Dipl.-Ing. Frank Fischer Dipl.-Soz.Wiss. Martin Goerges. Projektmanagement in Innovationsprozessen



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Dipl.-Ing. Frank Fischer Dipl.-Soz.Wiss. Martin Goerges Projektmanagement in Innovationsprozessen Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 2014

Impressum Autoren: Herausgeber: Dipl.-Ing. Frank Fischer Dipl.-Soz.Wiss. Martin Goerges C3L Center für lebenslanges Lernen Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Auflage: 1. Auflage 2014 Redaktion: Layout, Gestaltung: Copyright: Uda Lübben Franziska Vondrlik Vervielfachung oder Nachdruck auch auszugsweise zum Zwecke einer Veröffentlichung durch Dritte nur mit Zustimmung der Herausgeber, 2014 ISSN: 1869-2958 Oldenburg, März 2014

Dipl.-Ing. Frank Fischer Hauptarbeitsgebiete Projektmanagement Training, Beratung, Coaching Projektbegleitung Projektmanagement in Innovationsprozessen Moderation von Problemlösungs-, Entscheidungsfindungs- und Teamentwicklungsprozessen Aus- und Weiterbildung mit neuen Medien (Blended Learning) Selbstmanagement & Arbeitsorganisation Frank Fischer (Jahrgang 1964) studierte Maschinenbau an der Helmut-Schmidt- Universität in Hamburg (Abschluss 1988 als Diplom-Ingenieur). Seit 2003 ist er als Trainer, Berater und Coach für Projektmanagement in Unternehmen und Non-Profit- Organisationen national und international tätig. In den Jahren 2005 und 2006 war er Studiengangskoordinator im heutigen C3L (Center für lebenslanges Lernen) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg für den berufsbegleitenden, internetgestützten Studiengang "BWL für Spitzensportler". Von März 2005 bis August 2009 vertrat er die Professur "Projektmanagement im Medienbereich" an der heutigen Jade Hochschule in Wilhelmshaven. Frank Fischer ist seit 2004 zertifizierter Senior-Projektmanager (IPMA, Level B). Im Mai 2005 erhielt er das Zertifikat Projektmanagement-Trainer von der GPM. E-Mail: frank.fischer@fischerundfriends.de

Dipl.-Sozialwissenschaftler Martin Goerges Hauptarbeitsgebiete Projektmanagement Training, Tutoring Trainingsgestaltung Konzeption, Beratung, Evaluation Aus- und Weiterbildung mit neuen Medien (Blended Learning) Projektbegleitung Projektmanagement in Innovationsprozessen Martin Goerges studierte Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. Neben den genuin sozialwissenschaftlichen Kerngebieten, umfasste dieser Studiengang in gleichberechtigter Weise volkswirtschaftliche- und rechtswissenschaftliche Anteile. Im Rahmen des Studiums beschäftigte er sich vornehmlich mit Gegenstandsbereichen entlang der Schnittlinien von Soziologie und Sozialpsychologie. Sein Augenmerk richtete er dabei verstärkt auf organisationssoziologische, gruppen- und kommunikationspsychologische Fragestellungen. Hierunter fiel insbesondere die Beschäftigung mit teambezogenen Prozessen der Informationsverarbeitung, Urteilsbildung und Entscheidungsfindung. Nach dem Abschluss des Studiums 2006 richtete er seinen Fokus verstärkt auf das Arbeitsfeld Projektmanangement. Zu den Kerninhalten seiner Arbeit zählen seither die Konzeption von Projektmanagementtrainings und die mentorielle Begleitung von Seminarteilnehmern. Inzwischen ist er als selbständiger Projektmanagementtrainer für Bildungseinrichtungen und Unternehmen tätig. E-Mail: martin.goerges@fischerundfriends.de

INHALTSVERZEICHNIS EINFÜHRUNG... 8 1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN... 11 1.1 Projekte scheitern an ihren Unsicherheiten... 12 1.2 Unsicherheit und ihre Ergebnisse... 13 1.3 Unsicherheit entsteht aus fehlendem Wissen... 15 1.4 Das Vier-Quadranten-Modell zur Abstufung von Unsicherheit... 17 2 UMGANG MIT ZIEL- UND PLANUNGS- UNSICHERHEIT... 21 2.1 Projekte und Projektmanagement im Kontext des Innovationsmanagements... 22 2.1.1 Projektverständnis... 22 2.1.2 Innovationsprojekte... 25 2.1.3 Projektmanagementverständnis... 26 2.1.4 Unterscheidung zwischen Projektmanagementtätigkeit und fachlich-inhaltlicher Projektarbeit... 29 2.1.5 Projektmanagement in Innovationsprozessen... 32 2.2 Zwei Grundüberzeugungen des Projektmanagements... 35 2.2.1 Zielorientierung... 35 2.2.2 Balance zwischen dem großen Ganzen und den Details... 38 2.3 Zielklärung und Umsetzungsplanung im Kontext von Innovations-projekten... 40 2.3.1 Management vom Typ eines Earth Projects... 40 2.3.2 Management vom Typ eines Water Projects... 48 2.3.3 Management vom Typ eines Fire Projects... 52 2.3.4 Management vom Typ eines Air Projects... 60 2.3.5 Schlussbemerkung... 62 3 MANAGEMENT VON INTERESSEN... 66 3.1 Stakeholder und Stakeholdermanagement... 67 3.1.1 Stakeholder... 68 3.1.2 Stakeholdermanagement... 69

3.2 Praktisches Stakeholdermanagement... 71 3.2.1 Stakeholderanalyse, Maßnahmenplanung und Dokumentation - Grundverständnis... 71 3.2.2 Stakeholderanalyse, Maßnahmenplanung und Dokumentation - Anwendungshinweise... 71 3.2.3 Anwendungsempfehlungen für die Praxis... 74 3.3 Einflussmanagement in Innovationsprozessen... 76 4 MANAGEMENT VON UNSICHERHEIT... 80 4.1 Die Bedeutung von Unsicherheits-, Chancen- und Risikomanagement in Innovationsprojekten... 81 4.1.1 Hierarchische Betrachtung... 81 4.1.2 Vorurteile gegenüber dem Management von Unsicherheit... 82 4.1.3 Argumente für das Management von Unsicherheit... 85 4.2 Strategien für das Management von Unsicherheit... 86 4.2.1 Zugang zum Management von Unsicherheit... 86 4.2.2 Strategie-Ansätze für das Management von Unsicherheit... 88 4.2.3 Standardprozess des Chancen- und Risikomanagements... 94 4.3 Die Chancen- und Risikoidentifikation... 97 4.3.1 Chancen- und Risikogruppen in Innovationsprojekten... 97 4.3.2 Strategien zur Identifikation von Chancen und Risiken... 99 4.3.3 Die Kausalkette Ursache Ereignis Auswirkung... 100 4.3.4 Die Ursachenforschung bei Chancen und Risiken... 102 4.4 Die Chancen- und Risikobewertung... 105 4.4.1 Unsicherheit in Projekten prognostizieren... 105 4.4.2 Chancen- und Risikoprofile... 107 4.4.3 Chancen und Risiken bewerten... 108 4.4.4 Chancen und Risiken priorisieren... 112 4.4.5 Mit Unsicherheitsdiagrammen Projektprognosen aufstellen... 113 4.5 Die Maßnahmenplanung und -überwachung... 116 4.5.1 Maßnahmen für den Umgang mit Chancen und Risiken planen... 116 4.5.2 Maßnahmenumsetzung überwachen und steuern... 118

ANHANG LITERATURVERZEICHNIS... 122 INTERNETADRESSEN... 128 GLOSSAR... 129 SCHLÜSSELWORTVERZEICHNIS... 136

EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG Die Beschäftigung mit dem Thema Innovationsmanagement führt zwangsläufig zur Beschäftigung mit dem Thema Projektmanagement. Extrem verkürzte Produktlebenszyklen in allen Branchen erfordern immer häufigere Innovationen radikale oder inkrementelle, damit sich Organisationen im Markt behaupten können. Um aus vielen Ideen tatsächlich Innovationen zu entwickeln, bedarf es eines übergeordneten Managements, das Prioritäten für die Innovationsvorhaben auf einer fundierten Basis setzt, das innovative Prozesse von Beginn an unterstützt, mit dem die zahlreichen Beteiligten optimal integriert und die Entwicklungsstufen in den verschiedenen parallel laufenden Innovationsvorhaben effektiv und effizient geplant, kontrolliert und gesteuert werden können. In vielen Fällen sind die Übergänge zwischen Innovations- und Projektmanagement fließend. Projektmanagement als Disziplin gibt es offiziell seit den frühen 40er Jahren des 20. Jahrhunderts. Seitdem wurden viele Produkte, Dienstleistungen oder organisationale Veränderungen in Projekten entwickelt bzw. umgesetzt. Viele Jahre hat man sich in der Projektmanagement-Forschung darauf konzentriert, die Vorbereitung, Durchführung und den Abschluss von Einzelprojekten zu optimieren. In der neueren Projektmanagement-Forschung gelangt zunehmend das Mehrprojekt- oder Multiprojektmanagement also das Management von Programmen oder Projekt-Portfolios in den Fokus der Betrachtung. Projektmanagement ist so mittlerweile zu einem Management-Ansatz für die Führung moderner Organisationen geworden. Mit Blick auf das Einzel-Projektmanagement in Innovationsprozessen beschäftigt man sich innerhalb der Projektmanagement-Community längst auch mit alternativen Ansätzen zur rein sequentiellen Gestaltung von Projektprozessen, unter anderem mit sogenannten agilen Ansätzen. Der Hintergrund der Überlegungen ist, dass es gerade in Innovationsprojekten ähnlich wie in Forschungsprojekten zu Beginn kein klares Bild vom angestrebten Endergebnis gibt das Ziel verbirgt sich eher in einer undurchsichtigen Wolke. Das Projektmanagement in Innovationsprozessen muss sich folglich solchen Bedingungen stellen, unter denen man sich nur schrittweise den Zielen und dem angestrebten Endergebnis annähern kann. Projektmanagement ist aber so die Erkenntnis nach vielen Jahren der Projekterfolgs-Forschung weit mehr als nur die Anwendung von Organisations- und Methodenwissen. Sicher, die fachlichen und methodischen Kompetenzen der Projekt-Mitarbeiter sind Grundvoraussetzung zur Bewältigung der anspruchsvollen Aufgaben. Mittlerweile sind sich aber alle Experten in einem Punkt einig: Im Projekt "menschelt" es ungemein, in der zwischenmenschlichen Kommunikation hakt es an allen Ecken und Enden und die unvermeidbaren gruppendynamischen Prozesse können Projekte schnell ins Trudeln bringen. Es kommt also ganz besonders auf die Selbst-, Sozial- und Kommunikationskompetenzen der Projektlei- PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 7

EINFÜHRUNG tung und der Teammitglieder in Projektteams an. Dies gilt insbesondere, wenn es darum geht, alle an den Innovationsprozessen interessierten Parteien (Stakeholder) mit ihren Ideen, Vorstellungen und Wünschen zu integrieren und ihre Interessen ziel- und erfolgsorientiert zu managen. Als Projektmanager sollte man sich deshalb neben der Aneignung des grundlegenden Methodenwissens insbesondere auch der (weiteren) Persönlichkeitsentwicklung widmen. Unsicherheit spielt gerade in Projekten, mit denen Neuland betreten wird, eine zentrale Rolle. Unsicherheit resultiert nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sich die Zukunft auf der Grundlage unseres gegenwärtigen Wissens und unserer gewachsenen Erfahrung niemals vollständig vorhersagen lässt. Die Methoden des Projektmanagements sollen insbesondere dabei helfen, die bestehenden Unsicherheiten bestmöglich einzugrenzen. Mögliche Chancen- und Risikopotenziale sollen aufgedeckt, analysiert und systematischer behandelt werden. Die Beschäftigung mit dem Themenschwerpunkt Unsicherheitsmanagement erscheint daher ebenso sinnvoll wie lohnenswert. Im Überblick umfasst das vorliegende Skript folgende Lernbereiche: Das erste Kapitel führt ein in die Grundproblematik der Unsicherheit in Innovationsprojekten. Der Umgang mit dieser Herausforderung wird daher auch zu einem Leitthema für die nachfolgenden Kapitel. Das zweite Kapitel ist dem Thema Management von Ziel- und Planungsunsicherheit in Innovationsprojekten gewidmet. Es werden unterschiedliche Herangehensweisen der Planung und Gestaltung von Innovationsprojekten vorgestellt. Das dritte Kapitel zum Management von Interessen beschäftigt sich mit dem Projektumfeld und seinen Interessengruppen. Die vielfältigen Erwartungen, Haltungen und Bestrebungen unterschiedlicher Stakeholder-Parteien zu erkennen und die damit einhergehende Unsicherheit zu managen, erfordert gerade von Seiten des Projektmanagements mehr als nur technisches Methodenwissen. Im abschließenden vierten Kapitel wenden wir uns dann noch einmal gezielt dem Management von Unsicherheit in Form eines systematisch aufgesetzten Chancen- und Risikomanagements zu. Es geht darum, wie man mit den vielfältigen Unsicherheiten und Dynamiken in Innovationsprojekten umgehen, aussichtsreiche Optionen und Handlungspotenziale bestmöglich nutzen und potenzielle Gefahren frühzeitig abdämpfen bzw. ausschließen kann. Alle Kapitel des Studienskripts setzen sich aus folgenden Bausteinen zusammen: Jedem Kapitel sind die Lernziele vorangestellt. Sie beschreiben, welche Kenntnisse und Fähigkeiten Sie nach dem Durcharbeiten des jeweiligen Kapitels erworben haben sollten. PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 8

EINFÜHRUNG Die Darstellung der Themen erfolgt in einem Basistext mit Grafiken und Tabellen, welche die grundlegenden Zusammenhänge veranschaulichen und das Verständnis erleichtern sollen. Reflexionsaufgaben im Text sollen Sie dazu motivieren, Ihre eigene Praxis im Kontext des Gelernten zu reflektieren und die Möglichkeiten des Praxistransfers zu durchdenken. Im Anschluss an jeden Abschnitt finden Sie eine Übersicht über die wichtigsten Schlüsselwörter aus dem Text. Sie markieren besondere Fachbegriffe zum Thema. Im Schlüsselwörterverzeichnis am Ende des Moduls sind alle Schlüsselwörter mit Verweisen auf die Abschnitte, in denen sie auftauchen, alphabetisch aufgelistet. Sie sollten sich diese Fachbegriffe bei der Durcharbeitung der Texte einprägen, weil sie sich von der Alltagssprache unterscheiden. Die Kenntnis beider Sprachstile (Fach- und Alltagssprache) vermeidet Verständigungsschwierigkeiten und vermittelt Sicherheit. Bedenken Sie, dass gleiche oder ähnliche Begriffe in Kontexten/wissenschaftlichen Disziplinen eine andere Bedeutung aufweisen können. Fragen und Aufgaben zur Selbstkontrolle am Ende jedes inhaltlichen Abschnitts helfen Ihnen zu kontrollieren, ob Sie das Gelesene verstanden und gelernt haben. Aufgaben mit Bezug zur eigenen Berufstätigkeit haben hier nochmals die Funktion, Ihre beruflichen Erfahrungen im Kontext des Themas zu reflektieren. Sie sollen einen Bezug zum Gelernten herstellen und es Ihnen so ermöglichen, sich kritisch und praxisnah mit der Thematik auseinander zu setzen. Literatur zur Vertiefung. Dabei handelt es sich um Fach- und Lehrbücher, die Sie sich ggf. anschaffen oder in der Universitäts-Bibliothek ausleihen können, sowie um Hinweise auf Aufsätze, die speziellere Themen und Aspekte behandeln. Gesamtverzeichnis der zitierten Literatur. Im Anhang des Skripts finden Sie ein vollständiges Verzeichnis der verwendeten Literatur. Auf die dort angegebenen Quellen können Sie zurückgreifen, wenn Sie bestimmte Aspekte oder Fragestellungen, die im Basistext angesprochen wurden, eigenständig weiter vertiefen möchten. Wir wünschen Ihnen nun bei der Erarbeitung dieses Skripts viel Spaß und großen Lernerfolg. Frank Fischer und Martin Goerges PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 9

KAPITEL 1: UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN Nach Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie in der Lage sein aufzuzeigen, was Komplexität in Innovationsprojekten ausmacht. die Begriffe Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Instabilität im Zusammenhang mit Projektarbeit näher zu beschreiben. die generellen Folgen von Unsicherheit in Innovationsprojekten zu benennen. Beispiele für mögliche Unsicherheiten in Innovationsprojekten vorzustellen. die vier Kategorien für die Einordnung von fehlendem Wissen und fehlender Erfahrung in der Projektarbeit zu erläutern. das Vier-Quadranten-Modell zur Abstufung von Unsicherheit aufzuzeichnen und die Bedeutung der vier Quadranten im Detail zu erklären.

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN 1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN 1.1 Projekte scheitern an ihren Unsicherheiten Es ist kein Geheimnis mehr, dass auch nach vielen Jahren der Erkenntnis zum Thema Projektmanagement immer noch sehr viele und insbesondere größere Projekte an ihren ehrgeizigen Zielen scheitern. Eine der neueren Untersuchungen zu diesem Thema ist die von McKinsey&Company, in der herausgearbeitet wird, dass 66% der großen Software-Projekte und 43% großer Nicht-Software-Projekte die ursprünglich veranlagten Projektbudgets überschreiten. Nach diesem Report laufen 17% der IT-Projekte so schlecht, dass sogar die Existenz der beteiligten Firmen bedroht ist (BLOCH ET AL. 2012, S. 3). Der Forscher Bent Flyvbjerg (FLYVBJERG 2009) hat sich intensiv mit Zeit- und Kostenüberschreitungen in Großprojekten aller Art beschäftigt. Er hat herausgefunden, dass große Infrastruktur- und Bauprojekte bis zu 45 % mehr kosten, als ursprünglich veranschlagt, und um den gleichen Wert länger dauern, als anfänglich angenommen. Bei einigen IT-Projekten stellte er in seinen Untersuchungen Kostenüberschreitungen von bis zu 107 % fest. Die Gründe dafür sind vielfältig die Hälfte aller Projekte litt vor allem unter schlechten Vorhersagen: Die Projekte dauern viele Jahre, wodurch die Wahrscheinlichkeit enorm steigt, dass etwas Unvorhergesehenes eintritt. Ein Drittel aller Projekte bekam Schwierigkeiten mit den Abhängigkeiten der verschiedenen Projektelemente zueinander. Dahinter steckt u.a. die zunehmende Komplexität von Projekten in ihrem immer mehr vernetzten Umfeld. Die Komplexität von Projekten lässt sich im Wesentlichen über zwei Parameter näher beschreiben (BORGERT 2013, S. 44): Die Anzahl von Projektelementen: Ein komplexes Projekt hat viele Elemente: viele verschiedene Aufgaben, die erledigt, Lieferobjekte, die entwickelt, viele Subunternehmer, deren Zuarbeiten koordiniert, Netzwerke aus einzelnen Teams, die gemanagt sowie viele Interessen, die berücksichtigt werden müssen etc. Die Anzahl und die Art der Interaktionen zwischen Projektelementen: Wenn die verschiedenen Elemente eines Projektes miteinander interagieren und nicht-triviale Abhängigkeiten voneinander aufweisen, dann erzeugt das ein höchst komplexes Set von Wechselbeziehungen. Zudem sind immer mehr Projekte (System) über unterschiedliche Organisationen (Teilsysteme) vernetzt. Änderungen in einem Teil des Systems führen in aller Regel zu bedeutsamen aber kaum vorherzusagenden Konsequenzen in anderen Teilen des Systems. Hinzu kommt die Dynamik der Projekt-/Teilsysteme: Selbst dann, wenn niemand aktiv in das Geschehen eingreift, entwickeln sich Projekte und Teilsysteme PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 12

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN weiter, verändern ihren Zustand, sodass es kaum noch möglich ist, den IST- Zustand eindeutig und klar abgegrenzt zu beschreiben. Gerade in Innovationsprojekten kämpfen Projektmanager häufig um die Kontrolle über Dinge oder Aspekte, auf die sie letztlich nur sehr wenig Einfluss haben. Sie wagen sich mit ihren Projektteams in der Regel in völlig unbekannte Bereiche vor, für die es noch kein oder nur sehr wenig Wissen und Erfahrungen gibt, welches sie als Leitfaden für ihre Tätigkeit nutzen könnten. Projektmanager in Innovationsprojekten müssen ständig widersprüchliche Interessen und Ansprüche in einem sich sehr schnell verändernden Umfeld ausbalancieren. Dazu müssen sie häufig Entscheidungen über zukünftige Situationen treffen, die von Natur aus unsicher sind (CLEDEN 2009, S. 1). Die Hauptursache für die immensen Zeit- und Kostenüberschreitungen lag in den meisten Fällen jedoch eher darin, dass die Planer all diese Unsicherheiten in ihren Prognosen nicht ausreichend oder in der richtigen Art und Weise berücksichtigt haben. Obwohl die Kenntnis, dass Projekte immer komplexer werden, weit gereift ist, verhalten sich Lenkungskreise, Projektmanager und andere Stakeholder nach wie vor so, als ob Business-as-usual angesagt wäre (BOLDUAN 2007). 1.2 Unsicherheit und ihre Ergebnisse Wir haben es in Projekten also zunehmend mit einem beträchtlichen Maß an Unsicherheit, Mehrdeutigkeit (oder Ambiguität) und Instabilität zu tun (NEWTON 2009, S. 305FF.): Das erhöhte Maß an Unsicherheit in komplexen Projekten resultiert aus der Tatsache, dass sich die Zukunft auf der Grundlage unseres gegenwärtigen Wissens und unserer gewachsenen Erfahrung niemals vollständig vorhersagen lässt das gilt im Übrigen für alle Handlungsentscheidungen. Wir müssen damit leben, dass sich der grundsätzliche Mangel an Informationen nicht beseitigen lässt (BEA / SCHEURER / HESSELMANN 2011, S. 344). Letztendlich können wir unser Handeln gegenüber der Zukunft nur auf mehr oder minder unsichere Annahmen gründen. Um wie viel mehr gilt dies für Vorhaben, die bewusst Neuland beschreiten sollen, um Innovationen hervorzubringen. Die Ambiguität rührt daher, dass wir in sozialen Kontexten stets dazu tendieren, Bestrebungen, Handlungen, Aussagen und Informationen anderer auf Basis unserer Wahrheiten zu deuten und auszulegen. Wir sind ständig der Gefahr von Missverständnissen, Unstimmigkeiten oder Widersprüchen ausgesetzt. Diese allgemeine Ausgangslage wird durch fachübergreifende Kooperation, verteilt arbeitende Teams, interkulturelle Zusammenarbeit und virtuelle Arbeitsbedingungen in Projekten noch einmal verstärkt. Auch das Phänomen der Instabilität lässt sich nicht nur im Projektumfeld beobachten. Projekte selbst sind veränderungsgetrieben: Sie sorgen für Veränderung und indem sie dies tun, entwickeln sie sich selbst weiter. Bewegung, Wandel und Dynamik sind ständige Begleiter der Projektarbeit. Kontinuierlicher Fortschritt und diskontinuierliche Brüche wechseln einander ebenso ab PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 13

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN wie Zuversicht und Überraschung. Das Grundproblem mangelnder Verlässlichkeit bleibt uns dabei erhalten. Gemeinhin wird mit Unsicherheit etwas Unerwünschtes verbunden. Unsicherheit fühlt sich für uns unangenehm an. In den meisten Fällen befürchten wir, dass etwas Schlimmes passieren, dass diese Unsicherheit eine Bedrohung (= Risiko ) für uns und unser Projekt sein könnte. Nicht immer führen aber Unsicherheiten zu unerwünschten Ergebnissen. Viele Unsicherheiten haben z.b. keinerlei Bedeutung für das Erreichen der Projektziele (= irrelevante Konsequenzen ). Sich mit diesen Unsicherheiten zu beschäftigen ist höchst unproduktiv. Allerdings ist es wertvoll, wenn wir solche Unsicherheiten, die keinerlei Bedeutung für den Projekterfolg haben, bewusst ausklammern können. Dazu müssen wir ein vertieftes Verständnis über die Beziehungen verschiedenster Projektfaktoren zueinander aufbauen. Und dann gibt es noch die Unsicherheiten, die zu positiven Ereignissen oder Ergebnissen führen, die uns Chancen eröffnen. Chancen sind Unsicherheiten, deren Auflösung für uns neue Möglichkeiten eröffnen oder neue Alternativen aufdecken, an die wir zuvor nicht gedacht hatten. Viele wichtige Entdeckungen und Erfindungen sind aus der Beschäftigung mit unsicheren Bereichen oder Experimenten entstanden. Abb. 1.1: Unsicherheiten führen zu Chancen, Risiken und irrelevanten Konsequenzen (Cleden 2009, S. 8) PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 14

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN 1.3 Unsicherheit entsteht aus fehlendem Wissen Unsicherheit im Projekt kann also viele verschiedene Formen annehmen alle Beispiele haben jedoch eines gemeinsam: Unsicherheit entsteht in der Regel aus fehlendem Wissen über entscheidende Aspekte des Projektes. Einige Beispiele dafür sind in der folgenden Tabelle aufgeführt (angelehnt an CLEDEN 2009, S. 9): Frage Wird dieser Lieferant die kritischen Komponenten liefern, wenn ich sie benötige? Wie viel Zeit werden wir für diese Aufgabe benötigen? Wie wird der Kunde auf das erarbeitete Konzept / Design reagieren? Wie kann ich sicherstellen, dass die Produktionswerkzeuge zuverlässig funktionieren? Werden wir unsere Pläne einhalten? Was wird passieren, wenn... Was fehlt? (Beispiele) Wissen über die Zuverlässigkeit des Lieferanten. Wissen über die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Lieferanten.... Wissen über die konkreten Anforderungen an eine Aufgabe. Wissen über sinnvolle Arbeitsschritte zur Erledigung der Aufgabe. Wissen über zuverlässige Planungsmetriken bzw. über eindeutige Schätzungsmethoden.... Wissen über die konkreten Erwartungen / Vorstellungen des Kunden bzw. über sein Verhalten in bestimmten Situationen. Wissen über seine Beziehung zum Projektteam.... Wissen über das Verhalten der Werkzeuge in einem bestimmten, ggf. noch nicht bekannten Umfeld. Wissen über belastbare Prüfkriterien.... Wissen über den Fortschritt im Projekt. Wissen über zuverlässige Methoden zur Statusermittlung bzw. über passende Fortschritts-Messmethoden. Wissen über die Arbeitsgewohnheiten und das Verhalten von Projektmitarbeitern.... Wissen / Erfahrungen über zu erwartende Projektverläufe in bestimmten, in der Regel unbekannten Situationen.... Tab. 1.1: Beobachtete Unsicherheiten im Projektalltag Ganz allgemein lassen sich vier Kategorien für die Einordnung von fehlendem Wissen und fehlender Erfahrungen in der Projektarbeit ableiten: PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 15

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN Unsichere Einschätzung der Informationslage: Die verfügbaren Informationen (im richtigen Kontext), die wir für fast alle Aktionen im Projekt benötigen, sei es für Planungen, Schätzungen, Entscheidungsprozesse, Kommunikationsprozesse etc., sind nicht spezifisch genug. Unsichere Einschätzung des Aussagegehalts: Selbst mit einer noch so guten Informationsbasis stoßen wir an Grenzen, wenn wir sie nicht richtig verstehen; wenn sich also die Hintergründe, die zugrundeliegenden Annahmen, Prozesse oder Ergebnisse uns nicht erschließen. Wenn wir z.b. die Wechselwirkungen und Beziehungen zwischen einzelnen Informationen nicht verstehen, bauen wir auf falschen Modellen, Annahmen und Planungen auf. Unsichere Einschätzung des Eintrittszeitpunkts: Wir wissen, was passieren wird, aber nicht wann es passieren wird. Wenn Dinge viel früher passieren, als erwartet, dann werden wir häufig zu hektischen, unüberlegten Handlungen gezwungen ungewünschte Prozesse gewinnen an Eigendynamik und führen nicht selten zu markanten Projektkrisen. Unsicherer Eintrittszeitpunkt steht aber auch für sehr langsame Prozesse, z.b. wenn Dinge nicht so schnell erledigt werden, wie erwartet, wenn unerledigte Aufgaben sich anhäufen. Wenn wir den Eintrittszeitpunkt von Unsicherheiten nicht erfassen können, werden wir vermutlich den richtigen Zeitpunkt für eine Reaktion verpassen. Außerdem können wir nicht erkennen, wie viel Zeit uns noch bleibt, eine Unsicherheit aufzulösen, bevor sie sich in ein unerwünschtes Ergebnis verwandelt. Unsichere Einschätzung der Komplexität: Es ist für uns kaum abschätzbar, welchen Komplexitätsgrad das hat, auf das wir ggf. in der Zukunft treffen werden. Vielleicht sind wir in der Lage, einzelne Aspekte dessen, was wir als Unsicherheit ausmachen, zu umreißen. Doch gelingt es uns bei innovativen Aufgabenstellungen in aller Regel nicht, alle wirklich wesentlichen Elemente zu erfassen. Darüber hinaus tun wir uns schwer damit, den vollständigen Umfang des Möglichen, das heißt alle Verbindungen zwischen den möglichen Elementen zu erkennen (vgl. dazu die Ausführungen zu Komplexität im ersten Abschnitt). Ein erster wesentlicher Schritt für den Umgang mit Unsicherheiten ist es, bewusst(er) wahrzunehmen, wenn wir Ich weiß es nicht sagen oder denken und uns dann dazu zu zwingen, an dieser Stelle genauer nachzuhaken. Wir können systematischer mit den Unsicherheiten unserer Projekte umgehen, wenn wir alle Wir-wissen-es-nicht-Fragen über unser Projekt sammeln und die Ursachen jeder darin enthaltenen Unbekannten ergründen (DEMARCO 2003, S. 83). PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 16

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN 1.4 Das Vier-Quadranten-Modell zur Abstufung von Unsicherheit Unter Berücksichtigung der Ausführungen zum wissensbasierten Modell von Unsicherheit im vorangegangenen Abschnitt kann man ein Vier-Quadranten-Modell kreieren, in dem unterschiedliche Dimensionen von Unsicherheit auf Basis von zwei Wissenszuständen ( bekannt / unbekannt ) abgebildet sind: Abb. 1.2: Das Vier-Quadranten-Modell: Alles, was wir über ein Projekt wissen und nicht wissen, findet sich in einem der Quadranten dieses Modells wieder (Cleden 2009, S. 13) Dieses Vier-Quadranten-Modell ermöglicht uns eine eindeutigere Definition und damit Abgrenzung von Kenntnis, Ungewissheit, Risiko und Chance (CLEDEN 2009, S. 12ff.; HUBBARD 2010, S. 50): Mit Kenntnissen bezeichnen wir in der Regel Wissen, das wir über einen bestimmten Sachverhalt haben und das im Idealfall unabhängig verifiziert ist. Dabei können wir Faktenwissen (wir wissen (theoretisch) etwas über ein bestimmtes Thema, z.b. die Beschaffenheit eines Werkstoffs), Erfahrungswissen (wir haben zu einem Thema schon Erfahrungen gesammelt, z.b. haben wir gesehen, wie ein bestimmter Werkstoff sich bei Belastungstest verhalten hat) und Handlungswissen (wir wissen, wie wir die Theorie ggf. unter Nutzung unserer Erfahrungen in die Praxis umsetzen, z.b. wie wir einen Werkstoff PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 17

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN behandeln müssen, damit er unter bestimmten Rahmenbedingungen spezifischen Belastungen standhält) unterscheiden. Manches Mal stolpern wir in Projekten auch über vermeintliches Wissen, d.h. über Dinge, von denen wir ausgehen, dass wir genug über sie wissen, obwohl wir es tatsächlich nicht tun. Oder Wissen, von dem wir ausgehen, dass es wahr ist, obwohl das in dem betrachteten Zusammenhang nicht stimmt. Grund dafür sind falsche Annahmen, fehlerhafte Planungsdaten, unpassende Messverfahren bzw. -kriterien, missverstandene Anforderungen und vieles mehr. Infolgedessen sind selbst diese bekannten Bekannten im ersten Quadranten nicht frei von Unsicherheit es besteht fortwährend die Gefahr, dass eine der eben genannten Variablen uns eines Tages eines Besseren belehrt. Leider erfahren wir das meistens erst, wenn das Unerwartete eintritt. Unter einem Risiko wird üblicherweise ein mögliches, zukünftiges Ereignis verstanden, welches im Falle seines Eintretens unerwünschte Folgen hervorrufen kann. Die Voraussetzung für das Entstehen eines Risikos ist die Unsicherheit es gibt immer die Möglichkeit, dass etwas passiert, aber auch die, dass nichts passiert. Ein Risiko kann eine oder mehrere Ursachen und, wenn es eintritt, eine oder mehrere Auswirkungen haben. Eine Chance lässt sich analog dazu als ein erstrebenswertes, zukünftiges Ereignis begreifen, von dessen Eintreten man sich einen Gewinn verspricht (BEA / SCHEURER / HESSELMANN 2011, S. 344; JENNY 2010, S. 555ff., 565ff.; NEWTON 2009, S. 335; PATZAK / RATTAY 2009, S. 133ff.). Auch das Eintreten einer Chance ist unsicher. Das wichtige Unterscheidungskriterium des Quadranten 2 zu den anderen Quadranten ist, dass es sich bei Risiken und Chancen um Unsicherheiten handelt, die in gewissem Maße vorhersehbar sind. Diese möglichen zukünftigen Ereignisse können näher analysiert, bewertet und behandelt werden hier können also bewusst Vorsichtsmaßnahmen oder Notfallmaßnahmen geplant bzw. umgesetzt werden. Wissen, das zwar irgendwo vorhanden ist, das uns aktuell aber nicht zur Verfügung steht, bezeichnet das Vier-Quadranten-Modell als ungenutzte Kenntnisse. Laut aktuellen Schätzungen verdoppelt sich das verfügbare Wissen in der Welt etwa alle fünf bis zwölf Jahre mit weiterhin zunehmender Beschleunigung (z.b. GASSMANN 2006, S. 17). Ein wesentliches Merkmal der heutigen vernetzten Kompetenzgesellschaft ist es, dass unvorstellbar viel Wissen weit gefächert und spezialisiert parallel existiert. Die Mitglieder eines Projektteams können über all dieses Wissen in der Welt niemals den vollen Überblick haben. Vielfach ist es ihnen schon unmöglich, das im eigenen Unternehmen vorhandene Wissen zu überschauen. Infolgedessen wird in vielen Projekten das Rad häufig neu erfunden; zwar wäre das benötigte Wissen im Unternehmen (oder in der Welt) vorhanden gewesen, das Projektteam hatte darauf aber keinen direkten Zugriff. Auch wenn die Auswirkungen der Mehrarbeit, die durch (Neu-)Entwicklungen von Bestehendem entstehen nicht vergleichbar sind zu denen im Risiko-/Chancen-Feld unnötige Kosten PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 18

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN verursachen sie in jedem Fall. In diesem Zusammenhang kommt einem systematischen und effizienten Informations- und Wissensmanagement in einem Unternehmen, speziell auch für die Projektarbeit, wachsende Bedeutung zu. Ungewissheit bedeutet das Fehlen jeglicher Information und möglicher Voraussicht. In diesem Feld liegt die wahre Herausforderung für alle Projektmanager und Projektteams: Was können sie tun mit Unsicherheiten, von denen sie noch nicht einmal ahnen oder wissen, dass es sie gibt? Grundsätzlich können wir hier mehrere Dimensionen unterscheiden: Mögliche Ereignisse in der Zukunft, welche die gesamte Menschheit noch nicht oder noch nicht in dieser Form erlebt hat. Hier sprechen wir von unvorhersehbaren Ereignissen oder Blitzen aus heiterem Himmel. Mögliche zukünftige Ereignisse, die ein Mensch so oder in ähnlicher Form bereits erlebt hat, die er aber nie festgehalten hat ( versteckte Kenntnisse ). Mögliche zukünftige Ereignisse, die durch unbekannte Verbindungen bestimmter Schlüsselvariablen ausgelöst werden. Man weiß zwar etwas über die beteiligten Schlüsselvariablen, deren mögliche Beziehungen zueinander erschließen sich einem aber nicht. Schlüsselwörter: Komplexität von Projekten, Dynamik von Projekt-/Teilsystemen, Unsicherheit, Ambiguität, Instabilität, Risiko, Chance, irrelevante Konsequenz, Kenntnisse, Faktenwissen, Erfahrungswissen, Handlungswissen, Ungewissheit Aufgaben zur Lernkontrolle: 1.1 Was bedeuten die drei Phänomene Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Instabilität für die Projektarbeit? Warum sind sie speziell für Innovationsprojekte relevant? 1.2 Unsicherheiten im Projekt entstehen aus fehlendem Wissen über entscheidende Aspekte des Projektes. Was heißt das genau wie lassen sich fehlendes Wissen und fehlende Erfahrungen in diesem Zusammenhang kategorisieren? 1.3 Durch das Zusammenspiel der zwei Wissenszustände bekannt und unbekannt lässt sich Unsicherheit in verschiedenen Dimensionen kategorisieren. Benennen Sie diese vier Kategorien und erläutern Sie deren jeweilige Bedeutung an einem Beispiel. Aufgaben mit Bezug zur Berufspraxis: 1.4 Welche Beispiele kennen Sie aus Ihrer täglichen Projektpraxis für das Auftreten von Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Instabilität? Wie machen sich diese Phänomene in Ihrer Projektarbeit bemerkbar? Tauschen Sie sich darüber gerne auch mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus. PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 19

1 UNSICHERHEIT IN INNOVATIONSPROJEKTEN Literatur zur Vertiefung: Bloch, M. / Blumberg, S. / Laartz, J. (2012). Delivering large-scale IT projects on time, on budget, and on value, McKinsey & Company 2012 Bolduan, G. (2007). Kultur der Fehlinformation ein Interview mit Bent Flyvbjerg. In: Technology Review Das Magazin für Innovation. Verfügbar über: http://www.heise.de/tr/artikel/kultur-der-fehlinformation-274752.html letzter Zugriff: 07.01.2014 Cleden, D. (2009). Managing Project Uncertainty, Farnham, UK: Gower Publishing Ltd DeMarco, T. / Lister, T. R. (2003). Bärentango: Mit Risikomanagement Projekte zum Erfolg führen, München/Wien Flyvbjerg, B. (2009). Survival of the Unfittest - Why the worst infrastructure gets built and what we can do about it, Oxford Review of Economic Policy, 35, S. 344-367 Newton, R. (2009). The Practice and Theory of Project Management, Basingstoke, Hampshire: Pelgrave Macmillan, 305-340 PROJEKTMANAGEMENT IN INNOVATIONSPROZESSEN 20