Aus der Augenklinik mit Poliklinik. der Friedrich Alexander Universität Erlangen. Nürnberg. Direktor: Prof. Dr. med. Friedrich E.



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Transkript:

Aus der Augenklinik mit Poliklinik der Friedrich Alexander Universität Erlangen Nürnberg Direktor: Prof. Dr. med. Friedrich E. Kruse Periokuläre Talgdrüsenkarzinome - eine klinisch - pathologische Studie an 35 Patienten Inaugural Dissertation Zur Erlangung der Doktorwürde der Medizinischen Fakultät der Friedrich Alexander Universität Erlangen Nürnberg vorgelegt von Nina Andrea Bauer aus Darmstadt

Gedruckt mit Erlaubnis der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Dekan: Referent: Koreferent: Prof. Dr. J. Schüttler Prof. Dr. L. Holbach Prof. Dr. F. E. Kruse Tag der mündlichen Prüfung: 22. Dezember 2010

Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 1 1.1 Aufgabenstellung 3 2. Patienten und Methode 4 2.1 Patientenselektion 4 2.2 Datenerhebung 4 2.3 Statistik 5 3. Ergebnisse 6 3.1 Patientendaten 6 3.1.1 Geschlechterverteilung 6 3.1.2 Epidemiologie 6 3.2 Klinische Charakteristika 7 3.2.1 Lokaltumor 7 3.2.1.1 Patientenalter bei Erstoperation 7 3.2.1.2 Verdachtsdiagnose 7 3.2.1.3 Tumorlokalisation 10 3.2.1.4 Lokalrezidive 11 3.2.1.5 Metastasen 12 3.2.1.6 Primäre Therapie 12 3.2.1.7 Radiatio 13 3.2.2 Zweittumor 13 3.2.2.1 Chronologie 13 3.2.2.2 Tumorentität 14 3.3 Anamnestische Daten 15 3.3.1 Jetztanamnese 15 3.3.1.1 Symptome 15 3.3.1.2 Vorausgegangene Behandlungen 18 3.3.1.3 Diagnostik- und Therapieverzögerung 19

3.3.2 Eigenanamnese 20 3.3.3 Familienanamnese 21 3.4 Postoperative Kontrollen 21 3.4.1 Überleben 22 3.4.2 Geschlechtsabhängiges Überleben 24 3.4.3 Lokalisationsabhängiges Überleben 25 3.4.4 Altersabhängiges Überleben 28 3.4.5 Zweittumorabhängiges Überleben 29 3.4.6 Lokalrezidivabhängiges Überleben 32 3.4.7 Tumorgrößenabhängiges Überleben 33 3.4.8 Vorbehandlungsabhängiges Überleben 35 3.4.9 Überleben in Bezug auf die Anzahl der Vorbehandlungsversuche 36 3.4.10 Familienanamnesenbedingtes Überleben 37 3.5 Muir-Torre Syndrom 39 3.5.1 Klinische und anamnestische Erfassung von MTS 39 3.5.2 Molekulargenetik und Immunhistochemie 39 3.6 Patientensynopsis 40 4. Diskussion 42 4.1 Geschlechterverteilung 42 4.2 Epidemiologie 42 4.3 Patientenalter bei erster Operation 43 4.4 Verdachtsdiagnose 43 4.5 Tumorlokalisation 43 4.6 Lokalrezidive 44 4.7 Metastasen 45 4.8 Therapie 47 4.8.1 Primäre Therapie 47 4.8.2 Nachbetreuung 48 4.9 Radiatio 49 4.10 Zweittumore 50

4.11 Jetztanamnese 51 4.12 Eigene Anamnese 53 4.13 Familienanamnese 54 4.14 Follow Up 56 4.14.1 Überleben 56 4.14.2 Abhängigkeitsbedingtes Überleben 57 4.15 Muir-Torre Syndrom 58 4.15.1 Klinische und anamnestische Erfassung von MTS 58 4.15.2 Molekulargenetik und Immunhistochemie 59 4.16 Patientensynopsis 61 5. Zusammenfassung 62 6. Summary 64 7. Literaturverzeichnis 66 8. Abkürzungsverzeichnis 75 9. Anhang 76 10. Danksagung 84 11. Lebenslauf 85

1 1. Einleitung Talgdrüsenkarzinome (TDK) sind mit 1,0 bis 3,2 % aller malignen Läsionen (4) relativ seltene Tumore der Hautanhangsgebilde, die extraokulär, aber vor allem periorbital entstehen können (8, 20, 41, 54, 56). Das gehäufte Auftreten innerhalb der Periorbitalregion erklärt sich aus der Tatsache, dass dort ungewöhnlich viele Talgdrüsen sind. Innerhalb des Augenlid-Tarsus befinden sich die Meibom-Drüsen, am Lidrand die etwas kleineren, mit den Zilien in anatomischem Zusammenhang stehenden Zeis Drüsen. Die Karunkel enthält feine Lanugohaare mit assoziierten Talgdrüsen. Die Augenbrauen, als äußere Begrenzung der Periorbitalregion enthalten ebenfalls Talgdrüsen (12, 13, 54, 60). Entsprechend dieses Verteilungsmusters der Talgdrüsen in der menschlichen Haut entstehen nur circa 25 % der Talgdrüsenkarzinome extraokulär. Dabei ist die häufigste Lokalisation die Glandula parotis (ektope Talgdrüsen aus embryonal verbliebenen pluripotenten Zellen), gefolgt von der Glandula submandibularis, dem Thorax, den Extremitäten, Zehen, Fußsohle und äußerem Gehörgang (54). Das periokuläre Talgdrüsenkarzinom erscheint klinisch als hartnäckiges gelbliches oder erythematöses Knötchen oder als nicht abheilender rötlich-schuppiger Fleck mit oder ohne Sekretion, im fortgeschrittenen Stadium mit Blutung oder Verlust von Augenwimpern. Aufgrund der Variationsbreite des klinischen Bildes geschieht es nicht selten, dass das Talgdrüsenkarzinom als Chalazion, (einseitige) Blepharokonjunktivitis oder Basalzellkarzinom fehlgedeutet wird, was sowohl die Prognose verschlechtern, als auch die Morbidität und Mortalität erhöhen kann (8, 61). Dieses Phänomen wurde 1967 von Theodore und Irvine erstmals beschrieben und ist seitdem als Maskerade-Syndrom bekannt. Dabei wird einer zugrunde liegenden Besonderheit, nämlich der sogenannten intraepithelialen Ausbreitung (pagetoid type, bowenoid type, papillary type) des Talgdrüsenkarzinoms Rechnung getragen (22, 53). Die Ursache für die Entstehung der Talgdrüsenkarzinome ist weitestgehend unbekannt (41, 67). Es werden jedoch Zusammenhänge im Rahmen der Einnahme von Diuretika, Immunsuppression (medikamentös, HIV/Aids), UV-Licht und HPV vermutet (20, 67, 68).

2 Talgdrüsenkarzinome treten als sporadisches, einzelnes Ereignis auf oder nebst viszeralen (nicht kutanen) Zweittumoren (58). Dieser von Muir et al 1967 (38, 50) und unabhängig davon durch Torre und Mitarbeitern 1968 (63) erstmals beschriebene Zusammenhang wurde 1982 allgemeingültig zum Muir-Torre Syndrom (MTS) zusammengefasst (61). MTS wird klassischerweise klinisch definiert als das gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Zusammentreffen mindestens eines Talgdrüsentumors (Talgdrüsenadenome, Talgdrüsenepitheliome, Basaliome mit talgdrüsiger Differenzierung, zystische Talgdrüsentumore, Talgdrüsenkarzinome, multiple Keratoakanthome) und mindestens eines viszeralen Tumors (v.a. Karzinome des Kolorektums, Urogenitaltrakts, Malignome des hämatogenen Systems, Mamma) unter Ausschluss prädisponierender Faktoren (12, 14, 15, 16, 20, 33, 44, 50, 58, 61, 64). Die phänotypische Ausprägung des MTS ist sehr variabel (58). Da das Spektrum innerer Tumore beim MTS dem des Hereditary Nonpolyposis Colorectal Cancer Syndrome (HNPCC) stark ähnelt, wurde früh vermutet, dass es sich bei MTS um eine Untergruppe des HNPCC handelt. Sowohl dem MTS als auch dem HNPCC liegen Keimbahnmutationen im DNA Reparaturgenensystem (MMR, mismatch repair), hmsh2 (MutS homolog2), hmlh1 (MutL homolog1), zugrunde. Im Zuge der Mutationen kommt es zur genetischen Instabilität (MIN, Mikrosatelliteninstabilität). Die Vererbung erfolgt weitgehend autosomal-dominant. Somatische Mutationen im Reparaturgensystem oder im homologen Rekombinationsreparatursystem (HRR) in Talgdrüsenkarzinomen können das klinische Bild eines MTS erzeugen (5). Die Molekulargenetik sucht nach weiteren Wegen der Pathogenese von MTS ( 5, 11, 14, 15, 16, 19, 20, 28, 33, 44, 58, 59, 61, 64). Bis uns die Möglichkeiten der molekulargenetischen Diagnostik beim MTS vollständig sicher und eindeutig zur Verfügung stehen, müssen wir uns weiterhin auf die klinischen Kriterien berufen.

3 1.1 Aufgabenstellung Aufgrund der Seltenheit des periokulären Talgdrüsenkarzinoms ist trotz der Fortschritte in der modernen Medizin noch immer relativ wenig über den individuellen Krankheitsverlauf bekannt. Aus diesem Grunde existieren weder eindeutige klinische Diagnostik- noch eindeutige Therapierichtlinien. Ziel dieser Arbeit ist es, anhand des untersuchten Patientenkollektivs die für das Talgdrüsenkarzinom herausragenden klinischen Daten im typischen Krankheitsverlauf festzuhalten, um eine bessere Früherkennung zu ermöglichen, Richtlinien für den diagnostischen Weg zu erstellen sowie Aussagen zur Prognose betroffener Patienten machen zu können und Schlüsse für die Nachbetreuung derselben zu ziehen. Zudem sollen anamnestische Eckpunkte als mögliche Hinweise auf ein Vorliegen des MTS herausgearbeitet werden.

4 2. Patienten und Methode 2.1 Patientenselektion In diese retrospektive, nicht randomisierte, klinisch-pathologische Studie wurden 35 Patienten eingeschlossen, die sich im Zeitraum vom 20.07.1971 bis 04.04.2008 zur operativen Entfernung eines periokulären Talgdrüsenkarzinoms erstmals in der Augenklinik mit Poliklinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Direktor: bis 31.12.2003 Prof. Dr. Dr. h.c. mult. G.O.H. Naumann, ab 01.01.2004 Prof. Dr. med. Friedrich E. Kruse) vorstellten. 2.2 Datenerhebung In der vorliegenden Untersuchung wurden hauptsächlich klinische und anamnestische Daten retrospektiv erfasst. Die klinische Datengewinnung erfolgte durch die Auswertung der Patientenakten der Augenklinik mit Poliklinik der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Um die Patientendaten weitestgehend vervollständigen zu können, konnten behandelnde Hausärzte, Ophthalmologen, Internisten sowie die Patienten selbst nebst deren unmittelbaren Angehörigen telephonisch erreicht werden. Immunhistochemische Daten wurden vom Ophthalmo-Pathologie-Labor der Augenklinik zur Verfügung gestellt. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Sektion Molekulare Gastrointestinale Onkologie der Martin-Luther- Universität Halle/Wittenberg (Direktor: Prof. Dr. W.G. Ballhausen) konnten Informationen zur Mokekulargenetik erworben werden. Trotz dieser Bemühungen waren nicht für jeden Patienten Daten zu jedem zu untersuchenden Aspekt verfügbar. Aus den 35 Patientenakten wurden die im Folgenden dargestellten Daten ausgewertet und dokumentiert: Geschlecht, Epidemiologie, Patientenalter bei Erst- Operation, klinische Verdachtsdiagnose, Tumorlokalisation, Lokalrezidive, Metastasen, primäre Therapie, Radiatio, Zweittumore, Chronologie der Zweittumoren und Tumorentität, anamnestische Daten zur Jetzt-, Eigen- und Familienanamnese sowie zu postoperativem Verlauf mit Analysen zur Überlebensprognose.

5 Die Datenerhebung und -verarbeitung erfolgte streng nach den Richtlinien des 5 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). 2.3 Statistik Die Erfassung, Bearbeitung und statistische Auswertung der Daten sowie die Gestaltung der Tabellen und Grafiken erfolgte unter der Nutzung von Microsoft Excel 2000 (Microsoft, Redmond, USA). In der Regel wurden die Mittelwerte, die Minima und Maxima angegeben. Die Analyse der Überlebenszeit erfolgte mit SPSS 0.14 mit Hilfe der Methode nach Kaplan-Meier.

6 3. Ergebnisse 3.1 Patientendaten 3.1.1 Geschlechterverteilung Für diese Studie konnten insgesamt 35 Patienten mit histopathologisch nachgewiesenem Talgdrüsenkarzinom herangezogen werden. Davon waren 18 (51 %) männlichen Geschlechts und 17 (49 %) weiblichen Geschlechts. Anzahl 18,2 18 17,8 17,6 17,4 17,2 17 16,8 16,6 16,4 Geschlecht m w Abb. 1: Geschlechterverteilung, n=35 3.1.2 Epidemiologie Diese Studie umfasst weiße Patienten. Davon kamen 30 aus Deutschland (Süd-, Nord-, Westdeutschland), zwei Patienten kamen aus Frankreich und jeweils einer aus Italien, Ungarn und der Türkei.

7 3.2 Klinische Charakteristika 3.2.1 Lokaltumor 3.2.1.1 Patientenalter bei Erstoperation Das Alter der Patienten liegt zum Zeitpunkt ihrer ersten Operation in Erlangen bei durchschnittlich 64 Jahren. Das Altersminimum betrug 31 Jahre, das Maximum 82 Jahre. 3.2.1.2 Verdachtsdiagnose Beim periokulären Talgdrüsenkarzinom sind Fehldeutungen bei der Diagnosestellung nicht selten (Maskerade-Syndrom). Für 27 Patienten wurden 29 Verdachtsdiagnosen gestellt. Zwei Patienten hatten jeweils zwei mögliche Erstdiagnosen. Unter den 29 Diagnosen wurde nur eine (3 %) korrekt gestellt, ein Patient hatte eine falsche und eine richtige Diagnose. In 27 Fällen (93 %) war die klinische Verdachtsdiagnose inkorrekt. Die häufigsten Fehldiagnosen waren jeweils neun Mal (33 %) Chalazion und Tumor (Oberlidtumor, exophytischer Tumor, nodulärer Lidkantentumor, Unterlidtumor), gefolgt von Basaliom (fünf, 18 %) und je einmal (4 %) Blepharokonjunktivitis, Talgdrüsenepitheliom, Atherom und Trichiasis.

8 Abb. 2: Chalazion-ähnliches periokuläres Talgdrüsenkarzinom im Bereich der Con- junctiva tarsi des Oberlides (nach Ektropionieren des Oberlids) Abb. 3: Patient aus Abb. 2 mit postoperativem Befund nach Resektion und plasti- scher Rekonstruktion

9 Abb.4: 69-jähriger Patient mit nodulärem Talgdrüsenkarzinom des linken Unterlids Abb. 5: Patient aus Abb. 4 mit postoperativem Befund nach en bloc Resektion des Tumors und semizirkulärer Verschiebelappenplastik Anzahl 10 8 6 4 2 0 Verdachtsdiangosen Chalazion Tumor Basaliom Blepharokonkunktivitis Talgdrüsenepitheliom Trichiasis Atherom Abb. 6: Klinische Verdachtsdiagnosen

10 3.2.1.3 Tumorlokalisation Die Tumorlokalisation verteilt sich in den meisten Fällen entsprechend der häufigeren Anzahl von Talgdrüsen mit 70 % (19 Patienten) auf das Oberlid, mit 26 % (sieben Patienten) auf das Unterlid und mit 4 % (ein Patient) auf die Karunkel. Das rechte Auge war in 16 Fällen (59 %), das linke in 11 Fällen (41 %) betroffen. 20 15 Anzahl 10 5 Oberlid Unterlid Karunkel 0 Lokalisation Abb. 7: Verteilung der Talgdrüsenkarzinome auf Ober- und Unterlid 20 15 Anzahl 10 5 0 Augenseite R L Abb. 8: Rechts-Links Verteilung der Talgdrüsenkarzinome

11 3.2.1.4 Lokalrezidive Bei zehn von 35 Patienten (29 %) traten Rezidive nach Behandlung auf. 14 (41 %) Patienten zeigten kein Rezidiv. Von 14 Patienten (40 %) waren keine Angaben erhältlich. Im Durchschnitt erlebte jeder betroffene Patient 1,7 Rezidive. Insgesamt traten im Erlanger Patientenkollektiv 17 Rezidive auf. Vier Patienten erlitten jeweils ein Rezidiv, fünf Patienten jeweils zwei lokale Rezidive und ein Patient drei Rezidive. Diese Zahlen beziehen sich auf die Zeitspanne vom Erkrankungsbeginn bis zum Abschluss der Untersuchung (04.02.2008). Bei vier von einem Rezidiv betroffenen Patienten trat das Rezidiv nach der definitiven Diagnose in der Universitäts-Augenklinik Erlangen auf, bei sieben Patienten zeigte sich das Rezidivwachstum bereits vor ihrer Einweisung nach Erlangen. Das bedeutet, ein Patient erlitt ein Rezidivwachstum sowohl vor als auch nach der Einweisung in die Universitätsaugenklinik Erlangen-Nürnberg. Ein Rezidivwachstum trat vier Monate (Median) nach Operation auf. Das am frühesten festgestellte Rezidiv trat bereits einen Monat post operationem auf, das am spätesten beobachtete Rezidiv wurde 228 Monate (19 Jahre) nach der ersten Operation beobachtet. Innerhalb des ersten Jahres nach der Erstoperation traten 86 % aller Rezidive auf. Ab dem fünften Jahr war nur noch bei einem Patienten ein Rezidiv festgestellt worden, d.h. 14 % aller Rezidive traten nach dem fünften Jahr auf. Anzahl Patienten 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Lokalrezidive 0 Lokalrezidive 1 Lokalrezidiv 2 Lokalrezidive 3 Lokalrezidive Abb. 9: Lokalrezidive nach Behandlung des Talgdrüsenkarzinoms

12 3.2.1.5 Metastasen Fernmetastasen konnten bei zwei von 35 Patienten festgestellt werden. Dabei erlitt ein Patient sowohl pulmonale als auch retroperitoneale Metastasen, welche als Absiedelungen des vorangegangenen Hodenkarzinoms anzusehen sind. Es wurde eine Radiatio der Inguinalregion durchgeführt. Der zweite Patient erlitt Mediastinalmetastasen, deren Ursprung von einem Talgdrüsenkarzinom des Oberlids ausging. Der Patient verstarb an den Folgen des lokalen Tumors. Bei einem Patienten wurden zervikale Metastasen der regionären Lymphknoten beobachtet. Außer einem Primärtumor des Oberlids hatte er keine weiteren Neoplasien. Er überlebte bis zum Abschluss der Untersuchung, musste sich jedoch einer Neck dissection sowie einer Radiatio des Lymphabflussgebietes unterziehen. Ein weiterer Patient musste sich einer Exenteratio orbitae und einer Neck dissection unterziehen. Er verstarb infolge seiner Grunderkrankung. 3.2.1.6 Primäre Therapie Bei allen untersuchten Patienten erfolgte als Primärtherapie nach definitiver Diagnose die chirurgische Exzision des Lokaltumors mit einem Mindestsicherheitsabstand von vier Millimetern. Vier von 35 Patienten wurden im Rahmen ihrer Primärtherapie mehrfach operativ behandelt. Acht Patienten (23 %) wiesen Tumoren des Lidrandes auf, die pentagonal exzidiert wurden. Der Defekt wurde rekonstruiert mittels Lidkantenverschiebeplastik, lateraler Kanthotomie und Kantholyse. Bei sieben Patienten (20 %) mit mittelgroßen Prozessen und Lidrandbeteiligung umfassten die Rekonstruktionsprinzipien Verschiebeplastiken, z.t. in Kombination mit freien Tarsomarginaltransplantaten, die aus kontralateralen gesunden Augenlidern gewonnen wurden.

13 Bei großen Prozessen, wo der gesamte Lidrand bzw. das gesamte Augenlid betroffen war wurden zur Lidrekonstruktion Verfahren nach Cutler-Beard und die Fricke Plastik angewandt. Dies war bei zwei Patienten (6 %) der Fall. Weit fortgeschrittene Lidprozesse mit Beteiligung der intraorbitalen Gewebe erforderten eine Exenteratio orbitae. Diese wurde bei zwei Patienten (6 %) durchgeführt. Wegen der Beteiligung der regionären Lymphknoten erfolgte bei zwei Patienten eine Neck dissection. Einer der betroffenen Patienten hatte eine der o.g. Exenteratio orbitae aufgrund der Infiltration der Orbita. 3.2.1.7 Radiatio Bei dem Patienten mit Exenteratio und regionären Lymphknotenmetastasen wurde postoperativ nach Exzision des Primärtumors und einer Neck dissection eine Bestrahlung der Zervikalregion durchgeführt. Ein Patient mit Metastasen eines Hodenkarzinoms (Zweittumor) wurde aufgrund regionaler Lymphknotenmetastasen inguinal bestrahlt. 3.2.2 Zweittumor 3.2.2.1 Chronologie Zusätzlich zum Lokaltumor der Periorbitalregion trat bei elf (32 %) von 35 Patienten ein Zweittumor auf. Bei zwölf (34 %) Patienten zeigte sich kein weiterer Tumor. Bei zwölf Patienten (34 %) waren keine Angaben erhältlich. In 55 % der Fälle (sechs Patienten) trat das Zweitmalignom zeitlich vor dem TDK in Erscheinung. Bei 45 % (fünf Patienten) der von einem Talgdrüsenkarzinom betroffenen Patienten zeigte sich das extraokuläre Malignom erst später. Ein synchrones Auftreten von Zweittumoren konnte innerhalb der beobachteten Patientengruppe nicht festgestellt werden.

14 Anzahl 14 12 10 8 6 4 2 0 Zweittumore vor/nach TDK nach vor kein Abb. 10: Zeitliche Abfolge der Zweittumore 3.2.2.2 Tumorentität Für die elf von einem extraokulären Malignom Betroffenen wurden 13 Diagnosen gestellt. Zwei Patienten litten an zwei verschiedenen Zweittumoren. Alle Zweittumore waren viszeralen Ursprungs. Am häufigsten trat das kolorektale Karzinom auf (n=3, 23 %). Jeweils zweimal (15 %) litten die Patienten an einem Prostatakarzinom, Bronchialkarzinom bzw. Leberkarzinom. Ein Nierenzellkarzinom, ein Magenkarzinom, ein Larynxkarzinom und ein Hodenkarzinom wurden je einmal (8 %) diagnostiziert. Anzahl 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 Zweittumor kolorektales Ca Prostata Ca Bronchial Ca Leber Ca Nieren Ca Larynx Ca Hoden Ca Magen Ca Abb. 11: Art und Verteilung der Zweittumore

15 3.3 Anamnestische Daten 3.3.1 Jetztanamnese 3.3.1.1 Symptome Bei acht (23 %) von 35 Patienten waren subjektive Angaben zur äußeren Erscheinungsform der letztendlich als periokuläres Talgdrüsenkarzinom diagnostizierten Veränderung zu finden. Dabei nannten vier Patienten (50 %) jeweils ein Symptom. Von einem Patienten (12,5 %) wurden zwei Auffälligkeiten am Augenlid beschrieben. Zwei Patienten (25 %) beobachteten jeweils drei unterschiedliche Veränderungen und ein Patient (12,5 %) gab fünf Symptome an. Das am häufigsten beschriebene Symptom war eine Verdickung am Augenlid oder Lidrand (n=9). Jeweils zweimal nannten Betroffene Schmerzen und Sekrektion. Auch eine subjektive Visusverschlechterung, Entzündung, Blutung und Juckreiz wurden jeweils einmal beschrieben. Abb. 12: 53 Jahre alte Patientin mit therapieresistenter, rötlicher, nodulärer Veränderung des linken Oberlids

16 Abb. 13: Patientin aus Abb. 10 nach Resektion eines nodulären Talgdrüsenkarzinoms und plastischer Rekonstruktion Abb. 14: Nodulär-ulzerierende Läsion am linken Oberlids Abb.15: Patient aus Abb. 14 postoperativ nach Resektion eines nodulär-

17 ulzerierenden Talgdrüsenkarzinoms und plastischer Rekonstruktion Abb. 16: Blepharitis-ähnliches periokuläres Talgdrüsenkarzinom mit Wim- pernausfall im Bereich der Oberlidkante Abb. 17: durchgehende Oberlidkantenbiopsie lieferte die histopathologische Dia- gnose eines pagetoid wachsenden Talgdrüsenkarzinoms

18 10 8 6 4 2 0 Äußere subjektive Erscheinungsform "Verdickung" "Entzündungszeichen" Sekretion subjektive Visusverschlechterung Schmerzen Blutung Juckreiz Abb. 18: Symptome der Patienten mit Talgdrüsenkarzinom 3.3.1.2 Vorausgegangene Behandlungen Bevor die Patienten zur endgültigen Diagnosestellung und Therapie an die Universitäts-Augenklinik Erlangen-Nürnberg überwiesen wurden, hatten einige bereits verschiedene Therapieversuche hinter sich. Von neun Patienten konnten Informationen über diverse Vorbehandlungen gewonnen werden. Bei neun Patienten wurden insgesamt 15 Exzisionen durchgeführt. Zusätzlich wurde bei einem Patienten eine Absaugung eines Unterlidtumors vorgenommen. Bei einem weiteren Patienten wurde der periorbitale Prozess mit Salben vorbehandelt. Vier Patienten wurden jeweils einmal exzidiert. Bei vier Patienten wurden jeweils zwei Exzisionen durchgeführt und ein Patienten wies drei Exzisionen auf. Lediglich drei Patienten wurden ohne Vorbehandlung an die Universitäts-Augenklinik Erlangen-Nürnberg überwiesen. Von 23 Patient waren keinerlei Informationen zu dieser Thematik erhältlich.

19 Anzahl 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Vorbehandlungen Salben Absaugung Exzision Abb. 19: Anzahl und Art der Vorbehandlungen 5 Anzahl Patienten 4 3 2 1 0 Anzahl Exzisionen 1 Exzision 2 Exzisionen 3 Exzisionen Abb. 20: Anzahl vorausgegangener Exzisionen 3.3.1.3 Diagnostik und Therapieverzögerung Bei elf von 35 Patienten waren Informationen bezüglich der zeitlichen Verzögerung bis zur definitiven Diagnose und Therapie an der Augenklinik der Universität Erlangen-Nürnberg erhältlich. Dabei blieben lange, symptomfreie Zeiträume bis zum nächsten Rezidiv unberücksichtigt. Die Spanne dabei reichte von einem Minimum von 1,5 Monaten bis zu einem Maximum von 123 Monaten (zehn Jahre und drei Monate).

20 Im Durchschnitt betrug die zeitliche Verzögerung 30,6 Monate (zwei Jahre, sechs Monate). Der Median betrug zehn Monate. 3.3.2 Eigenanamnese Im Rahmen der Eigenanamnese wurde nach prädisponierenden Faktoren für das periokuläre Talgdrüsenkarzinom gesucht. Es konnten lediglich Herz-Kreislauf Erkrankungen, Angiopathien, endokrinologische Erkrankungen, pulmonale Erkrankungen, urologische Erkrankungen, orthopädische Erkrankungen, Hals-Nasen-Ohren Erkrankungen, ophthalmologische Erkrankungen, intestinale Erkrankungen und Dermatopathien beobachtet werden. Eine Patientin litt an einer fazialen aktinischen Keratose, an einer Lentigo des Nasenrückens und einem Basaliom der Nasolabialfalte. Diese Prozesse entstehen bevorzugt in UV-exponierten Bereichen. Die betroffene Patientin war in der Landwirtschaft tätig. Es wird vermutet, dass auch Talgdrüsen unter jahrelanger UV- Exposition entarten können. Aufgrund der Herz-Kreislauferkrankungen der Patienten kann vermutet werden, dass nicht wenige davon mit Diuretika behandelt wurden. Thiaziddiuretika stehen im Zusammenhang mit der Entstehung von TDK. Von einer Patientin wissen wir, dass sie aufgrund ihrer progressiven systemischen Sklerodermie auf die Gabe von Kortikosteroiden angewiesen war, welche eine supprimierende Wirkung auf das Immunsystem haben und damit eine fördernde Wirkung für die Tumorentstehung. Zwei der Patienten wiesen Darmpolypen auf. Im Zusammenhang mit einem Talgdrüsenkarzinom ist damit die Definition für das MTS erfüllt.

21 3.3.3 Familienanamnese Bei elf von 35 Patienten konnten Angaben zur Familienanamnese bezüglich des Vorkommens von Malignomen erhoben werden. Fünf (45 %) Patienten wiesen eine negative Familienanamnese auf, während bei sechs (55 %) Patienten die Familienanamnese positiv war. Bei einem Patienten war ein Blutsverwandter betroffen, bei je einem weiteren Patienten zwei, vier bzw. fünf blutsverwandte Personen. Bei zwei Patienten fanden sich lediglich Angaben, dass blutsverwandte Personen eine positive Familienanamnese aufwiesen, enthielt aber keine Informationen, um welche Verwandte es sich handelt. Dabei war bei allen Patienten mit betroffener Blutsverwandtschaft stets mindestens ein Verwandter ersten Grades (Eltern, Geschwister) betroffen. Als weitere blutsverwandte Personen wurden die Großeltern, Onkel, Tanten und Cousine genannt. Bei allen betroffenen Blutsverwandten wurden ausschließlich Malignome des internistischen Bereichs festgestellt, jedoch keine weiteren Tumore der Periorbitalregion. In fünf Fällen traten Malignome im Darmbereich auf. Magenkarzinome wurden ebenso in fünf Fällen beobachtet. Jeweils zweimal konnten Prostatakarzinome und Bronchialkarzinome festgestellt werden. Jeweils einmal wurden ein Endometrialkarzinom, ein Mammakarzinom und ein Leberkarzinom gefunden. Es konnte kein Unterschied bezüglich der Tumorart zwischen Verwandten ersten Grades und den anderen Blutsverwandten beobachtet werden. 3.4 Postoperative Kontrollen Von insgesamt 35 Patienten mit histologisch gesichertem TDK konnten bei 17 Patienten Ergebnisse zum postoperativen Verlauf mit Überlebensstatistik erhoben werden.

22 3.4.1 Überleben Die Auswertung der Überlebenswahrscheinlichkeiten erfolgte nach der Kaplan-Meier- Methode. Bis zum 04.02.2008 überlebten neun Patienten (53 %). Acht Patienten (47 %) verstarben im Beobachtungszeitraum. Der Beobachtungszeitraum ist definiert als die Zeitspanne von der Erstoperation eines betreffenden Patienten in der Universitätsaugenklinik Erlangen bis zum 04.02.2008. Das Minimum betrug dabei Null Monate (der Patient verstarb unmittelbar nach der Erstoperation), das Maximum betrug 300 Monate (die Patientin lebte bis zum Abschluss der Beobachtungszeit). Von den acht verstorbenen Patienten erlagen sechs (75 %) den Folgen einer bösartigen Tumorerkrankung (zwei (25 %) an TDK-assoziierten Tumorfolgen, vier (50 %) an Folgen anderer Malignome). Bei zwei Patienten (25 %) fand sich die Todesursache im kardiovaskulären Bereich. Nach fünf Jahren (60 Monate) betrug die Überlebensrate der gesamten Patientengruppe 67% (Std. Fehler 0,124), nach zehn Jahren (120 Monate) beträgt die Überlebensrate 42 % (Std. Fehler 0,138). Im Mittel verstarben die Patienten 51 Monate nach der Operation. Betrachtet man die Patientengruppe nur unter dem Aspekt malignombedingter Todesfolgen, so erhält man für die Fünf-Jahres-Überlebensrate 72 % (Std. Fehler 0,121) und für die Zehn-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit 52 % (Std. Fehler 0,151). Die Patienten verstarben im Mittel nach 50 Monaten post operationem. Die im Folgenden betrachteten Gruppen beziehen sich ausschließlich auf die Untergruppierung der Patienten, welche an karzinomassoziierten Folgen verstarben.

23 Abb. 21: Überleben der gesamten Patientengruppe, n=17

24 Abb. 22: Überlebensstatistik mit ausschließlich tumorbedingten Todesfällen, n=15 3.4.2 Geschlechtsabhängiges Überleben Unter den Patienten waren sieben weiblichen Geschlechts und acht männlichen Geschlechts. Im Beobachtungszeitraum verstarben insgesamt zwei Frauen (33 % aller Verstorbenen) und vier Männer (67 % aller Verstorbenen): eine Frau verstarb an den Folgen des TDK, eine starb an nicht TDK assoziierten Tumorfolgen. Ein Mann verstarb TDK assoziiert, drei Männer an Folgen anderer Malignome. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate betrug für die weiblichen Patienten 89 % und für die männlichen Patienten 58 %. Nach zehn Jahren lebten noch 39 % der Männer und 67 % der Frauen.

25 Die weiblichen Patienten hatten insgesamt eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als die männlichen Patienten. Das Ergebnis war nicht signifikant. Die Frauen verstarben im Mittel 48 Monate nach der Erstoperoperation, während die Männer im Mittel nach 51 Monaten verstarben. Abb. 23: Geschlechtsabhängiges Überleben, n=15 3.4.3 Lokalisationsabhängiges Überleben Von elf Patienten mit einem TDK des Oberlids verstarben im Beobachtungszeitraum vier Patienten (36 %), davon einer TDK assoziiert, drei an den Folgen anderer bösartiger Tumorerkrankungen. Von den vier Patienten mit einem TDK des Unterlids verstarben zwei (50 %) einer davon erlag den Folgen des TDK, einer verstarb an den Folgen eines anderweitigen Malignoms.

26 Nach fünf Jahren lebten aus der Gruppe mit TDK des Oberlids noch 80 %, aus der Gruppe mit TDK des Unterlids noch 53 % der Betroffenen. Nach einem Zeitraum von zehn Jahren lebten 57 % der Gruppe mit Oberlid-TDK. Aus der Gruppe der Patienten mit Unterlid-TDK waren alle Patienten verstorben. Bei betroffenem Unterlid war die Überlebensprognose schlechter als bei einem TDK des Oberlids. Das Ergebnis war nicht signifikant (p=0,32). Bei sieben Patienten trat das TDK am rechten Auge auf, bei acht Patienten am linken Auge. Es verstarben drei Patienten mit rechtsseitigem TDK, davon einer an den unmittelbaren TDK Folgen, zwei an den Folgen anderer bösartiger Tumore. Von den drei Patienten mit linksseitigem TDK verstarb einer TDK assoziiert, zwei an den Folgen anderer Tumore. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate betrug für die Patienten mit TDK rechts 74%, für die Patienten mit TDK links 70 %. Die Zehn-Jahres-Überlebensrate war beim TDK rechts 56 % mit TDK links 47 %. Patienten mit TDK am rechten Auge wiesen eine nicht signifikant (p=0,87) höhere Überlebenswahrscheinlichkeit auf.

27 Abb. 24: Überleben in Abhängigkeit vom Augenlid, n=15

28 Abb. 25: Überlebensfunktion in Abhängigkeit von der Augenseite, n=15 3.4.4 Altersabhängiges Überleben Die untersuchten Patienten wurden in eine Gruppe A < = 60 Jahre und eine Gruppe B > 60 Jahre eingeteilt um das Überleben in Bezug auf das Alter bei der Erstoperation beurteilen zu können. Neun Patienten (60 %) waren zum Zeitpunkt ihrer Operation 60 Jahre oder jünger, sechs Patienten (40 %) waren älter als 60 Jahre. Aus Gruppe A verstarben zwei Patienten TDK assoziiert, zwei nicht TDK assoziiert. In der Gruppe B verstarben zwei Patienten, alle zwei an den Folgen eines Malignoms (nicht TDK). Die Fünf-Jahres-Überlebensstatistik betrug bei der Gruppe A 78 %, bei der Gruppe B 67 %. Nach zehn Jahren fand sich eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 39 % in Gruppe A, in Gruppe B 67 %. Die Prognose war nach fünf Jahren für die jüngere

29 Patientengruppe günstiger, während nach zehn Jahren die Prognose für die ältere Gruppe gleich blieb, sank sie hingegen in der jüngeren Gruppe. Das Ergebnis ist nicht signifikant. Abb. 26: Überleben in Abhängigkeit vom Alter bei erster Operation, n=15 3.4.5 Zweittumorabhängiges Überleben Es konnten von zwölf Patienten genaue Daten über Zweittumore im Sinne viszeraler Tumore gewonnen werden. Fünf Patienten entwickelten keinen Zweittumor in dieser Gruppe verstarb ein Patient an den Folgen des TDK. Sieben Patienten dagegen hatten einen oder mehrere Zweittumore, fünf davon verstarben vier an den Folgen eines Malignoms, einer an den Folgen des TDK. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate lag bei den Patienten mit Zweittumor bei 58 %, bei den Patienten ohne Zweittumor bei 83 %.

30 Auch die Zehn-Jahres-Überlebensrate zeigte bei Patienten ohne Zweittumor mit 83 % eine bessere Prognose als mit Zweittumor (29 %). Das Ergebnis ist nicht signifikant (p=0,18). Bei drei Patienten trat der Zweittumor zeitlich vor dem TDK auf in dieser Gruppe verstarben zwei Patienten, einer davon TDK assoziiert, einer nicht TDK assoziiert. Bei vier Patienten trat der viszerale Tumor nach dem TDK in Erscheinung. Zwei Patienten starben alle an den Folgen anderer Tumore als das TDK. Nach fünf Jahren ergab sich eine Überlebensrate für Patienten, die den Zweittumor vor dem TDK entwickelten von 35 %, bei denen mit Zweittumorentwicklung nach dem TDK betrug die Überlebenswahrscheinlichkeit 75 %. Die Zehn-Jahres-Überlebensrate war bei Erscheinen des Zweittumors vor dem TDK 37 %, nach dem TDK betrug die Überlebenswahrscheinlichkeit 25 %. Das Ergebnis ist nicht signifikant (p=0,15).

Abb. 27: Überleben in Abhängigkeit vom Vorhandensein eines Zweittumors, n=12 31

32 Abb. 28: Überleben in Abhängigkeit vom zeitlichen Auftreten des Zweittumors, n=12 3.4.6 Lokalrezidivabhängiges Überleben Von den 15 beobachteten Patienten mit Tumorerkrankung entwickelten fünf ein Lokalrezidiv, wovon zwei Patienten starben. Bei allen zwei Patienten war die Todesursache nicht TDK assoziiert, neun Patienten blieben ohne Lokalrezidiv, davon starben vier Patienten zwei im Zusammenhang mit TDK Folgen, die anderen zwei verstarben an den Folgen anderer Malignome. Von einem Patient konnten keine Daten gewonnen werden. Die Überlebenswahrscheinlichkeit war besser bei den Patienten, welche ein Lokalrezidiv entwickelten. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate betrug für Patienten ohne Lokalrezidiv 69 % im Vergleich zu 75 % bei den Patienten mit Rezidiv. Bei Patienten

33 ohne Rezidiv betrug die Zehn-Jahres-Überlebensrate 41%, bei Patienten mit Rezidiv 75 %. Das Ergebnis war nicht signifikant (p=0,35). Bei 18 % der Probanden wurde ein Lokalrezidiv festgestellt, davon verstarben im Untersuchungszeitraum zwei Patienten an nicht TDK assoziierten Folgen, ein Patient lebte. Bei 23 % ergaben sich zwei Lokalrezidive. Zwei Patienten lebten, zwei verstarben an den Folgen anderer Malignome. Bei 6 % waren keine Angaben über die Anzahl der Rezidive erhältlich. Abb. 29: Überleben in Abhängigkeit von lokalem Rezidivwachstum, n=14 3.4.7 Tumorgrößenabhängiges Überleben 11 Patienten hatten Informationen zur Größe des TDK. Bei der Mehrheit der Patienten wurden mittelgroße (6, 46 %) TDK gefunden. 31 % der Patienten

34 entwickelten kleine Tumore (n=2), während in einem Fall (8 %) ein großes TDK und zweimal (15 %) weit ausgedehnte TDK auftraten. Bei den von einem mittelgroßen TDK betroffenen Patienten betrug die Fünf-Jahres- Überlebensrate 86 %, bei den Patienten mit kleinen Karzinomen betrug sie 50 %, bei den großen TDK 100 % und bei weit fortgeschrittenen Tumoren 50 %. Die Zehn-Jahres-Überlebensrate betrug für Patienten mit mittelgroßen TDK 43 %, bei kleinen Läsionen 50 %, bei großen TDK 100 % und bei den weit fortgeschrittenen Tumoren 50 %. Der Unterschied war nicht signifikant (p=0,52). Abb. 30: Überleben in Abhängigkeit von der Tumorgröße, n=11

35 3.4.8 Vorbehandlungsabhängiges Überleben Von zehn Patienten konnten Daten über mögliche Vorbehandlungsversuche erhalten werden: bei drei Patienten (30 %) fanden keine Vorbehandlungen statt einer davon verstarb TDK assoziiert, zwei Patienten lebten. Bei sieben Patienten (70 %) fanden Behandlungen mit Salben oder durch Exzisionen statt. Davon starb einer im Untersuchungszeitraum nicht TDK assoziiert. Sechs Patienten lebten. Patienten, die vorbehandelt wurden, zeigten eine Fünf-Jahres-Überlebensstatistik von 83 %, diejenigen, die nicht vorbehandelt wurden hatten eine Fünf-Jahres- Überlebensrate von 67 %. Die Zehn-Jahres-Überlebensrate zeigte dasselbe Bild: sie betrug bei den Vorbehandelten 83 %, bei den Nicht-Vorbehandelten 67 %. Folglich hatten die Vorbehandelten eine günstigere Überlebensprognose als die Nicht-Vorbehandelten. Der Unterschied war nicht signifikant (p=0,14).

36 Abb. 31: Überleben in Abhängigkeit von Vorbehandlungen, n=15 3.4.9 Überleben in Bezug auf die Anzahl der Vorbehandlungsversuche Drei Patienten (42 % von sieben Vorbehandelten) unterzogen sich einer Vorbehandlung, davon waren alle drei Patienten am Leben. Zwei Patienten (29 %) wurden zweimal vorbehandelt beide Patienten lebten. Zwei Patienten (29 %) unterzogen sich sogar drei Vorbehandlungen: beide Patienten verstarben. Für Patienten mit einem und zwei Vorbehandlungsversuchen betrug die Fünf-Jahres- Überlebenswahrscheinlichkeit 100 %, bei den Patienten mit drei Vorbehandlungen war die Überlebenswahrscheinlichkeit 0%.

37 Die Zehn-Jahres-Überlebensrate war für die Patienten mit einem bzw. zwei Vorbehandlungsversuchen ebenfalls 100 %, alle Patienten mit drei Vorbehandlungen verstarben. Der Unterschied war statistisch signifikant (p=0,05). Abb. 32: Überleben in Abhängigkeit von der Anzahl der Vorbehandlungsversuche, n=10 3.4.10 Familienanamnesenbedingtes Überleben Von neun Patienten (60 %) konnte eine Familienanamnese in Erfahrung gebracht werden: fünf Patienten hatten eine positive, vier eine negative Familienanamnese bezüglich dem Vorhandensein von Tumoren bei Blutsverwandten. Von den Patienten mit positiver Familienanamnese lebten bis zum Abschluss der Untersuchung vier Patienten, ein Patient verstarb an nicht TDK assoziierten Folgen,

38 unter den Patienten mit negativer Familienanamnese verstarb einer nicht TDK assoziiert, drei Patienten lebten. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate derjenigen mit positiver Familienanamnese betrug 50 %, bei Patienten mit negativer Familienanamnese betrug sie 100 %. Für Patienten mit positiver Familienanamnese waren keine Daten mehr erhältlich, bei negativer Familienanamnese betrug die Prognose 75 %. Letztlich war die Prognose besser für Patienten mit negativer Familienanamnese. Das Ergebnis ist nicht signifikant (p=0,20). Abb. 33: Überleben in Abhängigkeit einer Familienanamnese, n=9

39 3.5 Muir-Torre Syndrom 3.5.1 Klinische und anamnestische Erfassung von MTS Fügt man letztlich die Ergebnisse aus Anamnese (Eigen- und Familienanamnese) und der klinischen Charakteristika der einzelnen Patienten zusammen, so kann gefolgert werden, dass aus dem Zusammentreffen eines histologisch bestätigten TDK und einem bzw. mehreren viszeralen Tumoren bei elf Patienten die Diagnose MTS möglich ist. Bei weiteren fünf Patienten liegt ein TDK und eine positive Familienanamnese bezüglich des Auftretens viszeraler Tumore vor. Auch hier kann MTS vermutet werden. Um die klinische und anamnestische Diagnostik zu erleichtern, wurde ein Flussdiagramm (siehe Anhang) zur Anwendung in der Klinik entwickelt. 3.5.2 Molekulargenetik und Immunhistochemie 35 Patienten standen für die weiterführenden molekulargenetischen und immunhistochemischen Untersuchungen zur Verfügung. Die Ergebnisse waren aufgrund von nicht idealer Präparatqualität (die Präparate wurden teilweise aus dem Ausland zur Verfügung gestellt) oder nicht ausreichendem Gewebematerial nicht immer vollständig. Vier Patienten (11 %) erwiesen sich als MLH-1 (MutL homolog 1) positiv, drei (9 %) als MLH-1 negativ. MSH-2 (MutS homolog 2) war in drei Fällen (9 %) positiv nachweisbar, in vier Fällen (11 %) nicht nachweisbar (negativ). Bei sechs Patienten (17 %) erwies sich MSH-6 (MutS homolog 6) positiv, bei zwei (6 %) Patienten stellte es sich als negativ heraus. Des weiteren wurden die Gewebsproben auch auf FHIT (Fragile Histidine Triad) geprüft. Dabei war FHIT bei acht Patienten (22 %) positiv, bei acht Patienten (22 %) nicht nachweisbar (negativ). Der PROX 1 (Prospero Related Homeobox 1) Nachweis war in zwei Fällen (6 %) negativ, in sieben Fällen (20 %) positiv.

40 β-catenin war bei vier (11 %) Patienten nachweisbar (positiv), in zwei Fällen (6 %) jedoch negativ. Die E-Cadherine waren in zwei Fällen (6 %) negativ, in drei Fällen (9 %) positiv. BRCA-1 erwies sich bei einem Patienten (3 %) als negativ und in drei Fällen (9 %) als positiv. 3.6 Patientensynopsis Im Folgenden soll die Krankengeschichte zweier Patienten mit signifikant-typischen Verläufen näher beschrieben werden. Der 60-jährige S.M. stellte sich nach mehreren externen Exzisionen am linken Unterlid (letzte 07/2004) mit einer Gewebsvermehrung desselben (seit 09/2003) in der Universitäts-Augenklinik Erlangen-Nürnberg vor. Die Eigen- und Berufsanamnese des Patienten war unauffällig. Die Familienanamnese erwies sich positiv bezüglich viszeraler Malignome bei Verwandten ersten Grades. Der Patient gab selbst keinerlei viszerale Tumore an. Der Befund am Augenlid wurde exzidiert und wurde histopathologisch, immunhistochemisch sowie molekulargenetisch aufgearbeitet. Der Defekt wurde plastisch durch eine Lidkantenverschiebeplastik nach Kanthotomie und Kantholyse gedeckt. Die histopathologische Aufarbeitung ergab ein mäßig differenziertes periokuläres TDK. Molekulargenetisch und immunhistochemisch war das FHIT Genprodukt sowohl in Normal- als auch im Tumorgewebe nachweisbar. Die Mismatch-Repair Gene (MMR) hmlh1, hmsh2, hmsh6 wurde in den Tumorzellen des Talgdrüsenkarzinoms nicht nachgewiesen (MSI) der Nachweis in den normalen korrespondierenden Geweben war positiv.

41 Der 41 Jahre alte Patient S.J. stellte sich wegen einer schmerzlosen, chalazionähnlichen Schwellung am linken unteren Augenlid in der Universitäts- Augenklinik Erlangen-Nürnberg vor. Der Patient wies eine bemerkenswerte Familienanamnese auf (siehe Stammbaum): der Vater des Patienten litt an einem Lungen- und Prostatakarzinom, die Großmutter väterlicherseits verstarb an den Folgen eines Kolonkarzinoms. Der Patient selbst litt an keinerlei viszeralen Tumoren. Die Veränderung am linken unteren Augenlid wurde in toto exzidiert (13 x 10 x 8 mm) und der histopathologischen, immunhistochemischen und molekulargenetischen Diagnostik zugeführt. Histopathologisch wurde ein gut bis mäßig differenziertes Talgdrüsenkarzinom in der posterioren Lamelle des Augenlids nachgewiesen. Im Zuge der molekulargenetischen und immunhistochemischen Diagnostik war das FHIT Tumorsuppressorgenprodukt im gesunden Gewebe stark nachweisbar, dagegen fehlte es in den Tumorzellen des Talgdrüsenkarzinoms. hmlh1, hmsh2 und hmsh6 war in den Zellkernen der Karzinomzellen (MSS) und im gesunden Gewebe nachweisbar. 1. = Patient S.J. 2. = Vater des Patienten S.J. 3. = Großmutter väterlicherseits des Patienten S.J., verstorben Abb. 34: Stammbaum des Patienten S.J.

42 4. Diskussion 4.1 Geschlechterverteilung In der Literatur sind unterschiedliche Zahlen zu finden was die Geschlechterverteilung beim Talgdrüsenkarzinom betrifft (54, 4). Die meisten Autoren finden jedoch eine höhere Inzidenz bei Frauen (8, 9, 12, 13, 30, 36, 56, 60) die Ursache dafür ist unbekannt (54). Es muss jedoch festgestellt werden, dass die betrachteten Fallzahlen bei den entsprechenden Autoren bis auf eine Ausnahme (60 Patienten) relativ gering sind (zwischen elf und 23 Patienten). Bei einer Patientenzahl von 35 Patienten ergab sich ein annähernd ausgeglichenes Verhältnis zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht mit geringem Überwiegen bei den männlichen Patienten. 4.2 Epidemiologie Mit einer Inzidenz von 20-30 % im Vergleich zur europäischen Bevölkerung ( bis 1,3 %) kommen Talgdrüsenkarzinome gehäuft in der asiatischen Bevölkerung vor (8, 54, 60). Weil es sich beim MTS um ein seltenes Syndrom handelt und die meisten Studien fast ausschließlich weiße Patienten der Industrienationen behandeln, gibt es kaum Informationen über Asien oder Afrika (47). Jairam et al glauben, dass es im Rahmen der epidemiologischen Verteilung von MTS Betroffenen keine regionalen Unterschiede gibt. Man beruft sich dabei auf den unterschiedlichen Entwicklungsgrad der Kontinente bzw. der Länder (24). Da an dieser Studie ausschließlich weiße Patienten beteiligt waren ist es nicht möglich eine Aussage zu machen, welche für die gesamte Weltbevölkerung relevant ist. Dafür ist es notwendig sich mit Kliniken und Instituten anderer Kontinente zusammenzuschließen um nach Festlegung der Untersuchungsbedingungen gewonnene Daten vergleichen und auswerten zu können.

43 4.3 Patientenalter bei erster Operation Die hier vorliegenden Resultate decken sich in etwa mit denen von Zürcher et al (Durchschnitt: 63 Jahre, Minimum: 37 Jahre, Maximum: 79 Jahre) und Conway et al (Durchschnitt: 61,7 Jahre, Minimum: 37 Jahre, Maximum: 83 Jahre) (12, 69). Talgdrüsenkarzinome sind als alleinige Entität Tumore des fortgeschrittenen Lebensalters, es sind jedoch Fälle bei jüngeren Patienten, meist mit vorausgegangener Radiatio der Entstehungsregion, angefangen bei einem Alter von 3 Jahren, bekannt (13, 41, 54). Im Zusammenhang mit MTS manifestieren sich die kutanen Läsionen laut Literatur erst mit höherem Lebensalter (1). 4.4 Verdachtsdiagnose Neben den in der vorliegenden Patientengruppe gefundenen Fehldiagnosen nennt die Literatur noch weitere, wie z.b. Leukoplakie, Schweißdrüsentumor, Papillom (69), Keratoakanthom (12) oder Karbunkel (47). In Übereinstimmung mit der Literatur ist das Chalazion die an erster Stelle genannte mögliche Fehldiagnose, gleich gefolgt von der (einseitigen) chronischen Blepharokonjunktivitis (8, 47). Augenärzte sollten daher beim Vorliegen eines Chalazions bzw. einer Blepharokonjunktivitis die ihnen vorliegende Diagnose genau überprüfen und eine Probenentnahme veranlassen. Die Probe soll von einem erfahrenen Ophthalmohistopathologen ausgewertet werden. 4.5 Tumorlokalisation Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse decken sich mit denen der Literatur bezüglich des Verteilungsmusters der Talgdrüsenkarzinome auf Ober- bzw. Unterlid. Die Mehrheit der Talgdrüsenkarzinome entsteht im Oberlid (75 %, 63 %, 60 %) gefolgt vom Unterlid (22 %, 27 %, 12 %) und der Karunkel (2 %). Die Begründung

44 dafür ist die stärkste Häufung von Talgdrüsen im Tarsus des Oberlids. Weiterhin benennt die Literatur noch Zahlen für beide gleichzeitig betroffene Augenlider mit 5 % bzw. 28 % sowie für das konjunktivale Epithel (2 %) als Ursprungsort (8,9,54,56). Laut Literatur ist das linke Auge (60 %, 62 %) häufiger betroffen als das rechte (40 %, 38 %). Diese Findung trifft für die vorliegende Untersuchung nicht zu. Gründe dafür sind in den entsprechenden Literaturstellen nicht zu finden zumal insgesamt kaum Informationen über die Rechts-Links Verteilung beim periokulären Talgdrüsenkarzinom in der modernen Literatur enthalten sind (9, 56). Das vorliegende Patientenkollektiv zeigt mit 59 % eine stärkere Häufung rechts. Bei den untersuchten Patienten der Literatur hingegen handelt es sich um sporadische TDK. Bei den untersuchten Patienten kann aufgrund der klinischen Charakteristika und der Anamnesen der Patienten angenommen werden, dass zumindest bei einem Teil ein MTS vorliegt. Dies könnte vielleicht eine Erklärung für das unterschiedliche Seitenverteilungsmuster sein, ähnlich der etwas anderen Lokalisation von kolorektalen Karzinomen bei Patienten mit und ohne MTS. Im Zusammenhang mit MTS treten kolorektale Karzinome tendenziell proximal der Flexura splenica auf (14, 24, 31, 39). 4.6 Lokalrezidive Über das Rezidivwachstum periokulärer TDK ist in der modernen Literatur (ab 2000) wenig ausführliches Material vorhanden. Entsprechende Stellen sind bei Callahan, Chao, Omura, Ponti, Shields und Zürcher zu finden. Mögliche Gründe könnten die vergleichsweise geringen Patientenzahlen bzw. die Problematik, eine Patientengruppe über längere Zeiträume zu beobachten, darstellen. Omura beschreibt periokuläre TDK als lokal aggressiv wachsende Entitäten. Die Tendenz lokal zu rezidivieren ist eine Folge daraus (41). Ponti berichtet eine im Vergleich zum solitären TDK höhere Rezidivrate im Zusammenhang mit MTS (44).

45 Als durchschnittliche Tumorrezidivraten finden sich 12 % - 29 % (9, 41). Mit 29 % lag das Erlanger Patientengut etwas darüber. Zürcher nennt ein Gesamtrezidivwachstum von 28 % nach zwei bis 48 Monaten mit einem Median von neun Monaten. Shields beschreibt eine Rezidivquote von 18 % bei einem Median von 16 Monaten. Im vorliegenden Patientenkollektiv beträgt der Medianwert vier Monate nach der Erstoperation. Die meisten Literaturstellen korrelieren die Rezidivquote mit OP-Techniken, Sicherheitsabständen oder Rezidivlokalisationen. So vergleicht Callahan eine Patientengruppe, die mit großem Sicherheitsabstand operiert wurde mit einer Gruppe, die mit Mohs Technik behandelt wurde. Dabei fand sich bei der ersten Gruppe ein Rezidivwachstum von 14 % und eine Fünf-Jahres- Rezidivquote von 9 %-36 %. In der 2. Gruppe ergab sich eine Rezidivquote von 7 %. Bei den Untersuchungen von Shields (56) fanden sich 73 % aller Rezidive an der alten Lokalisation, 27 % an einer benachbarten Stelle. Für Sicherheitsabstände von einem bis drei Millimetern fanden sich Rezidivzahlen von 36 % während bei Abständen von fünf Millimetern keine Rezidive auftraten (54). Zur Rezidivthematik ist es wünschenswert nicht nur Gesamtraten der Lokalrezidive zu erfahren, sondern auch zeitliche Zusammenhänge mit Minima, Maxima, Median/Mean, Ein- bzw. Fünf-Jahres-Rezidivraten bzw. durchschnittliche Anzahl der Rezidive pro Patient und pro Zeitraum. 4.7 Metastasen Periorbitale Talgdrüsenkarzinome metastasieren üblicherweise lymphogen. Die Metastasen ausgehend vom Oberlid manifestieren sich bevorzugterweise in den präaurikulären Lymphknoten oder in den Lymphknoten der Glandula parotis, während die TDK des Unterlids gehäufter in die Lymphknoten der Regio submandibularis bzw. Regio cervicalis metastasieren (13, 54). Die Literatur nennt

46 Zahlen von 30 % (54) bzw. 17 %-28 % (13) wobei nur die Hälfte der von Metastasen betroffenen Patienten fünf Jahre überlebt (54). In weit fortgeschrittenen Fällen kommt es gelegentlich zur Metastasierung über den Blutweg in entfernte Organe wie Lunge, Leber, Knochen und das Gehirn (8, 54). Genaue Zahlen über die Metastasierungsrate sind in der moderneren Literatur nicht zu finden, es wird jedoch eine Sterblichkeitsrate von 7-30 % genannt (8). Bassetto et al unterscheiden weiter zwischen dem metastatischen Verhalten von orbitalen und extraorbitalen TDK (dazu zählen alle TDK außerhalb der Periorbitalregion). Periorbitale TDK gelten dabei mit 15 %-30 % und einer Fünf- Jahres-Todesrate von 20 % als aggressiver als TDK anderer Körperregionen (4). Weitere Autoren korrelieren das Auftreten von Lymphknotenmetastasen mit pagetoidem Wachstumsmuster der Primärtumore. Pagetoides Wachstum erhöht das Risiko der Entstehung lymphogener Metastasen von 11 % auf 41 % (4, 9, 55). Primär erscheint diese Tatsache für den Kliniker eine untergeordnete Rolle zu spielen. Erst im zweiten Schritt kann es richtungsweisend für weitere Diagnostik bzw. die Therapie sein. Ponti (47) und Tay (61) fanden, dass 60 % aller von MTS betroffenen Patienten Metastasen entwickeln. Dabei wurde nicht unterschieden, ob es sich um Metastasen eines kutanen Malignoms oder eines viszeralen Tumors handelt. Es ist interessant, herauszufinden, wie sich die Metastasen im Verhältnis verhalten. Durch eine fundierte histopathologische Aufarbeitung der Metastasen ist dies durchaus möglich. Eine Untersuchung dieser Art liegt derzeit noch nicht vor. Zürcher et al (69) haben Daten über mehrere einzelne Patienten ähnlich der Untersuchung im Patientenkollektiv des Universitäts-Augenklinikums Erlangen. Sechs Patienten entwickelten präaurikuläre Lymphknotenmetastasen sechs bis 24 Monate (Median vierzehn Monate) nach der Erstoperation. Davon hatten drei Patienten zusätzlich ein Lokalrezidiv. Später wurde bei einem der Patienten eine histologisch bestätigte subkutane Fernmetastase gefunden. In der Erlanger Patientengruppe konnte teilweise nicht mit letztendlicher Sicherheit abgeklärt werden ob die Metastasen vom TDK oder von Zweittumoren ausgingen.