Harnwegsinfektion und Antibiotikaresistenz Fall 1 Ein Fall aus der Praxis Dr. C. Käch und Dr. A. Cusini IFIK 6.12.12
52 jährige Frau Persönliche Anamnese: Gastro-ösophagealer Reflux Velounfall 02/2012 mit bone bruise Knie links Sonst gesund, keine Dauermedikation Jetziges Leiden: seit 2 Tagen Dysurie und Pollakisurie aktuell: zusätzlich Hämaturie Wie weiter? IFIK 6.12.12
Verlauf Tag 6 seit Symptome / Tag 4 seit TMP/SMZ: Übelkeit, Magenschmerzen, Rückenschmerzen, später starke UB-Schmerzen. Fieber bis 40.0 axillär Konsultation: AZ deutlich vermindert, Temp 38.5 C BD 110/70 mmhg, P120/min. UB-Peritonismus, Nierenloge rechts klopfdolent. Labor: CRP>200mg/L, Lc 19.5 G/L Wie weiter? IFIK 6.12.12
Diagnose Pyelonephritis rechts Urikult: Escherichia coli Antibiogramm: Amoxicillin R Amox/Clav R Cefazolin R Cefuroxim I Ceftriaxon S Cotrimoxazol R Ciproxin S IFIK 6.12.12
Fragen an die Infektiologin Wann ist eine Urinkultur empfohlen? Was ist in Bern die 1. Wahl der empirischen Therapie? IFIK 6.12.12
Wann ist eine Urinkultur empfohlen? IFIK 6.12.12
Die Anamnese macht die Diagnose des unkomplizierten Harnweginfektes Frauen >1 HWI-Symptom Schmerzen oder Brennen beim Wasserlassen (dysurie) Starker Harndrang (urgency) Häufiges Wasserlassen (frequency) Hämaturie Keine Risikofaktoren für komplizierte Infektion Kein Rückenschmerz, kein Fieber Kein vaginaler Ausfluss 90% Wahrscheinlichkeit Zysitis Bent S et al. JAMA. 2002;287(20):2701-2710
Indikationen für eine Urinkultur Komplizierter HWI: Anatomische, funktionelle oder metabolische Abnormalität des Harntrakts Schwangerschaft, Blasenabflussstörung, postmenopausal Diabetes mellitus Immunsupprimierte Katheter, Steine, Neurogene Blasenentleerungsstörungen Pyelonephritis Flankenschmerzen, Fieber Verdacht auf resistente Keime Rezidivierender HWI, antibiotische Therapie in den letzten 3 Monate
Was ist in Bern die 1. Wahl der empirischen Therapie? IFIK 6.12.12
Anforderungen an die empirische Therapie für unkomplizierte Harnweginfekte Primäres Ziel: Linderung der Symptome, denn ein unkomplizierter HWI wird selten invasiv ( nur in 1 von 27 Patienten mit Placebo Entwicklung einer Pyelonephritis) Wirksam gegen die häufigsten Keime E. coli (75-95%) Proteus mirabilis, Klebsiella pneumoniae, Staphylococcus saprophyticus unter Berücksichtigung lokaler Resistenzraten Beachtet Kollateralschaden (Oekologische Nebenwirkungen der Antibiotikatherapie) Selektion von resistenten Organismen Kolonisation oder Infektion mit multiresistenten Keimen Assoziation mit Cephalosporinen und Fluorochinolonen Besonders wichtig wegen hoher Inzidenz hohen Konsum von Antibiotika Toxizität und Kosten ChristiaensTC et al. Br J Ge Pract 2002;52 Gupta K. Clin Infect Dis 2011: 52(e)103-20
Empfohlene Empirische Therapie des unkomplizierten Harnweginfektes in Bern TMP-SMX: gute Wirksamkeit in vielen Studien, wenig Kollateralschaden NW: Nausea, Exanthem, Leuko-Thrombozytopenie, CHF 3.60 Nitrofurantoin: gute Wirksamkeit bei 5 Tagesregimen, minimaler Kollateralschaden NW: Nausea, Kopfschmerzen, Flatulenz, CHF:3.20 Fosfomycin: wahrscheinlich weniger wirksam als TMP-SMX, minimer Kollateralschaden NW: Diarrhoe, Nausea, Kopfschmerzen, CHF: 18.20 Norfloxacin: gute Wirksamkeit, Gefahr der Kollateralschaden Reserveantibiotikum NW: Nausea, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, CHF: 8.00
Resistenzdaten für E.coli in ambulanten Urinkulturen im Zentrum der Schweiz http://www.anresis.ch
Wahre Resistenz-Prävalenz überschätzt? Aktive Beobachtung der Empfindlichkeit von E.coli bei symptomatischen HWIs 232 Routineproben 231 Studienproben Kronenberg A et al. Clin Microbiol 2011;17:1845-1851
Zunahme der Ciprofloxacin-resistenten E. coli parallel zum Konsum Blaettler L et al, Infection 2009 Dec;37(6):534-9
Ibuprofen oder Antibiotika für unkomplizierte HWI? 79 Patientinnen mit symptomatischen HWI 40 Ibuprofen 86% mit Keimnachweis 39 Ciprofloxacin 82 % mit Keimnachweis Konklusion: Genesung bei 2/3 der Patientinnen ohne antibiotische Therapie J.Bleidorn et al. BMC Medicine 2010, 8:30
Take home message Urinkultur beim unkomplizierten HWI nicht indiziert Antibiotikum erster Wahl in Bern immer noch Cotrimoxazol Alternativ: Nitrofurantoin, Fosfomycin Bei Nichtansprechen nach 48-72 Stunden klinische Reevaluation IFIK 6.12.12
Harnwegsinfektion und Antibiotikaresistenz Fall 2 06.12.2012 Dr. med. D. Baur-Günter und PD Dr. P. Sendi
26 jährige Frau 02/2012 Erstvorstellung Frühschwangerschaft (1. Trimester) Persönliche Anamnese: bland Gynäkologische Anamnese: Menarche 14jährig, regelmässige Zyklen 11/2010 Spontangeburt 10/2011 Abortcurettage
26 jährige Frau Jetziges Leiden: bland Klinische Befunde: bland Labor: -Hb 14.1, Hk 41% -Urin Stix: Lk +++, Nitrit positiv Uricult Sonographie: Intrauterine intakte Schwangerschaft
Resultat Mikrobiologie
Asymptomatische Bakteriurie in der Schwangerschaft mit ESBL E.coli Fragen an den Infektiologen 1. Muss ich Urinkultur wiederholen? 2. Muss ich in der Schwangerschaft eine asymptomatische Bakteriurie behandeln? 3. Wie lange muss ich behandeln? 4. Was darf ich in der Schwangerschaft geben?
Asymptomatische Bakteriurie sauber erfasster Mittelstrahlurin: Frauen: 2 konsekutive Proben mit Nachweis desselben Erregers und 10 5 CFUs/mL Urin. Männer: 1 Probe mit Nachweis eines Erregers und 10 5 CFUs/mL Urin.
Resultat Mikrobiologie II
2. Antibiotics for asymptomatic bacteriuria in pregnancy Smaill FM, Vazquez JC Cochrane Database of Systematic Reviews 2007, Issue 2. Art. No.: CD000490. Edited (no change to conclusions), published in Issue 1, 2009. 14 Studien eingeschlossen Antibioitka vs Placebo oder vs keine Behandlung: Antibiotika: Asymptomatische Bakteriurie (RR 0.25) Inzidenz Pyelonephritis (RR 0.23) Inzidenz low birthweight babies (RR 0.66)
2. Duration of treatment for asymptomatic bacteriuria during pregnancy Widmer M, Gülmezoglu AM, Mignini L, Roganti A Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 12. Art. No.: CD000491 13 Studien mit 1622 Patienten eingeschlossen Daten schwierig zu interpretieren abhängig vom Antibiotikum 7 Tage effizienter als single dose Keine Datenlage im Vergleich zu 3 5 Tage.
4. Was darf ich in der Schwangerschaft geben? Nitrofurantoin Numerous studies have demonstrated the safety of nitrofurantoin in pregnancy. Case control studies and case series involving thousands of women who received nitrofurantoin in pregnancy reported no increase in major malformations among the newborns.
Der Katheter Telefon Service Fall 3 Dr. med. M. de Roche
Herr J., Jg 1966 Telefonkonsil Tetraplegie, im Heim lebend (Trauma vor Jahren) Suprapubischer Blasenkatheter Vor einer Woche: Fieber + Husten klinisch Pneumonie Besserung mit Amoxicillin/Clavulanat
Herr J., Jg 1966 JETZIGES PROBLEM: Kein klinisches Problem, aber Resultat eingetroffen: Urinkultur: Escherichia coli ESBL Pseudomonas aeruginosa Proteus mirabilis
ESBL: Prävalenz im Heim Studie bei Bewohner und Personal, Italien 64% der Bewohner sind mit ESBL kolonisiert 28% des Personals Risikofaktoren für Kolonisation: Bettlägrigkeit Antibiotika in den letzten 3 Monaten «indwelling devices» Alter > 86j
ESBL: Transmission im Heim Rehabilitationszentrum in Tel-Aviv 59 von 426 Patienten neu kolonisiert: 14% Transmission Risikofaktoren für die Neubesiedelung mit ESBL: längere Hospitalisation Inkontinenz Bettlägrigkeit (Urinkatheter)
Aufwand versus Effekt Blasenkatheter ist Risikofaktor für die ESBL Kolonisation und Transmission in einem Heim, aber... ESBL wird auch ausserhalb des Spitals erworben: Fleisch (17% der CH Schlachttiere), Haushalt, Reisen Gewisse ESBL produzierende Bakterien sind wahrscheinlich effizienter in der Transmission (K. pneumoniae vs. E.coli). Es gibt eine «Dunkelziffer» kolonisierter Patienten.
Kantonsarzt 2009: Merkblatt ESBL
Kantonsarzt 2009: Standardhygienemassnahmen