Fachkräfte: Krankenpfleger und Klempner gesucht. Azubis: Überstunden sind gang und gäbe. Bremer Arbeitnehmer Magazin



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Nummer 02 _ ruar 2015 Bremer Arbeitnehmer Magazin Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven Seite 4 Fachkräfte: Krankenpfleger und Klempner gesucht Seite 17 Azubis: Überstunden sind gang und gäbe

02 // Inhalt 85 / G a l e r i e d e r A r b e i t s w e l t Mark Böckmann, 22, arbeitet als Fluggerätmechaniker bei der Atlas Air Service AG in der Airport-Stadt in Bremen. Ende uar hat er erfolgreich seine dreieinhalbjährige Ausbildung mit dem Schwerpunkt Wartung und Überholung an Business Jets abgeschlossen. Grundsätzlich gibt es in diesem Beruf drei Fachrichtungen: Fertigungstechnik, Instandhaltungstechnik und Triebwerkstechnik. Mir war von Anfang an klar, dass ich an kompletten Flugzeugen und Systemen arbeiten möchte, nicht an Einzelteilen, so bin ich sehr glücklich, hier im Fachbereich Instandhaltung zu arbeiten, so Mark Böckmann. Der Beruf ist komplex und schwierig. Neben guten Kenntnissen in Mathematik ist ebenso gutes Englisch in Schrift und Wort erforderlich. Wir müssen alle Wartungsarbeiten dokumentieren und das natürlich in englischer Sprache. Die Gesellenprüfung wurde von Prüfern der IHK abgenommen. Zahlreiche zusätzlich absolvierte Modulprüfungen während der Ausbildungszeit und eine sich jetzt anschließende mindestens halbjährige Berufspraxis werden Mark Böckmann dann auch berechtigen, einfache, routinemäßige Arbeiten und System-Inspektionen selbst durchzuführen (CAT A Lizenz). Viele weitere Jahre Berufspraxis sind notwendig, um weitere Qualifizierungen und Lizenzen bis hin zur Prüferlizenz CAT C zu erlangen. Ich war schon immer von der Fliegerei und Flugzeugen begeistert, mein Vater hat denselben Beruf und auch mein Bruder. Es begeistert mich immer aufs Neue, was alles zusammenkommen muss, damit ein Flugzeug fliegt. Und hier kann ich viel lernen von den alten Hasen. Neben den Fertigkeiten des Mechanikers muss Böckmann auch die Grundkenntnisse der Avioniksysteme der Instrumente an Bord, der Triebwerke sowie allgemeine Grundlagen der Fliegerei beherrschen. Hier zählt nur 100 Prozent, du kannst nie sagen: Das passt schon. Es geht um Sicherheit und Menschenleben, es ist ein sehr verantwortungsvoller Beruf. Und das Lernen hört nie auf, die Flugzeuge entwickeln sich dauernd weiter und neue Modelle kommen auf den Markt. druckfrisch Unsere Leistungen 2014 Was macht die Arbeitnehmerkammer? Welche Dienstleistungen bietet sie an und was passiert mit den Mitgliedsbeiträgen? All das können Sie nachlesen in der frisch gedruckten Broschüre Unsere Leistungen im Überblick 2014. Darin erfahren Sie, mit welchen politischen und arbeitsrechtlichen Fragen wir uns beschäftigt haben oder wie viele Beratungsgespräche wir geführt haben. Mitglieder erhalten die Broschüre kostenlos in unseren Geschäftsstellen. Download unter www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen Inhalt T h e m e n 04 07 // Schwerpunkt: Fachkräftemangel Gesucht: Krankenpfleger und Klempner : Auzubildende im Porträt P o l i t i k 12 13 // : Kammer befragt 600 Auszubildende Überstunden sind gang und gäbe 15 // : Bremen und Nordrhein-Westfalen im Gespräch Gute Arbeit, faire Arbeit A u s d e r A r b e i t n e h m e r k a m m e r 08 09 // : Kammer kompakt zur Entwicklung der Einkommen 10 11 // : Unsere Rechtsberatung im Jahr 2014 11 // : Verstöße gegen das Arbeitsrecht 14 // : Neue Vollversammlung der Arbeitnehmerkammer 16 // : Medientipps und Reihe Rechtsirrtümer S e r v i c e G e s u n d h e i t 17 // : Gesetzliche Krankenversicherung Belastungsgrenze bei Zuzahlungen A u s d e r B e r a t u n g 18 // : Urlaubsabgeltung bei Arbeitgeberwechsel A l l e s, w a s R e c h t i s t 19 // : Alkoholkrankheit und Kündigung : Kein Versicherungsschutz bei privaten Telefongesprächen : Scheidungskosten absetzbar? 20 // V e r a n s t a l t u n g e n I m p r e s s u m Herausgeber_ Arbeitnehmerkammer Bremen Bürgerstraße 1 / 28195 Bremen / Telefon 0421 363 01-0 / Fax 0421 363 01-89 Internet_ www.arbeitnehmerkammer.de E-l_ presse@arbeitnehmerkammer.de Autoren/Autorinnen_ et Binder (bin) / Miriam Craß Regine Geraedts / Jörg Hendrik Hein (hei) / Torsten Kleine / Ingo Kleinhenz / Beatrice Linke / Hanna Mollenhauer (mol) / Nathalie Sander (san) / Georg Schaff / Sven Thora Redaktion_ Nathalie Sander (san) (V.i.S.d.P.) Hanna Mollenhauer (mol) Lektorat_ Martina Kedenburg Fotos_ Kay Michalak (Titel), Kay Michalak, Oliver Tjaden, Michael Bahlo Layout_ Designbüro Möhlenkamp, Marlis Schuldt / Jörg Möhlenkamp Druck_ Müller Ditzen AG, Bremerhaven Erscheint zu Beginn und in der Mitte eines Quartals. Einzelverkaufspreis 2 Euro, Jahresabonnement 15 Euro, für Kammerzugehörige im Mitgliedsbeitrag enthalten. ISSN 1614-5747, Postvertriebs-Nummer H 43672 Editorial Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wir stehen für eine weltoffene Stadt. Deshalb kämpfen wir entschieden gegen antisemitische, islamfeindliche und fremdenfeindliche Tendenzen und Parolen in unserer Gesellschaft so steht es in dem Aufruf für eine demokratische und weltoffene Gesellschaft, den auch die Arbeitnehmerkammer Bremen unterzeichnet hat und zu dem sich am 26. uar über 7.000 Menschen auf dem Bremer Marktplatz versammelt haben. Schauen Sie sich in Bremen mal um: Wer sitzt da neben Ihnen am Schreibtisch, wer steht gegenüber an der Werkbank und mit wem stehen Sie mittags in der Kantine Schlange? Viele dieser Kolleginnen und Kollegen sind nicht hier geboren oder aufgewachsen, viele haben zumindest einen nicht deutschen Elternteil. Im Land Bremen kommt etwa jeder Vierte aus einer Familie mit Zuwanderungsgeschichte oder ist selbst aus einem anderen Land gekommen. Wichtige Voraussetzungen für eine gelungene Integration ist auch die Integration in den Arbeitsmarkt. Auch dafür setzen wir uns ein. Editorial // 03 Denn die Vielfalt unterschiedlicher Kulturen und Religionen ist eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, müssen wir Schutz und Aufnahme bieten. Setzen wir uns alle gemeinsam ein für eine Integration von Anfang an, für Demokratie und Weltoffenheit. Und kämpfen wir gegen das Klima der Angst, das die Proteste in Dresden und anderswo bei Flüchtlingen, Menschen mit ausländischen Wurzeln und vielen anderen auslösen. Ihr Peter Kruse Präsident der Arbeitnehmerkammer Bremen

04 // Schwerpunkt: Fachkräftemangel // 05 Fachkraft in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Juli Aug Sept Okt Nov Dez Juli Aug Sept Okt Nov Dez 2012 2013 2014 Arbeitsstellen Arbeitslose Quelle: Bundesagentur für Arbeit, uar 2012 bis 2014 Land Bremen, eigene Auswertungen Fachkräftemangel Gesucht: Krankenpfleger und Klempner Gibt es den viel zitierten Fachkräftemangel in Bremen? Ja und nein, sagt Esther Schröder, Referentin der Arbeitnehmerkammer Bremen. Denn man muss sich die einzelnen Berufsgruppen ganz genau angucken. Nicht überall, wo der Stempel Fachkräftemangel drauf ist, ist er auch tatsächlich vorhanden. Maler und Lackierer, Objektschützer oder Kellner: Wer in diesen Berufen arbeitet, ist gefragt. Das geht aus der sogenannten Engpassanalyse der Agentur für Arbeit hervor. Auch Unternehmen beklagen, dass offene Stellen zunehmend schwerer zu besetzen sind. Angst vor Arbeitslosigkeit müssten die Fachkräfte deshalb Fachkraft im Objekt-, Werte- und Personenschutz 1.200 1.000 800 600 400 200 0 Juli Aug Sept Okt Nov Dez Juli Aug Sept Okt Nov Dez Arbeitsstellen Arbeitslose 2012 2013 2014 Quelle: Bundesagentur für Arbeit, uar 2012 2014 Land Bremen, eigene Auswertungen eigentlich nicht haben. Oder doch? Ein Blick in die Statistik offenbart zwar eine Vielzahl an offenen Fachkräftestellen. In vielen Berufen steht dem gegenüber aber auch eine hohe Zahl an Arbeitslosen, obwohl sie die gesuchte Qualifikation bieten. Das ist ein Widerspruch, betont Esther Schröder, Referentin für Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Sie ging deshalb der Frage nach, in welchen Berufen tatsächlich Stellen nicht oder erst nach Monaten mit Arbeitsuchenden besetzt werden können. Als Grundlage dienten ihr Zahlen der Agentur für Arbeit für das Land Bremen von uar 2012 bis 2014. Die spiegeln zwar nicht den gesamten Arbeitsmarkt wider, räumt Esther Schröder ein. Denn nur ein Drittel der offenen Stellen wird der Agentur überhaupt gemeldet. Aber man kann schon Rückschlüsse daraus ziehen. Kein flächendeckender Fachkräftemangel In den Statistiken tauchen immer wieder 15 Berufsgruppen auf, bei denen von Engpässen gesprochen wird, hat die Referentin herausgefunden. Darunter sind die Berufsgruppen Energietechnik, Gastronomie, Maler und Lackierer, Lagerwirtschaft, Verkauf und Objektschutz. Als Esther Schröder sich die Zahlen genauer anguckte, entdeckte sie allerdings Erstaunliches: So gab es im Bereich Objekt-, Werte- und Personenschutz von uar 2012 bis 2014 durchgehend monatlich rund 105 offene Stellen. Zu der Berufsgruppe gehören zum Beispiel Geldtransportfahrer, Nachtwächter, Pförtner oder Museumsaufseher. Den freien Stellen gegenüber standen konstant monatlich rund 905 arbeitslose Fachkräfte. Wenn es deutlich mehr Arbeitslose als gemeldete offene Stellen gibt, kann man nicht von einem Fachkräftemangel sprechen, meint Esther Schröder. Ähnlich sieht es bei den Malern und Lackierern oder Fachkräften in der Lagerwirtschaft aus wenn auch nicht ganz so deutlich. Bei den Letztgenannten suchten von uar 2012 bis 2014 durchschnittlich 419 arbeitslose Fachkräfte einen Job. Dagegen standen 80 offene Stellen im monatlichen Bestand. Der Bedarf der Wirtschaft müsste nach Ansicht von Esther Schröder unter diesen Bedingungen eigentlich mit den Arbeitsuchenden abgedeckt werden können. Bei so einer hohen Zahl von arbeitslosen Fachkräften kann man nicht behaupten, dass alle zu alt oder gesundheitlich angeschlagen sind und deshalb nicht mehr vermittelbar sind, ist sie überzeugt. Wenn es eine hohe Arbeitslosenzahl in einem Berufsfeld gebe und trotzdem lange Zeit benötigt werde, eine freie Stelle zu besetzen, spreche das in der Regel für schlechte Arbeitsbedingungen. Hohe Fluktuationsrate im Objektschutz Esther Schröders Erklärungsversuche lauten deshalb: Möglicherweise sind die Anforderungen der Wirtschaft zu hoch, es fehlen bei den Bewerbern Qualifikationsmodule oder die Bezahlung ist so gering, dass es sich für die Arbeitslosen schlicht nicht lohnt, den Job anzunehmen. Das kann der Pressesprecher der Agentur für Arbeit Bremen- Bremerhaven, Jörg Nowag, zum Teil bestätigen. 90 Prozent der Stellenangebote im Bereich Objekt-, Werte- und Personenschutz konzentrieren sich seinen Angaben zufolge auf den Objektschutz. Dass die freien Stellen dort oft nicht besetzt werden könnten, habe mehrere Faktoren: Die Arbeitsbedingungen im Wachgewerbe seien in Bezug auf Arbeitszeit und Verdienst zumindest bis zur Einführung des Mindestlohns nicht besonders attraktiv, so Nowag. Es gibt dort eine hohe Fluktuationsrate. Da Sicherheitsscheine regelmäßig aufgefrischt werden müssten, könnten auch nicht alle Bewerber zu jeder Zeit sämtliche Kriterien erfüllen. Bei Einstellungszusage und Erfüllung der Bedingungen für eine Förderung bezahlt die Agentur für Arbeit aber oft diese Weiterbildung, so Nowag. Zudem stellten die Unternehmen nach ihren individuellen Kriterien ein. Selbst bei einem formal passenden Profil eines Bewerbers müsse es deshalb nicht zu einer Einstellung kommen. Hinzu komme, dass die Motivation der Bewerber nicht immer optimal sei. Die 15 Berufsgruppen, bei denen die Bundesagentur für Arbeit in Bremen von einem Engpass an Fachkräften ausgeht: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Metallbearbeitung Metallbau und Schweißtechnik Maschinenbau- und Betriebstechnik Fahrzeug-, Luft-, Raumfahrt- und Schiffbautechnik Energietechnik Elektrotechnik Maler, Lackierer, Stuckateure, Bauwerksabdichtung, Holz- und Bautenschutz Klempnerei, Sanitär, Heizung, Klimatechnik Lagerwirtschaft, Post und Zustellung, Güterumschlag Fahrzeugführung im Straßenverkehr Objekt-, Personen-, Brandschutz, Arbeitssicherheit Verkauf (ohne Produktspezialisierung) Gastronomie Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst, Geburtshilfe Werbung und Marketing

06 // Schwerpunkt: Fachkräftemangel // 07 Schichtdienste und geringe Bezahlung Berufsgruppen, in denen es tatsächlich einen Fachkräftemangel gibt, hat Esther Schröder allerdings auch ausgemacht: etwa in der Gesundheits- und Krankenpflege, im Bereich Sanitär, Heizung und Klimatechnik und in der Bauelektrik. Im Bereich Klempnerei kamen von uar 2012 bis 2014 auf 73 freie Arbeitsstellen im monatlichen Bestand durchschnittlich rund 60 Arbeit suchende Fachkräfte. In der Krankenpflege waren es im selben Zeitraum monatlich 53 Arbeitslose auf 63 offene Stellen. In der Bauelektrik waren es rund 76 Arbeitslose zu 147 zu vergebende Jobs im Monat. Wenn deutlich mehr Stellen als Arbeitslose gemeldet sind, würde ich immer von einem Fachkräftemangel sprechen, sagt Esther Schröder. Gründe dafür gibt es viele: In der Pflege sind es neben der geringen Bezahlung die anspruchsvolle körperliche und psychische Belastung und die Schichtdienste, die den Beruf für potenziell Interessierte nicht unbedingt attraktiv machen. Bei den Klempnern kann es neben der geringen Bezahlung möglicherweise auch das Image sein. Um den Fachkräftemangel in diesen Bereichen zu bekämpfen, müssten die Unternehmen deshalb nach Überzeugung von Esther Schröder bessere Arbeitsbedingungen anbieten: Neben einer angemessenen Bezahlung und familienfreundlichen Strukturen sollten die Arbeitsplätze so gestaltet sein, dass die Beschäftigten lange körperlich fit bleiben und ihre Freude am Beruf behalten. Eins steht für Esther Schröder fest: Zum angeblichen und tatsächlichen Fachkräftemangel muss weiter viel untersucht werden. Wir stehen noch am Anfang, sagt sie. Mehr Informationen zum Thema enthält der Bericht zur Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Lande Bremen, den die Arbeitnehmerkammer Mitte veröffentlicht. (bin) M a n m u s s v i e l a n p a c k e n Clarissa Ruhstrat möchte Krankenpflegerin werden Fachkräfte wie sie werden gesucht I c h b r a u c h e a b e n d s n i c h t m e h r z u j o g g e n Malte Hafke wird Anlagentechniker SHK viele Ausbildungsabbrecher Clarissa Ruhstrat hat sich einen Beruf mit Zukunftschancen ausgesucht: Sie macht eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Wegen des demografischen Wandels werden Fachkräfte wie sie gesucht. Die Schattenseiten des Berufs: Schicht- und Wochenendarbeit und ein geringer Verdienst. Da muss man doch nur den Hintern abwischen und die Menschen waschen. Solch einen Satz bekommt Clarissa Ruhstrat oft zu hören, wenn sie von ihrer Ausbildung zur Gesundheitsund Krankenpflegerin berichtet. Die 24-Jährige empört das. Das ist eine sehr anspruchsvolle Ausbildung, betont sie. Im 2014 begann sie am Bildungszentrum für Gesundheitsfachberufe am Klinikum Bremen-Mitte ihre Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Die schulische Ausbildung mit hohem Praxisanteil bereitet sie auf alle Bereiche des Berufs vor: Sei es in einer Augenklinik, in der ambulanten Pflege oder im Hospiz. Auf dem Stundenplan stehen Anatomie, das Herz-Kreislauf-System und rechtliche Grundlagen sowie Pflegetechniken und Krankheitsbilder. In meiner Klasse sind 90 Prozent Abiturienten, sagt Clarissa Ruhstrat, und die sind alle ziemlich gefordert. Ursprünglich wollte sie Grundschullehrerin werden. Nach dem Abitur und einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einer Kita begann sie ein Lehramtsstudium. Doch es war anders, als sie dachte, sie brach ab. Als sie von einer Bekannten erfuhr, dass sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin beginnt, informierte sich Clarissa Ruhstrat über den Beruf. Denn eins stand für sie fest: Sie wollte gerne mit und am Menschen arbeiten; das Helfen liegt ihr. Außerdem habe ich mich schon immer für Medizin, für Krankheiten und den menschlichen Körper interessiert, sagt sie. Jetzt hat sie bald ihr erstes Ausbildungsjahr beendet. Es macht einfach Spaß, wenn man sieht, wie man helfen kann, erzählt sie. Und die Ausbildung ist gut strukturiert und sehr abwechslungsreich. Durch den ständigen Wechsel von Theorie und Praxis könne das in der Schule Erlernte auf der nächsten Station angewendet werden. Mit den Schicht- und Wochenenddiensten kommt sie ganz gut klar. Allerdings merkt sie es, wenn sie acht Tage hintereinander arbeitet oder nach einer Spätschicht am nächsten Tag zur Frühschicht muss. Der Wechsel ist hart, sagt die junge Frau. Auch die körperliche und psychische Belastung ist hoch. Man muss viel anpacken. Einmal war ein schwergewichtiger Mann mit amputierten Beinen aus seinem Bett gefallen. Ihn wieder ins Bett zu heben, ist körperlich sehr anstrengend und zu zweit kaum schaffbar, betont die Auszubildende. Für die Arbeitsbedingungen empfindet sie das Gehalt einer ausgelernten Krankenpflegerin zu gering. Sie hofft, dass zukünftig der Beruf auch finanziell so anerkannt wird, wie er es verdient. Dann würden sich möglicherweise auch mehr Männer für den Beruf interessieren. Das wäre wünschenswert, sagt sie. Denn es komme immer wieder vor, dass sich männliche Patienten lieber von Männern pflegen lassen. Neben der Ausbildung möchte Clarissa Ruhstrat nun noch Pflegewissenschaften studieren. Wenn sie angenommen wird, wird sie einmal pro Woche zur Uni gehen. Nach ihrer dreijährigen Ausbildung und dem Teilzeitstudium schließen sich dann noch vier Vollzeit-Semester an. Dann habe ich den Bachelor in Pflegewissenschaften. Damit kann ich in viele Bereiche der Pflege gehen, zum Beispiel als Pflegeleiterin. Mit dem Studium will sie sich nicht nur finanzielle Vorteile verschaffen. Viele Krankenpfleger haben später Rückenprobleme, weiß Ruhstrat. Deshalb sei es für sie wichtig, auch im Büro arbeiten zu können. Doch das ist Zukunftsmusik. Jetzt freut sie sich auf ihre nächste Ausbildungsstation: die Psychiatrie. (bin) Nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) verdienen Auszubildende in der Gesundheits- und Krankenpflege: 1. Ausbildungsjahr 930 Euro 2. Ausbildungsjahr 996 Euro 3. Ausbildungsjahr 1.103 Euro Einstiegsgehalt 1.850 bis 2.000 Euro (brutto) Der Verdienst hängt von Branche, Tätigkeit und Region ab. Zusätzlich kann es Schichtzulagen geben. Quelle: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe Malte Hafke muss sich um seine berufliche Zukunft keine Sorgen machen. Der 19-Jährige lernt Anlagentechniker für Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik (SHK) im Volksmund Klempner genannt. Malte Hafkes Vater ist Klempner. Da lag es nahe, dass der or sich auch für diesen Beruf entscheidet. Doch der heute 19-Jährige wollte auf Nummer sicher gehen: Noch während der Schulzeit machte er in den Ferien ein Praktikum in einem Sanitär-, Heizungs- und Solarbetrieb und eines bei einem Gärtner. Das Gärtnern gefiel mir auch gut, sagt Malte Hafke. Aber Klempner hat mich mehr angesprochen. Eine gute Wahl was die beruflichen Zukunftschancen angeht: Fachkräfte wie Malte Hafke werden in der Branche gesucht. Das weiß auch der junge Bremer. Wenn man sich einigermaßen für den Beruf engagiert, ist es gar kein Problem, eine Stelle zu bekommen. Er selbst muss nach seiner dreieinhalbjährigen Ausbildung zum Anlagentechniker für Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik keine Bewerbungen schreiben. Sein Ausbildungsbetrieb Klocke Haustechnik will ihn übernehmen. Warum ist der Bedarf offenbar größer als Fachkräfte vorhanden sind? Malte Hafke kann da nur vermuten: Heutzutage wollen alle lieber einen Anzug tragen und in einer Versicherung oder Bank sitzen. Aus seiner Realschulklasse hat nur er eine Klempnerausbildung angefangen. Für ihn sei das Handwerk genau richtig: Ich brauche abends nicht mehr um Gebäude zu joggen. Ich habe meine körperliche Belastung bei der Arbeit. Schon als Kind hat er gerne etwas mit seinen Händen getan: Schiffsmodelle zusammengeklebt, geschnitzt oder sein Kinderzimmer selbst neu angestrichen. Am Schreibtisch zu sitzen, ist seine Sache nicht. Er war noch keine 17 Jahre alt, als er seine Ausbildung begann. Wenn er erzählt, was er macht, muss er sich Sprüche wie diesen anhören: Gas, Wasser, Scheiße. Doch Malte Hafke kümmert das wenig. Da muss ich drüber lachen. Er weiß: Für viele Leute ist das kein Traumberuf. Dabei wüssten die wenigsten, wie vielfältig die Tätigkeit ist: vom Dachrinnenlöten über die Wartung von Heizungsanlagen bis hin zum Einbau eines neuen Badezimmers. Knapp 30 Schüler waren zu Beginn in seiner Berufsschulklasse, sieben davon haben inzwischen abgebrochen. Einer aus gesundheitlichen Gründen, einige, weil sie gemerkt haben, dass es doch nichts für sie ist, andere hatten keinen Bock mehr, erzählt Malte Hafke. Die Abbrecher arbeiten nun am Band, weil sie dort mehr Geld verdienen als während der Ausbildung, oder machen gar nichts. Malte Hafke kann das nicht verstehen. Selbst wenn einem der Beruf nicht liegt, ist es bei einer Bewerbung immer besser, wenn man eine Ausbildung fertig gemacht hat. Seine Ziele sind noch höher: Er will später seinen Meister machen. Für ihn ist sowieso klar, dass der Beruf ein lebenslanges Lernen erfordert, um immer auf dem neuesten Stand der Technik zu sein. Die Kunden erwarten, dass ein Installateur mehr weiß als sie selber. Für die hohen Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt, findet Malte Hafke ihn unterbezahlt. Wir haben auch eine große Verantwortung, wenn wir zum Beispiel an einer Gasleitung arbeiten. Aber natürlich sei der Verdienst nicht alles: Ich habe lieber weniger Geld, aber dafür eine Arbeit, bei der ich nicht jeden Morgen Bauchschmerzen habe. Ein Traumberuf also? So weit will Malte Hafke nicht gehen. Aber: Klempner ist mein absoluter Favorit im Handwerk. Ich bin zufrieden mit meinem Beruf. Dass er eines Tages arbeitslos werden könnte, befürchtet er nicht. Unser Beruf ist durch keine Maschine zu ersetzen. (bin) Verdienst in der Ausbildung: 1. Ausbildungsjahr 500 bis 529 Euro 2. Ausbildungsjahr 550 bis 564 Euro 3. Ausbildungsjahr 600 bis 631 Euro 4. Ausbildungsjahr 650 bis 680 Euro Einstiegsgehalt 1.800 bis 2.000 Euro (brutto/verdienst hängt vom Tarifvertrag ab) Quelle: Bundesagentur für Arbeit

08 // Aus der Arbeitnehmerkammer: Kammer kompakt zur Entwicklung der Einkommen // 09 Überdurchschnittliche Verdienste im Land Bremen in Euro Hamburg Hessen Baden-Württemberg Bayern Bremen Nordrhein-Westfalen Deutschland Rheinland-Pfalz Niedersachsen Saarland Berlin Schleswig-Holstein Brandenburg Sachsen Thüringen Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpommern 4.580 4.460 4.349 4.189 4.112 4.111 3.961 3.906 3.781 3.767 3.716 3.561 3.046 2.949 2.901 2.892 2.781 Quelle: Statistisches Bundesamt 2014; Vollzeitbeschäftigte 2014; Stand 2. Quartal 2000 3000 4000 5000 ergänzend Leistungen vom Jobcenter. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Zwar haben die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze wegen der guten Konjunktur auch in Bremen zugenommen. Schierenbeck: Oft handelt es sich dabei allerdings um Arbeitsplätze im sogenannten Niedriglohnsektor oder um Teilzeitarbeitsplätze. (san) Das Kammer kompakt steht im Internet als Download zur Verfügung unter www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen Ein Plus von 18,5 Prozent im produzierenden Gewerbe in Prozent Baden-Württemberg Bremen Bayern Niedersachsen Thüringen Rheinland-Pfalz Sachsen-Anhalt Deutschland Mecklenburg-Vorpommern Hamburg Sachsen Saarland 12,3 14,5 14,3 14,1 12,9 12,0 16,4 18,7 18,5 17,3 16,3 16,0 Hessen 11,4 Kammer kompakt zur Entwicklung der Einkommen Löhne im Land Bremen sind gestiegen Die gute Konjunkturentwicklung in diesem Jahr hat sich auch bei den Löhnen bemerkbar gemacht: So sind nach langer Durststrecke zwischen den Jahren 2000 und 2010 erneut Reallohngewinne zu vermelden. Nach Abzug der Preissteigerungen haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder mehr Geld in der Tasche. Nach mehr als zehn Jahren ohne Reallohnzuwächse haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf spürbare Lohnsteigerungen. Und der Nachholprozess muss weiter fortgesetzt werden, kommentiert Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen, die aktuelle Ausgabe der Serie Kammer kompakt. Im Durchschnitt verdienten die vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen 4.112 Euro brutto im Monat inklusive Sonderzahlungen. Gegenüber dem Vorjahr hat sich damit ihr Einkommen um 1,9 Prozent erhöht. Die Verdienste in Bremen befinden sich leicht über dem Bundesdurchschnitt. Allerdings liegen die Einkommen differenziert nach Branchen weit auseinander. Die höchsten Einkommen werden im Bereich der Finanzdienstleistungen und im verarbeitenden Gewerbe erzielt. Am anderen Ende der Skala befinden sich der Einzelhandel und das Gastgewerbe: So verdienen Vollzeitbeschäftigte in der Indus- trie mit 5.175 Euro im Monat mehr als doppelt so viel wie im Gastgewerbe (2.003 Euro). Und die Einkommensunterschiede in den Branchen nehmen weiter zu. Während das produzierende Gewerbe seit 2010 Lohnsteigerungen von 18,5 Prozent erzielte, waren es im Dienstleistungsbereich im selben Zeitraum nur 7,7 Prozent. Bei einer Inflationsrate von 6,9 Prozent seit 2010 sind die realen Zugewinne im produzierenden Bereich deutlich, im Dienstleistungssektor dagegen sehr bescheiden. Weihnachtsgeld & Co. Branche ist entscheidend Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld oder Prämien sind ein häufig eingeplantes Extra von hoher Bedeutung für die Beschäftigten. Allerdings: Nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können von diesen sogenannten Sonderzahlungen profitieren: Sonderzahlungen und deren Höhe hängen sehr stark davon ab, in welcher Branche man arbeitet, so Ingo Schierenbeck. So sind die Sonderzahlungen für Beschäftigte im produzierenden Gewerbe in Bremen mit 5.975 Euro jährlich fast doppelt so hoch, wie die Sonderzahlungen im Dienstleistungsbereich (3.024 Euro). Und während die Sonderzahlungen im produzierenden Gewerbe gegenüber 2010 um 17,9 Prozent zulegen konnten, sanken sie sogar im Dienstleistungssektor um 5,6 Prozent. Weihnachtsgeld erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor allem in Unternehmen, in denen ein Tarifvertrag gilt. Dies ist in der Industrie deutlich häufiger der Fall als in vielen Dienstleistungsbereichen. Hiervon profitieren vor allem die Männer, die überwiegend in Industrieunternehmen und im verarbeitenden Gewerbe tätig sind, während die Frauen häufiger in der Dienstleistungsbranche arbeiten, so Schierenbeck. Im Durchschnitt machen die Sonderzahlungen rund zehn Prozent des Bruttojahresverdienstes aus, in Bremen sind dies rund 3.912 Euro. Gender Pay Gap: Lohnabstand zwischen Frauen und Männern wird größer Diese Entwicklung wird auch deutlich bei einem Blick auf den sogenannten Gender Pay Gap, der seit Jahren den Lohnabstand zwischen Frauen und Männern ausweist. Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt hier, dass Bremen deutlich Nachholbedarf hat und zunehmend hinter den anderen Bundesländern hinterherhinkt. Bei den Vollzeitbeschäftigten hat sich der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern jetzt noch vergrößert: Hier stiegen die Verdienste der Männer um rund zwölf Prozent, die Verdienste der Frauen dagegen nur um sieben Prozent. Im Bundesgebiet dagegen sind die Arbeitnehmerverdienste von Männern und Frauen in etwa gleich stark gestiegen. Es ist erschreckend, dass die schon bestehenden Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern in Bremen auch noch zunehmen, mahnt Schierenbeck. Wenn das Einkommen nicht reicht: Zahl der Aufstocker nimmt zu Nach wie vor reicht bei vielen Erwerbstätigen der Verdienst nicht für den Lebensunterhalt aus. Inzwischen beziehen 19.600 Erwerbstätige im Land Bremen (davon sind 2.500 in Vollzeit tätig) Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen Berlin Brandenburg 6,9 6,8 10,1 10,0 Quelle: Statistisches Bundesamt 2014; eigene Berechnungen; 2014 gegenüber 2010 Ein Plus von 7,7 Prozent im Dienstleistungsbereich in Prozent Hamburg Nordrhein-Westfalen Baden-Württemberg Deutschland Bremen Bayern Thüringen Berlin Schleswig-Holstein Hessen Saarland Brandenburg Niedersachsen Sachsen-Anhalt Sachsen Rheinland-Pfalz Mecklenburg-Vorpommern 0 5 10 15 20 6,6 8,1 7,7 7,5 7,3 7,2 7.0 6,7 6,3 5,2 5,2 5,1 5,0 4,6 Quelle: Statistisches Bundesamt 2014; eigene Berechnungen; 2014 gegenüber 2010 9.0 12,0 10,2 0 2 4 6 8 10 12 14

10 // Aus der Arbeitnehmerkammmer: Unsere Rechtsberatung im Jahr 2014 // 11 Beratungsfälle 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 Arbeitsrechtsberatung 6.278 5.077 3.528 Vergütung Entlassung Urlaub Vertrag Kündigung Unsere Rechtsberatung im Jahr 2014 Nachfrage so hoch wie nie zuvor 3.137 (arbeitnehmerseitig) 2.214 1.886 Zeugnis Öffentliche Rechtsberatung Die öffentliche Rechtsberatung, die die Arbeitnehmerkammer im Auftrag des Landes Bremen für Bürger mit geringem Einkommen durchführt, umfasst eine Vielzahl von Rechtsgebieten, etwa das Miet-, Familien-, Erb- und Vertragsrecht. Deutlich zugenommen haben hier die Anfragen zum Mietrecht, wobei die Nebenkostenabrechnungen nach wie vor im Mittelpunkt stehen. Aber auch Streitigkeiten über Schönheitsreparaturen oder zur Kaution sorgen immer wieder für Beratungsbedarf aufseiten der Mieter. Ein Dauerthema in der öffentlichen Rechtsberatung sind Internet- und Telefonverträge insbesondere in Zusammenhang mit einem Anbieterwechsel oder wenn der bestehende Anbieter Preise und Leistungen ändert. Auch Online-Käufe und der Abschluss von Verträgen über das Medium Internet führen häufig zu Schwierigkeiten. Arbeitsrechtsberatung und öffentliche Rechtsberatung Sie sind Mitglied der Arbeitnehmerkammer und haben rechtliche Fragen? Wir helfen Ihnen gern! Persönliche Beratung (ohne Termin) in Bremen / Bremerhaven: Mo., Di., Do., Fr. 9 12 Uhr Mo., Mi. 14 18 Uhr Persönliche Beratung (ohne Termin) in Bremen-Nord: Mo., Di., Do., Fr. 9 12 Uhr Mo., Do. 14 18 Uhr Telefonische Arbeitsrechtsberatung: Bremen: 0421 36301-11 Bremerhaven 0471 92235-11 Montag bis Donnerstag 9 16 Uhr Freitag 9 12.30 Uhr Mehr als 97.000 Rechts- und Steuerberatungen haben wir an unseren drei Standorten in der Bremer Innenstadt, in Bremen-Nord und in Bremerhaven im vergangenen Jahr durchgeführt. Damit ist die Nachfrage noch einmal deutlich gestiegen und liegt so hoch wie nie zuvor. Diese Entwicklung bestätigt den Trend aus dem Vorjahr, dass trotz guter Konjunktur der Beratungsbedarf vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter wächst. Die Lage am Arbeitsmarkt ist auf den ersten Blick zwar gut, der zweite Blick offenbart aber deutliche Schwächen: Viele unserer Mitglieder arbeiten in Minijobs, befristeten Beschäftigungsverhältnissen, zu Niedriglöhnen oder ohne Tarifbindung. Diese Mitglieder sind zunehmend auf rechtliche Unterstützung und Beratung angewiesen. Fragen zum Gehalt bleiben Top-Thema Die arbeitsrechtlichen Beratungen sind 2014 im Vergleich zum Vorjahr um fast 2.500 auf mehr als 41.000 Beratungen gestiegen. Top-Thema mit einem deutlichen Anstieg waren Fragen zum Gehalt. Inhaltlich geht es oft um angemessene Vergütungen, Ansprüche auf Zuschläge und jährliche Gehaltsanpassungen oder die gleiche Bezahlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten. Denn neue Arbeitsplätze entstehen vor allem im Dienstleistungsbereich. Hier sind oft noch keine Tarifverträge vorhanden und es fehlen betriebliche Interessenvertretungen. Die Gehaltsstrukturen sind deshalb intransparent und zum Teil ungerecht. Wegen des seit Anfang 2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohns gehen wir Beratungsfälle 4.000 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 Öffentliche Rechtsberatung 3.773 Schuldrecht 3.010 Mietrecht davon aus, dass kurzfristig noch mehr Beschäftigte auf Beratung in Sachen Lohn und Gehalt angewiesen sind. Deshalb bieten wir ab sofort einen Mindestlohn-Check an. Hier können Sie sich informieren, ob der Mindestlohn auch für Sie gilt, wie er sich berechnet und was Sie tun können, wenn Ihr Arbeitgeber die neuen Vorschriften nicht einhält. Ebenfalls zugelegt haben Beratungen zu Zeugnis- und Vertragsfragen und zu Eigenkündigungen. Daran wird deutlich, dass ein Teil der Arbeitnehmer die gute Konjunktur für sich nutzt und neue Beschäftigungschancen sucht. Arbeitgeber wiederum greifen offenbar etwas seltener zum Mittel der Kündigung Beratungen zu arbeitgeberseitigen Kündigungen sind nicht weiter angestiegen, sondern verharrten auf hohem Niveau. Kompliziertes Steuerrecht Deutlich angestiegen ist im vergangenen Jahr die Nachfrage nach steuerrechtlicher Beratung. Hierbei standen vor allem Fragen zur Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten, zu Kindergeld und Kinderfreibeträgen im Mittelpunkt. Zugenommen haben auch Fragen zum neuen Umgang mit Reisekosten. Dies war vor allem für Arbeitnehmer von Bedeutung, die von ihrem Arbeitgeber häufig an unterschiedlichen Orten eingesetzt werden. Auch die Frage, inwieweit sich haushaltsnahe Dienstleistungen steuerlich anrechnen lassen, spielte in der Beratung eine große Rolle. Die Arbeitnehmerkammer erstellte 2014 allein rund 28.800 Steuererklärungen. 2.446 Sozialrecht 1.883 Insolvenzrecht 1.790 Familienrecht Verstöße gegen das Arbeitsrecht Die Mär von den Minusstunden Immer wieder kommt es vor, dass Arbeitgeber gegen das geltende Arbeitsrecht verstoßen oder es zumindest versuchen. Manche haben ihre eigene Rechtsvorstellung, weiß Ingo Kleinhenz, Rechtsberater der Arbeitnehmerkammer, aus Erfahrung. Verunsicherte Beschäftigte suchen dann in der Arbeitsrechtsberatung Hilfe. Vor Kurzem kam eine Mitarbeiterin eines Tabakwarenladens zu Ingo Kleinhenz in die Beratung und erzählte, dass ihr Chef von ihr verlangte, Krankheitstage nachzuarbeiten. Die Arbeitnehmerin hat einen Vertrag über eine 20-Stunden-Woche und war Anfang Dezember 2014 zwei Wochen krankgeschrieben. Als sie wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte, rechnete der Arbeitgeber ihr vor, dass sie laut Vertrag monatlich 80 Stunden zu arbeiten habe. Diese Stundenzahl sollte sie nun komplett an den verbleibenden Tagen vor den Weihnachtsfeiertagen ableisten. Er hat nicht eingesehen, dass er im Krankheitsfall weiterhin den Lohn zahlen muss, wundert sich Ingo Kleinhenz. Zusätzlich wollte er, dass sie für die Feiertage vorarbeitet. Das ist hanebüchen und dreist. Ebenfalls ums Nacharbeiten ging es in einem Fall, den eine Arzthelferin Rechtsberater Alireza Khostevan berichtete. Der Arbeitgeber der Frau hatte 2014 seine Arztpraxis mehr als sechs Wochen geschlossen. In dieser Zeit konnten die Mitarbeiter nicht arbeiten, sie mussten dafür ihren kompletten Jahresurlaub nehmen. Doch das reichte noch nicht: Den Rest sollten sie sich als Minusstunden aufschreiben und nacharbeiten. Dass es in so einem Fall grundsätzlich Minusstunden gibt, ist aber ein allgemeiner Irrglaube, betont Alireza Khostevan. Nacharbeiten ist keine Pflicht Rechtlich ist es so: Wenn ein Arbeitgeber eine zur Verfügung stehende Arbeitskraft nicht annimmt, brauchen die Beschäftigten auch nicht zu arbeiten und bekommen trotzdem ihren Lohn. Zudem können sie für die Zukunft vom Arbeitgeber verlangen, dass nicht der gesamte Jahresurlaub in den Betriebsferien genommen werden muss. Rechtlich muss ein Teil des Jahresurlaubs zeitlich zur freien Verfügung stehen und darf in der Regel nicht komplett vom Arbeitgeber festgelegt werden, betont der Rechtsberater. Ich habe der Frau empfohlen, mit ihrem Arbeitgeber gemeinsam nach einer vernünftigen Lösung zu suchen. Ähnliche Probleme gibt es häufig auch bei Zeitarbeitsfirmen. Wenn diese gerade keinen Auftrag für einen Beschäftigten haben, wird schon mal gesagt: Bleib eine Woche zu Hause und schreib dafür Minusstunden auf oder nimm Urlaub, so Khostevan. Doch auch das sei nicht erlaubt. Vier Wochen Mindesturlaub Missstände gibt es auch häufig bei Minijobbern. Die Beschäftigten wissen meist selbst nicht, dass sie ganz normale Arbeitnehmerrechte haben, sagt Kleinhenz. Selbst wenn im Vertrag vereinbart sei, dass auf Urlaub verzichtet werde, habe dies keinen Bestand. Jeder hat zumindest das Recht auf den gesetzlichen Mindesturlaub von vier Wochen. Der Rechtsberater berichtet von einer Minijobberin, die immer nur sonntags arbeitet. Der Chef wollte ihr keinen Urlaub gewähren. Er behauptete, sie habe keinen Anspruch darauf. Wenn es ihr nicht passen würde, könne sie ja gehen. Tatsächlich aber könne die Beschäftigte vier Tage im Jahr bezahlten Urlaub beanspruchen, was in ihrem Fall vier Wochen Urlaub ergäbe. Minijobber haben dabei auch den gleichen Kündigungsschutz wie alle anderen Arbeitnehmer. Insbesondere wenn das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, kann der Arbeitgeber daher auch den Minijobbern nicht kündigen, wenn sie den ihnen zustehenden Urlaubsanspruch geltend machen, so Kleinhenz. (bin)

12 // Politik: Kammer befragt 600 Auszubildende // 13 Kammer befragt 600 Auszubildende Überstunden sind gang und gäbe Im Jahr 2013 wurden im Land Bremen gut 1.500 Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Die sogenannte Lösungsquote lag bei 23,7 Prozent. Damit liegt Bremen im Ländervergleich recht gut: Nur in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen wurden weniger Verträge vorzeitig beendet. Dabei ist die Lösungsquote nicht zu verwechseln mit einer Abbruchquote und erst recht nicht mit einer Abbrecherquote. Mit den vorzeitigen Vertragslösungen gibt die Statistik lediglich darüber Auskunft, wie häufig der betriebliche Ausbildungsvertrag vor seinem Ablauf beendet wurde. Ob die Berufsausbildung in einem anderen Ausbildungsbetrieb weitergeführt wurde (Betriebswechsel) oder in einem anderen Ausbildungsberuf neu aufgenommen wurde (Ausbildungswechsel), erfahren wir dadurch nicht. Das vorzeitige Beenden eines Ausbildungsvertrags als Scheitern der Auszubildenden zu interpretieren, wäre also vorschnell. Aber ein Einschnitt ist es in jedem Fall. Uns hat interessiert, wie die Auszubildenden selbst ihre Situation einschätzen. Wir haben deshalb mehr als 600 Auszubildende im Land Bremen befragt und sie gebeten, die Qualität ihrer Ausbildung und die eigenen Zukunftsperspektiven zu bewerten. Unsere Rechtsberatung hat die Ergebnisse juristisch eingeordnet. Sie sind in Teilen besorgniserregend. Wenngleich 95 Prozent der Befragten den für sie zuständigen Ausbilder im Betrieb kennen, sind lediglich jeweils 45 Prozent der Auffassung, dieser nehme sich für die Ausbildung die erforderliche Zeit und erkläre Arbeitsvorgänge gut. Die Aus-zubildenden müssen sich demzufolge Ausbildungsinhalte zum Teil selbst erschließen und aneignen, denn nur bei 19 Prozent der Befragten wird der Ausbildungsplan konsequent eingehalten. Dabei wurde der betriebliche Ausbildungsplan lediglich 64 Prozent der Befragten überlassen. Der Gesetzgeber verlangt im Berufsbildungsgesetz von Ausbildenden unter anderem eine planvolle Durchführung der Ausbildung, damit die für die Erreichung des Ausbildungsziels erforderliche berufliche Handlungsfähigkeit innerhalb der Ausbildungszeit hergestellt werden kann. Die Vernachlässigung dieser Pflicht führt letztlich zu einer Ausdünnung der Ausbildungsinhalte und damit zu einer unzureichenden Qualifi- zierung. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte sind Ausbildungsbetriebe angehalten, die ihnen obliegenden Verpflichtungen ebenso einzuhalten, wie sie es von ihren Auszubildenden fordern. Dies gilt umso mehr, wenn die Auszubildenden im Anschluss an die Ausbildung nicht übernommen werden und damit auf eine Qualifikation angewiesen sind, die ihnen auch ohne betriebsspezifische Erfahrungen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen. Ein wesentlicher Faktor für die Qualität einer dualen Ausbildung ist darüber hinaus das Zusammenspiel schulischer und betrieblicher Ausbildung. Gut 40 Prozent der Auszubildenden haben nach eigenen Angaben nicht genug Zeit, sich auf Prüfungen vorzubereiten. Nach dem Berufsbildungsgesetz haben Auszubildende nur einen Freistellungsanspruch für die Teilnahme am Berufsschulunterricht und die Teilnahme an Prüfungen. Auch Minderjährige werden durch den Gesetzgeber nur mäßig bei der Prüfungsvorbereitung unterstützt, sind aber nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz zumindest für den einer Prüfung unmittelbar vorangehenden Arbeitstag freizustellen. Auszubildende sind folglich auch für die Prüfungsvorbereitung auf ein Entgegenkommen des Ausbildungsbetriebs angewiesen. Fehlt es an diesem Sven Thora Entgegenkommen, müssen Auszubildende sich nach einem vollen Arbeitstag in der Freizeit auf Prüfungen vorbereiten. Es darf bezweifelt werden, dass diese Vorbereitungszeit ausreichend ist, zumal mehr als 79 Prozent der Auszubildenden Überstunden im Betrieb leisten müssen, gut 21 Prozent von ihnen sogar häufig. Alarmierend ist, dass bereits 72 Prozent der jugendlichen Auszubildenden zu Überstunden herangezogen wurden, obwohl die Beschäftigung von Jugendlichen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit hinaus (abgesehen von wenigen Ausnahmen sind dies acht Stunden) laut Jugendarbeitsschutzgesetz sogar eine Bußgeld bewehrte Ordnungswidrigkeit darstellt. Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass nicht wenige Auszubildende durch diese Entgrenzung von Ausbildung und Freizeit an ihre Belastungsgrenzen geraten und bereits in jungen Jahren deutliche Überlastungssymptome zeigen. Der Gesetzgeber ist in diesem Zusammenhang aufgefordert, die Auszubildenden bei der Vereinbarkeit von schulischer und betrieblicher Ausbildung zu unterstützen. Dies kann zum Beispiel durch die Verankerung eines Freistellungsanspruchs zur Prüfungsvorbereitung im Berufsbildungsgesetz geschehen. Auch erscheint ein generelles Überstundenverbot sinnvoll. Zwar ist die Anordnung von Überstunden für Auszubildende auch derzeit nur zulässig, soweit dies zur Erreichung des Ausbildungsziels notwendig ist. Dies wird jedoch zu selten berücksichtigt, denn vielfach werden Überstunden lediglich zur Deckung vorüber- Um die Situation von Auszubildenden auf ein gutes Fundament zu stellen, gehenden Personalbedarfs angeordnet und Auszubildende gerade mit solchen Tätigkeiten betraut, die sie bereits beherrschen. Wenngleich die Anordnung von Überstunden in derartigen Fällen unzulässig ist, sehen sich viele Auszubildende nicht dazu in der Lage, dies gegenüber ihrem Ausbilder auch deutlich zu machen und die Überstunden zu verweigern. Die Auszubildenden werden insoweit eher eine schlechte Prüfungsnote, als eine Auseinandersetzung mit dem Ausbilder riskieren. Die derzeitige Regelung trägt dem Umstand, dass Auszubildende vertraglich und nach den Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes dazu verpflichtet sind, sich ausbilden zu lassen und der Schwerpunkt ihrer Verpflichtung gerade nicht auf der Erbringung einer produktiven Arbeitsleistung liegt, nur unzureichend Rechnung. Konflikte im Ausbildungsbetrieb sind angesichts dessen programmiert. So verwundert es wenig, dass bereits mehr als 30 Prozent der befragten Auszubildenden einen Betriebswechsel in Betracht gezogen haben. Der Wunsch, den Ausbildungsbetrieb zu wechseln, stellt jedoch keinen anerkannten Kündigungsgrund dar und so sind die Auszubildenden auch in diesem Fall auf das Einverständnis ihres Ausbildungsbetriebes angewiesen, um einen Aufhebungsvertrag abschließen und in einen neuen Betrieb wechseln zu können. Bleibt ihnen dieses Entgegenkommen versagt, droht nicht selten ein Abbruch des Ausbildungsverhältnisses. Dies sollte im Interesse der Auszubildenden ebenso, wie im Interesse der auf Fachkräfte angewiesenen Arbeitgeber vermieden werden. Umso wichtiger ist es, dass es mit dem Projekt Ausbildung Bleib dran im Land Bremen ein Beratungs- und Mediationsangebot gibt, das bei der Bewältigung von ausbildungsbedrohenden Konflikt- und Problemlagen interveniert und präventiv gegen Ausbildungsabbrüche wirkt. Und natürlich steht Auszubildenden im Land Bremen unsere Rechtsberatung offen, wenn es um ausbildungsrechtliche Probleme geht. Sven Thora n Rechtsberater in Bremerhaven Regine Geraedts n Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik wären ein generelles Überstundenverbot und ein Freistellungsanspruch zur Prüfungsvorbereitung gut. Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen www.arbeitnehmerkammer.de/beratung/arbeitsrecht Ausbildung Bleib dran www.bleibdran.uni-bremen.de

14 // Aus der Arbeitnehmerkammmer: Neue Vollversammlung der Arbeitnehmerkammer Politik: Gute Arbeit, faire Arbeit // 15 Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen Jens Böhrnsen, Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen n.l.n.r.: Der neue Vorstand: Annette Düring, Sabine Schwarzer, Renate Sindt, Peter Kruse, Hans-Joachim Sander, Karsten Behrenwald, Ralf Wilke Foto: Oliver Tjaden Neue Vollversammlung der Arbeitnehmerkammer wählt Vorstand Peter Kruse bleibt Präsident der Kammer Einstimmig und unter großem Beifall ist Peter Kruse Ende uar von der Vollversammlung in seinem Amt bestätigt worden. Damit bleibt der HKK-Personalratsvorsitzende weiterhin Präsident der Arbeitnehmerkammer Bremen. Ich freue mich, dass die Kolleginnen und Kollegen mit meiner Arbeit in den vergangenen Jahren zufrieden waren und mir nun noch einmal ihr Vertrauen geschenkt haben, betonte der alte und neue Kammer-Präsident Kruse auf der konstituierenden Sitzung der Vollversammlung Ende uar. Peter Kruse betonte, dass er sein Amt auch in den kommenden sechs Jahren nutzen werde, um die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land Bremen deutlich zu vertreten und ihnen politisch Gehör zu verschaffen. Viele Menschen finden trotz des viel zitierten Fachkräftemangels keine auskömmliche Arbeit, viele Jugendliche bleiben trotz Nachwuchssorgen der Unternehmen ohne Ausbildungsplatz. Und zu viele unserer Mitglieder müssen unter prekären Bedingungen arbeiten als Scheinselbstständige, über Werkverträge, als Leiharbeiter oder in befristeten Arbeitsverhältnissen. Diese Entwicklungen geben uns ausreichend Aufgaben auf, betonte Peter Kruse. Die Kammer werde darüber hinaus weiterhin auf aktuelle politische Situationen reagieren, wie zum Beispiel bei der Unterstützung des Bündnisses für Wohnen, für den sozialen Zusammenhalt in den Städten oder beim Aufruf für eine demokratische und weltoffene Gesellschaft. Neuer Vorstand komplett Neben Peter Kruse wählte die Vollversammlung folgende Vertreterinnen und Vertreter in den siebenköpfigen Vorstand: Karsten Behrenwald, Geschäftsführer der IG Metall Bremerhaven, und Alterspräsident Peter Rudolph (rechts) gratuliert Peter Kruse zur Wiederwahl Sabine Schwarzer, Betriebsrätin bei Mondelēz in Bremen, wurden als Vize-Präsident beziehungsweise Vize-Präsidentin wiedergewählt. Ebenfalls wiedergewählt als Beisitzerin beziehungsweise Beisitzer wurden Annette Düring, Regionsvorsitzende des DGB und Ralf Wilke, Betriebsrat bei Mercedes Benz Bremen. Neu in den Vorstand gewählt wurden Renate Sindt, Betriebsrätin beim Klinikum Bremerhaven und Hans-Joachim Sander, Betriebsrat bei der Coffein Compagnie. Der aus dem Vorstand ausgeschiedenen Kollegin Maren Bullermann von der Gewoba in Bremen dankte Peter Kruse für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren. Den neuen Vorstands-Kolleginnen und -Kollegen wünschte er viel Erfolg bei der künftigen Arbeit. Weitere Informationen zu den Aufgaben der Vollversammlung und des Vorstands der Arbeitnehmerkammer Bremen finden Sie auf der Internetseite unter www.arbeitnehmerkammer.de Zur Person Peter Kruse, Jahrgang 1967, wurde im 2011 von der Vollversammlung der Arbeitnehmerkammer zum Präsidenten gewählt und löste damit Hans Driemel ab. Der Vollversammlung der Arbeitnehmerkammer gehört Peter Kruse bereits seit 2002 an. Seit Beginn seiner Ausbildung bei der AOK Ammerland ist Peter Kruse gewerkschaftlich aktiv zunächst bei der ÖTV, später bei der HBV und seit 2001 bei der neu gegründeten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Heute ist Peter Kruse Personalratsvorsitzender bei der HKK und stellvertretender ver.di-bezirksvorsitzender Bremen/Nord-Niedersachsen. Bremen und Nordrhein-Westfalen im Gespräch Gute Arbeit, faire Arbeit Welche Möglichkeiten haben die Bundesländer, gute Arbeit zu gestalten? Was können andere von Bremen was kann aber auch Bremen von anderen lernen? Nach dem Auftakt der Veranstaltungsreihe mit dem Nachbarland Niedersachsen haben wir nun die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein- Westfalen, Hannelore Kraft, zu Gast. Nordrhein-Westfalen (NRW) hat im Rahmen der Landesinitiative Land der fairen Arbeit zahlreiche Projekte gestartet, Unterstützungsangebote geschaffen und Initiativen ergriffen, um prekäre Arbeit in NRW zurückzudrängen. Minijobs, Leiharbeit und Werkverträge standen und stehen dabei im Zentrum. Denn: Armut ist auch das Ergebnis unsicherer und schlecht bezahlter Beschäftigung, wie es zum Auftakt der Initiative hieß. Bremen als Vorreiter in Sachen Landesmindestlohn hat dieses Thema ebenfalls aufgegriffen. Das Wirtschaftsstrukturkonzept des Landes betont: Gute Arbeit hat sich zu einem zentralen Element eines attraktiven Arbeitsmarkts und einer zukunftsorientierten Standortpolitik entwickelt. Damit sollen Bremer Aktivitäten nicht nur die Position der Beschäftigten, sondern auch die der Unternehmen und des Standorts stärken. Wir diskutieren mit Hannelore Kraft, dem Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen, den Präsides der Wirtschaftskammern, dem Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund und mit Betriebsrätinnen und Betriebsräten, was beide Länder voneinander lernen können und was die Landespolitiken zu stabiler, guter und erfolgreicher Arbeit beitragen können. Gute Arbeit, faire Arbeit Bremen und Nordrhein-Westfalen im Gespräch am Montag, 16., 18 Uhr im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Vortrag von Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein- Westfalen: Faire Arbeit, fairer Wettbewerb Zwischenbilanz in Nordrhein-Westfalen Vortrag von Jens Böhrnsen, Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen: Gute Arbeit für Bremen und Bremerhaven Anschließend Diskussion mit: Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalen Jens Böhrnsen, Präsident des Senats Bremen Christoph Weiss, Präses der Handelskammer Bremen -Gerd Kröger, Präses der Handwerkskammer Bremen Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer Jobcenter Dortmund Petra Coordes, Betriebsratsvorsitzende Karstadt Bremerhaven Daniel Müller, Betriebsratsvorsitzender Lloyd Werft Bremerhaven Moderation: Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer

16 // Medientipps und Reihe Rechtsirrtümer Gesundheit // 17 Medientipps Für KammerCard-Inhaber ist die BibCard ermäßigt! Schmich, Dieter L. n Jobsuche mit 45plus Im besten Alter gelten andere Bewerbungsregeln dielus edition, 2014, 173 Seiten Service > Gesundheit Gesetzliche Krankenversicherung Individuelle Belastungsgrenze bei Zuzahlungen Der Arbeitsmarktexperte und Jobcoach Dieter L. Schmich wendet sich in seinem praxisorientierten Ratgeber an Jobsuchende in ihrer Lebensmitte. Er informiert über die aktuelle Arbeitsmarktsituation für die Zielgruppe und geht auf die besonderen Möglichkeiten der Jobsuche von über 45-Jährigen ein. In einem strukturierten Drei-Stufen-Programm erfahren Interessierte, wie man sich werbewirksam darstellt, Stärken betont und Lebens- und Berufserfahrungen in den Fokus stellt. Mit zahlreichen Beispielgesprächen plus Verhaltensregeln, Anschreiben, Lebensläufen und Erfahrungsprofilen. Hake, Susanne n Selbstmarketing für Schüchterne Redline Verlag, 2014, 253 Seiten Hochsensiblen, introvertierten und schüchternen Menschen fällt es oft schwer, sich im Berufsleben in eigener Sache gut darzustellen, sich ins Gespräch zu bringen und für sich zu werben. Susanne Hake zeigt, wie Selbstmarketing mit dem von ihr entwickelten Coaching-Programm STORYdynamics gelingen kann. 79 Übungen sollen Schüchternen helfen, eigene Stärken zu erkennen, das Selbstbild zu verbessern und damit innere und äußere Blockaden zu überwinden. Ein humorvoll geschriebenes Arbeitsbuch mit Literaturangaben, Register und vielen Tipps zu Business- Netzwerken und Social-Media-Plattformen. Diese Medien können Sie in Ihrer Stadtbibliothek ausleihen. 9 x in Bremen: Zentralbibliothek Am Wall Huchting Lesum Osterholz Vahr Vegesack West Busbibliothek Hemelingen w w w. s t a d t b i b l i o t h e k - b r e m e n. d e -Reihe Rechtsirrtümer Kassenfehlbeträge muss ich immer selbst ausgleichen Das stimmt so nicht. Das Bundesarbeitsgericht stellte 1998 klar*, dass Arbeitgeber sich fehlende Kassenbeträge nicht einfach von ihren Angestellten erstatten lassen oder vom Lohn abziehen können. Grundsätzlich muss die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer nur haften, wenn ihr oder ihm zumindest mittlere oder grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Fehlbeträge aufgrund leichtester Fahrlässigkeit müssen gar nicht ausgeglichen werden. Anders verhält es sich, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte eine sogenannte Mankoabrede getroffen haben. Das kann in Form einer Klausel im Arbeitsvertrag geschehen, wonach die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer das volle Risiko für die Kasse übernimmt. Im Gegenzug für diese Verantwortung muss sie oder er aber einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich in Form einer zusätzlichen Vergütung (Mankogeld) bekommen. Weitere Voraussetzung ist, dass die oder der Beschäftigte die alleinige Verfügungsgewalt und den alleinigen Zugang zur anvertrauten Kasse hat. Außerdem muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass die Beschäftigten genug Zeit haben, den Kasseninhalt zu zählen und zu bestätigen. Diese Zeit ist Arbeitszeit und muss auch vergütet werden. (mol) *Urteil vom 17.8.1998 8 AZR 175/97 Ab 2015 ändert sich für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung so einiges. Was sich aber nicht ändert, das sind die mit der Gesundheitsreform 2004 eingeführten Zuzahlungen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die sogenannte Rezeptgebühr in der Apotheke, die bei verschreibungspflichtigen Medikamenten anfällt. Damit Versicherte finanziell nicht überfordert werden, soll eine individuelle Belastungsgrenze von zwei Prozent des zur Verfügung stehenden Bruttoeinkommens zum Lebensunterhalt nicht überschritten werden. Ganz so einfach ist es nicht, sagt Carola Bury, Referentin für Gesundheitspolitik der Arbeitnehmerkammer: Die gesamten Gesundheitskosten können durchaus die zwei Prozent überschreiten, aber zur Belastungsgrenze angerechnet werden nur die Zuzahlungen, nicht die Eigenanteile wie Zahnersatz oder Brillen. Zusätzlich werden Versicherte seit Anfang 2015 mit einem einkommensabhängigen Zusatzbeitrag belastet. Zählt man all dies zusammen, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehrfach belastet, so Carola Bury. Welche Zuzahlungen werden bei der Belastungsgrenze angerechnet? Angerechnet werden unter anderem Zuzahlungen bei Arznei- und Verbandmitteln oder zu Heilmitteln wie etwa Hörhilfen, Rollstühlen oder Gehhilfen. Ebenfalls berücksichtigt werden Zuzahlungen bei Krankenhausbehandlungen, bei der stationären Vorsorge oder Rehabilitation, bei Massagen, Bädern oder Krankengymnastik. Da der Gesetzgeber von einem Familienbruttoeinkommen ausgeht, orientiert sich die Belastungsgrenze am Haushaltseinkommen. Das bedeutet: Die Zuzahlungen des Versicherten und seiner im Haushalt lebenden Angehörigen werden zusammengezählt. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind von Zuzahlungen befreit. Für jedes Familienmitglied wird außerdem ein Freibetrag berücksichtigt. Belege immer aufbewahren Sie sollten alle Zuzahlungsbelege, die in der Familie anfallen, sammeln und deren Summe mit Ihrer persönlichen Belastungsgrenze abgleichen. Dabei lohnt es sich, die Belastungsgrenze mit möglichen Freibeträgen genau zu berechnen. Haben Sie Ihre Belastungsgrenze erreicht oder bereits überschritten, können Sie sich bei Ihrer Krankenkasse auf Antrag von weiteren Zuzahlungen im laufenden Kalenderjahr befreien lassen. In der Regel wird der Antrag auf Erstattung gestellt, wenn das Kalenderjahr zu Ende ist. Zu viel gezahlte Beträge werden zurückerstattet. Achtung: Ihre Krankenkasse informiert Sie nicht automatisch, wenn Sie Ihre Zuzahlungsgrenze erreicht haben.! So berechnen Sie Ihre Belastungsgrenze Maßgeblich sind die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt aller in einem Haushalt lebenden Personen. Dazu gehören unter anderem das Arbeitseinkommen oder die Rente, Einnahmen aus Vermietung oder Verpachtung, Abfindungen und auch Betriebsrenten. Davon können Kinderfreibeträge pro Kind und der Freibetrag für den Ehe- oder Lebenspartner abgezogen werden. Die Freibeträge können sich jedes Jahr ändern. Es gilt ein Kinderfreibetrag pro Kind in Höhe von 7.008 Euro sowohl für 2014 wie für 2015. Freibeträge für Ehe- oder Lebenspartner gelten für 2014 in Höhe von 4.977 Euro, für 2015 können 5.103 Euro angerechnet werden. Sonderregelung: chronisch Kranke Für chronisch Erkrankte liegt die Belastungsgrenze lediglich bei einem Prozent der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Das Besondere ist in diesem Fall, dass die Belastungsgrenze dann auch für alle mitversicherten Familienmitglieder gilt, abzüglich der Freibeträge. Und sie gilt ebenfalls, wenn diese bei einer anderen gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Miriam Craß Service Weitere Infos und Rechenbeispiele zum Thema finden Sie im Sonderblatt Zuzahlungen und Belastungsgrenzen in der gesetzlichen Krankenversicherung auf unserer Website unter Publikationen/Infoblätter gesundheit!. Fragen zur steuerlichen Anrechnung von Gesundheitskosten als außerordentliche Belastung im Rahmen der Einkommenssteuer beantworten Ihnen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Steuerberatung. Telefonische Steuerrechtsberatung Montag bis Freitag, 11 bis 13 Uhr Bremen: Telefon 0421 36301-40 Bremerhaven: Telefon 0471 92235-10

18 // Aus der Beratung Alles, was Recht ist // 19 Torsten Kleine Recht > Beratung Aus unserer Beratung Urlaubsabgeltung bei Arbeitgeberwechsel Service > Recht Alkoholkrankheit und Kündigung Ein Arbeitnehmer hatte als Berufskraftfahrer mit seinem Lkw unter Alkoholeinfluss (0,64 Promille) einen Unfall verursacht, bei dem der Unfallgegner verletzt wurde und ein größerer Sachschaden entstand. Im Betrieb bestand ein absolutes Alkoholverbot. Der Betriebsrat widersprach der ausgesprochenen Kündigung. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg* hat die ausgesprochene Kündigung aufgehoben. Das Gericht ging davon aus, dass der Arbeitnehmer alkoholkrank war. Eine Kündigung ist in einem solchen Fall nur möglich, wenn angenommen werden kann, dass der betreffende Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung auch in Zukunft nicht ordnungsgemäß erbringen wird. Ein solcher Schluss konnte im vorliegenden Fall nicht gezogen werden, weil der Arbeitnehmer bereits vor Ausspruch der Kündigung sich ernsthaft und glaubhaft bereit erklärt hatte, an einer Therapie teilzunehmen. Auch bei personenbedingten Kündigungen ist unter Anwendung des Ultima- Ratio-Prinzips nach milderen Mitteln zur Erreichung künftiger Vertragstreue zu suchen; hierfür kommen sowohl eine Abmahnung bei steuerbarem Verhalten als auch eine Versetzungsmöglichkeit in Betracht. *Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.08.2014 7 Sa 852/14 Georg Schaff n Referent Mitbestimmung und Technologieberatung Vor Kurzem suchte mich Herr Konrad* in der Arbeitsrechtsberatung auf. Er war jahrelang in der Lebensmittelbranche beschäftigt. Aus privaten Gründen hatte er sein vorheriges Arbeitsverhältnis zum Ablauf des 31. 2013 kündigen müssen. Er hatte aber das Glück, sofort im Anschluss eine neue Beschäftigung aufnehmen zu können. Nach einer längeren Erkrankung wurde der Arbeitsvertrag im Herbst 2014 vom neuen Arbeitgeber gekündigt. Da Herr Konrad bis zum Ende der Beschäftigung arbeitsunfähig war, konnte er seinen Urlaub tatsächlich nicht mehr gewährt bekommen. Er verlangte nun von seinem Arbeitgeber die Abgeltung des Urlaubs 2013 und 2014. Ich konnte Herrn Konrad zunächst mitteilen, dass ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht ausgeschlossen sei. Zu prüfen war aber, wie viele Tage noch zu zahlen waren. Bei einer Fünftagewoche standen ihm jährlich mangels gesonderter vertraglicher Vereinbarung 20 Urlaubstage nach dem Bundesurlaubsgesetz zu. Für das Jahr 2014 hatte der Arbeitgeber Herrn Konrad die 20 Tage auch korrekterweise abgegolten. Die Abgeltung des Urlaubs 2013 lehnte der Arbeitgeber unter anderem mit der Begründung ab, dass der Urlaub für das Jahr 2013 bereits vom alten Arbeitgeber gewährt worden sei. Es war tatsächlich so, dass Herr Konrad bereits vier Tage Urlaub von seinem alten Arbeitgeber erhalten hatte. Ich erklärte Herrn Konrad, dass er die Urlaubsabgeltung für das Jahr 2013 nur teilweise durchsetzen könne. Im Dezember 2014 hat das Bundesarbeitsgericht* zu der Frage von Doppelansprüchen bei Urlaub eine Entscheidung getroffen: Gemäß Bundesurlaubsgesetz ( 6 Abs. 1) besteht ein Anspruch auf Urlaub nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Wechselt ein Arbeitnehmer im Kalenderjahr in ein neues Arbeitsverhältnis und beantragt Urlaub, muss er deshalb mitteilen, dass sein früherer Arbeitgeber seinen Urlaubsanspruch noch nicht (vollständig oder teilweise) erfüllt hat. Der Arbeitnehmer kann die Voraussetzung für seinen Urlaubsanspruch durch die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung seines früheren Arbeitgebers nachweisen. Das Bundesurlaubsgesetz ( 6 Abs. 2) gibt jedem Arbeitnehmer einen einklagbaren Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub aushändigt. Ich habe Herrn Konrad somit geraten, sich vom früheren Arbeitgeber eine entsprechende Bescheinigung ausstellen zu lassen. Nach Vorlage dieser Bescheinigung hat der Arbeitgeber Herrn Konrad dann die restlichen 16 Tage Urlaub aus dem Jahr 2013 abgegolten. Zu beachten ist allerdings die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts**, dass ein Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfällt, soweit der Urlaub krankheitsbedingt nicht genommen werden konnte. * Urteil vom 16.12.2014 9 AZR 295/13 ** Urteil vom 07.08.2012 9 AZR 353/10 Torsten Kleine n Rechtsberater in Bremerhaven Service > Recht Kein Versicherungsschutz bei privaten Telefongesprächen Der Kläger hatte für ein dreiminütiges Telefonat mit seiner Ehefrau seinen Arbeitsplatz in einer Lagerhalle verlassen. Wegen der besseren Verbindungsqualität hat er das Telefonat draußen auf der Laderampe geführt. Als er in die Lagerhalle zurückkehren wollte, kam er ins Stolpern und verdrehte sich das Knie, wobei er sich einen Kreuzbandriss zuzog. Die Berufsgenossenschaft teilte ihm mit, dass der Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird. Das Hessische Landessozialgericht* gab ihr Recht. Wird eine versicherte Tätigkeit wegen einer privaten Verrichtung mehr als nur geringfügig unterbrochen, besteht während der Unterbrechung kein Versicherungsschutz. *Urteil vom 17.09.2013 L 3 U 33/11 Ingo Kleinhenz n Rechtsberater in Bremen Scheidungskosten Service > Steuer absetzbar? Prozesskosten für die Ehescheidung bleiben trotz geltender Neuregelung ab 2013* laut Urteil der Finanzgerichte Rheinland- Pfalz und Münster** weiterhin absetzbar. Die Richter sind davon ausgegangen, dass es immer existenziell ist, sich aus einer gescheiterten Ehe zu lösen. Ohne zivilrechtlichen Prozess ist es nicht möglich, sich scheiden zu lassen und somit sind die entstandenen Kosten zwangsläufig. Für die Scheidefolgesachen (etwa Sorgerecht, Unterhalt, Ehewohnung) lehnte das Gericht die Absetzbarkeit ab. Wir empfehlen, die Scheidungsprozesskosten nach wie vor als außergewöhnliche Belastung in der Steuererklärung anzugeben. Sollte das Finanzamt diese nicht anerkennen, können Sie fristgerecht Einspruch beim zuständigen Finanzamt einlegen. Mit dem Hinweis auf das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz beantragen Sie damit ein Ruhen des Verfahrens. Der Steuerbescheid bleibt dann in dieser Frage offen, bis eine endgültige Entscheidung beim Bundesfinanzhof, Bundesverfassungsgericht oder beim Europäischen Gerichtshof getroffen wurde. * 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ab 2013 ** Urteil des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz vom 16.10.2014 4 K 1976(14) und des Finanzgerichts Münster vom 21.11.2014 4 K 1829/14 E Beatrice Linke n Beraterin Steuerrecht in Bremen

// Veranstaltungen Arbeitnehmerkammer Bremen / Bürgerstraße 1 / 28195 Bremen / Postvertriebsstück, DPAG, Entgelt bezahlt Programm Kontakt: Telefon 0421 36301-0 / Fax 0421 36301-89 info@arbeitnehmerkammer.de Weitere Infos zu den Veranstaltungen unter: www.arbeitnehmerkammer.de/veranstaltungen Internationaler Frauentag 07 M ä r z Ein Frauenheimatabend Karrieren, Krisen, Kinder? Musik und Gespräche // Gäste: Prof. Dr. Maria Anna Kreienbaum (Lehrstuhl für Didaktik der Schule, Bergische Uni Wuppertal); Simone Schmollack (Redakteurin bei der taz, Berlin, beschäftigt sich vor allem mit Themen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Privatheit); Dr. Esther Schröder (Referentin für Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik, Arbeitnehmerkammer). 20 Uhr Arbeitnehmerkammer Bremen, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen 08 M ä r z Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag rund um Domshof und Rathaus Bremen 14 Uhr am Ziegenmarkt, Bunte Demo: Gemeinsam auf die Straße stärken wir die internationale Frauenbewegung. 15 19 Uhr im Rathaus: 104 Jahre Frauentag in Bremen, Frauenverbände und Einrichtungen stellen sich vor. 16 Uhr in der oberen Rathaushalle: Festakt des Bremer Frauenausschusses, Ehrung der Frau des Jahres 2015. Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag in Bremerhaven Vernissage zur Fotoausstellung Frauen und Meer Die Fotografin Martina Buchholz stellt ihre Frauenporträts vor. Marion Salot von der Arbeitnehmerkammer spricht über die Situation von Frauen in Meeresberufen. In Kooperation mit dem Amt für Jugend, Familie und Frauen, Bremerhaven. 13 14.30 Uhr Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven Ausstellung vom 8. bis 30. 2015 Kultur C a p i t o l B r e m e r h a v e n 20 F e b r u a r Carmela de Feo Träume und Tabletten 06 M ä r z Eva Eiselt Neurosen und andere Blumen 13 M ä r z Max Goldt liest Schade um die schöne Verschwendung 20 M ä r z Stefan Waghubinger Außergewöhnliche Belastungen jeweils 20 Uhr Capitol, Hafenstraße 156, 27576 Bremerhaven, www.arbeitnehmerkammer.de/capitol Arbeit und Politik 24 F e b r u a r Mindestlohn auf was muss ich achten? Aus unserer Reihe Ihr Recht einfach erklärt Gilt der zum Jahresbeginn in Kraft getretene Mindestlohn wirklich für jeden? Es gibt zahlreiche Ausnahmen und offene Fragen. Wir geben einen Überblick und weisen auf mögliche Tricks der Arbeitgeber hin. 18 19.30 Uhr Forum der Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven 10 M ä r z Auf ewig befristet? Von einem Vertrag zum nächsten Wir beleuchten im Rahmen der Reihe Ihr Recht einfach erklärt beispielsweise die Frage nach der maximalen Dauer einer befristeten Beschäftigung und wie oft befristete Verträge verlängert werden dürfen. 18 19.30 Uhr Geschäftsstelle Bremerhaven, Konferenzraum 5. Etage, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven 17 M ä r z 18 19.30 Uhr Arbeitnehmerkammer Bremen, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen bis 31. 2015 Ausstellung: Zum Träumen. Schön optimate yourself Fotobasierte Mixed-Media-Objekte von Gertrud Schleising. Galerie im Foyer der Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen