Talentmanagement als Lehrstellenmarketing: Erkenntnisse aus der Forschung



Ähnliche Dokumente
HERZLICH WILLKOMMEN ZUM. Forum für BerufsbildnerInnen 2017

Wir wollen die Besten. Wer sind die Besten?

Lehrlingsmangel, Generation Z und die Rolle der Eltern Referat an der Tagung der CSS, Hotel Bern, 21. April 2016

Lehrling, wo bist du?

Talentmanagement in der Berufsbildung

Auswertung Fünfjahresüberprüfung

Personalentwicklung. Umfrage zur Personalentwicklung. Februar Cisar - consulting and solutions GmbH. In Zusammenarbeit mit

Mit der IHK gut beraten

Glaube an die Existenz von Regeln für Vergleiche und Kenntnis der Regeln

Strategie für die Zukunft: Lebensphasenorientierte Personalpolitik

InteGREATer e.v. Berlin vor Ort

Leichte Sprache Informationen zum Europäischen Sozialfonds (ESF) Was ist der Europäische Sozialfonds?

Ergebnisse zur Umfrage GC MARKT-BLITZLICHT No. 6 Mitarbeiter gewinnen. 08. August 2014

Ein Muster für ein Thesis Proposal

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen

Lest in der Gruppe die Themenübersicht durch. Wechselt euch ab beim Vorlesen.

Basis Semester BFS für Elektro-Berufe

Name der Ausbildungsstätte. 1. Wenn Sie diese Ausbildung beginnen: Welchen höchsten Schulabschluss haben Sie dann? a) ohne Hauptschulabschluss

Basis (=100%) zusätzlichen Schulabschluss an. Befragungszeitraum:

Social Media bei der Kreissparkasse Ludwigsburg

Kunden begeistern: wie gelingt das? Prof. Dr. rer. nat. Jutta Liebelt

Integrierte Dienstleistungen regionaler Netzwerke für Lebenslanges Lernen zur Vertiefung des Programms. Lernende Regionen Förderung von Netzwerken

Sei dabei und schau nicht nur zu! -Freiwillige an die Schulen

Am gleichen Strick ziehen Tagung der KEO/ Kantonale Elternmitwirkungs-Organisation am Samstag, 13. Juni 2015 in Zürich von

S.Ü.D. - Elternbefragung zur Berufsorientierung

Auszubildenden Befragung 2013

Das Schulsystem in Deutschland (Band 2, Lektion 1)

SWOT Analyse zur Unterstützung des Projektmonitorings

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung: EFRE im Bundes-Land Brandenburg vom Jahr 2014 bis für das Jahr 2020 in Leichter Sprache

Praxisbericht zur Qualität der IHK-Prüfungen und zu interkulturellen Aspekten aus Sicht der Berufsschule

Risikomanagement bei PPP Projekten: Erfahrungen aus Deutschland

Referat CSL Behring AG Einweihung Logistik- und Service-Center 21. September 2012

Zum Umgang mit dem Fachkräftemangel

Leitsätze: Hinweis: Der Beklagte lehnte die Gewährung von BAföG ab.

Häufig wiederkehrende Fragen zur mündlichen Ergänzungsprüfung im Einzelnen:

Würfelt man dabei je genau 10 - mal eine 1, 2, 3, 4, 5 und 6, so beträgt die Anzahl. der verschiedenen Reihenfolgen, in denen man dies tun kann, 60!.

Betriebliche Gestaltungsfelder

Die Zahl der Kinder mit Förderbedarf an Regelschulen hat sich in den letzten vier Jahren verdoppelt

Impulse Inklusion 2014 Beteiligungskulturen - Netzwerke - Kooperationen (Leichte Sprache Version)

DER SELBST-CHECK FÜR IHR PROJEKT

Trainingsplan 16-wöchiger Trainingsplan für einen Triathlon (Volkstriathlon), Einsteiger

ALEMÃO. Text 1. Lernen, lernen, lernen

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

Deutscher Bürgerpreis. Jetzt bewerben: Deutschland 2016 Integration gemeinsam leben

Entwicklung des Dentalmarktes in 2010 und Papier versus Plastik.

Anhang. 3. Was denken Sie: An wen richtet sich das Lernprogramm für Psycholinguistik? zu nicht nicht zu

Impulse Inklusion Selbst-bestimmtes Wohnen und Nachbarschaft

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Strategien der professionellen Fachkräftegewinnung

Meinungen zur Altersvorsorge

Was muss ich über den Zulassungstest wissen?

Bilingualer Unterricht in der Berufsbildung. Aus der Sicht der Lernenden Herbstagung der Berufsbildung, Bern 2014

Strategie für die Zukunft: Lebensphasenorientierte Führung

WIR MACHEN SIE ZUM BEKANNTEN VERSENDER

Gründe für fehlende Vorsorgemaßnahmen gegen Krankheit

Dann zahlt die Regierung einen Teil der Kosten oder alle Kosten für den Dolmetscher.

Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung 2012

Lehrer-Umfrage "LRS / Legasthenie" im deutschsprachigen Raum LegaKids 2010

Elternumfrage Kindergarten (mit Krippe und Vorschule) Phorms Campus München

Wichtige Parteien in Deutschland

Landes-Arbeits-Gemeinschaft Gemeinsam Leben Gemeinsam Lernen Rheinland-Pfalz e.v.

Bachelor of Education (BEd) Bildungswissenschaften:

Die Industrie- und Handelskammer arbeitet dafür, dass Menschen überall mit machen können

Repräsentative Umfrage zur Beratungsqualität im deutschen Einzelhandel (Auszug)

Ideen für die Zukunft haben.

Sind wir attraktiv für Mitarbeiter? Employer Branding für Unternehmen auf Wachstumskurs.

Kulturelle Evolution 12

Mediationsbüro am Schloss Seefeld

1. Weniger Steuern zahlen

Individuelle Lernbegleitung für Jugendliche. Ehrenamtliche geben ihre Kompetenzen weiter

Das Projekt netzwerk biz Bildung ist Zukunft wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus dem Europäischen Sozialfonds

Neubewerbung Wiederbewerbung Preisträger Tiroler Integrationspreis

Befragt wurden Personen zwischen 14 und 75 Jahren von August bis September Einstellung zur Organ- und Gewebespende (Passive Akzeptanz)

Eine Initiative der Agenturen für Arbeit und Jobcenter. Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer. Erstausbildung junger Erwachsener

Avenue Oldtimer Liebhaber- und Sammlerfahrzeuge. Ihre Leidenschaft, gut versichert

AGROPLUS Buchhaltung. Daten-Server und Sicherheitskopie. Version vom b

Übergewicht im Kanton Zürich

Inhalt. 1. Einleitung Hilfe, mein Kind kann nicht richtig schreiben und lesen! Seite

AUFGABE 1 - INTERAKTION AUFGABENSATZ 1

Die Online-Meetings bei den Anonymen Alkoholikern. zum Thema. Online - Meetings. Eine neue Form der Selbsthilfe?

Alle gehören dazu. Vorwort

Kommunikation als kreativer Prozess: Im Dialog mit dem Kunden

Live Innovator Conference Die Gruppe ist intelligenter als der Einzelne. Wülflingerstrasse 271 CH-8408 Winterthur

1. TEIL (3 5 Fragen) Freizeit, Unterhaltung 2,5 Min.

Es gibt nur Original

Lies zuerst den unten stehenden Zeitungsartikel und erfülle dann die einzelnen Aufgaben:

Kundenbeziehungsmanagement Plus. Zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und bindung. CRM Plus

Integrationsamt. Einstellung lohnt sich! Wie das Integrationsamt Arbeitgeber von behinderten Menschen fördert

Abschlüsse und Berechtigungen in der Hauptschule:

Die Post hat eine Umfrage gemacht

Mehr Umsatz durch Übersetzungen? Geht das?

Fragebogen für die Betriebserkundung

Interview zu Stage

Anleitung für die Online-Bewerbung über LSF auf Lehrveranstaltungen aller Lehramtsstudiengänge

POINT. of Reha Sport e.v. Reha-Sport. Der Wegweiser zum. Eine Information für Patientinnen, Patienten und Angehörige

Vorstellung des BMBF-Projektes FluSs aus Sicht eines Endanwenders. Düsseldorf Maritim-Hotel, 09. Juli 2013 Mark Zwirner

Die perfekte Bewerbung richtig schreiben online & klassisch

Berufsbildung Schweiz: Herausforderungen

Transkript:

Talentmanagement als Lehrstellenmarketing: Erkenntnisse aus der Forschung Referat an der Tagung Lehrstellenmarketing in Winterthur 27. Februar 2015 Prof. Dr. Margrit Stamm Professorin em. für Erziehungswissenschaft der Universität Fribourg-CH Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education, Bern

These Die berufliche Grundbildung kann einen enormen Wertbeitrag für die Attraktivität der Berufsbildung leisten und auch dem Nachwuchsmangel begegnen. Aber der Tunnelblick auf bestimmte Adressatengruppen muss über einen Perspektivenwechsel in der Selektion und mit einem Talentmanagement* überwunden werden. Lehrstellenmarketing soll auch Talentmanagement sein. *Talentmanagement ist nichts anderes als der systematische Aufbau von Könnerschaft, von der Selektion bis zur Expertise.

Aufbau des Referats Problematik: Attraktivität der Berufslehre und «Die heutige Jugend» Wo liegen Begabungsreserven und was bedeutet dies für Rekrutierung und Selektion? Faktoren erfolgreicher Stellenbesetzungen Fazit: Was könnte getan werden?

Problematik: I: Attraktivität der Berufslehre II: «Die heutige Jugend»

Problematik I: Attraktivität der Berufslehre Forderung nach mehr Förderung der gymnasialen Bildung (Sarasin, Tagi, 08.10.2012; Schweizerischer Wissenschaftsrat, 2012). OECD-Studie (2012): «Bildungsabstieg», wenn von zwei Kindern eines Akademikerpaares eines studiert und eines nur eine Berufslehre macht. Ungebrochener Zustrom zu den Gymnasien Der Berufsbildung fehlen leistungsstarke Jugendliche (aber nicht per se wegen dem Gymnasium). Degradiert diese Akademisierungstendenz die Berufsbildung zu einem System zweiter Klasse?

Nein: weil die Wirtschaft erkannt hat, dass die berufliche Ausbildung eine lohnende Investition ist und sie ein enormes (auch internationales) Innovationspotenzial hat und allgemein als die grosse Integriererin gilt. Ja: wenn man ihren Attraktivitätsverlust berücksichtigt. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren sind ihr neben der demografischen Entwicklung die 10% bis 15% potentiell besten Auszubildenden an die Gymnasien verloren gegangen. Swiss Education

Problematik II: «Die heutige Jugend» Swiss Education Skeptischer Blick auf die heutige Jugend: «Fehlende Ausbildungsreife», schlechte Sekundärtugenden (=Leistungsmotivation, Zuverlässigkeit, Fleiss, Ordnungssinn). Von «Helikopter-Eltern» behütet, kontrolliert, gefördert und gefeiert; geringe Konfliktfähigkeit und Frustrationstoleranz, hohe Ich-Zentriertheit = «Die pragmatische Generation». Konsequenzen für die Betriebe: Selbstbewusste Generation mit hohen Ansprüchen; Eltern entscheiden für ihren Nachwuchs.

Wo liegen die Begabungsreserven und was bedeutet dies für die Selektion?

*2005-2009; finanziert vom SBFI Swiss Education Studie «Leistungsentwicklungen von begabten Lehrlingen»* Einschätzung der Schlüsselqualifikationen durch LehrmeisterInnen 2005 2006 2007 Talentpool N=292 Vergleichsgruppe N=281

Skala Leistung total (Range 1-5) Swiss Education Leistungsentwicklungen von begabten Lehrlingen Einschätzung der Schlüsselqualifikationen durch LehrmeisterInnen 4 3,8 2005 2006 2007 2008 Wer sind die Leistungsbesten aus Talentpool und Vergleichsgruppe? 3,6 3,4 3,2 3 2005 2006 2007 t1 t2 t3 t4 Messzeitpunkte N=181, davon TP: N=82 (45%) VG: N=99 (55%) Migranten: N=55 Talentpool Vergleichsgruppe

Keine notwendig hohe Intelligenz (gemessen mit IQ- Test); oft wenig erfolgreiche Schullaufbahnen (33% Realschule, 35% Klassenwiederholungen); 31% mit Migrationshintergrund. Persönlichkeitsmerkmale schlagen Intelligenz: Arbeitsmotivation und -identifikation, Stressresistenz, Fleiss, Beharrlichkeit. Grosse Bedeutung von Betrieben / Berufsfachschulen: Klima, herausfordernde und anerkennende Haltungen; Fokus auf Training und Übung. Berufslehre als zweite Chance: v.a. für «Minderleister». Hohe Erfolgserwartungen vieler Migranteneltern. Unsere Studie belegt: Es wäre schwierig gewesen, das Potenzial dieser jungen Menschen mittels Schulnoten, Leistungstests und des Schulabschlusses zu erkennen!!

Faktoren erfolgreicher Lehrstellenbesetzungen

Swiss Institute for Swiss Educational Education Issues 7 Merkmale «erfolgreicher» Lehrbetriebe (=alle Stellen besetzt) 1. Starke Gewichtung von Schnupperlehren 2. Fokus auf Persönlichkeitsmerkmale und Interesse 3. Kooperation mit Schulen inkl. regelmässige Info- Veranstaltungen 4. Präsenz auf Berufsmessen 5. Berücksichtigung von Bewerbungen aller Schulniveaus 6. Geringere Gewichtung von Basis- / Multichecks, schriftlichen Bewerbungsunterlagen, Absenzen 7. Direktes Anschreiben potenzieller Bewerber Nachbefragung im Herbst 2012: Betriebe ohne unbesetzte (N=67) und mit unbesetzten Lehrstellen (N=47)

Fazit Was könnte getan werden?

Zum Ziel einer gerechten Auslese lautet die Prüfungsaufgabe für alle gleich: Klettern Sie auf einen Baum! Die berufliche Grundbildung kann einen enormen Wertbeitrag für die Attraktivität der Berufsbildung leisten und auch dem Nachwuchsmangel begegnen. Aber der Tunnelblick auf bestimmte Adressatengruppen muss über einen Perspektivenwechsel in der Selektion und mit einem Talentmanagement überwunden werden. Lehrstellenmarketing soll auch Talentmanagement sein.

Veränderung der Selektionspraxen (geringere Gewichtung von Schulnoten, Multi-/Basic-Checktests, schriftlichen Bewerbungsunterlagen, stärkere Gewichtung der Persönlichkeitsmerkmale) Fokus auf gute Schnupperlehren VIEL FRÜHER einsetzende Elternarbeit Kampagnen, welche positive Rollenmodelle (Migranten und ihre Familien) einschliessen. proaktive und frühe Zusammenarbeit mit Schulen direktes Ansprechen ausländischer Familien direkte Kontaktaufnahme mit potenziellen Bewerbern Leistungsstarke nicht an Berufsmatura hindern (Nicht konsumorientierte) Anreizsysteme zur Bindung der Auszubildenden an den Betrieb

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit. www.margritstamm.ch Dossiers: -> Forschung -> Publikationen -> Dossiers erscheint ca. Mai/Juni 2015