Das Entscheidungsverhalten von Führungskräften in der Berliner Verwaltung Ein Projekt des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Verwaltungsakademie Berlin. Prof. Dr. Gerd Gigerenzer Dr. Florian Artinger Wolfgang Schyrocki
Mittelwert Defensives Entscheiden Ziel der Studie In Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung möchte die Verwaltungsakademie Berlin Führungskräfte darin unterstützen, die Rahmenbedingungen für Entscheidungen zu optimieren und defensives Entscheiden möglichst zu vermeiden. In Unternehmen, Verwaltungen und anderen Organisationen werden oft Entscheidungen getroffen, die nicht die sachlich Besten sind. Der Hauptgrund hierfür ist das so genannte defensive Entscheiden". Defensive Entscheidungen werden zum Beispiel gefällt, weil sie sich trotz einer besseren Alternative einfacher begründen lassen, weniger Widerstand erwarten lassen oder weil sich der Entscheider bzw. die Entscheiderin selbst einem geringeren persönlichen Risiko aussetzen möchte. Geeignete Strukturen, wie eine konstruktive Fehler- und Konfliktkultur, können solchen Entscheidungen entgegenwirken. In einer Studie haben wir die Führungskräfte der Berliner Verwaltung nach ihrem Entscheidungsverhalten befragt. Die Beteiligung war sehr gut. Insgesamt 950 Führungskräfte haben an der Umfrage teilgenommen, so dass aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden konnten: Position Senatsverwaltung Bezirksverwaltung Nachgeordnete Gesamt nleiter/in 3 4 28 35 Abteilungsleiter/in 22 7 34 63 Referatsleiter/in 49 51 100 Amtsleiter/in 57 15 72 Fachbereichsleiter/in 15 68 85 168 Gruppenleiter/in 51 98 136 285 Sonstige Führungsposition 28 27 172 227 Gesamt 168 261 521 950 Ergebnisse Defensives Entscheiden: Auf die Frage: Wie viele der 10 wichtigsten Entscheidungen, die Sie in den letzten 12 Monaten getroffen haben, hatten eine defensive Komponente? wurde im Schnitt mit 2,5 geantwortet, das heißt, jede vierte Entscheidung hatte eine defensive Komponente. Verglichen mit anderen Studien liegt dieser Wert im guten Mittelfeld. Zum Vergleich: Studien in DAX- Unternehmen haben gezeigt, dass dort jede dritte, teilweise die Hälfte der Entscheidungen defensive Komponenten Defensives Entscheiden nach Position und ntyp 5,0 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 Senatsverwaltung Bezirksverwaltung Nachgeordnete 1
enthalten. Dabei verteilte sich der Anteil defensiver Entscheidungen in den verschiedenen n und Positionen relativ gleichmäßig. Welche Faktoren beeinflussen das defensive Entscheiden? Wir haben fünf Faktoren identifiziert, die sich maßgeblich auf defensives Entscheiden auswirken: Fehlerkultur, Zufriedenheit, Faktoren, die defensives Entscheiden beeinflussen Zugang zu anderen Hierarchiestufen, Kommunikation und Übereinstimmung von persönlichen Zielen/Einstellungen mit Zielen der. Die Abbildung zeigt, wie stark diese Faktoren jeweils defensives Entscheiden beeinflussen. Die Y- Achse zeigt die Anzahl der defensiven Entscheidungen (die meisten Teilnehmer haben einen Wert zwischen 2 und 5 von 10 angegeben). Die X-Achse zeigt die Werte für die fünf Faktoren, wobei niedrige Werte schlecht, hohe Werte gut sind. Je steiler die Gerade eines Faktors abfällt, desto stärker der Einfluss auf defensives Entscheiden. Fehlerkultur Der Begriff Fehlerkultur bezieht sich auf die Art und Weise, wie in einem Team mit Chancen und Risiken sowie mit etwaigen Fehlern umgegangen wird. Insgesamt bewerteten die Teilnehmenden die Fehlerkultur im Durchschnitt mit 4,2 (Skala von 1 = schlechte Fehlerkultur bis 7 = positive Fehlerkultur). Im Vergleich mit anderen Organisationen ist dies ein durchschnittlicher Wert. Unsere Studie ergab, dass die Fehlerkultur unter den fünf Faktoren den größten Einfluss auf die Anzahl defensiver Entscheidungen in der Berliner Verwaltung hat. Positiv zu vermerken ist, dass Fehler nicht generell verborgen werden müssen, dass man heikle Themen offen ansprechen kann und dass man darauf fokussiert ist, Lösungen für Probleme im Team zu finden. Dagegen fällt auf, dass Führungskräfte davor zurückschrecken, Risiken einzugehen, um Chancen wahrzunehmen, die sich bieten (etwa innovative Ideen zu testen). Zufriedenheit Die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit wurde von den Teilnehmenden im Durchschnitt mit 5,7 (Skala von 1 = sehr unzufrieden bis 7 = sehr zufrieden) bewertet, d. h. die Zufriedenheit unter den Führungskräften ist gut. Sie fühlen sich dabei im Allgemeinen ihrer Kompetenz entsprechend eingesetzt, erfüllen ihre Aufgabe motiviert und sind mit ihrem Arbeitsergebnis zufrieden. Die Studie zeigt, dass zufriedenere Führungskräfte sich deutlich seltener defensiv entscheiden. Hierarchie Dieser Faktor beschreibt, wie zugänglich die unmittelbar über- bzw. untergeordnete Hierarchieebene für die Befragten ist. Die Zugänglichkeit wurde mit 4,9 (Skala von 1 = angrenzende Hierarchieebenen kaum zugänglich bis 7 = angrenzende Hierarchieebenen sehr gut zugänglich) bewertet, d. h. der Kontakt der Führungskräfte zu den anliegenden Hierarchieebenen gestaltet sich meist, aber nicht immer einfach. Es zeigte sich, dass sich die Anzahl defensiver Entscheidungen reduziert, wenn die anliegenden Hierarchieebenen leicht ansprechbar sind. 2
Kommunikation Dieser Teil der Umfrage bezieht sich auf das Kommunikationsklima zwischen Führungskräften und direkten Vorgesetzten. Insgesamt bewerteten die Teilnehmenden die Kommunikationskultur im Durchschnitt mit 5,4 (Skala von 1 = kaum offene Kommunikation bis 7 = offene und ehrliche Kommunikation). Dies ist ein guter Wert im Vergleich mit anderen Organisationen. Je offener die Kommunikation gestaltet wird, desto weniger häufig findet defensives Entscheiden statt. Ziele Hier wurde untersucht, inwieweit die Ziele der Berliner Verwaltung den einzelnen Führungskräften bekannt sind (Bekanntheitsgrad gut). Die Teilnehmenden wurden aber auch befragt, ob die Interessen ihrer Organisation und ihre eigenen Interessen gut miteinander vereinbar sind. Hier wurde ein guter Wert erreicht mit 5,2 (Skala von 1 = Ziele der Organisation kaum bekannt oder vereinbar mit persönlichen Zielen bis 7 = Ziele der Organisation sehr vertraut und gut vereinbar mit persönlichen Zielen). Je kongruenter die Ziele der Teilnehmenden mit denen der Organisation waren, desto weniger defensive Entscheidungen wurden getroffen. Allerdings war dies der schwächste Einflussfaktor. Ursachen und Beispiele für defensives Entscheiden in der Berliner Verwaltung Als Hauptursachen von defensivem Entscheiden wurden Konfliktvermeidung sowie Angst vor Verantwortung und den Konsequenzen genannt. Weitere Punkte, die angeführt wurden, waren die mangelnde Unterstützung durch die Führungsebene, Zeitdruck und Druck von außen, Überlastung und Bequemlichkeit. Es wurde eine Vielzahl von Beispielen genannt, die sich grob in zwei Bereiche einteilen lassen. So kommt defensives Entscheiden zum einen an der Schnittstelle zwischen Politik und Fachlichkeit vor. Ein Beispiel (zur Anonymisierung leicht abgewandelt): Abriss eines landeseigenen Gebäudes zugunsten der Errichtung eines kostengünstigen neuen wurde aufgegeben, weil der Protest gegen den Abriss aus der Bürgerschaft sehr laut wurde. Faktisch erzeugt dies Mehrkosten in Millionenhöhe. Zum anderen treten defensive Entscheidungen im Bereich Personal auf, und zwar beim Delegieren von Arbeit sowie bei der Einstellung oder Versetzung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ein Beispiel: Entscheidungen über die Umsetzung von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen, wo klar ist, dass die Umsetzung zu langfristigen krankheitsbedingten Abwesenheiten führt. Maßnahmen zur Verbesserung Ein zentraler Anknüpfungspunkt zur Verminderung der Häufigkeit von defensiven Entscheidungen liegt in der Organisations- und Teamkultur. Hier können Führungskräfte aktiv gegensteuern, um defensive Entscheidungen zu vermindern. Zentraler Aspekt dabei ist, eine positive Fehlerkultur zu entwickeln. Aufbauend auf dieser Studie wird die Verwaltungsakademie Berlin in Zusammenarbeit mit dem Max- Planck-Institut für Bildungsforschung und der Simply Rational das Institut für Entscheidung GmbH verschiedene Veranstaltungsformate anbieten. Im Rahmen dieser Veranstaltungen werden nicht nur die Ergebnisse der Untersuchung im Detail diskutiert, sondern vor allen Dingen Lösungswege aufgezeigt, wie eine positive Fehlerkultur gestaltet und die Effizienz des eigenen Teams, aber auch die Mitarbeiterzufriedenheit deutlich gesteigert werden können. In Kombination führt dies zu weniger defensiven Entscheidungen. Zweite Studienwelle: Untersuchung von konkreten Maßnahmen, um die Häufigkeit von defensiven Entscheidungen zu reduzieren Die erste Studie hat gezeigt, inwieweit defensives Entscheiden unter den Führungskräften der Berliner Verwaltung verbreitet ist und was die Ursachen hierfür sind. Um Ihnen konkrete Lösungsansätze 3
präsentieren zu können, sollen in einer zweiten Studie gezielte Interventionsmaßnahmen zur Etablierung einer positiven Fehlerkultur getestet werden. Hierfür ist Ihre Teilnahme (Dauer nur ca. 20 Minuten) sehr wichtig. Ihnen werden verschiedene Szenarien geschildert, in denen Sie zwischen Handlungsoptionen wählen können. Um teilzunehmen schicken Sie bitte eine E-Mail mit Ihrem Vor- und Zunamen sowie dem Betreff Studie Berliner Verwaltung an Dr. Florian Artinger, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, artinger@mpib-berlin.mpg.de.weitere Informationen sind nicht erforderlich. Ihre Daten werden natürlich erneut streng vertraulich behandelt und nur für Zwecke der Studie genutzt. 4