Diagnostik und Grundzüge der leitliniengerechten Therapie des Idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS) in der Praxis.



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Transkript:

Diagnostik und Grundzüge der leitliniengerechten Therapie des Idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS) in der Praxis. In Lehrbüchern steht, dass die Parkinson-Erkrankung hauptsächlich ältere Menschen betrifft und durch Bradykinese, Rigor und Tremor gekennzeichnet ist. Meist wird zusätzlich erwähnt, dass trotzdem 10% der Patienten unter 40 Jahre alt sind und eine genetische Disposition für die Erkrankung besteht. Wenig Konkretes steht über die schwierige Frühdiagnose. Nach Daten aus England wird bei 20% der Patienten, die eindeutige klinische Parkinson-Symptome haben die Diagnose übersehen (5). Umgekehrt liegt bei 26% der als Parkinson diagnostizierten Patienten gar kein Parkinson-Syndrom vor (3). Schwierig und oft fehlerhaft ist ferner die korrekte diagnostische Klassifikation der unterschiedlichen Parkinson-Syndrome (3,4): idiopathisch, atypisch, sekundär. Bei voller Ausprägung wird ein idiopathisches Parkinson-Syndrom nicht übersehen werden. Nach diagnostischen Leitlinien (" british brain bank criteria" und Leitlinien der DGN (1)) gilt die Diagnose als sicher, wenn mindestens 3 der folgenden Zeichen vorliegen: * Asymmetrischer Krankheitsbeginn * Ruhetremor (4-6 Hz) * Bleibende Asymmetrie * Progression Und, wenn ebenfalls mindestens 3 der folgenden Kriterien erfüllt sind: * Gutes Ansprechen auf L-Dopa * L-Dopa induzierte choreatiforme Hyperkinesen * L-Dopa-response >=5 Jahre * Klinischer Verlauf >= 10 Jahre Andere Ursachen für Parkinson-Symptome müssen ausgeschlossen sein (z.b. Neuroleptika-Anamnese) und es dürfen keine "atypischen" Zeichen (wie z.b. Pyramidenbahnzeichen, cerebelläre Symptome, Blickparesen, demenzielle Entwicklung) vorliegen. Das bedeutet, dass die Diagnose erst im weiteren Krankheitsverlauf gesichert werden kann. Bis zur "korrekten" Diagnose und Beginn einer sinnvollen Therapie werden im Durchschnitt auch in Deutschland 4,2 Ärzte konsultiert und vergehen 2,3 Jahre. (7) Bis dahin bringen die Patienten eine Ärzte-Odyssee hinter sich, lassen ebenso unwirksame wie nicht indizierte Therapien über sich ergehen und merken immer deutlicher, "dass etwas nicht stimmt": Sie fühlen, dass die vermeintlich gestellte Diagnose und Therapie nicht korrekt ist. Häufige Fehldiagnosen sind: Schulter-Nacken-Verspannung, Wirbelsäulensyndrom, "Rheuma", Fersensporn, Hüftarthrose, Schlaganfall, essentieller Tremor, Karpaltunnelsyndrom, Schreibkrampf, Depression, Alzheimer-Demenz, und noch andere mehr - diagnostiziert von Ärzten aller

Gebiete, ambulant wie stationär. Natürlich hat der parkinson-spezialisierte Neurologe es nach diesen 2,3 Jahren einfacher, die Diagnose zu stellen. Zu Beginn der Erkrankung sind die Symptome nicht alle vorhanden und zudem nur zeitweilig sichtbar. Schon deshalb ist die Früherkennung eines Parkinson-Syndroms deutlich schwieriger! Doch es lohnt sich, bei unspezifischen Frühsymptomen wie z.b. Verspannung, depressiver Stimmung, Initiativlosigkeit, Schlafstörungen genauer hin zu schauen. Und es gibt Tips, die das Erkennen ermöglichen und schnell in jeder Praxis durchzuführen sind: Die meisten Patienten beklagen eine Bewegungsverlangsamung. Schauen Sie sich daher die Bewegungen Ihres Patienten an! Lassen Sie den Patienten gehen! Achten sie auf seine gesamte Motorik, inklusive Mimik und Körperhaltung: ist das Gesicht ausdrucksschwach? Der Körper nach vorne gebeugt? Schwingen beide Arme beim Gehen? Oder zeigt sich ein asymmetrisches Bild? Ist ein Arm unbeweglicher als der andere? Oder gar gebeugt? Achten Sie auf die Schritte des Patienten! Sind sie verkürzt? Kann er sofort losgehen, oder bestehen Startschwierigkeiten? Kann er sich umdrehen? Stolpert oder schlürft er? Kann er ohne Probleme vom Stuhl aufstehen? Bei dem Verdacht auf eine bestehende Verlangsamung sollten Sie den so genannten "Bein-Tapping-Test" durchführen: bitten Sie den Patienten in sitzender Position, ein Bein so schnell er es kann 10-mal nacheinander aufzustampfen. Das Knie sollte hierbei ca. 10 cm angehoben werden. Danach überprüfen Sie die Gegenseite. Startschwierigkeiten, Veränderungen des Bewegungsausmaßes und Bewegungsverlangsamungen werden im Test gut sichtbar! Überprüfen Sie ebenso die Feinmotorik! Sehr einfach und aussagekräftig ist der so genannte Tapping-Test der oberen Extremitäten: bitten Sie Ihren Patienten, Daumen- und Zeigefingerkuppe einer Hand gleichmäßig und so schnell er es kann 10-mal aufeinander zu tippen. Vergleichen Sie es dann mit der Gegenseite. Bei Unsicherheit können Sie den Patienten zusätzlich bitten, ebenfalls gleichmäßig und so schnell er es kann, eine Faust 10-mal hintereinander zu öffnen und zu schließen. Danach überprüfen Sie die andere Seite. Lassen Sie Ihren Patienten etwas schreiben und beim Verdacht einer Mikrographie zum Vergleich eine frühere Schriftprobe mitbringen. Viele Patienten bemerken die Muskeltonuserhöhung als Verspannung: überprüfen Sie den eventuell vorhandenen Rigor, indem Sie die Arme und Beine des Patienten passiv bewegen. Bei allen angesprochenen Tests erhärtet eine Asymmetrie den Verdacht eines idiopathischen Parkinson-Syndroms. Eine symmetrische Verteilung spricht eher für sekundäre Parkinson-Syndrome. Sie verstehen sofort, worauf zu achten ist und werden beeindruckt sein von der Aussagekraft, der Geschwindigkeit und der Zuverlässigkeit der Tests, wenn Sie diese bei bereits bekannten Patienten mit Parkinson-Syndromen einmal durchführen! Häufigster Grund für die Fehldiagnose Parkinson-Syndrom ist das Gleichsetzten des IPS mit Tremor allgemein. Es ist zwar richtig, dass ca. 25% der Patienten mit IPS tremordominant sind. D.h. dass bei der Erkrankung das Zittern als Symptom im Vordergrund steht. Und dass bei weiteren ca. 40% aller Erkrankten ein so genannter Äquivalenztyp vorliegt mit den Leitsymptomen Bewegungsverlangsamung und

Tremor. Doch ein Tremor liegt eben nicht bei allen Parkinson-Erkrankten vor! Und wenn, dann ist ein Ruhe(!)tremor vorhanden. D.h. im Gegensatz zum essentiellen Tremor ist er bei Tätigkeiten, wie z.b. das Führen eines Glases zum Mund, immer vermindert! Und auch für den Tremor bei Parkinson-Patienten gilt, dass er asymmetrisch ist. Bereits während der Anamnese sollten Sie auf die Sprache Ihres Patienten achten. Ein "gehauchtes Nuscheln" sollte Sie auch im übertragenen Sinne hellhörig machen. Alle wichtigen Items sind im "Früherkennungsbogen" des Kompetenznetzes Parkinson erfasst. Es lohnt sich, diesen als "Screening" zu benutzen. Für die exakte Diagnosestellung, Differentialdiagnostik und Therapie der Parkinson-Syndrome ist Erfahrung und kontinuierliche Fortbildung notwendig. Die einmal gestellte Diagnose muss kontinuierlich überprüft werden. Denn meist erst im Verlauf sind idiopathische Parkinson-Syndrome von atypischen Parkinson-Syndromen wie Multisystematrophien zu unterscheiden. Grundzüge der Therapie des IPS: Alle heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmaßnahmen bewegen sich auf einer rein symptomatischen Ebene, der fortschreitende Krankheitsprozess des IPS konnte bisher in keinem Stadium beeinflusst werden. Inwieweit die unter Therapie mit Dopaminagonisten erhobenen SPECT-Befunde auf eine mögliche Neuroprotektion deuten, wird derzeit kontrovers diskutiert. In einem frühen Stadium der Erkrankung produzieren die nigrostriatalen Neurone nicht mehr ausreichend Dopamin, weisen aber noch eine ausreichende Speicherkapazität auf. Hier liegt bereits ein klinisch manifestes Parkinson-Syndrom vor, eine dopaminerge Medikation ist effektiv. In der Spätphase sind hingegen die präsynaptischen Strukturen weitgehend zerstört und es treten unterschiedliche motorische, aber auch gehäuft vegetative und psychische Spätkomplikationen und Therapieprobleme auf, die eine enge Kooperation von Hausarzt und Neurologen erfordern. Die Therapieoptionen bei IPS umfassen Pharmakotherapie und komplementäre Maßnahmen wie Krankengymnastik, Ergo- und Logotherapie. Aufgrund des chronischen Verlaufes mit zunehmenden Funktionsstörungen im Alltagsleben und einer sozialen Stigmatisierung sollten psychosoziale Beratungsmaßnahmen (z.b. Selbsthilfegruppen) keinesfalls vergessen werden. Bedeutung gewinnen in der Therapie von Spätsyndromen auch operative Maßnahmen (Tiefe Hirnstimulation), die kontinuierliche Applikation mittels Pumpe eines L-Dopa-Gels über eine PEG-Sonde direkt in das Duodenum oder subcutan von Apomorphin. Hauptvertreter der dopaminergen Medikamente sind L-Dopa und die direkt an den Dopaminrezeptoren wirkenden Dopaminagonisten. Das im präsynaptischen Neuron zu Dopamin verstoffwechselte L-Dopa ist unverändert die effektivste Substanz und damit der "Goldstandard" der Parkinsonbehandlung: Akinese bzw.rigor oder Tremor werden bei über 90% der

IPS-Erkrankten um mehr als 50% reduziert, die Lebenserwartung der von Nichterkrankten angeglichen. Problematisch sind jedoch die Späteffekte einer L-Dopatherapie mit Auftreten von Wirkungsfluktuationen ( Wearing-Off, On/Off ) oder Bewegungsstörungen im Sinne von Dyskinesien. Die Inzidenz dieses L-Dopa-Langzeitsyndromes beträgt dabei 10% pro Behandlungsjahr, d.h. nach 5 Jahren Monotherapie mit L-Dopa ist die Hälfte aller Patienten betroffen. Dopaminagonisten wirken schwächer, weisen aber z.t. längere Halbwertszeiten mit kontinuierlicher Rezeptorenstimulation auf und verzögern oder reduzieren L-Dopa-induzierte motorische Komplikationen. Nachteilig sind unerwünschte Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen mit langer Eindosierungszeit, Kreislaufkomplikationen, Vigilanzschwankungen und eine höhere Potenz zur Auslösung exogener Psychosen. Neu sind Hinweise auf fibrotische Veränderungen z.b. an den Herzklappen. Derzeit wird untersucht, ob es sich um UAW einzelner Wirkstoffe oder um Gruppeneffekte handelt (8, 9). Neben dem schwach wirksamen und auch zur Besserung von Dyskinesien eingesetzten nicht dopaminergen Wirkstoff Amantadin stehen auch den Dopaminabbau hemmende Substanzen wie Selegilin, Tolcapon und Entacapon zur Verfügung, letztere werden vor allem beim Wearing-Off eingesetzt. Nicht dopaminerge, aber vorwiegend tremorwirksame Anticholinergika sollten wegen möglicher Verstärkung demenzieller Veränderungen oder erhöhter Psychoseinduktion nicht mehr verwendet werden. Wie setzen wir die bestehenden pharmakologischen Möglichkeiten in rationale Therapie um? Erstmals Ende 2003 hat ein Expertenteam der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Leitlinien zur Differentialtherapie des IPS veröffentlicht (1). Entsprechend den Medikamentenprofilen und dem Ablauf der Erkrankung richten sich die Therapieentscheidungen vor allem nach zwei Kriterien: Biologisches Alter bei Therapiebeginn und Allgemeinzustand des Erkrankten: Bei Patienten unter 70 Jahren ohne wesentliche Komorbidität erfolgt die Therapieeinleitung durch Monotherapie mit einem Dopaminagonisten, bis später erhebliche Zunahme der Symptomatik eine Kombinationstherapie mit L-Dopa erfordert. Bei milder Ausgangssymptomatik kommen initial auch Amantadin oder Selegilin in Betracht. Ist wegen ausgeprägtem Behinderungsgrad zu Therapiebeginn ein rascher Therapieeffekt notwendig, kann mit einer Kombination von L-Dopa und Dopaminagonist begonnen werden. Patienten über 70 Jahre oder multimorbide Patienten jeder Altersgruppe erhalten sowohl zur Therapieeinleitung wie auch zur Erhaltungstherapie eine L-Dopa-Monotherapie. Alternativ kann auch hier bei nur leichter Beeinträchtigung initial Amantadin oder Selegilin versucht werden. Hoher Stellenwert kommt der frühen Diagnostik und rechtzeitigen Behandlung von Spätkomplikationen zu, da diese die Lebensqualität von Parkinsonerkrankten erheblich beeinträchtigen, zu Folgeerkrankungen und erheblichen Mehrkosten führen können (2). Hierbei handelt es sich neben bereits genannten Phänomenen wie Wirkungsfluktuationen oder Dyskinesien um verminderte posturale Stabilität mit zunehmenden Stürzen. Häufig werden psychische Störungen wie Depression, Demenz und Verwirrtheit sowie

psychotische Episoden zu spät erkannt oder unzureichend behandelt. Interdisziplinäres Vorgehen wird notwendig bei reaktiven Veränderungen des Bewegungsapparates, Inkontinenz und erektiler Dysfunktion, Gastroparese und Obstipation, Orthostase und Thermoregulationsstörung. Haus- und Facharzt werden merken, dass die Kooperation und Kommunikation die Qualität der gemeinsamen Versorgung steigert, alle Beteiligten motiviert und nicht zuletzt die Lebensqualität und Zufriedenheit der Patienten deutlich anhebt. Literatur: 1. DGN 2004, Oertel et al, Leitlinien 2. Dodel et al.: Health-related quality of life and healthcare utilisation in patients with Parkinson's disease: impact of motor fluctuations and dyskinesias. Pharmacoeconomics. 2001; 19:1013-1038 3. Meara J, Bhowmick BK, Hobson P. Accuracy of diagnosis in patients with presumed Parkinson's disease. Age Ageing 1999; 28: 99-102 4. Rajput AH, Rozdilsky B, Rajput A. Accuracy of clinical diagnosis in parkinsonism - A prospective study. Can J Neurol Sci 1991; 18: 275-8 5. Schrag A, Ben-Shlomo Y, Quinn N.: How valid is the clinical diagnosis of Parkinson's disease in the community? J Neurol Neurosurg Psychiatry 2002; 73: 529-34 6. Sprottke et al.: Healthcare utilization in Parkinson s Disease. Pharmacoeconomica 2004 7. Sprottke EA et al.: Healthcare utilization and economic impact of Parkinson's disease in Germany. Mov Disord. 2002;17 Supp 5:S142 8. Van Camp G. et al. Treatment of Perkinson s disease with pergolide and relation to restrictive valvular heart disease. Lancet 2004;363:1179-1183 9. Horvath J et al. Severe multivalvular heart disease:a new complication of the ergot derivate agonists. Movement Disorders 2004;19:656-662 Dr. Reinhard Ehret, Arzt für Neurologie Schloßstrasse 29 12163 Berlin-Steglitz Dr.Ehret@neurologie-berlin.de Dr. Reinhard Puzich, Arzt für Neurologie und Psychiatrie Paretzer Str. 12

10713 Berlin-Wilmersdorf nfzb@telemed.de Dr. Wilfried Lüer, Arzt für Neurologie und Psychiatrie Albrechtstr. 36a 12167 Berlin-Steglitz Dr.W.Lueer@t-online.de Die Autoren stehen als Vorstandmitglieder stellvertretend für den Arbeitskreis Parkinson-Syndrome Berlin e.v. (www.parkinsonverein.de) Dieser wurde 2002 von 26 Berliner NeurologINNen und NervenärztINNen gegründet, um die Versorgung von Patienten mit Parkinsonsyndromen zu verbessern. Vorrausetzung hierfür ist die Kooperation aller, die an der Versorgung der Patienten beteiligt sind. Im ambulanten ärztlichen Bereich sind dies nicht zuletzt HausärztINNen und NeurologINNen/ NervenärztINNen. Aber auch Orthopäden, Urologen und viele andere mehr. Im Bereich der Komplementärtherapie hat der Verein bereits ein gemeinsames Forum mit Berliner PhysiotherapeutINNen und LogopädINNEN gegründet. Selbstverständlich besteht eine enge Kooperation und Kommunikation mit kompetenten stationären Einrichtungen.