiativen, die unter der Überschrift Von der Entwicklung der Einzelschule zur Entwicklung eines regionalen Bildungsangebots zusammengefasst werden können, einschlägig aktiv ist liegt der natürliche Ausgangspunkt für die Entwicklung von regionalen Bildungslandschaften in der Schule. Begründet wird dies

Zunächst einmal ist im Kontext einer Bildungslandschaft von einer Vielfalt der Kinder, einer Vielfalt der Lernorte und einer Vielfalt der pädagogischen Akteure auszugehen. Wenn diese im Grundsatz wertgeschätzt wird, können alle Beteidamit, dass diese allein alle Kinder und Jugendlichen in einer Region erfassen würde. Das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus hat mit der Initiative Bildungsregionen in Bayern, die 2012 gestartet wurde und an der sich aktuell 47 kreisfreie Städte und Landkreise beteiligen, folgende Idee einer geteilten Verantwortung definiert: In einer Bildungsregion arbeiten die Schulen, die Kommunen, die Jugendhilfe, die Arbeitsverwaltung, die Wirtschaft und weitere außerschulische Organisationen zusammen, um die Bildungsqualität in ihrer Region zu verbessern. Den Rahmen gibt also die oberste Schulbehörde vor, geschaffen werden die Bildungsregionen im Dialog der Verantwortlichen vor Ort. Ohne Zweifel müssen der Aufbau und die nachhaltige Sicherung von Bildungslandschaften oder -regionen koordiniert und begleitet werden. Dafür wurden in zahlreichen Kommunen bereits so genannte Bildungsbüros eingerichtet. Deren Hauptaufgabe liegt zunächst darin, die Trennungen zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten sowie zwischen den Verantwortlichen für Bildung, Erziehung und Betreuung bewusst zu machen und für eine Überwindung einzutreten. Da kann bisweilen schon eine vom Bildungsbüro einberufene gemeinsame Konferenz der Schulleitungen aller Schulen der Sekundarstufe I ein erster Schritt sein. Was ändert sich für die Beteiligten? Bildungsregionen werden im Dialog der Verantwortlichen vor Ort in den Landkreisen und kreisfreien Städten geschaffen. Im Zentrum stehen neben der Organisation der Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit des bayerischen Schulsystems die Gestaltung von ganzheitlichen Bildungsprozessen im Zusammenwirken der Schulen mit den relevanten Kooperationspartnern, insbesondere den Kommunen, der Jugendhilfe, der Arbeitsverwaltung, den Wirtschaftsorganisationen und Unternehmen in der Region. Ziel ist es, die Zukunft der jungen Menschen in der Region mit einem passgenauen Bildungsangebot zu sichern, das ihnen die Wahrnehmung ihrer Bildungs- und Teilhabechancen ermöglicht. (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 11. Mai 2012, Az.: S-5 S 4200.6-6a.12 151) ligten den zu erwartenden Veränderungen gelassener begegnen. Stärkeren Veränderungen unterliegen die Lehrerinnen und Lehrer. Längst sind sie nicht mehr die einzigen pädagogischen Experten an den Schulen. Aus den Schulen sind Einrichtungen geworden, in denen multiprofessionelle Teams gemeinsam das pädagogische Leitbild entwickeln. Neben Sozialpädagoginnen und -pädagogen oder den Mobilen Sonderpädagogischen Diensten sind inzwischen weitere Professionen hinzugekommen, die durch ihre je eigenen Berufsbiographien auch andere Vorstellungen von Bildung innerhalb und außerhalb des bisweilen als einengend empfundenen schulischen Korsetts einbringen. Abb. 5: Pauline von Loewenich,

Abb. 5: Johanna Kellner, Lehrerinnen und Lehrer haben bereits gelernt, nicht mehr von sich und ihrer Klasse zu sprechen, sondern von Wir und unsere Schule. Künftig öffnet sich über die eigene Schule hinaus der Blick sicher stärker auf die Eingebundenheit der Schule in die verschiedensten Bezüge der Bildungsregion. Für die Kinder und Jugendlichen ändert sich wohl zunächst einmal wenig. Sie durchlaufen wie bisher in vertikaler Perspektive, also nacheinander, unterschiedliche Einrichtungen. Zu größeren Teilen besuchen sie im Vergleich zu früheren Generationen in jüngeren Die Bilder entstanden im Rahmen eines Kunstprojekts an der Wilhelm-Löhe Gesamtschule anlässlich der Eröffnung des Promotionskollegs Bildung als Landschaft. Projekt- und Ausstellungskonzept: Stephanie Welser (wiss. Koordinatorin des Promotionskollegs) und Christina Thormann (Kunstlehrerin an der ). Jahren Kindertagesstätten und verbleiben länger in ihnen. Mit dem Eintritt in die Schule steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Ganztagsschülerinnen und -schüler bis in den späteren Nachmittag von zu Hause weg sind. Potentiell sinken damit außerschulische Aktivitäten z. B. in Vereinen, die aber auch neuerdings innerhalb der Schule stattfinden können. Dennoch nutzen Kinder und Jugendliche in horizontaler Perspektive (gleichzeitig) auch weiterhin diese Angebote und weitere Angebote nicht formeller Bildung. Ob allen deswegen die viel beschworene Verplanung der Kindheit droht, müssen längerfristige Untersuchungen erweisen. Für die Jugendarbeit stellt sich die Frage, wie sie sich angesichts dieser Veränderungen neu positioniert. Darauf und auf Veränderungen für Eltern sowie weiterer Akteure kann in diesem Beitrag nicht näher eingegangen werden. Wer ist in konkreten Einzelfällen wofür verantwortlich? Am Beispiel eines Kindes mit diagnostiziertem Förderbedarf, das nach SGB einen Anspruch auf einen Schulbegleiter hat, lässt sich einiges verdeutlichen: Kommt dieses Kind in eine Regelschule, müssen sich die Eltern in Bayern an den Bezirk wenden. Dort muss die Schulbegleitung jedes Jahr in einzelnen Fällen sogar jedes halbe Jahr neu beantragt werden. Der Bezirk prüft den Bedarf und übernimmt die Kosten für die Schulbegleiter. Die Schule, die das Kind besucht, hat auf diesen Vorgang keinen Einfluss. Für die Schulen ist das Staatsministerium für Unterricht und Kultus, für die Leistungen aus dem SGB XIII das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Frauen zuständig. Es ist verständlich, aber nicht hinnehmbar, dass dabei bisweilen Ressortstreitigkeiten entstehen. Die Standesinteressen müssen zum Wohle der Kinder und Jugendlichen in den Hintergrund treten. Damit Bildungslandschaften und -regionen vor allem für die Kinder und Jugendlichen zu einer segensreichen Einrichtung werden können, bedarf es eines Prozessmusterwechsels: Die jeweiligen pädagogischen Kompetenzen und Expertisen müssen stärker als bisher miteinander in Einklang gebracht werden, damit belastbare und nachhaltige Vernetzungen entstehen können. Dazu allerdings muss Abschied genommen werden von einem Denken in Zuständigkeiten. Beginnen muss stattdessen ein neues Denken in Verantwortlichkeiten. Literaturhinweise zum Artikel finden sich unter www.lehrerbibliothek.de/bug Begegnung und Gespräch - online: www.lehrerbibliothek.de/bug Verantwortlich: Dr. Matthias Pfeufer, Poxdorf 24, 96167 Königsfeld Siegfried Kratzer, Pfälzer Straße 7a, 92224 Amberg Gestaltung: Christoph Ranzinger, Pauckerweg 5, 81245 München.