12. Wahlperiode 06. 03. 97



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Transkript:

Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 12 / 1137 12. Wahlperiode 06. 03. 97 Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums Stillegungs- und Entsorgungsfonds für Atomkraftwerke Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen I. zu berichten, 1. wie sie den Vorschlag der im Auftrag des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie erstellten Studie Volkswirtschaftliche Vorteile und höhere Finanzierungssicherheit durch einen Stillegungs- und Entsorgungsfonds beurteilt, daß die Rückstellungen für Stillegung, Rückbau und Entsorgung im Kernenergiebereich in einen öffentlich-rechtlichen Fonds eingebracht werden, damit eine größere Finanzierungssicherheit bei der Stillegung und Entsorgung atomarer Anlagen erreicht wird, die unberechtigte kostengünstige Innenfinanzierung der AKW-Betreiber neutralisiert wird und zudem die Zinserträge der in den Fonds eingebrachten Gelder für ein Förderprogramm für Klimaschutzprojekte genutzt werden; 2. wie hoch die Rückstellungen für Stillegung, Rückbau und Entsorgung von atomaren Anlagen in Baden-Württemberg derzeit sind a) bei den einzelnen EVU b) bei den Kernkraftwerks-Betreiber-Gesellschaften; Eingegangen: 06. 03. 97 / Ausgegeben: 25. 04. 97 1

3. inwieweit sie die Einschätzung des o. g. Gutachtens teilt, daß die Verfügungsmacht der großen EVU bzw. der AKW-Betreibergesellschaften über die Rückstellungen für Stillegung und Rückbau der AKW eine aus wettbewerbspolitischer, energie- und finanzpolitischer Sicht übergroße Bevorteilung der großen Monopolunternehmen zu Lasten von kleineren EVU, Steuerzahlern und Stromkunden darstellen (S. 22); 4. inwieweit sie die Einschätzung des o. g. Gutachtens teilt, daß die Errichtung eines solchen öffentlich-rechtlichen Fonds nicht dem Eigentumsschutz des Artikels 14 GG widerspricht und daher verfassungsrechtlich grundsätzlich möglich ist, sofern eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird; II. im Bundesrat eine Initiative dafür zu ergreifen, daß der im o. g. Gutachten vorgeschlagene Stillegungs- und Entsorgungsfonds für Kernkraftwerke geschaffen wird. 06. 03. 97 Dr. Witzel, Kuhn und Fraktion 2 Begründung Laut Atomgesetz sind Atomkraftwerksbetreiber für die Verwertung und Beseitigung radioaktiver Abfälle und ordentliche Stillegung ihrer Atomanlagen nach Ende der Betriebszeit zuständig. Aufgrund dieser Verpflichtung sind sie gezwungen, für Stillegung und Entsorgung Gelder zurückzustellen. Die gesamten deutschen Rückstellungen für diese Zwecke betrugen 1994 mehr als 44 Milliarden DM und sie werden in den nächsten Jahren im Falle unveränderter Atomenergienutzung auf etwa 67,3 Milliarden DM ansteigen. Die derzeitige Praxis der Rückstellungen ist in doppelter Hinsicht zu kritisieren: 1. Die derzeitige Rückstellungspraxis widerspricht dem Ziel eines fairen Wettbewerbs Die Stillegungs- und Entsorgungskosten stellen derzeit für die AKW-Betreiber ungewisse Verbindlichkeiten dar. Die Rücklagen hierfür müssen gemäß Handelsgesetzbuch ( 249 Abs. 1 Satz 2) nicht zweckgebunden angelegt werden, sondern es sind lediglich entsprechende Passivposten in die Bilanz aufzunehmen. Innerhalb von 19 Jahren müssen dabei die geschätzten Stillegungs- und Entsorgungskosten angesammelt werden. Die Zuführungen in die Rücklage stellen in diesen Jahren in der Gewinn- und Verlustrechnung sonstigen betrieblichen Aufwand dar, ohne daß dem tatsächlich schon ein konkreter Aufwand gegenübersteht. Damit führt diese Form der Rückstellungen zu einer mehr oder weniger lang andauernden Stärkung der Liquidität der AKW-Betreiber. Dies bedeutet unbestritten eine enorme kostengünstige Innenfinanzierung der AKW-Betreiber, die von diesen genutzt wird, einerseits ihre Monopolstellung auszubauen (Aufkauf von Anteilen an Stadtwerken) und andererseits ihre Aktivitäten in andere Branchen auszuweiten (Abfallwirtschaft, Telekommunikation, Wasserversorgung). Dies ist aus energiepolitischen, volkswirtschaftlichen und ordnungspolitischen Gründen abzulehnen. 2. Die derzeitige Rückstellungspraxis bietet keine Finanzierungssicherheit Derzeit bestehen erhebliche Risiken, ob im Falle der Stillegung tatsächlich Mittel in der benötigten Höhe bereitstehen. Insbesondere zwei Fälle verdienen hier Beachtung:

Die Betreibergesellschaft hat die Stillegungskosten unterschätzt und hat daher nicht im ausreichenden Umfang Rücklagen gebildet: Derzeit gibt es weltweit noch keine Erfahrungen mit dem Abriß länger betriebener, größerer Leichtwasserreaktoren. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion GRÜNE in Drucksache 11/2115 stellt die Landesregierung daher fest: Die in der Anfrage zitierte Aussage amerikanischer Experten, daß die Kosten für das Abwracken eines Atomkraftwerks fast ebenso hoch seien wie die Baukosten, könnte im Einzelfall zutreffen. (S. 13) Wenn dieser Fall einträte, wären zum Beispiel im Fall der Atomkraftwerke in Neckarwestheim und Philippsburg die gebildeten Rücklagen zu gering, das heißt die Finanzierungssicherheit wäre nicht gegeben. Die Betreibergesellschaft hat zwar in ausreichendem Umfang Gelder zurückgestellt, diese wurden aber zweckentfremdet verwendet und stehen daher nicht in der benötigten Liquidität bzw. nicht zeitgerecht zur Verfügung. Besonderes Augenmerk ist in diesem Zusammenhang darauf zu richten, daß die Betreibergesellschaft eine GmbH ist und somit in Konkurs geraten kann. Dieses Risiko war in der Vergangenheit aufgrund der Monopolstellung der EVU rein theoretischer Natur, im Rahmen der Liberalisierung der Strommärkte wird es aber real: Es besteht die Gefahr, daß die für Stillegung und Entsorgung bestimmten Gelder teilweise oder auch ganz verlorengehen, wenn die Betreibergesellschaft bzw. das EVU in Konkurs gerät, denn die Rückstellungen gehören zur Konkursmasse und stehen damit bei einem ungünstigen Ausgang des Konkursverfahrens ihrem bestimmungsgemäßen Zweck nicht mehr zur Verfügung. Wenn die Stillegungsfinanzierung durch die Betreibergesellschaften bzw. das EVU scheitert, so muß der Staat einspringen. Dies hat sich zum Beispiel bei der Stillegung des THTR in Hamm-Uentrop gezeigt: Die in den Jahren 1992 1994 drohende Überschuldung erforderte beträchtliche Zuwendungen des Landes Nordrhein-Westfalen. Stillegungs- und Entsorgungsfonds Angesichts dieser Kritik an der derzeitigen Rückstellungspraxis wurde von Wolfgang Irrek im Auftrag des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie die Studie Volkswirtschaftliche Vorteile und höhere Finanzierungssicherheit durch einen Stillegungs- und Entsorgungsfonds Eine Untersuchung der Bildung von Rückstellungen für Stillegung, Rückbau und Entsorgung im Kernenergiebereich (Wuppertal Papers Nr. 53, 1996) erstellt und vorgelegt. In dieser Studie schlägt Irrek vor, die o. g. Schwächen der derzeitigen Rückstellungspraxis dadurch zu beseitigen, daß die gesamten Rückstellungen aller Atomkraftwerke in einen öffentlichen Fonds eingebracht werden. Sobald die Gelder für ihren bestimmungsgemäßen Zweck benötigt werden, können sie dem Fonds entnommen werden. Auf diese Weise können die oben dargestellten Nachteile der derzeitigen Regelung vermieden werden: Die übergroße Bevorteilung der großen Monopolunternehmen, die Atomkraftwerke betreiben, wird abgebaut. Die rückgestellten Gelder werden konkursfest gemacht. Ungenügende Rückstellungen im Einzelfall werden durch die Poolbildung kompensiert. Die Einrichtung eines solchen öffentlichen Fonds ist nach Irrek verfassungsmäßig grundsätzlich möglich, u. a. weil die Rückstellungen Betriebsvermögen darstellen, das nicht dem Eigentumsschutz des Artikels 14 GG unterliegt, und 3

weil auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch diese Fondsregelung nicht verletzt wird (S. 31 ff.). Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Wie Irrek vorschlägt, könnte die Verwaltung des Fonds durch eine öffentliche Institution, zum Beispiel die Deutsche Ausgleichsbank, erfolgen. Die Zinseinnahmen des Fonds, die durch die Anlage der Fondsgelder entstehen, können zur Förderung volkswirtschaftlich sinnvoller Klimaschutzprojekte eingesetzt werden. Die Sicherheit der Stillegungs- und Entsorgungsfinanzierung könnte nach Schweizer Vorbild durch eine solidarische Nachschußpflicht aller Atomkraftwerksbetreiber und mögliche Bundesvorschüsse verbessert werden. Die Fondslösung stellt kein Hindernis für einen kurzfristigen Atomausstieg dar, da der größte Teil der Gelder erst beim Abriß der Atomkraftwerke und der Endlagerung der radioaktiven Abfälle benötigt wird, und nicht schon bei der vorausgehenden Phase der Stillegung und des sicheren Einschlusses. Bis dahin könnte der Fonds problemlos die vorgeschlagenen Förderprogramme speisen. 4

Stellungnahme Mit Schreiben vom 27. März 1997 Nr. 5-4643/20 nimmt das Wirtschaftsministerium für die Landesregierung zu dem Antrag wie folgt Stellung: Die finanzielle Vorsorge für die erst in Zukunft anfallenden Stillegungs- und Entsorgungskosten von Kernkraftwerken ist sinnvoll. Nach geltendem Handelsrecht geschieht dies in Form von Rückstellungen. Während der Betriebszeit eines Kernkraftwerks werden sukzessive die Mittel angespart, die für die spätere Endbeseitigung der beim Betrieb der Anlage angefallenen radioaktiven Abfälle und die Stillegung der Anlage nach deren Betriebseinstellung benötigt werden. Die für Rückstellungen eingesetzten Gelder sind ertragbringend anzulegen. Die Erträge fließen in das sogenannte Finanzergebnis des Unternehmens ein. Finanzergebnis und Betriebsergebnis bilden das Geschäftsergebnis, von dem dann noch die Steuern abzuziehen sind. Ein gutes Finanzergebnis erlaubt niedrigere Strompreise. Bei der Wahl der Anlagenstrategie und der Anlagenform sind neben den Ertragschancen auch die Risiken zu bedenken, die die gewählte Anlageform mit sich bringt. Neben der Erzielung eines möglichst hohen Ertrags muß es auch sein Ziel sein, im Zeitpunkt der Fälligkeit der künftigen Verbindlichkeiten, für deren Erfüllung die Rückstellungen gebildet wurden, über die dafür erforderlichen Mittel zu verfügen. Dies vorausgeschickt nimmt das Wirtschaftsministerium im einzelnen wie folgt Stellung: Zu I. 1.: Die im Zusammenhang mit der Anlage angesammelter Liquidität zu treffenden Entscheidungen sind ureigene Aufgabe des Unternehmers selbst. Daß sie von Außenstehenden (einem Fonds ) besser gelöst werden können, ist eine unbewiesene und auch nicht zu beweisende Behauptung. Auch in der angeführten Studie bleibt dies eine bloße Behauptung; eine Verbesserung der Finanzierungssicherheit durch eine Fondslösung wird noch nicht einmal plausibel dargelegt. Dies ist auch nicht möglich: wie sicher und wie ertragreich eine bestimmte Anlage ist, ist nur von ihr selbst abhängig, nicht aber davon, wer sie getätigt hat; der Unternehmer oder ein Fondsverwalter. Selbstverständlich ist jeder Unternehmer jederzeit in der Lage, sich bei der Anlage seiner Liquidität des Rats fachkundiger Institutionen zu bedienen. Im Rahmen ihres Anlageportfolios setzen die EVUs auch Spezialfonds von Kapitalanlagegesellschaften ein. Im übrigen gibt es derzeit keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß den in den Bilanzen der baden-württembergischen EVU und ihrer Töchter ausgewiesenen Rückstellungen keine ausreichenden Aktiva gegenüberstehen und deshalb die Finanzierungssicherheit in Frage gestellt wäre. Das Beispiel des nur kurze Zeit betriebenen THTR kann nicht zum Beweis der Finanzierungsunsicherheit des derzeit beschrittenen Wegs angeführt werden. Dieser Weg setzt selbstverständlich voraus, daß die betreffende kerntechnische Anlage wenigstens solange betrieben wird und Erträge erwirtschaftet, wie dies zur Ansammlung der späteren Entsorgungs- und Stillegungskosten erforderlich ist. Das THTR-Problem würde über einen Fonds nicht besser gelöst. Die Verwendung der über Rückstellungen angesammelten Liquidität für die Finanzierung eigener Investitionen kann im Einzelfall eine sehr sinnvolle Anlageform sein, etwa wenn sonst zu diesem Zweck Fremdmittel in Anspruch genommen werden müßten, für die höhere Zinsen zu zahlen wären, als die mit einer Anlage der gebildeten Rückstellungen erzielbaren Habenzinsen. Warum die Verwendung zurückgestellter Gelder zur Innenfinanzierung prinzipiell als bedenklich anzusehen sein soll, wie dies die angeführte Studie annimmt, ist nicht nachvollziehbar. Auch der Erwerb von Unternehmensbeteiligungen muß prinzipiell als eine sinnvolle Anlageform angesehen werden. Die in der Studie vorgeschlagene Verwendung der Erträge eines Stillegungsfonds für ein staatliches Förderprogramm für Klimaschutzprojekte ist unzulässig. Die Erträge eines Fonds, dessen Bildung gesetzlich vorgegeben wird, könnten nur für 5

eben den Zweck eingesetzt werden, in dem die Legitimation für seine Bildung gesehen wird. Zu I. 2.: Die Rückstellungen werden bei den Betreiber- und Besitzgesellschaften oder bei den an ihnen beteiligten EVUs gebildet. Rückstellungen werden gebildet für Stillegung, Rückbau und Entsorgung kerntechnischer Anlagen, für den Restbetrieb nach letztmaliger Abschaltung, für einzelne besondere Sonderentsorgungsmaßnahmen, für Verpflichtungen zur Übernahme der Betriebskosten des Bundesendlagers ( 21 b AtG) sowie für die Entsorgung von abgebrannten Brennelementen. a) In den Bilanzen der vier großen baden-württembergischen EVUs (Stand 31. Dezember 1995) sind nachfolgend genannte Rückstellungen für Stillegung kerntechnischer Anlagen und Entsorgung ausgewiesen: Badenwerk: 918,4 Mio. DM 1) EVS: 1 050,0 Mio. DM 2) ; Konzern: 1 526 Mio. DM 2a) Neckarwerke: keine; Konzern: 1 726 Mio. DM 3) TWS: keine; Konzern: 1 789 Mio. DM 4) 1) für KKP I und II; zzgl. sind zurückgestellt 7,6 Mio. DM für KWO, die jedoch zur Auflösung anstehen 2) für Stillegung KKP I und II, daneben sind noch bei der EVS zurückgestellt 79 Mio. DM für andere Risiken im Kernenergiebereich 2a) mit EVS Kernkraft GmbH (EKK), Neckarwestheim; in der Bilanz der EKK sind 80,3 Mio. DM Leistungsanteil Deutsche Bahn AG für die Stillegung von GKN II und für die Entsorgung abgebrannter Brennemente enthalten 3) diese Rückstellungen sind in der Bilanz der Neckarwerke Kernkraft GmbH (NKK), Neckarwestheim, enthalten 4) diese Rückstellungen sind in der Bilanz der TWS Kernkraft GmbH (TKK), Gemmrigheim, vermerkt; der Leistungsanteil Deutsche Bahn AG ist darin enthalten b) Die Rückstellungen für Stillegung und Entsorgung betragen nach Angaben der Betreiber (Stand 31. Dezember 1996) bei: KKP GmbH: 2 470 Mio. DM 5) GKN GmbH: keine 6) KWO GmbH: 1 679 Mio. DM 5) für die Entsorgung abgebrannter Brennelemente, im übrigen siehe Badenwerk und EVS 6) GKN GmbH ist Betriebsführungsgesellschaft; Rückstellungen sind bilanziert bei den Besitzgesellschaften NKK, TKK und EKK, an denen auch die DB und die ZEAG EW Heilbronn beteiligt sind Für die Stillegung kerntechnischer Anlagen und Entsorgung bei den baden-württembergischen Kernkraftwerken sind damit etwa 10 Mrd. DM zurückgestellt. Zu I. 3.: Die Höhe der während der Betriebszeit eines Kernkraftwerks angesammelten Rückstellungen hängt ausschließlich von der voraussichtlichen Höhe der künftigen Verbindlichkeiten ab, zu deren Begleichung die Rückstellungen gebildet werden. Die Finanzverwaltung achtet sorgfältig darauf, daß keine darüber hinausreichenden Rückstellungen gebildet werden, da dies eine Steuerverkürzung zur Folge hätte. Deshalb werden die voraussichtlich anfallenden Entsorgungs- und 6

Stillegungskosten immer wieder auf der Grundlage des neuesten Wissensstandes sorgfältig abgeschätzt. Die Konstellation, daß im Hinblick auf künftige Verbindlichkeiten große Vermögen angesammelt werden müssen, ist weder neu noch einmalig. In der Versicherungswirtschaft war dies immer erforderlich und ist trotz der damit verbundenen wirtschaftlichen Macht bisher von keiner Seite in Frage gestellt worden. Besonderheiten, die eine grundlegend andere Bewertung der für die Entsorgung und Stillegung von Kernkraftwerken gebildeten hohen Rückstellungen rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar. Zu I. 4.: Die in der Studie aufgestellte Behauptung, daß die Errichtung eines öffentlichrechtlichen Fonds zur Finanzierungssicherung der Stillegung und Entsorgung der Kernkraftwerke, in den alle bereits angesammelten und zukünftig zuzuführenden Rückstellungsgelder überführt werden, verfassungsrechtlich grundsätzlich möglich sei, wird einer juristischen Überprüfung mindestens bezüglich der bereits gebildeten Rückstellungen und des mit der angesammelten Liquidität gebildeten Anlagevermögens nicht Stand halten. Bei der angesammelten Liquidität handelt es sich keineswegs um Gelder in Höhe von 44,7 Mrd. DM, die einfach von einem Konto abgezogen bzw. auf ein anderes umgebucht werden könnten. Bei den den Rückstellungen entsprechenden Aktiva handelt es sich vielmehr je nach gewählter Anlagenstrategie um Beteiligungen, Wertpapiere, Forderungen usw. Der Entzug der Verfügungsbefugnis über dieses Eigentum ist eine Enteignung. Auf der anderen Seite erscheint es auch nach Auffassung der Landesregierung nicht von vornherein rechtlich ausgeschlossen, für neue Anlagen die Finanzierung ihrer Entsorgung und Stillegung über einen Fonds abzusichern. Seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit wird allerdings entscheidend von seiner Ausgestaltung abhängen. Zu II.: Die Landesregierung beabsichtigt nicht, eine Bundesratsinitiative zur Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung eines Stillegungs- und Entsorgungsfonds für Kernkraftwerke zu ergreifen. Dr. Döring Wirtschaftsminister 7