TK Lexikon Arbeitsrecht Insolvenz Arbeitsrecht 1 Insolvenzgericht HI726995 HI663163 Für das Insolvenzverfahren ist das Amtsgericht als Insolvenzgericht für den Bezirk eines Landgerichts zuständig. Örtlich zuständig ist das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat oder der Mittelpunkt seiner selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit liegt. [ 1 ] Hier ist insbesondere der Eröffnungsantrag zu stellen. Dies kann auch durch den Arbeitnehmer als Gläubiger erfolgen. Das Gericht kann bereits unmittelbar nach dem Eröffnungsantrag einen vorläufigen Gläubigerausschuss bestellen bzw. ist dazu ab einer bestimmten Unternehmensgröße verpflichtet [ 2 ], dem auch ein Arbeitnehmervertreter und ggf. der Pensionssicherungsverein [ 3 ] als Ausschussmitglieder angehören müssen. 2 Eröffnungsgrund HI663164 Eröffnungsgrund (früher: Insolvenzgrund) ist neben der Zahlungsunfähigkeit [ 4 ] oder Überschuldung [ 5 ] auch die drohende Zahlungsunfähigkeit [ 6 ] des Schuldners. Mit dieser Begründung kann allerdings nur der Schuldner selbst einen Insolvenzantrag stellen. Durch ein möglichst frühzeitiges geordnetes Verfahren soll so verhindert werden, dass an sich gegebene Sanierungschancen durch unkontrollierten privilegierten Zugriff einzelner Gläubiger zunichte gemacht werden. 3 Aus- und Absonderungsrechte HI663165 Der Insolvenzverwalter hat die Rechte der Aussonderungsberechtigten vorweg zu befriedigen, da sie nicht zur Insolvenzmasse gehören und deshalb nicht am Insolvenzverfahren teilnehmen (dazu gehören z. B. Gegenstände im Eigentum des Arbeitneh mers). Absonderungsrechte müssen dagegen zusammen mit der Forderungsanmeldung beim Insolvenzverwalter geltend gemacht werden [ 7 ], sie sind aber vorrangig zu bedienen (dazu gehören bspw. Verpfändungen von Ansprüchen aus Direktversicherungen der betrieblichen Altersversorgung). Zu diesen Ansprüchen gehören die regulären Entgeltansprüche der Arbeitnehmer regelmäßig nicht; das gilt auch für in Geld umgerechnete Arbeitszeitguthaben auf Bankkonten des Arbeitgebers. [ 8 ] Durch die Aufhebung des 114 InsO [ 9 ] ist der Vorrang der durch eine Lohn- oder Gehaltsabtretung des Schuldners gesicherten Gläubiger entfallen. Die über der Pfändungsgrenze liegenden verpfändeten (oder abgetretenen) Entgeltbestandteile fallen mit Insolvenzeröffnung unmittelbar in die Masse. 4 Insolvenzplan HI663167 Der Insolvenzplan soll eine von den Vorgaben der InsO abweichende Verfahrensabwicklung im
Interesse der Gläubiger und der Sanierung des Schuldners ermöglichen. In der Praxis erlangt er vor allem als "Prepackaged Plan" an Bedeutung: Schuldner und Gläubiger haben sich dabei bereits vor Antragstellung auf einen bestimmten Plan geeinigt, der regelmäßig auch Vorgaben für die Arbeitsrechtsbeziehungen des Schuldners enthält. Der Plan bedarf der Zustimmung der verschiedenen Gläubigergruppen, zu der auch die Arbeitnehmer, regelmäßig als eigene Gruppe, gehören. Durch den erfüllten Plan wird der Schuldner von Verbindlichkeiten gegenüber allen Gläubigern frei. Diese Entlastung tritt auch für persönlich haftende Gesellschafter ein. [ 10 ] Die speziellen arbeitsrechtlichen Regelungen des Insolvenzrechts gelten auch im Insolvenzplanverfahren. Durch das ESUG wurde das sog. "Schutzschirmverfahren" [ 11 ] eingeführt: der Schuldner kann, soweit nicht der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit vorliegt, bereits mit Antragstellung ein bis zu 3-monatiges Vollstreckungsverbot erlangen und gleichzeitig sein Unternehmen in Eigenverwaltung fortführen, um in der Schutzfrist einen Insolvenzplan zu entwickeln. 5 Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren 5.1 Der Arbeitsentgeltanspruch HI663169 HI2330679 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat auf den Bestand der Arbeitsverhältnisse keine Auswirkung. Grundsätzlich gelten die Regelungen des allgemeinen Arbeitsrechts fort. Der Insolvenzverwalter tritt an die Stelle des Arbeitgebers. Die Arbeitsverhältnisse bestehen gem. 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort; der Insolvenzverwalter hat die Arbeitnehmer weiterhin zu beschäftigen (allerdings besteht ein Recht zur Freistellung, sofern dies bei fehlendem Beschäftigungsbedarf masseschonend wirkt [ 12 ] ), das Arbeitsentgelt ist als Masseverbindlichkeit gem. 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO aus der Masse zu zahlen, wobei es auf die Anspruchsentstehung, nicht auf die Fälligkeit ankommt. [ 13 ] Davon erfasst sind das Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld sowie der Urlaubsabgeltungsanspruch [ 14 ] und Annahmeverzugsansprüche; bei Sonderzahlungen ist abhängig von ihrer Zwecksetzung eventuell eine quotale Teilung auf die Zeiten vor und nach der Insolvenzeröffnung vorzunehmen; Kündigungsabfindungen, Sozialplan- und Nachteilsausgleichsansprüche sind ebenfalls Masseverbindlichkeiten, sofern der Anknüpfungstatbestand nach Insolvenzeröffnung liegt. Der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers aus dem Zeitraum vor der Insolvenzeröffnung ist einfache Insolvenzforderung i. S. der 38 InsO, 108 Abs. 2 InsO, d. h. gegenüber den Aus- und Absonderungsrechten nachrangig. Gleiches gilt für vertragsgemäß nach Insolvenzeröffnung fällige Vergütungsansprüche bei Altersteilzeit, wenn die Arbeitsleistung im Blockmodell bereits vollständig vor Insolvenzeröffnung erbracht worden ist. [ 15 ] Diese Schlechterstellung der Arbeitnehmer wird aber durch die Zahlung von Insolvenzgeld für die letzten 3 Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeglichen, das auch dann gezahlt wird, wenn es sich um eine Insolvenz mit anschließender Sanierung handelt. Zu den Ansprüchen
gehören alle zum Eröffnungszeitpunkt bereits entstandenen Geld- und Naturalleistungen, die im weitesten Sinn als Gegenleistung geschuldet werden. Der Arbeitnehmer muss diese Ansprüche gem. 28 Abs. 1, 174, 175 InsO innerhalb einer gerichtlich festgesetzten Frist schriftlich zur Tabelle anmelden und nimmt damit am Verteilungsverfahren zum Abschluss des Verfahrens teil. 5.2 Kündigung in der Insolvenz HI663170 Die Kündigungsbefugnis in der Insolvenz geht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über; er tritt an die Stelle des Arbeitgebers. [ 16 ] Die Insolvenz allein ist jedoch kein Grund zur betriebsbedingten Kündigung der Arbeitsverhältnisse. 113 Abs. 1 InsO sieht nur eine Erleichterung bzgl. der Kündigungsfrist vor, während das KSchG auch in der Insolvenz gilt. [ 17 ] Gemäß 113 Abs. 1 InsO können Arbeitsverhältnisse vom Insolvenzverwalter und vom Arbeitnehmer mit einer Frist von 3 Monaten zum Monatsende schriftlich [ 18 ] gekündigt werden, sofern nicht für das Arbeitsverhältnis außerhalb der Insolvenz eine kürzere Frist gilt. [ 19 ] Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis bereits angetreten war. Eine solche Kündigung mit verkürzter Frist kommt schon vor Antritt des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Der Insolvenzverwalter hat kein Wahlrecht gemäß 103 InsO, vielmehr gilt 113 InsO. Die verkürzte Kündigungsfrist gem. 113 InsO gilt auch für Änderungskündigungen. 113 Abs. 2 InsO hat eine einheitliche Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung durch den Insolvenzverwalter eingeführt. Die Unwirksamkeit muss innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung durch Erhebung der Klage vor dem zuständigen Arbeitsgericht geltend gemacht werden. Eine Kündigungsschutzklage ist ausschließlich gegen den Insolvenzverwalter zu richten. [ 20 ] Die Frist gilt, abweichend von 4 KSchG, ohne Rücksicht auf den Geltungsbereich des KSchG, also auch in Kleinbetrieben. Sie erfasst die Geltendmachung aller Kündigungsgründe i. S. des 13 KSchG, wenn sich die Unwirksamkeit der Kündigung also auf andere als die in 1 Abs. 2 und 3 KSchG bezeichneten Gründe stützt (Nichtanhörung des Betriebsrats, Formmängel der Kündigung, Kündigung mit falscher Kündigungsfrist, Fehlen der Zustimmung des Integrationsamts bei Schwerbehinderten). Die Geltendmachung der Sozialwidrigkeit folgt weiterhin den 4 bis 7 KSchG. Zu beachten ist die analoge Anwendung des 4 Satz 4 und 5 KSchG, der nachträglichen Klagezulassung. Die Anwendbarkeit des 6 KSchG ist ebenfalls zu bejahen. Der Insolvenzverwalter hat bei Kündigungen die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes und die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Die Vorschriften über den Massenentlassungsschutz gelten auch für den Insolvenzverwalter. [ 21 ] Bei älteren Arbeitnehmern sind bei der Kündigung durch den Insolvenzverwalter die verlängerten Kündigungsfristen nach 622 Abs. 2 BGB zu beachten, soweit sie 3 Monate nicht übersteigen.
Das Recht zur außerordentlichen Kündigung bleibt von der Insolvenz unberührt; allerdings stellt die Insolvenz auch keinen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar. Befristete Arbeitsverhältnisse können mit der Frist des 113 InsO ordentlich gekündigt werden. [ 22 ] 6 Betriebsänderung HI663171 Gemäß 122 InsO kann der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Arbeitsgerichts zur Durchführung der Betriebsänderung einholen, ohne das Verfahren nach 112 Abs. 2 BetrVG zu durchlaufen. Erteilt das Arbeitsgericht nach 122 InsO die Zustimmung zur Betriebsänderung, so findet 113 Abs. 3 BetrVG keine Anwendung. Die Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer werden ausgeschlossen. Zur Feststellung der sozialen Rechtfertigung stehen im Insolvenzverfahren bei geplanten Betriebsänderungen 2 Verfahren zur Verfügung. Vorrangig ist sie in einem Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat festzustellen. Kommt es aber nicht zum Abschluss des Interessenausgleichs, so erfolgt die Feststellung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren. Eine geplante Betriebsänderung in der Insolvenz führt gem. 125 InsO zu weiteren Kündigungserleichterungen durch eine Modifikation des 1 KSchG. Die Betriebsänderung muss nicht durchgeführt werden. Regelmäßig wird es sich um eine Teilbetriebsänderung handeln, da bei einer Betriebsstilllegung die Sozialauswahl entfällt. Die Regelung erfasst auch Änderungskündigungen. Ein zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat nach den Voraussetzungen der 111f. BetrVG geschlossener Interessenausgleich, der die infolge einer Betriebsänderung zu entlassenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet, begründet nach 125 InsO die widerlegbare Vermutung, dass die Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind. Erforderlich ist die eindeutige namentliche Nennung der Arbeitnehmer, die Angabe der Kündigungsart, der Kriterien nach 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 InsO sowie die Erwägungen zur Sozialauswahl. Die soziale Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer kann in einem anschließenden Kündigungsschutzprozess nur auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Die Regelung des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Halbsatz verneint eine solche Fehlerhaftigkeit auch, wenn durch die Maßnahmen die Personalstruktur erhalten oder sogar verbessert wird. Auch wenn der Betrieb keinen Betriebsrat hat oder ein Interessenausgleich wegen einer Betriebsänderung nicht innerhalb von 3 Wochen zustande kommt, kann der Insolvenzverwalter nach 126 InsO in einem Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht beantragen festzustellen, dass die Kündigung bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt ist. Wenn der Insolvenzverwalter einem in seinem Antrag beim Arbeitsgericht namentlich benannten Arbeitnehmer kündigt, und der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhebt, ist nach 127 Abs. 1 InsO die Entscheidung im Beschlussverfahren bindend, es sei denn, die Sachlage ändert sich nach Schluss der letzten
mündlichen Verhandlung wesentlich. Nach 128 Abs. 1 InsO finden die 125 bis 127 InsO auch dann Anwendung, wenn die Kündigung erst nach einer Betriebsveräußerung vorgenommen wird. Der Insolvenzverwalter kann schon vor der Betriebsveräußerung die Kündigungen erklären und deren Wirksamkeit im Interessenausgleich oder Beschlussverfahren feststellen lassen. Bei einem Betriebsübergang erstrecken sich die Vermutung nach 125 InsO und die Bindungswirkung des Beschlussverfahrens nach 127 Abs. 2 InsO auch darauf, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgte und damit nach 613a Abs. 4 BGB unzulässig wäre. 7 Zeugnis im Insolvenzverfahren HI663172 Ein Arbeitnehmer kann auch für die Zeit vor Insolvenzeröffnung ein Zeugnis über Führung und Leistung vom Insolvenzverwalter verlangen. [ 23 ] 8 Betriebsrat im Insolvenzverfahren HI663173 Der Betriebsrat insgesamt als Organ behält im Insolvenzverfahren die Funktionsfähigkeit für die Wahrnehmung seiner Rechte. Auch wenn der Betrieb im Insolvenzverfahren stillgelegt wird, behält der Betriebsrat seine Funktionsfähigkeit. [ 24 ] Das bereits zuvor von der Rechtsprechung [ 25 ] anerkannte Übergangsmandat des Betriebsrats gilt gem. 21a BetrVG nun auch gesetzlich für Spaltungen und Betriebszusammenlegungen bis zu 6 Monaten. [ 1 ] 2, 3 InsO, 13ff. ZPO. [ 2 ] 22a InsO. [ 3 ] 7 f. BetrAVG [ 4 ] 17 InsO. [ 5 ] 19 InsO. [ 6 ] 18 InsO. [ 7 ] 47 52 InsO. [ 8 ] BAG, Urteil v. 24.9.2003, 10 AZR 640/02. [ 9 ] Art. 1 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (GlRStG) v. 15.7.2013, BGBl 2013 I S. 2379, Geltung ab 1.7.2014. [ 10 ] 217 227 InsO. [ 11 ] 270b InsO [ 12 ] LAG Hamm, Urteil v. 6.9.2001, 4 Sa 1276/01, ZInsO 2002, 45, str. [ 13 ] BAG, Urteil v. 19.7.2007, 6 AZR 1087/06. [ 14 ] BAG, Urteil v. 15.2.2005, 9 AZR 78/04.
[ 15 ] BAG, Urteil v. 23.2.2005, 10 AZR 600/03. [ 16 ] BAG, Urteil v. 10.10.2002, 2 AZR 532/01: Kündigung des Schuldners ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters kann zurückgewiesen werden. [ 17 ] LAG Hamm, Urteil v. 27.3.1998, 15 Sa 2137/97. [ 18 ] 623 BGB. [ 19 ] BAG, Urteil v. 3.12.1998, 2 AZR 425/98; Urteil v. 6.7.2000, 2 AZR 695/99. [ 20 ] BAG, Urteil v. 18.4.2002, 8 AZR 347/01; Urteil v. 21.9.2006, 2 AZR 573/05: keine Fristwahrung bei gegen den Schuldner gerichteter Klage. [ 21 ] BSG, Urteil v. 5.12.1978, 7 RAr 32/78. [ 22 ] BAG, Urteil v. 9.10.1997, 2 AZR 586/96; Urteil v. 6.7.2000, 2 AZR 695/99. [ 23 ] BAG, Urteil v. 30.1.1991, 5 AZR 32/90. [ 24 ] BAG, Beschluss v. 14.11.1978, 6 ABR 85/75. [ 25 ] BAG, Beschluss v. 31.5.2000, 7 ABR 78/98; Urteil v. 5.10.2000, 1 AZR 48/00.