Tokolyse bei vorzeitiger Wehentätigkeit



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Transkript:

EXPERTENRIEF NR. 41 DER GYNÉCOLOGIE SUISSE SGGG In der GYNÄKOLOGIE werden nach uswahl der Herausgeber an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform). Expertenbrief Nr. 41 (siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005) Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek Tokolyse bei vorzeitiger Wehentätigkeit Der vorliegende Expertenbrief gibt aktuelle evidenzbasierte Empfehlungen zur uswahl und zum Einsatz von Tokolytika. Die Evidenzlevels ( bis IV) und die Empfehlungsgrade ( bis C) sind in Rot angegeben (vgl. Tabelle 2, s. 27). Irène Hösli, Christiane Sperschneider, Gero Drack, Roland Zimmermann, Daniel Surbek, Olivier Irion Die Inzidenz für Frühgeborene, das heisst Kinder vor 37 Schwangerschaftswochen (SSW), beträgt in der Schweiz etwa 7,5%, wobei 1% der Frühgeburten vor 32 SSW stattfinden (1). Damit liegt die Schweiz im europäischen Vergleich der Frühgeburtenrate (5,5 11,4%) im Mittelfeld. Frühgeburten machen rund 75% der gesamten perinatalen Mortalität und zirka 50% der Langzeitmorbidität aus (2). Risikoeinschätzung zur Therapieplanung Oft ist es schwierig, Schwangere mit einem hohen Risiko für eine drohende Frühgeburt frühzeitig zu identifizieren. Etwa 90% der Frauen, die sich mit Kontraktionen vorstellen, gebären nicht innerhalb der nächsten sieben Tage, und etwa 75% der Frauen erreichen ohne Tokolyse oder andere Therapien den Geburtstermin (3). Viele Schwangere mit vorzeitiger Wehentätigkeit werden somit «überbehandelt», sodass es das Ziel sein muss, die wirklich gefährdeten Frauen zu identifizieren, um unnötige, kostspielige Interventionen zu vermeiden. Nur die rechtzeitige Erkennung einer drohenden Frühgeburt ermöglicht ein risikospezifisches Management, die Stabilisierung der Schwangeren und die Verlegung in ein Perinatalzentrum. Rund ein Drittel aller Frühgeburten sind medizinisch indiziert (Präeklampsie, intrauterine Wachstumsretardierung etc.). Zirka 40 bis 45% treten nach vorzeitigen Wehen auf und weitere 30% nach vorzeitigem spontanem lasensprung vor 37 SSW. Die vorliegenden Empfehlungen beziehen sich vorwiegend auf die beiden letztgenannten Gruppen. Das Management bei drohender Frühgeburt besteht in: Diagnostik zur Risikoeinschätzung und Therapieplanung eginn einer kuttokolyse Gabe von Kortikosteroiden zur fetalen Lungenreifung (4) eventuell Gabe von ntibiotika Verlegung in ein Perinatalzentrum. Diagnose Zur Sicherung der Diagnose sollten die folgenden Untersuchungen durchgeführt werden: 1. namnese: zur Identifikation von Hochrisikopatientinnen: Mehrlingsschwangerschaft, Uterusfehlbildung, Myome, Status nach Frühgeburt, Spätabort, chirurgische bruptio, wiederholte Kürettagen, Konisation oder andere Eingriffe an der Zervix, Komplikationen in der aktuellen Schwangerschaft, einschliesslich der genauen eschreibung der aktuellen eschwerden wie krampfartige Unterbauchschmerzen, tiefe Rückenschmerzen, vaginale bgänge (5). 2. CTG: zur eurteilung des fetalen Zustandes und der Wehentätigkeit. 3. bdominale Sonografie: zur eurteilung von Lage, Gewicht und Morphologie des Feten, Plazentalokalisation und -morphologie, Fruchtwassermenge, Dopplereffekt. 4. Spekulumeinstellung: zur eurteilung einer allfälligen lutung, eines Fruchtwasserabgangs, eines Fruchtblasenprolapses, für die bstrichentnahme zur mikrobiologischen Untersuchung. Fakultativ: fetaler Fibronektintest; Test zum Fruchtwassernachweis (s.u.). 5. Vaginale Sonografie: zur Messung der Zervixlänge, zum usschluss/zur eurteilung von Placenta praevia, zum usschluss von Vasa praevia. 6. lutentnahme: zur estimmung von CRP und Leukozyten (usschluss eines mnioninfektsyndroms). Die transvaginale Ultraschalluntersuchung der Zervix ist der digitalen Untersuchung zur Erkennung von Frühgeburtsbestrebungen überlegen (6 8). ei einem vorzeitigen lasensprung sollte jede vaginale Untersuchung (Spekulum oder Ultraschall) restriktiv und nur unter streng sterilen edingungen durchgeführt werden (9, 10). Die digitale Untersuchung vor Einsetzen der Geburtswehen sollte unterlassen werden. Um einen vorzeitigen spontanen lasensprung sicher verifizieren zu können, sind bei Unklarheiten (namnese, Spekulumund Ultraschalluntersuchung) immunchromatografische Methoden (mnisure, ctim Promtest ) zur Diagnosestellung empfohlen (11). Indikation der Tokolyse (24+0 bis 33+6 SSW) Der Einsatz von Tokolytika vor 24 SSW kann in Einzelsituationen begründet sein (z.. perioperativ bei Cerclage). uf den Einsatz von Tokolytika zur äusseren Wendung bei eckenendlage, zur intrauterinen Reanimation oder zur Entwicklung 24 GYNÄKOLOGIE 2/2013

des Feten bei Sectio wird im Rahmen dieses Expertenbriefes nicht eingegangen. Mindestens eines der folgenden Kriterien sollte zu eginn einer Tokolyse erfüllt sein: vorzeitiger spontaner lasensprung vor 34 SSW ohne Zeichen einer Chorioamnionitis spontane vorzeitige Wehentätigkeit (CTG: > 4 uterine Kontraktionen in 20 Minuten oder 6 in 60 Minuten). Plus eines der folgenden Kriterien: Verkürzung der funktionellen Zervixlänge auf 25 mm oder im Verlauf von zirka 2 Stunden Verkürzung der Zervix um mehr als 5 mm (transvaginale Messung) positiver Fibronektintest (fakultativ) symptomatische Placenta praevia/tiefer Plazentasitz mit vaginaler lutung Muttermunderöffnung um > 2 cm und < 5 cm. In unklaren Situationen kann die estimmung des fetalen Fibronektins ein zusätzliches Hilfsmittel bezüglich der Wahl des weiteren Prozederes sein. Das Risiko für eine Frühgeburt steigt auf 50%, wenn die Schwangerschaftsdauer weniger als 32 SSW beträgt, die Zervix auf 15 mm verkürzt ist und ein positiver Fibronektintest vorliegt. Sind der Fibronektintest negativ und die Zervixlänge 15 mm, reduziert sich das Risiko, innerhalb der nächsten sieben Tage zu entbinden, auf 1% (12 14). ei einer Zervixlänge von 25 mm und einem negativen Fibronektintest bei 24 SSW ist das Risiko für eine Frühgeburt aufgrund des mit 95% hohen negativen prädiktiven Wertes gering (15). Ziel der Tokolyse Das primäre Ziel einer Tokolyse besteht darin, eine Frühgeburt vor Vollendung der 37. SSW zu vermeiden. Da dieses Ziel oft nicht erreichbar ist, sollte die Tokolyse darauf zielen, die Schwangerschaft bis 34 SSW beziehungsweise im Minimum um mindestens 48 Stunden zu verlängern, um die einmalige Lungenreifungsinduktion mit 2 x 12 mg i.m. etamethason (Celestone ) im bstand von 24 Stunden durchzuführen. Dadurch können die perinatale Mortalität und Morbidität um 50% reduziert werden (16). Das weitere Ziel der Tokolyse ist es, die Verlegung in utero in ein Perinatalzentrum zu ermöglichen, womit die perinatale Morbidität und Mortalität ebenfalls signifikant verringert werden. ndererseits darf der Fetus aber durch das Verbleiben in einem ungünstigen intrauterinen Milieu (Risiko z.. Infektion!) nicht geschädigt werden; in diesen Fällen ist eine Schwangerschaftsverlängerung mittels Tokolyse nicht sinnvoll. Vorgehen kuttokolyse Tokolytika verzögern die Geburt um 48 Stunden bis maximal 7 Tage. Eine Reduktion der Rate an Frühgeburten vor der 32. SSW respektive 37. SSW oder der neonatalen Morbidität (respiratorisches Distress-Syndrom oder intraventrikuläre lutung) und/oder der perinatalen Mortalität konnte jedoch in randomisierten, plazebokontrollierten Studien für verschiedene eta-sympathomimetika, Oxytocin-Rezeptorantagonisten, und Prostaglandinsynthesehemmer bisher nicht nachgewiesen werden (18). llerdings kann der fehlende Vorteil für die Neonaten durch methodische Schwächen in den bisher publizierten randomisierten, kontrollierten Studien erklärt werden (19). Ebenfalls unberücksichtigt ist hier der bezüglich Morbidität und Mortalität positive Effekt der Verlegung der Schwangeren in ein Perimentalzentrum und der Lungenreifungsinduktion, welche durch die Tokolytika erst ermöglich werden. Nach dem heutigen Wissenstand sind die erwähnten Tokolytika gleich effizient hinsichtlich Wehenhemmung; somit kann die Wahl auf der asis gegebener, auch relativer Kontraindikationen getroffen werden (Tabelle 1). Kalziumblocker bewirken ein besseres neonatales Outcome als etamimetika, auch wenn Langzeitdaten fehlen (20). etamimetika und Oxytocin-Rezeptorantagonisten sind als Tokolytika in der Schwangerschaft zugelassen, der Einsatz von Kalziumantagonisten ist dagegen eine Off-label-nwendung, über die die Schwangere vorgängig aufgeklärt werden muss. Die Notwendigkeit eines Therapiewechsels (als «Rescuetherapie» bei Nichtansprechen eines Tokolytikums), die generelle Einstellung einer Institution oder ökonomische Kriterien können die Entscheidung ebenfalls beeinflussen (21). Die fehlende Evidenz begründet allerdings einen restriktiven Einsatz der Tokolytika. Eine Kombination der einzelnen Tokolytika sollte im klinischen lltag vermieden werden, da sich schwerwiegende Nebenwirkungen potenzieren können (21, 22). Tokolytika mit guter Datenlage eta-sympathomimetika Intravenös verabreichte eta-sympathomimetika (Hexoprenalin, Fenoterol) haben einen nachgewiesenen tokolytischen Effekt, zeigen allerdings im Vergleich zu Plazebo oder Oxytocin- Rezeptorantagonisten aufgrund ihrer Wirkungsweise höhere maternale Nebenwirkungsraten (Palpitationen in 48%, Tremor in 39%, Kopfschmerzen in 23%, Thoraxschmerzen in 10%) sowie in Kombination mit Kortikosteroiden und einer aggressiven intravenösen Volumengabe (v.a. bei vorliegendem Infekt) ein höhe- Tabelle 1: llgemeine Kontraindikationen zur Tokolyse (17) Mütterliche Indikation zur Schwangerschaftsbeendigung Sepsis schwere Präeklampsie mütterliche hämodynamische Instabilität Lungenödem Kindliche Indikation zur Schwangerschaftsbeendigung pathologisches CTG (vorzeitige Plazentalösung = relative Kontraindikation) Chorioamnionitis Intrauteriner Fruchttod oder mit dem Überleben nicht vereinbare Fehlbildungen GYNÄKOLOGIE 2/2013 25

res Risiko für die Entwicklung eines Lungenödems (1:425) (18, 19). Durch die nwendung einer olustokolyse oder einer Flüssigkeitsrestriktion kann die Rate maternaler Nebenwirkungen reduziert werden (23). Fetale Nebenwirkungen sind vorübergehende Tachykardien oder Hypoglykämie, falls etamimetika weniger als zwei Tage vor der Geburt abgesetzt wurden (21). Es wird deshalb empfohlen, unter Volumenkontrolle eine möglichst niedrige Dosierung zeitlich begrenzt einzusetzen (24). Der tokolytische Wirkungsnachweis fehlt für die orale pplikation der eta-sympathomimetika. Spezielle Kontraindikationen sind: kardiale Erkrankungen inklusive Herzrhythmusstörungen Thyreotoxikose schwere Präeklampsie entgleister Diabetes mellitus (cave: Exazerbation der Hyperglykämie) Lungenödem Mehrlinge (relative Kontraindikation) schwere nämie. Oxytocin-Rezeptorantagonisten Oxytocin-Rezeptorantagonisten sind in ihrer tokolytischen Wirksamkeit mit eta-sympathomimetika vergleichbar, haben jedoch deutlich weniger maternale Nebenwirkungen (25, 26) und zeigen ein optimales Nutzen-Risiko-Profil. Palpitationen treten in 2% auf, Tachykardien in 6% und Kopfschmerzen in 10%. Schwere Nebenwirkungen wurden unter alleiniger Therapie mit Oxytocin-Rezeptorantagonisten nicht beschrieben (21). Sie werden deshalb von vielen internationalen Fachgesellschaften neben Kalziumantagonisten als Tokolytikum der ersten Wahl angesehen. ei Risikosituationen (d.h. hohes Risiko für Lungenödem, Mehrlingsschwangerschaft, Polyhydramnie, kardiale oder pulmonale Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ I, Wehenpersistenz und/oder Tachykardie unter Hexoprenalin) sollte deshalb tosiban das Tokolysemedikament der ersten Wahl darstellen (27). tosiban wird i.v. mit einer Loading Dose von 6,75 µg in 1 Minute appliziert, danach folgt eine 3-stündigen Gabe von 18 mg/stunde und eine Erhaltungsdosis von 6 mg/stunde über 45 Stunden. Die Gesamtdauer sollte 48 Stunden nicht überschreiten. Die maximale Dosierung bei einem einmaligen Durchgang beträgt 330 mg. Der Preis ist im Vergleich zu anderen Tokolytika deutlich höher. Kalziumantagonisten Kalziumantagonisten haben im Vergleich zu eta-sympathomimetika ein besseres Nutzen-Risiko-Profil, das heisst gleiche Wirksamkeit hinsichtlich Verlängerung der Schwangerschaft bei geringer maternaler und fetaler Nebenwirkungsrate. Deshalb werden sie von verschiedenen internationalen Fachgesellschaften neben den Oxytocin-Rezeptorantagonisten als Tokolytikum der ersten Wahl empfohlen (19, 28, 29). Es ist auch zu erwähnen, dass Kalziumantagonisten als einziges Tokolytikum peroral verabreicht werden können. Diese Ergebnisse wurden nur für Nifedipin im Vergleich mit anderen Tokolytika, nicht jedoch für andere Kalziumantagonisten nachgewiesen (30). Im Vergleich zu eta-sympathomimetika verbessert Nifedipin die neonatale Morbidität (respiratorisches Distress-Syndrom, intraventrikuläre lutung, nekrotisierende Enterokolitis) und weist wenig maternale Nebenwirkungen auf (31). ufgrund der fehlenden Langzeitbeobachtungen und der Frage nach der optimalen Dosierung werden noch weitere, grössere Untersuchungen nötig sein. Nebenwirkungen umfassen lutdrucksenkung (cave: orthostatischer Schwindel) und Kopfschmerzen. ls schwere Nebenwirkung wurden Lungenödeme, vor allem bei Zwillingsschwangerschaften, beobachtet. ls Dosierung gelten derzeit 30 bis 40 mg per os (10 mg alle 10 bis 15 Minuten) als Loading Dose in der ersten Stunde, dann 60 mg täglich bis zu einer Maximaldosis von 120 bis 150 mg/tag Nifedipin slow release (dalat CR ) (32). Ein lternativschema umfasst die einmalige Gabe von 10 mg zum Zerbeissen, kombiniert mit Nifedipin 20 mg Retard (CR 20) zur schnellen ufsättigung; dann 60 Minuten danach Gabe der Erhaltungsdosis von Nifedipin 60 mg (CR 60) (33) sowie Nifedipin CR 30 in Reserve. uch eine Erhaltungsdosis mit einem lang wirksamen Präparat von 90 mg/tag (dalat CR ), alle 12 Stunden einmal 30 mg respektive 60 mg im Wechsel, zeigte eine sehr gute Verträglichkeit (34, 35). Nifedipin kann mit einer hoch dosierten Magnesiumtherapie (z.. bei Präeklampsie) kombiniert werden (36). Spezielle Kontraindikationen sind (37): kardiale Erkrankungen inklusive Herzrhythmusstörungen arterielle Hypotonie Lungenödem Mehrlinge (relative Kontraindikation) intrauterine Wachstumsretardierung (IUGR < 5. Perzentile). Tokolytika mit begrenzter Datenlage (obgleich eine tokolytische Wirkung nachgewiesen wurde) Prostaglandinsynthesehemmer Prostaglandinsynthesehemmer (insbesondere Indomethacin) werden ebenfalls zur Tokolyse eingesetzt. In randomisierten Studien wurden eine signifikant bessere tokolytische Wirkung im Vergleich zu Plazebo und eine zumindest vergleichbare Wirkung gegenüber anderen Tokolytika bewiesen. llerdings sind die Fallzahlen zu gering, um eine eindeutige Empfehlung abgeben zu können (38, 39). ls mögliche Nebenwirkungen beim Fetus sind die Einschränkung der Nierenfunktion (Folge: Oligohydramnie) und die Konstriktion des Ductus arteriosus zu beachten, weswegen sie nicht länger als 48 Stunden verabreicht werden sollten. Die empfohlene Dosierung beträgt als Loading Dose 100 mg, anschliessend 50 mg 6- bis 8-stündlich. Spezielle Kontraindikationen sind: Schwangerschaft > 32. SSW akutes Ulkus ventriculi oder Ulkus in der namnese Hypertonie llergie gegen NSR schwere IUGR Oligohydramnie. 26 GYNÄKOLOGIE 2/2013

NO-Donatoren Obgleich NO-Donatoren (transkutane pplikation mittels Nitro TTS patch) in einer randomisierten, kontrollierten Studie bei Frühgeburten vor 28 SSW eine signifikante Reduktion der neonatalen Morbidität zeigen konnten, ist noch keine ausreichende Evidenz vorhanden, um dieses Tokolytikum ausserhalb von klinischen Studien einzusetzen (40). Hinzu kommen als häufige Nebenwirkung therapieresistente Kopfschmerzen. Tokolytika ohne nachgewiesenen Effekt Magnesiumsulfat Für Magnesiumsulfat fehlt ein eindeutiger Wirknachweis als Wehenhemmer (41, 42). Trotzdem ist Magnesiumsulfat, im Gegensatz zur Praxis in Europa, das in den US meistverwendete Tokolytikum. Der Initialdosis von in der Regel 6 g innerhalb von 20 Minuten wird meist eine im Vergleich zur Eklampsieprophylaxe höhere Erhaltungsdosis von 3 bis 4 g/stunde (43) angeschlossen. Falls überhaupt verwendet, sollte der Einsatz von MgSO 4 auf maximal 48 Stunden begrenzt bleiben. Der aus epidemiologischen Studien vermutete neuroprotektive Effekt für das Kind ist in einer kürzlich publizierten, randomisierten Studie gezeigt worden (44). ufgrund offener Fragen kann zurzeit die Verwendung von Magnesiumsulfat zur fetalen Neuroprotektion noch nicht generell empfohlen werden. elegte Hauptindikation der intravenösen Magnesiumtherapie in der Schwangerschaft bleibt die Prophylaxe oder Therapie von Krampfanfällen im Rahmen der Präeklampsie (Eklampsie). Zulassung von Tokolytika In der Schweiz sind das etamimetikum Hexoprenalin (Gynipral ) und der Oxytocinantagonist tosiban (Tractocile ) für die ehandlung der vorzeitigen Wehentätigkeit zugelassen, während dies für Kalziumantagonisten, Prostaglandinsynthesehemmer und NO-Donatoren nicht gilt. Falls diese verwendet werden, sollte die Patientin über den Off-label-use dieser Medikamente und über mögliche lternativen informiert werden (45). Langzeittokolyse is heute gibt es keine klare Evidenz für eine perorale Langzeittokolyse mit eta-sympathomimetika, Oxytocin- Rezeptorantagonisten respektive Kalziumantagonisten (46 49). Eine Langzeittokolyse kann daher für die routinemässige nwendung nicht empfohlen werden und sollte nur in ausgewählten Einzelfällen (z.. symptomatische Placenta praevia und frühes Schwangerschaftsalter) erfolgen. Erfahrungsgemäss ergeben sich in der Praxis immer wieder Einzelsituationen, bei denen eine fortgesetzte Tokolyse eine Frühgeburtenprävention zu erreichen scheint. Möglicherweise lässt sich wegen der geringen Zahl dieser Fälle der zu vermutende enefit für die Neugeborenen jedoch statistisch nicht erfassen. Weitere Massnahmen ettruhe In einer 1994 veröffentlichten randomisierten Studie zeigte das Verordnen von strikter ettruhe keinen Einfluss auf die Rate an Frühgeburten (50). Da negative Nebenwirkungen, wie ein erhöhtes Thromboserisiko, häufigeres uftreten von Depressionen oder ein Gefühl der Isolation, nachgewiesen sind, ist diese Massnahme im llgemeinen nicht indiziert (51, 52). Gelockerte ettruhe und eine rbeitsunfähigkeitverordnung sind vertretbar. ryophyllum Die tokolytische Wirkung von ryophyllum pinnatum wurde bisher in vitro und in mehreren nwendungsbeobachtungen oder retrospektiven Studien beschrieben. Teildaten von zwei prospektiven kontrollierten Studien nach Vorschriften des Heilmittelgesetzes sind ausstehend, und weitere klinische Studien sind notwendig, um die Evidenz zu erhöhen (53 55). ntibiotika Es gibt keine Evidenz, dass bei Schwangeren mit vorzeitigen Wehen und erhaltener Fruchtblase die routinemässige Gabe von ntibiotika die Rate der Frühgeburten senkt (56). Nachuntersuchungen nach sieben Jahren haben in diesem Kollektiv I Tabelle 2: Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben Evidenzlevel Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten Untersuchungen Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung I Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte Studie ohne Randomisierung I Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere, quasiexperimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute Empfehlungsgrad In der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, ist mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete Empfehlung bezieht (Evidenzlevel, ). Zum Thema der Empfehlung sind gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierte klinische Untersuchungen (Evidenzlevel I, I, III). C Es ist Evidenz vorhanden, die auf erichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind (Evidenzlevel IV). Good-Practice-Punkt Empfohlene est Practice, die auf der klinischen Erfahrung der Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline herausgibt. GYNÄKOLOGIE 2/2013 27

ein erhöhtes Risiko für Zerebralparese gezeigt (57). In ausgewählten Fällen wie bei vorzeitigen Wehen und positivem GS-bstrich ist eine ntibiotikagabe indiziert (58). ei Schwangeren mit vorzeitigem lasensprung vor 34 SSW hingegen führt die Gabe von ntibiotika (Erythromycin, moxicillin, Clindamycin) zu einer Verlängerung der Schwangerschaft und einer Reduktion der neonatalen Morbidität (59). Progesteron Nach einer aktuellen Metaanalyse reduziert die prophylaktische Verabreichung von Progesteron (100 200 mg/tag vaginal) bei Schwangeren mit asymptomatischer Einlingsschwangerschaft und einer Zervixlänge unter 25 mm sowie bei Schwangeren mit Status nach Frühgeburt die Frühgeburtenrate um 50%. Progresteron beeinflusst auch die perinatale Morbidität und Mortalität (weniger respiratorisches Distress-Syndrom, RDS; weniger geringes Geburtsgewicht, LS) günstig. Die Verwendung von Progesteron bei Schwangeren mit vorzeitigen Wehen ist bis anhin noch zu wenig evidenzbasiert. ei Zwillingen oder höhergradigen Mehrlingen ist Progesteron nicht wirksam (60 65). Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Daniel Surbek Universitäts-Frauenklinik Inselspital ern E-Mail: qsk-sggg@insel.ch Datum des Expertenbriefs: 30. November 2012 Deklaration von Interessenkonflikten: Die utoren haben keine Interessenkonflikte. Literatur bei den utoren. 28 GYNÄKOLOGIE 2/2013