Internationales und Europäisches Finanz- und Steuerrecht 09. Juni 2016 Dr. Stephan Schauhoff von Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht Prof. Dr. Stephan Schauhoff Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht
5 Folgen der EU-Harmonisierung im deutschen Recht (Schaumburg, Kapitel 4, Kapitel 17; Birk, 7 B) 2
Europäisches Recht erfordert Anpassung des nationalen Rechtes an Grundfreiheiten Bestenfalls verständigen sich EU-Staaten auf eine Steuerharmonisierungsrichtlinie, damit einheitliche Anwendung des EU-Rechtes in allen Staaten gewährleistet ist Ansonsten setzt jeweiliger nationaler Gesetzgeber Grundfreiheiten in nationales Recht um. Nationale Interpretationsspielräume bei Auslegung der Grundfreiheiten können zu erheblichen Abweichungen führen. Verwaltungs- und Erhebungsüberlegungen zur Sicherung des jeweiligen nationalen Steuersubstrats stehen im Konflikt mit der Überlegung, Steuerinländer und europäische Ausländer gleich zu behandeln Einige Beispiele: 3
I. Mutter-Tochter-Richtlinie Ausfluss Harmonisierung nach Art. 115, 116, 5 Abs. 3, Abs. 4 AEUV Richtlinie 2011/967/EU des Rates v. 30. November 2011 (Neufassung); Amtsblatt EU v. 29.12.2011 Richtlinie zielt darauf ab, Dividendenzahlungen und andere Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaften von Quellensteuern zu befreien und die Doppelbesteuerung derartiger Einkünfte auf Ebene der Muttergesellschaft zu beseitigen Definition Gesellschaft nationales Steuerrecht Anteil am Kapital von wenigstens 10 %, bilateral Stimmrecht vereinbaren Option 2 Jahre Besitzdauer vereinbaren Verwaltungskosten nicht abzugsfähig oder pauschal: 5 % ausgeschütteter Gewinne 4
Rechtsfolge: Kein Quellensteuerabzug an der Quelle Steuerfreiheit der Gewinnausschüttung bei der Muttergesellschaft oder alternativ Anrechnung der (auch ausländischen) Vorbelastung mit Körperschaftsteuer Beispiel D AG 70 Ertrag aus Ausschüttung 100 v.h. 30 Kosten, bspw. Zinsen für Erwerb Beteiligung 40 Gewinn 100 Gewinn GB-ltd. 30 GB-Köst 70 Mögliche Ausschüttung? Quellensteuer 5
1. Kapitalertragsteuer ( 43 b EStG) Definition Muttergesellschaft Mindestens 10 v.h. am Kapital Beteiligung nachweislich mindestens 12 Monate, Erstattung KapErtrSt, wenn nachträglich erfüllt 6
2. Steuerfreistellung ( 8 b KStG) Steuerbefreiung für in D ansässige Muttergesellschaften, nicht nur für EU-Fälle Steuerfreiheit nach 8b Abs. 1 KStG, jetzt aber Einschränkung 8b Abs. 4 KStGneu. System unsauber, da Veräußerungsgewinne auch für Streubeteiligung steuerfrei Keine Verlustberücksichtigung; Teilwert-AfA: 8b Abs. 2 KStG Pauschal 5 % Dividendeneinnahme nicht abzugsfähige BA ( 8b Abs. 5 KStG) Rückausnahme für Eigenhandel Finanzinstitute etc. gilt nicht für EU-Gesellschaften ( 8 b Abs. 9 KSTG) 7
3. Streubesitzdividenden Neuregelung 8b Abs. 4, 32 Abs. 5 KStG durch Gesetz zur Umsetzung des EuGH- Urteils v. 20.10.2011 in der Rs.C-284/09 (Gesetz v. 21.03.2013, BStBl. 2013 I, 344) Hintergrund: bislang Streubesitzdividende an ausl. Muttergesellschaft (Beteiligung unter 10 v.h.): Steuerpflicht in D nach 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG Keine KapErSt-Freiheit, allenfalls Absenkung von 25 v.h. auf 15 v.h. Steuersatz nach DBA Keine Gewerbesteuer, anders inländische Streubesitzdividende BFH v. 22.04.2009 I R 53/07, DStR 2009, 1469: Ungleichheit nur im Ansässigkeitsstaat bei Anrechnung KapErtSt EuGH v. 20.10.2011 C-284/09 Kommission/Deutschland: KapErtSt Unterschied Verstoß gegen Kapitalverkehrsfreiheit 8
3. Streubesitzdividenden (dazu Benz/Jetter, DStR 2013, 489) Drohende Steuerausfälle von ca. EUR 600 bis EUR 650 Mio. jährlich durch massenhafte Anträge auf KapErtSt von EU-Ausländern 8b Abs. 4 KStG: Streubesitzdividenden unter 10 v.h. Beteiligung für In- wie Ausländer stpfl., KapErtSt wird angerechnet (Gegenkonzept an Bundesrat gescheitert: Erstattung KapErtSt auch für Steuerausländer): 15 v.h. KSt./. 25 v.h. KapErtSt-Erstattung für inländische Gewerbebetriebe: 8 Nr. 5 i.v.m. 9 Nr. 7 GewStG bei Beteiligung von mindestens 15 v.h. seit Beginn Erhebungszeitraum keine Gewerbesteuerpflicht Folge: Ganz unterschiedliche Besteuerung bei Dividendenbezug von inländischer oder ausländischer Kapitalgesellschaft: 9
Beteiligungsquote: AG GmbH ltd BV 60 8 24 8 GmbH Altfälle bis 2001 AG: steuerfrei, bis auf 8b Abs. 5 KStG, 1,5 v.h. Steuerlast GmbH: 30 v.h. KSt und GewSt nach Anrechnung KapErtrSt ltd: steuerfrei, keine KapErtSt BV: 15 v.h. KSt bei Veranlagung nach Anrechnung KapErtrSt D hatte bis 2001 System, dass KöSt inl. KapGes auf Einkommen-/KöSt des inl. Gesellschafters angerechnet wurde Dieses System war europarechtswidrig (EuGH v. 30.06.2011, Meilicke I, Meilicke II: Verstoß gegen Kapitalverkehrsfreiheit) Unverändert offen, ob massenhafte Anträge auf Steuererstattung inl. Muttergesellschaften wegen Vorbelastung der Dividenden mit ausl. KöSt erfolgreich sein werden, zuletzt FG Köln v. 27.8.2012, BFH Revision I R 69/12; FG Münster v. 19.1.2012, BFH Revision I R 38/12: fehlende Nachweise; Verwaltung: keine Entscheidung möglich, FinMinSt v. 30.12.2015, IStR 2016, 264 16-20 Jahre nach Besteuerung Rechtmäßigkeit der Steuererhebung weiter unklar 10
II. Zins- und Lizenzrichtlinie Zinsrichtlinie v. 03.06.2003, Abl. EU (letzte Fassung) v. 20.12.2006 Nr. L 363/129 für natürliche Personen Besteuerungsrecht im Gläubigerstaat Wirtschaftliches Eigentum, Ansässigkeit EU Automatischer Auskunftsverkehr, Lux+Ö bislang alternativ lieber 35 v.h. Quellensteuer, kippt gerade Zins-/Lizenzrichtlinie für verbundene Unternehmen v. 03.06.2003, Abl. EUR v. 20.11.2006 Kein Quellensteuerabzug auf Lizenzen 11
1. Nationale Besteuerung und DBA Art. 11 OECD-MA Besteuerungsrecht Wohnsitzstaat; Art. 12. OECD-MA Quellensteuerabzugsrecht beschränkt für Lizenzen bspw. 10 v.h. 43 ff. EStG: 25 v.h. Abgeltungssteuer, für Steuerausländer nur bei dinglich gesicherter Forderung: 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG, nach DBA auch dann Freistellung 12
2. Besonderheiten des 50 g EStG Erstattung zwischen Kapitalgesellschaften; Mindestbeteiligung 25 v.h.; keine Mindestbesitzzeit; Missbrauchsvorbehalt : 50d EStG 13
III. Sportler- und Künstlerbesteuerung Beschränkt stpfl. Künstler/Sportler: Art. 17 OECD-MA: Auftrittsstaat, Gage und unmittelbar damit zusammenhängende Nebeneinkünfte; gleichgültig, ob selbständig oder nichtselbständig; auch bei Durchleitung Künstlerverleihgesellschaft 49 Abs. 1 Nr. 2d, Nr. 3 EStG 14
1. Besteuerungsverfahren 50a Abs. 1, 2 EStG: 15 v.h. bei Einnahmen über EUR 250. Einnahme umfasst Reisekostenerstattung, Hotelkosten, Verpflegung etc. EUR 1000 Gage, EUR 700 Flug/Taxi, Essen, Hotel liegt Steuerlast bei EUR 150 bei Gewinn von EUR 300, also Steuersatz von 50 v.h. wie Spitzensteuersatz trotz Minieinkommen 15
2. Änderungen infolge von Gerritse und Scorpio: 50a Abs. 3 EStG Gerritse, EuGH v. 12.06.2003 Rs. C-234/01, BStBl. 2003 II, 859: Art. 49, 50 AEUV Dienstleistungsfreiheit steht Bruttobesteuerung ohne Wahlrecht entgegen, wenn für Inländer geringere steuerliche Belastung: NL in D aufgetreten, dt. Konzertveranstalter auf Quellensteuer in Anspruch genommen Scorpio, EuGH v. 03.10.2006 Rs.C-290/04, BStBl. 2007 II, 352: Quellensteuerabzugsverfahren nur für Ausländer auch zulässig, aber BA-Abzug muss dann möglich sein: 50 a Abs. 3 EStG, dann Steuersatz 30 v.h. Auch Centro Equestre, EuGH v. 15.02.2007, Rs.C-345/04, IStR 2007, 212 FG Düsseldorf v. 24.04.2013 15 K 1802/09 E: Geschaffenes Recht ist europarechtskonform und verfassungsgemäß, obwohl Steuerausländer verfahrensrechtlich schlechter gestellt sind 16
IV. Fusionsrichtlinie und Niederlassungsfreiheit Verschmelzungsrichtlinie v. 26.10.2005, Abl. EU v. 01.02.2008 Nr. L 28/40 Fusionsrichtlinie: Richtlinie 90/434/EWG des Rates v. 23.07.1990, Fassung v. 20.11.2006, Amtsbl. 2006 erfasst: Fusion/Verschmelzung, Spaltung, Einbringung grundsätzlich grenzüberschreitend zu Buchwert möglich bei Teilbetrieb/Betrieb greift nur für KapGes, KöSt Sonderregeln für Sitzverlegung SE 17
1. Gewinnrealisierung infolge Entstrickung, Besteuerungswechsel Grundsatz: Veräußerungen (Übertragung wieigt. an WiG führt zu Gewinnrealisierung, auch wenn kein Entgelt gezahlt wird, sondern Anteile an aufnehmender Gesellschaft gewährt werden (wie Tausch) oder unentgeltlich (vga, Entnahme). Besteuerung Differenz BW/AK zu Verkehrswert; Ausnahme: Teilbetrieb/Betrieb: Übertragung wirtschaftlicher Einheiten, um Betriebsfortführung zu ermöglichen gilt auch grenzüberschreibend in der EU < = > Sicherung des nationalen Steuersubstrats EuGH-Rspr. zu Art. 54 AEUV (Niederlassungsfreiheit): Besonderer Betriebsstättensteuersatz: CCT-UFA EuGH v. 23.02.2006, Rs.C-253/03, IStR 2006, 200); Nichtanerkennung Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft durch Aufnahmemitgliedstaat: Überseering BV EuGH v. 05.11.2002 Rs.C-208/00, IStR 2002, 809 und viele andere 18
2. Anteilstausch über die Grenze: 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG Steueraufschub bei Wechsel des Besteuerungsrechtes durch Anteilstausch in anderen Staat bis zu späterer Veräußerung Beispiel: D-AG bringt Anteil an X-Ltd. in NL-BV ein und erhält dafür weitere Anteile an NL-BV. BW bei Einbringung 100, Verkehrswert 150, 5 Jahre später Veräußerung Anteile an X-Ltd. durch NL-BV für 200 EuGH v. 18.07.2013 C-261/11: Übertragung von Wirtschaftsgütern aus dänischem Unternehmen auf EU-Betriebsstätte mit Wegzugsteuer verstößt gegen Niederlassungsfreiheit. Erforderlich ist Steuerstundung ohne Sicherheitsleistung, auch zeitliche Streckung der Steuer 19
3. Verlagerung von Anteilen an SE: 4 Abs. 1 Satz 4 EStG 20
4. Verlagerung von Wirtschaftsgütern in der EU: 4g EStG Druckmaschine von D-AG in polnische Niederlassung gebracht: Entnahme aus dt. Betriebsvermögen: 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, aber Ausgleichsposten über 5 Jahre gewinnerhöhend auflösen: Nach EuGH v. 21.5.2015 C-657/13 europarechtskonform Wohl zulässig nach EuGH v. 23.01.2014 Rs. C-164/12 DMC Beteiligungsgesellschaft zu 20 Abs. 6 UmwStG a.f., aber Vorlage v. FG Düsseldorf v. 05.12.2013 8 K 3664/11 F 20 Abs. 3 UmwStG einschränkend auslegen, Wertaufdeckung wegen Verlust des deutschen Besteuerungsrechtes in diesen Fällen nicht zulässig. Unionsrechtswidrige Regelung kann keine Wirkung entfalten, eingebuchte stille Reserven unterliegen deutschem Besteuerungsrecht. Da Steuerbescheide aber bestandskräftig, faktische Nichtbesteuerung (BFH I B 66/15; FG Hamburg 2 K 66/14) 21
V. Erbschaftsteuer und Kapitalverkehrsfreiheit W mit Wohnsitz in der Schweiz erbt in D belegene Immobilie von seiner verstorbenen Ehefrau. Als beschränkt Stpfl. hat er nach 16 II ErbStG EUR 2.000 Freibetrag. Ehepartner haben Freibetrag von EUR 500.000 sowie einen weiteren Versorgungsfreibetrag EuGH C-181/12 v. 17.10.2013 (Welte): Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit, da Gebietsfremde und Ansässige verschieden besteuert werden; Niederlassungsfreiheit vorrangig berührt, wenn es um die Vererbung der beherrschenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft geht (EuGH v. 19.7.2012 C-31/11, Scheunemann), Niederlassungsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten nicht geschützt Kapitalverkehrsfreiheit aber doch, wie Immobilientransaktion aus privaten Motiven Keine Rechtfertigung über Kohärenz: Vorteil, dass bei beschränkt Stpfl. sich Bemessungsgrundlage auf Inlandsvermögen beschränkt und deswegen Freibetrag niedriger ist, rechtfertigt nicht Ungleichbehandlung von Steuerin- und ausländern, kein unmittelbarer Vorteil für beschränkt Stpfl. gegeben 22
V. Erbschaftsteuer und Kapitalverkehrsfreiheit Verstoß gegen Kapitalverkehrsfreiheit Jetzt BFH v. 20.1.2015 II R 73/13: Vorlage, ob 27 ErbStG gegen Kapitalverkehrsfreiheit verstößt, weil Steuerermäßigung bei mehrfachem Erwerb in StKl. I nur greift, wenn zuvor deutsche, aber nicht österreichische Erbschaftsteuer angefallen war 23