Fall 14: Die Villa Der im Bundesland L lebende Eugenius Engelich ist (zunächst glücklicher) Erbe: Nach dem Tod seiner Großtante fällt ihm allein ein Grundstück mitsamt Gründerzeitvilla zu. Engelichs Euphorie verfliegt aber schnell, als er bemerkt, dass die Villa in solch miserablem Zustand ist, dass sowohl die Bewohnung als auch die anderweitige Nutzung und Veräußerung schlichtweg ausgeschlossen ist. Als Engelich deshalb beschließt, sich der Villa durch Abriss zu entledigen, muss er zu allem Überdruss erfahren, dass das Gebäude ein Kulturdenkmal im Sinne des einschlägigen Denkmalschutzgesetzes des Landes L (DSchG) darstellt. Engelich stellt daher einen Antrag auf Genehmigung zum Abbruch der Villa nach dem DSchG. Zur Begründung trägt er vor, dass ihm eine wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks nicht mehr möglich sei. Angesichts der nach dem DSchG bestehenden Erhaltungspflichten sei sein Eigentumsrecht mittlerweile zur Last geworden. Die Abbruchgenehmigung wird ihm indes von der zuständigen Behörde versagt: Das DSchG statuiere in 13 ein grundsätzliches Beseitigungsverbot und verlange für eine nur ausnahmsweise zu erteilende Abbruchgenehmigung, dass andere Erfordernisse des Gemeinwohls die Belange des Denkmalschutzes überwiegen und den überwiegenden Erfordernissen des Gemeinwohls nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben, da dem Denkmalschutz hier keine Gemeinwohlbelange entgegenstehen. Aufgabe: Beurteilen Sie in einem Rechtsgutachten, ob Engelich durch die Versagung der Abbruchgenehmigung in seinem Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt ist. 13 DSchG dees Landes L (1) Ein durch Verwaltungsakt unter Schutz gestelltes Kulturdenkmal darf nur mit Genehmigung 1. zerstört, abgebrochen, zerlegt oder beseitigt, 2. [... ] werden. Im Falle des Satzes 1 Nr. 1 darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn andere Erfordernisse des Gemeinwohls die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege überwiegen; hierbei ist zu prüfen, ob den überwiegenden Erfordernissen des Gemeinwohls nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. (2) [... ] Seite 1
Lösung E ist in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt, wenn die Versagung der Abbruchgenehmigung einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts darstellt, der nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. A. Schutzbereich I. Persönlicher Schutzbereich Der persönliche Schutzbereich müsste eröffnet sein. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG trifft keine explizite Aussage hinsichtlich des persönlichen Schutzbereiches, so dass davon auszugehen ist, dass es sich hierbei um ein Jedermann-Grundrecht handelt. In Bezug auf E ist der persönliche Schutzbereich damit eröffnet. II. Sachlicher Schutzbereich Der sachliche Schutzbereich müsste eröffnet sein. Geschützt von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist das Eigentum. Dieser verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff ist nicht mit dem zivilrechtlichen Begriff des Eigentums ( 903 BGB) gleichzusetzen, sondern muss aus der Verfassung selbst gewonnen werden. Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind demnach zunächst alle vermögenswerten Rechte jedenfalls des Privatrechts. Dazu zählen vor allem das Eigentum nach bürgerlichem Recht ( 903 BGB), sonstige vermögenswerten Rechte, das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (str.), nicht aber das Vermögen als solches, also die Gesamtheit der Vermögenswerte des Einzelnen. Vorliegend ist E infolge der Erbschaft Eigentümer des Grundstücks mitsamt der Gründerzeitvilla im zivilrechtlichen Sinne geworden ( 1922 BGB). Beides unterfällt mithin grundsätzlich dem Schutz der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Fraglich ist aber, ob sich die Reichweite des sachlichen Schutzbereiches (über den Bestand hinaus) auch auf die Nutzung des Eigentums erstreckt. Es geht dem E vorliegend gerade darum, das Grundstück nach Belieben zu nutzen, etwa neu zu bebauen oder zu veräußern. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schützt aber nicht nur den Bestand des Eigentums, sondern auch dessen (private) Nutzung. Damit ist auch der sachliche Schutzbereich eröffnet. Nicht vom Schutzbereich erfasst sind nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG allerdings bloße Erwerbs- oder Gewinnaussichten, die möglicherweise mit einem bestimmten Gegenstand erzielt werden können. Seite 2
B. Eingriff Ob ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vorliegt, bestimmt sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln. Ein (klassischer) Eingriff liegt vor, wenn durch staatliches Handeln zweckgerichtet mit Befehl und Zwang durch einen Rechtsakt unmittelbar der Schutzbereich eines Grundrechts verkürzt wird. Ob es sich dabei um Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) oder Enteignungen (Art. 14 Abs. 3 GG) handelt, ist bei der Eingriffsprüfung noch nicht relevant. Die Differenzierung kann dennoch bereits hier vorgenommen werden. Durch den ablehnenden Bescheid der Behörde wird dem E untersagt, seine Villa abzureißen. Dadurch ist es dem E nicht möglich, sein Eigentum das Grundstück so zu nutzen, wie er es möchte. Der Bescheid entfaltet auch Rechtswirkung gegenüber E. Er zielt gerade darauf ab, ein grundrechtlich geschütztes Verhalten zu unterbinden. Das Abbruchverbot ist gegebenenfalls auch mit Zwang durchsetzbar. Mithin liegt ein klassischer Eingriff vor. C. Rechtfertigung Der Eingriff könnte allerdings gerechtfertigt sein. Bei der Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG muss aufgrund der jeweils unterschiedlichen Anforderungen und Folgen zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) einerseits und Enteignungen (Art. 14 Abs. 3 GG) andererseits differenziert werden. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist der Begriff der Enteignung (entgegen vorangegangener Rechtsprechungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, insbesondere seit dem Nassauskiesungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1981) eng zu definieren: Demnach sind Enteignungen im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG nur solche Maßnahmen, die auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen gerichtet sind, um Güter hoheitlich (zu beschaffen), mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll. (BVerfG 104, 1 (9)) Demgegenüber sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Regelungen, die generell und abstrakt Rechte und Pflichten des Eigentümers festlegen. (BVerfG 58, 300 (330)). Vorliegend entzieht die durch das DSchG normierte Pflicht zur Versagung der Abbruchgenehmigung wohl keine konkrete Eigentumsposition zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben, sondern beschränkt die Nutzungsmöglichkeiten eines mit einem Denkmal bebauten Gründstücks. Damit liegt hier keine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vor. Eingriffe in Form von Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze möglich. Dabei handelt es sich um einen einfachen Gesetzesvorbehalt. Die Eingriffe sind dann gerechtfertigt, wenn sie auf einer formell und materiell verfas- Seite 3
sungsmäßigen Rechtsgrundlage beruhen, die auch verfassungsmäßig angewendet worden ist. I. Schranke Als Schranke kommt vorliegend 13 DSchG des Landes L in Betracht. Diese Vorschrift müsste formell und materiell verfassungsmäßig sein. 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit Aus Art. 73, 74 GG ergibt sich keine entsprechende Kompetenz des Bundes, weshalb das Land L vorliegend für den Erlass des DSchG zuständig war. Hinsichtlich der Verfahrensund Formvorschriften vermag das Bundesverfassungsgericht Landesverfassungsrecht nicht zu prüfen. Das Gesetz verstößt mithin nicht in formeller Hinsicht gegen das Grundgesetz. 2. Materielle Verfassungsmäßigkeit, insbesondere Verhältnismäßigkeit Fraglich ist aber, ob 13 DSchG auch materiell verfassungsmäßig, insbesondere verhältnismäßig, ist. a) Legitimer Zweck Der Zweck des DSchG insgesamt liegt im Schutz von Kulturdenkmälern. Damit besteht jedenfalls ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen. b) Geeignetheit Das DSchG müsste auch zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sein. Dadurch, dass der Abbruch eines Denkmals nach 13 DSchG nur genehmigt werden darf, wenn andere Erfordernisse des Gemeinwohls die Belange des Denkmalschutzes überwiegen und zu prüfen ist, ob den überwiegenden Erfordernissen des Gemeinwohls nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann, ist der Denkmalschutz in nahezu allen Fällen gesichert. 13 DSchG ist folglich auch geeignet zur Erreichung des legitimen Zwecks. c) Erforderlichkeit Ein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Sicherung des Denkmalschutzes ist nicht ersichtlich. Damit ist die Regelung aus 13 DSchG auch erforderlich. d) Angemessenheit Fraglich ist aber, ob die Norm aufgrund ihres Wortlautes in ihrer Anwendung nicht zwangsläufig zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Eigentümers im engeren Sinne führt, ob sie also angemessen ist. Die bestehende Nutzung eines Denkmals wird durch das grundsätzliche Abrissverbot nicht eingeschränkt. Angesichts des hohen Ranges des Denkmalschutzes und mit Blick auf Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG muss der Eigentümer es grundsätzlich hinnehmen, dass ihm möglicherweise eine rentablere Nutzung des Grundstücks verwehrt wird. Art. 14 Abs. 1 GG schützt nicht Seite 4
die einträglichste Nutzung des Eigentums. (BVerfG 100, 226 (242 f.)). In vielen Fällen kann ein solches Abrissverbot jedoch zur Folge haben, dass keine Möglichkeit zu einer sinnvollen Nutzung des Grundstücks mehr besteht, es sich weder anders bebauen noch veräußern lässt. In ebensolchen Fällen wird die Privatnützigkeit des Eigentums im Prinzip vollständig beseitigt. Nimmt man die gesetzliche Erhaltungspflicht hinzu, so wird aus dem Recht eine Last, die der Eigentümer allein im öffentlichen Interesse zu tragen hat, ohne dafür die Vorteile einer privaten Nutzung genießen zu können. Die Rechtsposition des Betroffenen nähert sich damit einer Lage, in der sie den Namen Eigentum nicht mehr verdient. Die Versagung einer Beseitigungsgenehmigung ist dann nicht mehr zumutbar. (BVerfG 100, 226 (243)) Vorliegend handelt es sich um einen ebensolchen Fall: Durch die aus 13 DSchG resultierende Pflicht zur Versagung einer Abbruchgenehmigung durch die zuständige Behörde wird es für E unmöglich, sein Grundstück in irgendeiner sinnvollen Weise zu nutzen. Die Regelung des DSchG berücksichtigt lediglich die dem Denkmalschutz entgegenstehenden Erfordernisse des Gemeinwohls, nicht aber etwaige Individualinteressen des betroffenen Eigentümers. In Härtefällen wie dem hier vorliegenden sieht sie somit nicht mehr zumutbare Entscheidungen vor und ist damit nicht angemessen. Exkurs: Um der Berücksichtigung von Individualinteressen gerecht zu werden, wäre etwa denkbar, dass einerseits Regelungen in das DSchG eingefügt werden, die bei Härtefällen ausnahmsweise die Genehmigung von Abbrüchen denkmalgeschützter Gebäude zugunsten des Einzelnen zulassen, andererseits, dass in solchen Härtefällen, in denen die Versagung einer Abbruchgenehmigung unter allen Umständen erforderlich scheint, der betroffene Eigentümer jedenfalls eine Entschädigung in Geld erhält. e) Ergebnis 13 DSchG ist nicht verhältnismäßig und damit nicht materiell verfassungsmäßig. 3. Ergebnis 13 DSchG stellt keine verfassungsmäßige Schranke dar. II. Verfassungsmäßige Anwendung der Schranke Eine nicht verfassungsmäßige Schranke kann auch nicht verfassungsmäßig angewendet werden. Damit ist auch die Versagung der Abbruchgenehmigung durch die Behörde nicht verfassungsmäßig. III. Ergebnis Der Eingriff in das Recht des E auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist nicht gerechtfertigt. Seite 5
D. Zusammenfassung E ist durch die Versagung der Abbruchgenehmigung in seinem Recht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Erzeugt mit LATEX und KOMA-Script. Seite 6
Lösungsübersicht A. Schutzbereich I. Persönlicher Schutzbereich II. Sachlicher Schutzbereich B. Eingriff C. Rechtfertigung I. Schranke 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit 2. Materielle Verfassungsmäßigkeit, insbesondere Verhältnismäßigkeit a) Legitimer Zweck b) Geeignetheit c) Erforderlichkeit d) Angemessenheit Seite 1
e) Ergebnis 3. Ergebnis II. Verfassungsmäßige Anwendung der Schranke III. Ergebnis D. Zusammenfassung Seite 2