LEXIKALISCHE SEMANTIK II: GRAMMATISCHE BEDEUTUNG 1. DIE GRAMMATISCHE BEDEUTUNG VON WORTEN Neben der konzeptuellen Bedeutung haben sprachliche Ausdrücke auch eine grammatische Bedeutungskomponente, die z.b. Informationen über ihre (synkate-gorematische) Kombinierbarkeit mit anderen Ausdrücken enthält. Daneben werden bestimmte abstrakte Bedeutungsaspekte auch systematisch durch spezielle grammatische Markierer ausgedrückt Die Bedeutung von grammatischen Markierern Manche grammatischen Markierer (oft Suffixe oder Morpheme), die sich mit lexikalischen Ausdrücken der Kategorien V, A, N verbinden, tragen ihre eigene Bedeutung, z.b.: (1) a. PLURAL -e/-en/-er/ etc: Huf Hufe, Dame Damen, Haus Häuser b. Komparativ er... als: groß/alt/breit größer/älter/breiter als c. Derivationsmorpheme, z.b. be-, -ig etc.: bewässern, mächtig d. Tempusmorphologie: sagen sagte Q1: Umschreiben Sie die Bedeutung der folgenden Nonsensbedeutungen: (2) a. bekalken b. flächtiger als c. die Prölzer nicht alle grammatischen Markierer haben semantische Bedeutung! Kasusmarkierung an nominalen Argumenten und Kongruenzmarkierer am Verb dienen nur der Kodierung von strukturellen Relationen zwischen den Bestandteilen des Satzes: (3) a. der Mann, den Mann, dem Mann b. ich/ du / er / wir etc. lebe/ lebst / lebt / leben nicht-interpretierbare Merkmale, vgl. Chomskys minimalistisches Programm Die grammatische Bedeutung von lexikalischen Inhaltswörtern Q2: Was haben die intransitiven Verben in (4) und die transitiven Verben in (5) semantisch gemeinsam? (4) a. Peter läuft. (5) a. Peter liebt Sabine. b. Peter springt. b. Peter sieht Sabine. c. Peter lacht. c. Peter beneidet Sabine. Q3: Was kann man als Sprecher des Deutschen über die Bedeutung der Nonsens- Verben in (6) sagen? (6) a. Peter tobert. (tobern) b. Sabine grutscht Peter (grutschen)
Q4: Was ist der gemeinsame Bedeutungsaspekt der intransitiven Adjektive in (7) und der Substantive in (8)? (7) Peter ist gross / schlank / blond. (8) Peter ist Student / Arzt / Fussballer Referenz verschiedener grammatischer Klassen von sprachlichen Ausdrücken: i. intransitive Verben: Eigenschaften von Individuen, z.b. die Eigenschaft zu springen, zu fliegen, zu lachen ii. die meisten Adjektive: Eigenschaften von Individuen iii. Substantive: iv. transitive Verben: Syntaktische Konsequenz: z.b. die Eigenschaft groß, rot, dumm zu sein Eigenschaften von Individuen z.b. die Eigenschaft ein Tisch, ein Auto, oder ein Mensch zu sein drücken Relationen zwischen zwei Individuen aus, z.b. die Relationen des Sehens, Liebens, Schlagens i. eigenschaftdenotierende Ausdrücke fordern syntaktisch genau ein Argument ii. relationsdenotierende Ausdrücke fordern syntaktisch zwei Argumente Selektionsbeschränkungen (9) a. *Peter fliegt Jörg. ungrammatisch b. *liebt Anna ungrammatisch (10) #Neugierige grüne Ideen schlafen wild. semantische Anomalie Fazit: Ein Teil der Bedeutung von lexikalischen Inhaltswörtern besteht in Informationen über ihre grammatikalische Kombinationsfähigkeit ( Selektionseigenschaften) grammatische Bedeutung Q5: Gibt es auch Adjektive und Substantive, die Relationen ausdrücken und folglich zwei Argumente erfordern? (11) a. *Peter ist Bruder. b. Peter ist Jörgs Bruder / der Bruder von Jörg 2. SELEKTIONSEIGENSCHAFTEN VERSCHIEDENER LEXIKALISCHER KATEGORIEN Kategorie Intransitiv (1Arg) Transitiv (2Arg) Ditransitiv(3Arg) V x schläft x liebt y x gibt y z A x ist schlau x ist y treu x ist y überlegen in z N x ist Student x ist Bruder von y (Vermittler)? P (x ist drinnen/weg)? x ist in y x ist zwischen y und z 2
Q6: Wie werden die verschiedenen lexikalischen Kategorien voneinander unterschieden? keine 1:1-Korrelation zwischen lexikalischer Kategorie und grammatischer Bedeutung in Form von Selektionsbeschränkungen Lexikalische Kategorien werden nicht aufgrund semantischer, sondern formaler Merkmale definiert: Verb: Adjektiv: Nomen: Präposition: Adverb: Verbflexion (Num, Pers, Tempus), Subjektkongruenz wenn finit kongruiert in Kasus, Genus, Numerus mit Nomina Kasus, ist Komplement von Determinern flektiert nicht, weist dem Komplement Kasus zu flektiert nicht, weist keinen Kasus zu 3. FORMALE DARSTELLUNG VON EIGENSCHAFTEN / RELATIONEN Q: Wie kann man die extensionale Bedeutung von eigenschafts- bzw. relationsdenotierenden Ausdrücken formal darstellen? MENGENTHEORIE Die Extension von eigenschaftsdenotierenden Ausdrücken wie hüpfen (V INTR ), rot (A), Mann (NP) lässt sich formal als Menge der Individuen darstellen, die die entsprechende Eigenschaft haben: (12) a. [[ hüpfen ]] S1 = {x x hüpft in S1} die Menge aller Individuen die in S1 hüpfen. b. [[ rot ]] S1 = {x x ist rot in S1} b. [[ Mann ]] S1 = {x x ist ein Mann in S1} Die Extension von relationsdenotierenden Ausdrücken wie lieben (V TR ), größer als (A), Bruder (von) (NP) lässt sich formal als Menge von geordneten Paaren von Individuen darstellen, die in der entsprechenden Relation stehen: (13) a. [[ lieben ]] S1 = {<x,y> x liebt y in S1} die Menge aller Individuenpaare, so dass x y in S1 liebt. b. [[ größer als]] S1 = {<x,y> x ist größer als y in S1} Fazit: Die eigenschafts- oder relationsdenotierende Natur eines Ausdrucks lässt sich mengentheoretisch erfassen: i. Eigenschaft: Menge von Individuen mit dieser Eigenschaft. ii. Relation: Menge von Paaren von Individuen, die in dieser Relation stehen. 3
4. EIGENSCHAFTEN VON RELATIONEN (vgl. Partee et al. 1990: ch. 3.1) Aufgrund der folgenden formalen Eigenschaften von Relationen lassen sich relationsdenotierende Ausdrücke in unterschiedliche Klassen einteilen: Reflexivität: Gegeben eine Menge A und eine Relation R zwischen Elementen in A, R ist reflexiv genau dann wenn für jedes x in A alle geordneten Paare der Form <x,x> in R enthalten sind: (14) Bsp. für Reflexivität: R = {<johann, johann>, <klaus, klaus>, <peter, peter>} viele natürliche Sprachen haben formale grammatische Mittel, um reflexive Relationen auszudrücken. Im Deutschen geschieht dies z.b. durch die Verwendung des Reflexivpronomens sich: (15) waschen (nicht inhärent reflexiv) sich waschen (reflexiv) Irreflexivität: eine Relation ist irreflexiv, wenn sie kein geordnetes Paar enthält, dessen erstes und zweites Element identisch sind. (16) Bsp. für Irreflexivität: R = {<johann, klaus>, <klaus, peter>, <johann, peter>} Bsp. für natürlichsprachliche Ausdrücke, die eine irreflexive Relation denotieren: älter als, Vater von,... Symmetrie: Gegeben eine MengeA und eine Relation R zwischen Elementen in A, R ist symmetrisch genau dann wenn R für jedes geordnete Paar <x,y> auch das geordnete Paar <y,x> enthält. (17) Bsp. für Symmetrie: R = {<johann, klaus>, <klaus, johann>} viele natürliche Sprachen haben formale grammatische Mittel, um symmetrische Relationen auszudrücken. Im Deutschen geschieht dies z.b. durch die Verwendung des Reziprokpronomens einander: (18) waschen (nicht inhärent symmetrisch) einander waschen (symmetrisch) Beispiele für natürlichsprachliche Ausdrücke, die aufgrund ihrer konzeptuellen/grammatischen Bedeutung inhärent eine symmetrische Relation denotieren: Verwantschafts- und soziale Bezeichnungen (Mitschüler, Freund, Geschwister, verwandt mit), Äquative (genauso alt/ groß/ jung wie...) Asymmetrie: Eine Relation R ist asymmetrisch genau dann wenn sie für kein Paar <x,y> das entsprechende umgekehrte Paar <y,x> enthält. 4
Bsp. für natürlichsprachliche Ausdrücke, die eine asymmetrische Relation denotieren: älter als, Vater von, gebären,... Transitivität: Eine Relation R ist transitiv genau dann wenn R für alle geordneten Paare <x,y> und <y,z> auch das Paar <x,z> enthält. (19) Bsp. für Transitivität: R = {<johann, klaus>, <klaus, peter>, <johann, peter>} Beispiele für natürlichsprachliche Ausdrücke, die aufgrund ihrer konzeptuellen Bedeutung inhärent eine transitive Relation denotieren: Komparative (älter als...), Vorfahre von Intransitivität: Eine Relation R ist intransitiv genau dann wenn sie für keine Paare <x,y> und <y,z> auch das entsprechende Paar <x,z> enthält: z.b. Mutter von 5