Das Reptil des Jahres 2013 - Zur Situation der Schlingnatter in Thüringen Christianna Serfling, Hermsdorf
Ein kleiner Ausflug in die Geschichte Die Erstbeschreibung der Schlingnatter stammt von LAURENTI, dem dabei Tiere aus dem Wiener Raum vorlagen. Daraus folgte einer der Trivialnamen: Österreichische Natter. Weitere, auch heute noch gebräuchliche Bezeichnungen sind - neben Schlingnatter - Glattnatter und seltener Haselnatter. Kaum noch benutzt werden die 1897 von DÜRIGEN angegebenen Namen: Fleckennatter, Zornnatter, Braune Herzschlange, Jachschlange, Kupferschlange und für uns in Thüringen besonders interessant Thüringische Natter.
Bechstein 1801
Foto: R. Brettfeld
Was wissen wir über die Schlingnatter? Die Schlingnatter hat neben Kreuzotter und Ringelnatter das größte Verbreitungsgebiet aller in Europa heimischen Schlangen. Dennoch ist sie die unbekannteste unserer heimischen Schlangenarten. Das liegt v.a. an ihrer sehr heimlichen Lebensweise, aber auch an den wahrscheinlich häufigen Verwechslungen mit der Kreuzotter. Die Schlingnatter ist klein und unscheinbar, lebt sehr versteckt und wird zufällig kaum gefunden. Aber auch bei gezielter Suche ist die Wahrscheinlichkeit, sie nachzuweisen, wesentlich geringer als bei Kreuzotter und Ringelnatter. KÉRY (2002): mittelgroße bis große Populationen erfordern einen Mindestaufwand von 4-5 Kontrollen pro Teillebensraum, um Anwesenheit oder Fehlen relativ sicher beurteilen zu können, kleine Populationen über 30 (!) Kontrollen.
und in Thüringen? Messtischblattquadranten mit Nachweisen der Schlingnatter alle Meldungen zum Stand 02/2011
Wie sieht es aktuell aus? Untersuchungen 2011/2012 im Rahmen des FFH- Monitorings in Thüringen. Die Schlingnatter ist Art des Anhangs IV FFH-Richtlinie und damit überwachungspflichtig. Es erfolgte die Untersuchung von 5 sogenannten Bundes- Stichprobenflächen (Teil eines über Deutschland verteilten Stichprobennetzes). Ziel: Aussagen zum Zustand der Populationen und zur Qualität der Habitate. Darüber hinaus wurde auf 50 Flächen mit Altnachweisen erneut nach der Art gesucht, um Anhaltspunkte zur allgemeinen Entwicklung in Thüringen zu sammeln.
Erfassungsmethodik Bundes-SPF 10 Begehungen zu je 1 Stunde Zusätzlich Ausbringung von Fanghilfen (10 Stück pro Probefläche) Individuelle Wiedererkennung der Tiere (Fotos der Kopf- und Nackenzeichnung) Zielgröße zur Bewertung des Zustands der Population: Jahressumme unterschiedlicher Ind. bei 10 Begehungen; Nachweis von Reproduktion (juvenile oder subadulte Tiere)
Bewertungsschema Zustand der Population Hervorragend (A) gut (B) mittel bis schlecht (C) Populationsgröße (Jahressumme unterschiedlicher Individuen bei 10 Begehungen) Populationsstruktur: Reproduktionsnachweis > 5 ad., subad. Tiere 2 4 ad., subad. Tiere Jungtier/e (diesjährig, vorjährig, ggf. 2-jährig) = A 1 Tier oder letzter Nachweis nicht älter als 6 Jahre. Wenn letzter Nachweis älter als 6 Jahre, gilt die Population als erloschen kein Jungtier = C Habitatqualität Lebensraum allgemein: Strukturierung des Lebensraumes / Anteil südlich exponierter oder ebener, unbeschatteter Flächen / relative Anzahl geeigneter Sonnenplätze in Verbindung mit halbschattigem Gebüsch Vernetzung: Entfernung zum nächsten bekannten Vorkommen ( A < 200 m, C > 500 m) / Eignung des Geländes zwischen zwei Vorkommen Beeinträchtigungen: Lebensraum allgemein: Sukzession / Vereinbarkeit des Nutzungsregimes mit der Ökologie der Art Isolation: Fahrwege im Jahreslebensraum bzw. angrenzend Störung: Bedrohung durch Haustiere, Wildschweine, Marderhund etc. / Entfernung zu menschlichen Siedlungen
Nr. 4: Harras, Offenflächen NSG Leite (Landkreis Hildburghausen)
Ergebnisse Bundesstichprobe Nr. 4 Schlingnatterfunde gelangen fast zu jeder Begehung, bis zu 3 Nachweise pro Geländetermin Nachweise: Mindestens 6 verschiedene adulte/subadulte Tiere; dazu Hautfunde an 2 Stellen, an denen im weiteren Umfeld keine Individuen nachgewiesen werden konnten, die auf 2 weitere Tiere hinweisen; 1 Jungtier Zustand der Population: A Habitat: alles bestens, ABER: Entfernung zum nächsten bekannten Vorkommen 17 km ( C ), dazwischen verläuft die neue Autobahn ( C )
Nr. 5 Großer Kalmberg Ilm-Kreis
Ergebnisse Bundesstichprobe Nr. 5 Erstfund einer Schlingnatter gelang erst zur 7. Begehung! Dabei wurden dann gleich 2 Individuen nachgewiesen. Zur 10. und letzten Begehung wurde noch ein diesjähriges Jungtier gefunden. Zustand der Population: B Zustand des Habitats: insgesamt A (das nächste bekannte Vorkommen liegt ca. 750 m entfernt, das führt zum am schlechtesten bewerteten Habitatparameter C ) Beeinträchtigungen sind nicht erkennbar
Zustand der Population Bewertungsergebnisse aller Schlingnatter- Bundes-SPF Kleinbrembach, Brembacher Weinberg nördlich Ort Stedtfeld, Steinbruch nördlich Ort Pohlitz, Offenflächen und Streuobstwiesen nördlich und nordöstlich Ort Harras, Offenflächen NSG Leite Ehrenstein, Offenflächen Großer Kalmberg SPF-Nr. 001 SPF-Nr. 002 SPF-Nr. 003 SPF-Nr. 004 SPF-Nr. 005 Gesamt (Zwischenbewertungen des Bewertungsschemas Feinkonzept) C C B A B B Zustand des Habitats (Zwischenbewertungen des Bewertungsschemas Feinkonzept) C C B B A B Beeinträchtigungen (Zwischenbewertungen des Bewertungsschemas Feinkonzept) C C C B A B Gesamtbewertung C C B B A B
Verbreitung in Thüringen Im LINFOS (Stand Feinkonzept 02/2011) existieren auf 118 MTBQ Nachweise der Schlingnatter. Auf insgesamt 50 Flächen mit Altnachweisen wurde 2011/2012 erneut nach der Schlingnatter gesucht (Methodik entsprechend Bundes-Monitoring). Nur auf 17 Probeflächen gelang die aktuelle Bestätigung der Art. Bei individuenschwachen Populationen führt die angewendete Methodik (nur 10 Begehungen, relativ kleine Probeflächen, lediglich 1 Stunde Begehungszeit) nur zufällig zum Erfolg. Hier müsste wesentlich größerer Aufwand betrieben werden. Die Zusammenfassung der Monitoring-Ergebnisse mit den jüngeren Daten im LINFOS (ab 2003) ergibt aktuell 47 besiedelte TK 25 Quadranten. Es ist derzeit fachlich sicher nicht zu sagen, ob in größerem Umfange tatsächlich Rückgänge stattgefunden haben oder ob die stark geschrumpfte Zahl an besiedelten MTBQ eher ein Spiegel von Erfassungsdefiziten darstellt. Sehr wahrscheinlich spielt beides eine Rolle.
Was schlussfolgern wir daraus? Aufgrund der schwierigen Erfassbarkeit ist unser Kenntnisstand sehr lückenhaft. Obwohl viele Lebensräume nach wie vor für die Schlingnatter geeignet erscheinen, gibt es auch in Thüringen alte und neue Bedrohungen: Nutzungsaufgabe von Magerrasen, Zerstörung von Rand- und Kleinstrukturen, Aufforstung von Grenzertragsböden, Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung bis direkt an den Wald, genereller Verlust von Ökotonen (Grenzlinien), Änderung der Vegetation z.b. von Säumen durch Nährstoffeinträge etc. Besonders problematisch ist die zunehmende Zerschneidung und Fragmentierung der Lebensräume durch das dichte Verkehrswegenetz sowie auch durch eine ungünstige Landschaftsstruktur mit vielen großflächig intensiv genutzten Agrarflächen. Die Schlingnatter ist eine Art, bei der starke Rückgänge sowohl in der besiedelten Fläche (Verbreitungsgebiet) als auch bei den Populationsgrößen nahezu unbemerkt an uns vorübergehen könnte.
Wir sollten daher den Anlass - das Reptil des Jahres - gerade in Thüringen nutzen, um uns mit unserer Thüringischen Natter verstärkt zu beschäftigen. Wer jetzt Lust bekommen hat, etwas zur Erfassung dieser schönen und heimlichen Schlange beizutragen, dem stehe ich gerne mit Rat und Tat zur Seite.