7: GmbH in der Krise I. Materielle Insolvenz II. Geschäftsführerhaftung III. Gesellschafterhaftung Folie 143
Tatbestand der Insolvenz Zahlungsunfähigkeit ( 17 InsO) Andauerndes Unvermögen, die wesentlichen fälligen Geldverbindlichkeiten noch zu berichtigen. Überschuldung ( 19 InsO) Anwendbar auf Gesellschaften ohne persönlich haftenden Menschen - In einer Überschuldungsbilanz überwiegen die Passiva die Aktiva und - die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen nicht überwiegend wahrscheinlich (Liquiditätsprognose auf Basis eines Finanzplans). Folie 144
Zahlungsunfähigkeit ( 17 f. InsO) Zahlungsunfähigkeit ( 17 InsO) - Zeitpunkt-Illiquidität - Abgrenzung zur Zahlungsstockung (BGHZ 163, 134): Liquiditätslücke von mehr als 10 % Nicht innerhalb von drei Wochen zu beseitigen Aber: Ausnahmen möglich - Zahlungsunfähigkeit bei geringerer Lücke - Keine Zahlungsunfähigkeit wegen besonderer Umstände Drohende Zahlungsunfähigkeit ( 18 InsO) - Zeitraum-Illiquidität Folie 145
Überschuldungsprüfung, 19 InsO n. F. Überschuldungsbilanz nach Zerschlagungswerten: Überwiegen die Passiva die Aktiva? Fortführungsprognose ( 19 II): Ist Fortführung des Unternehmens wahrscheinlich? Ja Nein Keine Überschuldung Ja Keine Überschuldung Nein Überschuldung steht fest. Folie 146
Überschuldungsprüfung nach 19 InsO a.f. Überschuldungsbilanz nach Zerschlagungswerten: Überwiegen die Passiva die Aktiva? Nein Fortführungsprognose (19 II 2): Ist Fortführung des Unternehmens wahrscheinlich? Ja Keine Überschuldung Ja Nein Überschuldungsbilanz nach Betriebsfortführungswerten: Überwiegen die Passiva die Aktiva? Ja Überschuldung steht fest. Überschuldung steht fest. Nein Keine Überschuldung Folie 147
II. Geschäftsführerhaftung I. Insolvenzantragspflicht, 15a InsO II. Zahlungsverbot, 64 S. 1 GmbHG III. Zahlungsverbot, 64 S. 3 GmbHG Folie 148
Haftung wegen Insolvenzverschleppung ( 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO) Verpflichteter - Geschäftsleiter einer Gesellschaft ohne persönlich haftende natürliche Person - Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit Unterlassen des Insolvenzantrags - Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung - Unverzüglicher Insolvenzantrag, maximal drei Wochen Verschulden, 276 BGB Geschützter Personenkreis - Altgläubiger (Quotenschaden, Folge: 92 InsO) - Neugläubiger (Vertrauensschaden, BGHZ 126, 181) Folie 149
BGHZ 126, 181 1. Ein Geschäftsführer haftet unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß nicht deswegen persönlich für eine Verbindlichkeit der GmbH, weil er zugunsten der Gesellschaft Sicherheiten aus seinem eigenen Vermögen zur Verfügung gestellt hat. 2. Die (Neu-)Gläubiger, die ihre Forderungen gegen die GmbH nach dem Zeitpunkt erworben haben, zu dem Konkursantrag hätte gestellt werden müssen, haben gegen den insoweit schuldhaft pflichtwidrig handelnden Geschäftsführer einen Anspruch auf Ausgleich des vollen - nicht durch den "Quotenschaden" begrenzten - Schadens, der ihnen dadurch entsteht, daß sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen GmbH getreten sind (insoweit Aufgabe BGHZ 29, 100). Folie 150
BGH ZIP 2012, 1174 1. Verfügt der Geschäftsführer einer GmbH nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss, hat er sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person beraten zu lassen. 2. Der Geschäftsführer darf sich nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen, sondern muss auch auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken. Folie 151
BGH ZIP 2012, 723 Die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung gelten nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung als bewiesen, wenn der Geschäftsführer einer GmbH, der von einem Gesellschaftsgläubiger wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch genommen wird, seine Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen verletzt hat und dem Gläubiger deshalb die Darlegung näherer Einzelheiten nicht möglich ist. Folie 152
Haftung wegen Masseschmälerung ( 64 Satz 1 und 2 GmbHG) Adressat: Geschäftsführer + faktische Geschäftsführer Zahlungen und sonstige Masseschmälerungen - Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung - Weiter Zahlungsbegriff (Zweck, verteilungsfähiges Vermögen einer insolvenzreifen Gesellschaft zu erhalten) Zahlungen, Lieferungen Rechtsübertragungen, Dienstleistungen Gegenleistungen können ausschließen Irrelevant ist Begründung von Verbindlichkeiten Ausschluss durch Absatz 2 - Aufrechterhaltung des (sanierungsfähigen) Betriebs - Normkonflikt bei drohender Strafbarkeit (Ausnahmefall) Verschulden (Erkennbarkeit) Folie 153
Erinnere: BGH ZIP 2010, 1988 Doberlug Die Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats einer GmbH sind bei einer Verletzung ihrer Überwachungspflicht hinsichtlich der Beachtung des Zahlungsverbots aus 64 S. 1 GmbHG nur dann der GmbH gegenüber nach 93 Abs. 2, 116 AktG, 52 GmbHG ersatzpflichtig, wenn die Gesellschaft durch die regelwidrigen Zahlungen in ihrem Vermögen i.s. der 249 ff geschädigt worden ist. Die Aufsichtsratsmitglieder haften dagegen nicht, wenn die Zahlung - wie im Regelfall - nur zu einer Verminderung der Insolvenzmasse und damit zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger geführt hat. Folie 154
BGH ZIP 2007, 1265 1. Ein organschaftlicher Vertreter, der bei Insolvenzreife der Gesellschaft den sozial- oder steuerrechtlichen Normbefehlen folgend Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherung oder Lohnsteuer abführt, handelt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und ist nicht nach 92 Abs. 3 AktG oder 64 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft gegenüber erstattungspflichtig (- insoweit - Aufgabe von BGHZ 146, 264). 2.... Folie 155
BGH ZIP 2011, 422 Ls: Der Geschäftsführer haftet nicht nach 64 S. 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife rückständige Umsatz- und Lohnsteuern an das Finanzamt und rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zahlt. Tz. 13: Zum einen ist die freiwillige Nachzahlung der Steuer ein Umstand, der bei der Verhängung und Bemessung der Geldbuße jedenfalls nach 17 Abs. 3, 4 OWiG, 377 Abs. 2 AO zugunsten des Geschäftsführers zu berücksichtigen ist. Zum anderen entfällt mit der Nachzahlung auch die persönliche Haftung des Geschäftsführers nach 69. 34 Abs. 1 AO. Folie 156
Erweiterte Geschäftsführerhaftung ( 64 Satz 3 GmbHG) Adressat: Geschäftsführer (einschl. faktischer) Zahlungen an Gesellschafter - Weiter Zahlungsbegriff - Gleich welcher Rechtsgrund - Fällige Forderungen Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit - Enger Kausalzusammenhang (nicht Äquivalenz, aber auch nicht sofort ) - Problem bei Leistung auf fällige Forderungen Verbindlichkeit ist in Liquiditätsstatus einzustellen Kausalitätserfordernis ermöglicht aber weitere sicher fällig werdende Verbindlichkeiten zu berücksichtigen (sog. Pasiva II) Verschulden (Erkennbarkeit) Folie 157
OLG München ZIP 2010, 1236 (vereinfacht) Gesellschafter hatte lange vor MoMiG GmbH eigenkapitalersetzende Darlehen gewährt. Heute verlangt Gesellschafter Rückzahlung. Geschäftsführer beruft sich für GmbH - auf Auszahlungsverbot des 30 GmbHG a. F. jedoch: 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG, 3 EGGmbHG - auf Zahlungsverbot des 64 Satz 3 GmbHG Folie 158
OLG München v. 6.5.2010-23 U 1564/10 ZIP 2010, 1236 Tz. 20/21 Nach Ansicht des Senats begründen 64 S. 1 u. 3 GmbHG jeweils nur einen Erstattungsanspruch, nicht auch ein Leistungsverweigerungsrecht. Satz 3 könne sich gar nicht auf Fälle beziehen, in denen der Gesellschafter einen fälligen Anspruch gegen die GmbH hat. Fällige Ansprüche des Gesellschafters gegen die GmbH seien bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen, bevor gezahlt wird, und deshalb dürfe die Zahlung bereits nach Satz 1 nicht mehr erfolgen. Die Argumentation der Beklagten, die einerseits keinen Insolvenzantrag stellt und sich andererseits auf ein Zurückbehaltungsrecht beruft (...) ist mit dem Zweck der 64 GmbHG und 15a InsO nicht vereinbar. (...) Sie soll nicht eine Krisenfinanzierung aus Gesellschafterhand perpetuieren. Folie 159
BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689 Trihotel G ist Eigentümer des Trihotels und Gesellschafter der GmbH. Die GmbH betreibt das Trihotel (zunächst als Pächter). Es passiert: - Die GmbH übereignet ihr Hotelinventar zur Sicherheit an Mutter des G. - Pachtvertrag G und GmbH wird aufgehoben, GmbH betreibt Hotel aber als Geschäftsbesorger des neuen Pächters vorerst weiter. - Vergütung aus Geschäftsbesorgungsvertrag wird erheblich gesenkt. Insolvenzverfahren über GmbH (Aktivvermögen: 108 Euro, Verbindlichkeiten: 714.000 Euro) Insolvenzverwalter nimmt G wegen Existenzvernichtung in Anspruch. Folie 160
Sog. Existenzvernichtender Eingriff Vorwurf: Eigennütziger Entzug von Gesellschaftsmitteln statt ordnungsmäßiger Liquidation Streit über Rechtsfolgen/rechtliche Einordnung - Missbrauch der Gesellschafterstellung führe zum Wegfall des Haftungsprivilegs aus 13 Abs. 2 GmbHG, so dass Außenhaftung gegenüber den Gläubigern nach dem Rechtsgedanken des 128 HGB greife (alte BGH-Rspr.) - Missbrauch stelle Fallgruppe des 826 BGB dar: Außenhaftungsmodell (Lit.) Binnenhaftungsmodell (so jetzt BGH in Trihotel ) Folie 161
Prüfungsschema I I. Tatbestand 1. Sittenwidrige Schädigung (Fallgruppe Existenzvernichtung) a) Entzug von Gesellschaftsvermögen Geschäftsfelder- und -chancen-fälle Entzug liquider Mittel b) Keine Rechtsfertigung oder Kompensation des Entzugs Anspruch auf Entzug? Gegenleistung für Entzug? c) Planmäßiger Entzug zum eigenen Vorteil Kein bloßer Managementfehler d) Verursachung oder Vertiefung der Insolvenz e) Gesellschafterhandeln (Bedenke 830 BGB) Folie 162
Prüfungsschema II 2. Vorsatz II. Rechtsfolge Dolus eventualis in Bezug auf Sittenwidrigkeitsbegründende Tatsachen (alle vier Tb-merkmale) 1. Rechnungsposten (Differenzhypothese) Wert des entzogenen Gegenstandes Sog. Kollateralschäden (durch verursachte Insolvenz) Entgangener Gewinn 2. Haftungsbegrenzung (durch Zweck) Anspruch dient nur der Schuldendeckungsfähigkeit der Gesellschaft. Folie 163
Lösung Trihotel BGH lehnt einen existenzvernichtenden Eingriff ab, weil kein rechtwidriger Entzug von Gesellschaftsvermögen vorlag: - Übereignung besicherte gewährtes Darlehen - Aufhebungsvertrag kam Kündigung wg. Zahlungsverzugs zuvor - Niedrigere Entlohnung des Geschäftsbesorgungsvertrag entsprach der geringeren Auslastung des Hotels und Qualität des Personals Folie 164
BGH ZIP 2012, 1071 1. Veräußern die Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH in der Liquidation das Gesellschaftsvermögen an eine Gesellschaft, die von ihnen abhängig ist, kann darin nur dann ein existenzvernichtender Eingriff liegen, wenn die Vermögensgegenstände unter Wert übertragen werden. 2. Führt eine Ausschüttung an den Gesellschafter einer GmbH zu einer Unterbilanz, weil ein Darlehensrückzahlungsanspruch der Gesellschaft gegen den Gesellschafter nach bilanzrechtlichen Grundsätzen wertberichtigt werden muss, erlischt der Anspruch aus 31Abs. 1, 30 Abs. 1 GmbHG nicht schon durch die Rückzahlung des Darlehens. Folie 165