Die Stellung des Hausarztes im Gesundheitssystem



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Transkript:

PRESSEKONFERENZ Thema: Die Stellung des Hausarztes im Gesundheitssystem Erfahrungen aus Baden-Württemberg Hausarztmodell der Österreichischen Ärztekammer Zeit: Mittwoch, 24. April 2013, 10:30 Uhr Ort: Erste Lounge, Petersplatz 7, 1010 Wien Teilnehmer: Dr. Reinhold Glehr, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden- Württemberg Dr. Harald Schlocker, stv. Obmann der Sektion Allgemeinmedizin in der Österreichischen Ärztekammer Veranstalter: Österreichische Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Bundessektion Allgemeinmedizin der Österreichischen Ärztekammer

ÖÄK-Tag der Allgemeinmedizin: Die Stellung des Hausarztes im Gesundheitssystem Erfahrungen aus Baden-Württemberg ÖÄK-Hausarztmodell Von der Stärkung des niedergelassenen Bereichs insbesondere der Primärversorgung durch Allgemeinmediziner erhofft sich die heimische Gesundheitspolitik einen geregelteren Zugang zu medizinischen Leistungen und damit eine Stabilisierung der öffentlichen Gesundheitsausgaben. Während hierzulande konkrete Maßnahmen immer noch ausstehen und auch die aktuelle Gesundheitsreform viele Fragen offen lässt, läuft in Deutschland seit Längerem eine Diskussion über die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV). Mit der Situation der Hausarztmedizin in Österreich und Deutschland befasste sich am Mittwoch eine Pressekonferenz im Rahmen des 3. Tages der Allgemeinmedizin, veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) und der Bundessektion Allgemeinmedizin in der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Baden-Württemberger Hausarztvertrag Derzeit werden in Deutschland unterschiedliche Formen von hausarztzentrierter Versorgung diskutiert und praktiziert. Gemeinsames Ziel aller Programme ist die Stärkung der Primärversorgung. Damit will man die Versorgungsqualität verbessern und gleichzeitig Kosten sparen. 2008 wurde in Baden-Württemberg erstmals ein Hausarztvertrag von der größten regionalen Krankenkasse AOK Baden-Württemberg und freien Ärzteverbänden initiiert. Facharztverträge folgten und sollen weiter ausgebaut werden, um die integrierte Versorgung voranzutreiben. Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Christopher Hermann, verwies auf die positive wissenschaftliche Evaluierung der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) im drittgrößten deutschen Bundesland. Insbesondere die Versorgung chronisch Kranker habe sich durch die HZV verbessert. Umfragen zufolge sind die eingeschriebenen Patienten insgesamt hoch zufrieden und auch die Berufszufriedenheit der teilnehmenden Allgemeinmediziner ist laut Deutschem Hausärzteverband deutlich gestiegen. Patienten profitieren etwa von Abschlägen bei Medikamentenzuzahlungen, erweiterten Öffnungs- und kürzeren Wartezeiten sowie von speziellen Präventionsprogrammen. Abgesehen von Notfällen können die Patienten nur Fachärzte für Kinder-, Augen- und Frauenheilkunde ohne Überweisung in Anspruch nehmen. Haus- und Vertrauensarzt-Modell der ÖÄK Auch das Haus- und Vertrauensarztmodell der ÖÄK soll die Rolle des Hausarztes aufwerten und so dem drohenden Ärztemangel vorbeugen, erklärte ÖGAM-Präsident Reinhold Glehr. Es solle Ressourcen schonen durch geregelten Zugang zu den einzelnen Stufen der medizinischen Versorgung. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung soll sich durch verstärkte Prävention und Lebensstilberatung, verbunden mit kontinuierlicher Betreuung, verbessern. Insbesondere chronisch Kranke und multimorbide Patienten würden von intensiverer ärztlicher Zuwendung profitieren. Allerdings, so Harald Schlocker, stellvertretender Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin in der ÖÄK, fehlten noch wesentliche Voraussetzungen für die Umsetzung dieser Ziele. So gebe es keine entsprechenden gesetzlichen oder vertragspartnerschaftlichen Regelungen. Eine Stärkung des niedergelassenen Bereichs sehe die aktuelle Gesundheitsreform zwar vor, eine Aufstockung der Kassenstellen werde aber abgelehnt. Obwohl in den nächsten zehn bis 15 Jahren über die Hälfte der Kassen-Allgemeinmediziner in Pension gehe und immer weniger Jungmediziner bereit seien, sich als Hausärzte niederzulassen, sei die Politik nicht bereit, zur Attraktivierung des Berufs beizutragen und damit den drohenden Ärztemangel einzudämmen. Etwa durch eine angemessene Honorierung der koordinierenden Leistungen, die Hausärzte vor allem für ihre immer älter werdenden Patienten jetzt schon leisten. Auch die Bürokratie in der Kassenmedizin sinke nicht, sondern ufere aus, betonten Schlocker und Glehr. Außerdem fehle es immer noch an einem der ärztlichen Realität angepassten Gruppenpraxengesetz, das es Ärzten erlauben würde, Kolleginnen und Kollegen anzustellen, sodass eine Arbeitsteilung und damit attraktivere Öffnungszeiten für Patienten möglich würden. Auch die Umsetzung der dringend erforderlichen Ausbildungsreform lasse noch auf sich warten. Ein wichtiger Aspekt dieser Reform sei die Pressekonferenz: Tag der Allgemeinmedizin, 24.04.2013 2

Absolvierung einer verpflichtenden, mindestens einjährigen Lehrpraxis. Nach wie vor sei allerdings eine Förderung der Lehrpraxen in der Höhe von ca. 15 Millionen Euro jährlich nicht in Sicht obwohl der Kompetenzgewinn für Jungmediziner unbestritten sei. Service: Unterlagen zum Tag der Allgemeinmedizin und vollständige elektronische PK- Unterlage unter www.aerztekammer.at Rückfragehinweis: Mag. Andrea Riedel Österreichische Ärztekammer, Pressestelle Nibelungengasse 13/5 1010 Wien Tel 01/5131833-45 E-Mail a.riedel@aerztekammer.at Pressekonferenz: Tag der Allgemeinmedizin, 24.04.2013 3

STATEMENTS Dr. Reinhold Glehr, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Arzt für Allgemeinmedizin: Dem rasanten medizinisch-technischen Fortschritt entspricht ein ebenso dramatischer demografischer und epidemiologischer Wandel: Die Lebenserwartung steigt und damit der Anteil älterer Menschen, die oft mit mehreren chronischen Erkrankungen zurechtkommen müssen. Auch Lebensstilerkrankungen wie Adipositas oder die verstärkte Wahrnehmung psychischer Leiden stellen große Herausforderungen für soziale Gesundheitssysteme dar. In Österreich haben Bund und Länder in einer 15a-Vereinbarung die Eckpfeiler einer Gesundheitsreform beschlossen, die nun mit Leben zu erfüllen ist. Ein zentraler Punkt ist die Aufwertung der Primärversorgung. Diese ist in Österreich relativ wenig entwickelt. Es liegt daher nahe, wissenschaftlich evaluierte Modelle in vergleichbaren europäischen Gesundheitssystemen zu betrachten. So haben etwa im deutschen Baden-Württemberg Ärzte und Krankenkasse mit der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) wichtige Weichen in Richtung Qualität, Wertschätzung, Kooperation und Aufwertung der Hausarztmedizin gestellt. In vielen Bereichen deckt sich die Baden-Württemberger HZV mit dem von der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) entwickelten Haus- und Vertrauensarztmodell. Im Folgenden seien einige Punkte exemplarisch herausgegriffen: Patientenbindung an den frei zu wählenden Haus- und Vertrauensarzt durch Anreizsysteme: Der Patient kann sich auf seinen Hausarzt als ersten Ansprechpartner verlassen, der ihn wenn nötig gezielt an die jeweils geeignete Stelle in der Versorgungspyramide lotst. Der Patient vermeidet oft langwierige Umwegdiagnosen durch ungesteuert aufgesuchte Fachärzte oder Ambulanzen. Die zielgerichtete Inanspruchnahme der Versorgungsebenen entlastet das System. Verstärkte Prävention: Durch die kontinuierliche, langfristige Betreuung erkennt der Allgemeinmediziner Verschlechterungen im Gesundheitszustand seiner Patienten frühzeitig bzw. kann durch rechtzeitige Prävention vorbeugen. Das erspart dem Betroffenen im Idealfall Krankheit und Leid und dem Gesundheitssystem Kosten. Umfassende Betreuung unter Einbeziehung der psychischen Gesundheit: Der Hausarzt gewinnt Einblick in das familiäre und berufliche Umfeld des Patienten, er kann so auch psychische Ursachen von Krankheiten frühzeitig erkennen und konkrete, ganzheitliche Behandlungsschritte vorschlagen, was zur Reduktion von Folgekosten für reine Symptombehandlungen beitragen kann. Weniger Bürokratie in den Ordinationen mehr Zeit für Gesprächsmedizin und ärztliche Zuwendung: Gerade bei der immer größer werdenden Gruppe älterer und chronisch kranker Patienten scheitert der Behandlungserfolg oft an mangelnder Therapietreue (Compliance). Zuwendung und Gesprächsmedizin gelten daher in der hausarztzentrierten Versorgung nicht als Luxus, sondern als wesentliches Behandlungselement. Nicht alle Elemente des auf das deutsche Gesundheitssystem abgestimmten Baden- Württemberger Modells lassen sich eins zu eins auf Österreich übertragen dennoch hat dieser Weg zu Erfolgen geführt, auf die auch das ÖÄK-Hausarztmodell abzielt. Die heimischen Gesundheitspolitiker sind nun endlich aufgefordert, ihre Bekenntnisse zu einer Stärkung der Hausarztmedizin in die Tat umzusetzen. Pressekonferenz: Tag der Allgemeinmedizin, 24.04.2013 4

Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg Die AOK Baden-Württemberg nimmt in Deutschland im Hinblick auf wettbewerbliche Selektivverträge eine Vorreiterrolle ein. Wir waren die erste Krankenkasse, die ihren Versicherten einen umfassenden qualitätsorientierten Hausarztvertrag als Alternative zur Regelversorgung angeboten hat. Im Mai 2013 feiern wir fünf Jahre Vertragsunterzeichnung. Seitdem sind mehrere Facharztverträge hinzugekommen, die eng an den Hausarztvertrag angebunden sind und auf strukturierte Zusammenarbeit im niedergelassenen Bereich fokussieren. Mit den Selektivverträgen übernehmen wir gemeinsam mit freien Ärzteverbänden als Vertragspartner den Sicherstellungsauftrag für die medizinische Versorgung unserer Versicherten. Aktuell sind bereits 1,1 Millionen Versicherte in Baden- Württemberg in den AOK-Hausarztvertrag eingeschrieben, am Facharztprogramm nehmen bei stark steigender Tendenz über 150.000 Versicherte teil. Ein ganz wesentlicher Faktor für den Erfolg unseres Hausarztvertrags ist das vertrauensvolle und partnerschaftliche Verhältnis der Vertragspartner. Es handelt sich dabei um echte Vertragspartnerschaft und nicht etwa um eine gesetzlich verordnete Zwangsehe. Der Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg schafft im Zusammenspiel mit den Facharztverträgen ideale Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige, leitlinienorientierte und effiziente Versorgung der Versicherten in eigener Verantwortung. Durch die attraktive und planbare Vergütung für die Ärzte und die nachhaltige Stärkung der zentralen Rolle des Hausarztes als Lotse im Gesundheitswesen wird das Berufsbild des Hausarztes aufgewertet. Dass wir mit unserem Hausarztvertrag voll auf Kurs sind, hat die wissenschaftliche Evaluation unter der Leitung der renommierten Versorgungsforscher Prof. Gerlach und Prof. Szecsenyi von den Universitäten Frankfurt/Main und Heidelberg vom Juni 2012 eindrucksvoll bestätigt. Sie belegt insbesondere, dass chronisch Kranke, die in den Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg eingeschrieben sind, besser versorgt sind. Sie haben mehr Kontakte zu ihrem Hausarzt, die Zahl der unkoordinierten Facharztbesuche geht gleichzeitig zurück und die Werte für rationale Pharmakotherapie steigen. Die Evaluation hat auch ergeben, dass die Zufriedenheit der Ärzte trotz höherer Arbeitsintensität zunimmt. Pressekonferenz: Tag der Allgemeinmedizin, 24.04.2013 5

Dr. Harald Schlocker, stellvertretender Obmann der Sektion Allgemeinmedizin in der Österreichischen Ärztekammer und Arzt für Allgemeinmedizin Es herrscht Einigkeit darüber, dass eine gute Primärversorgung durch Allgemeinmediziner die Basis jedes gut funktionierenden Gesundheitswesens ist. Ebenso unbestritten ist, dass sich eine hausarztzentrierte Versorgung positiv auf das gesamte Gesundheitssystem und die Volkswirtschaft auswirkt: Durch zielgerichtete Inanspruchnahme können sich die einzelnen Versorgungsebenen Hausarzt, niedergelassenener Facharzt, Spitalsambulanz auf ihren jeweiligen Aufgaben konzentrieren. Das hebt die Betreuungsqualität und erlaubt eine bessere Nutzung der Ressourcen. Hausärztliche Begleitung ermöglicht auch frühzeitige und damit effektive Prävention, was nicht zuletzt von sozialökonomischer Bedeutung ist. Obwohl all das auch von der heimischen Gesundheitspolitik nicht bestritten wird, ist man bis dato nicht über Lippenbekenntnisse zur Stärkung des Hausarztes hinausgekommen. Und das obwohl die Primärversorgung bei uns eine erschreckend unklare bzw. untergeordnete Rolle spielt: Internationalen Erfahrungen gemäß sollten Allgemeinmediziner mindestens ein Drittel besser noch die Hälfte aller versorgungsrelevanten Ärzte ausmachen. Hierzulande sind jedoch gerade einmal 16 Prozent aller Ärzte als Allgemeinmediziner tätig. Studien belegen, dass eine von Allgemeinmedizinern koordinierte Betreuung speziell für chronisch Kranke von Vorteil ist. Dies zeigt auch die Evaluierung der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) in Baden-Württemberg. Umfragen belegen die hohe Zufriedenheit der eingeschriebenen Patienten und auch die Berufszufriedenheit der Hausärztinnen und -ärzte ist laut Hausärzteverband Baden-Württemberg gestiegen. Dieses Modell ließe sich für Österreich schon wegen unterschiedlicher gesetzlicher und sozialpartnerschaftlicher Rahmenbedingungen nicht einfach übernehmen, liefert jedoch Anregungen zur Neuorientierung der heimischen Primärversorgung. Vor allem aber bestätigt es in vielen Punkten das von der Bundeskurie niedergelassene Ärzte (BKNÄ) gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) entwickelte und 2010 beschlossene Haus- und Vertrauensarztmodell, das noch der politischen Umsetzung harrt. Eckpunkte des Haus- und Vertrauensarztmodells Der auf der e-card eingetragene Haus- bzw. Vertrauensarzt ist erster Ansprechpartner und Lotse der Patienten, nicht aber rigider Gatekeeper. Das würde die hausärztliche Kompetenz aufwerten und das Image und die Attraktivität des Berufs in den Augen des medizinischen Nachwuchses heben. Trotz Beibehaltung der freien Arztwahl ist die Versorgungspyramide einzuhalten. Der Zugang zum System erfolgt über die jeweils unterste notwendige Ebene meist also über den Hausarzt. Das würde für medizinische wie ökonomische Effizienz sorgen und insbesondere die völlig überbeanspruchten Spitalsambulanzen entlasten. Nötige Voraussetzungen für die Umsetzung des Haus- und Vertrauensarztmodells Entsprechende gesetzliche und vertragspartnerschaftliche Regelungen Anreize für Patienten (z.b. Abschläge bei Sozialversicherungsbeitrag oder Rezeptgebühren) Adäquate Honorierung der Haus-/Vertrauensärzte durch die Sozialversicherung (ein Mix aus pauschalen und leistungsbezogenen Anteilen ist vorstellbar) Registrierung des Haus-/Vertrauensarztes auf der e-card Verpflichtende Befundübermittlung in alle Richtungen (Hausarzt Fachärzte Spital) Intensivere Aus- u. Weiterbildung der eingetragenen Hausärzte Fünfjährige Ausbildung zum (Fach-)Arzt für Allgemeinmedizin Verpflichtende, mindestens einjährige Lehrpraxis, ausreichend öffentlich finanziert Schaffung neuer Formen ärztlicher Kooperation unter Wahrung der Freiberuflichkeit Pressekonferenz: Tag der Allgemeinmedizin, 24.04.2013 6