Entdeckendes Lernen Lernen entdecken



Ähnliche Dokumente
Lernen der wichtigste Hebel der geistigen Entwicklung

Kurzbeschreibungen der Workshops

Evaluation der Ausbildung im Hinblick auf die vermittelten Kompetenzen und Standards des Kerncurriculums

Staatl. Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien Trier. Guter Unterricht - Eine komplexe Herausforderung

Berliner Modellvorhaben TransKiGs Fachtag Mathematische Kompetenzen wahrnehmen und fördern. Wissenschaftliche Begleitung des Projekts TransKiGs

Frühjahr 2008 Didaktik der Grundschule Grundschulpädagogik

Beiträge zum pädagogischen Leistungsbegriff

4 Aufgaben zum Einsatz im Feld A2 des Lernstrukturgitters zum Satz des Pythagoras

Zaubern im Mathematikunterricht

Dokumentation der Tagung

Individuelles Lehren lernen

Kompetenzorientierte Nachbesprechung

Wissen ist der Schlüssel zum Können

Merkmale guten Unterrichts (nach Peter POSCH)

Qualitätsverbesserung in Schulen und Schulsystemen - QuiSS

Handlungsfeld 1: Unterricht gestalten und Lernprozesse nachhaltig anlegen

explorarium elearning im Unterricht von Anfang an

Lernumgebungen und substanzielle Aufgaben im Mathematikunterricht (Workshop)

Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung im Fach Mathematik

Professionalität und Entwicklungsperspektiven

Kita und Schule im Dialog mathematische und naturwissenschaftliche Bildung gemeinsam gestalten

Fragebogen zur Unterrichtsqualität

Selbstlernen im Ma-Unterricht der S II- Unterrichtszenarien, konkrete Beispiele für die Kl. 11

Externe Evaluation Volksschule Emmen. Schuljahr 2015/16

Mein Lernentwicklungsgespräch

Individuelle Förderung und Differenzierung SINUS Bayern

Kooperative Arbeitsformen

ORS-Bereich V: Unterricht

DLL Deutsch Lehren Lernen

Referenzrahmen Schulqualität. Leitfaden für den Einsatz der Reflexionsbögen

Prozessstand: 01. Februar 2019

Studienseminar Koblenz

Philosophie und Pädagogischer Ansatz der Stiftung Haus der kleinen Forscher Stiftung Haus der kleinen Forscher Dr. Stephan Gühmann

Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lehren und Lernen. Leichter gesagt als getan!

Methodenkonzept der Grundschule Kremperheide

FAKULTÄT FÜR GEISTESWISSENSCHAFTEN Institut für Evangelische Theologie

4. Aussprache / Intonation: Abweichungen von Standard-Aussprache und Intonation

Wie sieht die Umsetzung aus? - Beispiel zur Gestaltung einer Willkommenskultur zur Erleichterung des Übergangs Kita - Grundschule

PRAXISELEMENTE IN DEN STUDIENGÄNGEN MASTER OF EDUCATION Bergische Universität Wuppertal

Qualitätsvolles Lehren und Lernen von Anfang an

ZfsL Bocholt Seminar Grundschule Ausbildungsprogramm Kernseminar VD 17 Mai - November 2017

Entdeckungen im Alltag! Bildungsarbeit mit Mädchen und Jungen im Kindesalter

Methoden- und Evaluationskonzept

Wirkungen von Maßnahmen zur Lehrerprofessionalisierung

Wie motiviert man zum Lernen? Seite 10

Mathematikunterricht in jahrgangsgemischten Eingangsklassen 1/2. Beschreibung einer erprobten Konzeption

Forschendes Lernen im Kunstunterricht Anregungen zur Veränderung von Schule

Buchbare Fortbildungen zur interkulturellen Kompetenz und Beratung

1. Schuleingangsphase

Arbeitsplan Fachseminar Mathematik

Was ist das? Auf dem Weg zur jahrgangsgemischten Eingangsstufe (Klasse 1 und 2) Warum will die Schule etwas ändern?

LehrplanPLUS Gymnasium Geschichte Klasse 6. Die wichtigsten Änderungen auf einen Blick. 1. Kompetenzorientierung

Grundlagen für einen gelingenden Anfangsunterricht

Forum Sekundarstufe II. Heterogenität in der Sekundarstufe II. LI:Birgit Alam

Kompetenzen und Standards für die Ausbildung im Vorbereitungsdienst und die Staatsprüfung

Redemittel Referat. Vorstellung eines Referenten

DLL Deutsch Lehren Lernen

Mathematik begreifen. Chancen und Risiken materialgestützten Mathematikunterrichts. Berlin,

Mein Lerngespräch im 3. Schulbesuchsjahr

Stärkenorientiertes Führen

DLL Deutsch Lehren Lernen

Methodenkonzept der Christian-Maar-Schule

Seminarinhalte

Mein Lernentwicklungsgespräch

Qualitätssicherung an Gemeinschaftsschulen

Schülerfeedback gestalten

Ein Qualitätsmanagement im Dienste der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Übersicht über die Ergebnisse. Heinrich-von-Gagern-Gymnasiums in Frankfurt am Main

Unterrichtsentwurf. vorgelegt von Angela Funk. Thema der Unterrichtseinheit: Kartenverständnis. Thema der Stunde: Vom Modell zur Karte

Portfolio Praxiselemente Eignungs- und Orientierungspraktikum

Aktives Zuhören. Gespräch gestalten. Standpunkt vertreten. Respektvoll mit anderen umgehen. Bemerkungen

AHA Problemlösen als Schlüsselkompetenz für Schule und Beruf

1 Die Grundschule als Lernort - aktuelle Entwicklungen 13

Beurteilungsdimensionen und -kriterien

Mathematik Anders Machen. Eine Initiative zur Lehrerfortbildung. Materialien zum Kurs. Knowledge Maps. Referenten

125 Üben Wiederholen - Strukturieren

Methoden kooperativen Lernens

Lernbiologische Axiome kooperativen Lernens: Lerninhalte werden behalten, wenn sie persönlich bedeutsam werden, wenn aktive Auseinandersetzung

Thema: Diagnostik! Und was dann? Individualisierendes Unterrichten durch Nutzung von diagnostischen Befunden

Fortbildung Inklusiver Unterricht: Deutsch und Mathematik für Kinder mit Down-Syndrom.

Trainingskonzept zum Erwerb von Basiskompetenzen

Reflexionen zur Gruppenanalyse

KINDER, WAS FÜR EIN LEBEN!

Fragebogen zur Unterrichtsqualität

Selbstbestimmtes Lernen im jahrgangsübergreifenden Unterricht und verbindliche Anforderungen

Mathematik. Fachwegleitung. AUSBILDUNG Sekundarstufe I

Lernmethodische Kompetenz wissenschaftliche Grundlagen

Mathematik. Fachwegleitung. AUSBILDUNG Sekundarstufe I

Fragestellungen formative Evaluation

Diagnostik im Alltag. BPS Studienseminar für Gymnasien/TDS Daun 2017

Karteikarten im Sachunterricht der Grundschule

Methodenkonzept. Die Schüler und Schülerinnen erwerben Fähigkeiten in vier Methodenbereichen:

Kompetenzorientiertes Lernen in heterogenen Lerngruppen

Aufgabenbeispiele für Klassen der Flexiblen Grundschule

Teil 1 Die FLEX im Kontext der Grundschulpädagogik Prof. Dr. A. Prengel Teil 2 Befunde der Evaluation von FLEX aus der Perspektive von PISA und

Die Stiftung aus der kleinen Forscher Netzwerk Landshut Stadt und Land

Curriculum (Universität) - Musik

Indikatorenkarten zu den Kompetenzanforderungen im Halbtagespraktikum (Jan. 2015)

Innovationsprozesse effektiv begleiten

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Transkript:

Entdeckendes Lernen Lernen entdecken Die Wissenskonzepte der Kinder im Unterricht aufgreifen, nutzen und in einen systemischen Zusammenhang bringen Länderübergreifende Fachtagung des BLK-Modellversuchsprogramms Qualitätsverbesserung in Schule und Schulsystemen - QuiSS

Impressum Die Projekte Förderung innovativer Lernkultur in der Schuleingangsphase FiLiS, Qualitätsbezogene Innovationen in Grund- und Sonderschulen QuiGS, Professionalisierung des Lehrerhandelns im Unterricht der Grundschule am Beispiel des Sachunterrichts ProSa, sind Teilprojekte des bundesweiten Modellversuchsprogramms Qualitätsverbesserung in Schulen und Schulsystemen QuiSS. Im Auftrag: Bund-Länder-Kommision für Bildungsplanung und Forschungsförderung Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport der Stadt Berlin Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein Herausgabe: Redaktion: Layout: Photos und Grafiken: Druck: Dr. Margot Janzen, ProSa Christiane Mika, FiLiS Antje Ipsen-Wittenbecher, QuiGS Dr. Margot Janzen, ProSa Barbara Kämper, IPN (Herstellung und redakt. Mitarbeit) Erika Kolaczinski, IPN (Umschlag und Seitenlayout) Michael Hackenberger (QuiGS), Dr. Margot Janzen (QuiSS-ProSa), Erika Kolaczinski, (Grafiken), Antje Ipsen-Wittenbecher (Zeichnungen) Print & Copy Paradies, Kiel IPN Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften, Olshausenstraße 62, 24098 Kiel

Inhalt Inhalt Begrüßung 5 Grußwort Bernhard Brackhahn 7 Wissenschaft und Praxis Vortrag Wissenschaft diskutiert Praxis: Lernen der mächtigste Mechanismus der geistigen Entwicklung Elsbeth Stern 9 Praxis diskutiert Wissenschaft Arbeitsgruppen 15 Wissenschaft und Praxis diskutieren Fishbowl 17 Rückmeldung, Donnerstag, 27. März 2003 19 Impulsreferat Entdeckendes Lernen alte Ideen und neue Erkenntnisse Karin Ernst 20 Arbeitsgruppen 1. Lernwerkstatt: Entdeckendes Lernen Hände entdecken (zum) Entdecken 23 2. Vorerfahrungen von Kindern erkennen und nutzen Schriftspracherwerb und Mathematik im Anfangsunterricht 26 3. Lernentwicklung feststellen, dokumentieren und nutzen Formen der Rückmeldung und Selbsteinschätzung in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen 29 4. Den positiven Blick auf Kinder und Eltern üben... veränderte Konzepte zur Eltern(mit)arbeit 32 5. Jahrgangsübergreifendes Lernen in der Schuleingangsphase 35 6. Ungewöhnliches entdecken Kooperation mit außerschulischen Partnern 38 Rückmeldung, Freitag, 28. März 2003 40 Ausblick Perspektiven für die Umsetzung Galerie-Rundgang Arbeitsgruppen 41 Abschlussvortrag Resümee und Perspektiven Richard Meier 44 Rückmeldung, Samstag, 29. März 2003 50 Schlusswort der Veranstalterinnen 51 Anhang Referentenlisten 52 Teilnehmerlisten 53 Tagungsprogramm 56 Informationen zum Modellversuchsprogramm QuiSS 57 3

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns sehr, Sie zu dieser länderübergreifenden Tagung im Rahmen des BLK Programms QuiSS begrüßen zu dürfen. Wir als Koordinatorinnen der Länderprojekte aus Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben diese Tagung gemeinsam konzipiert, da unsere Projekte im Mo-dellversuchsprogramm QuiSS durch den Arbeitsschwerpunkt Grundschule verbunden sind. Vor dem Hintergrund aktueller nationaler und internationaler Vergleichsstudien gerät auch der Primarbereich verstärkt in den Blickpunkt der bildungspolitischen Diskussion. So wird die Bedeutung der Grundschule für den kindlichen Bildungsgang hervorgehoben, die Aufgabe des pädagogischen Umgangs mit Heterogenität in der Grundschule verstärkt diskutiert und die Professionalisierung der Lehrerinnen und Lehrer, vor allem in Hinblick auf Kernfragen innovativen, verständnisintensiven Lernens, gefordert. Die Heterogenität der Lerngruppen in der Grundschule als Chance der Vielfalt zu begreifen, gewährleistet an sich noch keine Qualitätsverbesserung der Lernens, dafür muss sie produktiv genutzt werden. Dazu bedarf es zusätzlicher Ressourcen und eines neuen Selbstverständnisses der Grundschullehrerinnen und -lehrer. Die Arbeitsschwerpunkte der drei Länderprojekte zeigen hier Ansätze und erste Ergebnisse, die vor allem individualisierte und differenzierte Formen des Lernens und der Lernbegleitung favorisieren und alle an der kindlichen Entwicklung und Bildung Beteiligten einbeziehen. Wir freuen uns sehr, dass wir für diese Tagung namhafte Experten zu den verschiedenen Schwerpunkten des Programms gewinnen konnten. Frau Prof. Dr. Elsbeth Stern wird den Schwerpunkt Wissenschaft und Praxis mit dem Vortrag Lernen, der mächtigste Mechanismus der geistigen Entwicklung eröffnen. Frau Dr. Karin Ernst gibt am zweiten Tag mit ihrem Vortrag Entdeckendes Lernen alte Ideen, neue Erkenntnisse Impulse für die Arbeit in den Arbeitsgruppen. Herr Prof. Richard Meier begleitet die Tagung als kritischer Freund und wird in seinem Resümee die Tagungsergebnisse unter der Fragestellung Was brauchen Kinder, um erfolgreich, nachhaltig und verständinsintensiv zu lernen? zusammenfassen. Um unser Anliegen für diese Tagung zu illustrieren, möchten wir Ihnen noch eine kleine Episode aus dem Berliner Leben schildern. Eine Mutter und ihr etwa zweijähriger Sohn gehen an einem Zaun entlang. Die kleine Pforte mit dem großen Schlüsselloch interessiert den Jungen. Er will die Pforte öffnen und stellt fest, dass sie verschlossen ist. Speck-Hamdan, 2001, Schulanfang ohne Umwege, Hrsg. Faust/ Speck-Hamdan u. a., Grundschulverband Frankfurt am Main 2001) 5

Begrüßung Ein Gespräch zwischen Mutter und Sohn entwickelt sich: Er will, dass die Mutter die Pforte aufschließt. Sie hat keinen Schlüssel für die Pforte behauptet sie. Er wird ungeduldig, stampft auf und fordert laut: Aufschließen!. Der pädagogisch interessierte Beobachter stellt Hypothesen für mögliche Reaktionen auf: Wie wird die Mutter mit dieser Situation umgehen? 1. Hypothese: Sie lenkt ihn ab 2. Hypothese: Sie verliert die Geduld und klemmt sich den Sohn unter den Arm Tatsächlich aber entwickelt sich zwischen Mutter und Sohn ein Dialog über Türen und passende Schlüssel. Die Mutter zieht ihr Schlüsselbund aus der Tasche es werden verschiedene Schlüssel ausprobiert. Beide werden sich einig, dass mit diesen Schlüsseln die Pforte nicht zu öffnen ist. Mit der Erkenntnis, dass offensichtlich nicht jeder Schlüssel zu jedem Schloss passt, ziehen Mutter und Sohn zufrieden von dannen mit dem Vorhaben diese Erkenntnis an der eigenen Haustür zu überprüfen. Wir alle kennen solche Situationen, in denen wir als Erwachsene ernsthaft und konstruktiv Kinder beim Öffnen von Türen begleiten oder mit Kindern Türen öffnen. Wir, die Koordinatorinnen von FiLiS, ProSa und QuIGS wünschen uns allen, dass wir in diesem Sinne die nächsten zwei Tage miteinander arbeiten werden. Uns bleibt jetzt nur noch Sie herzlich einzuladen mit Ihren Erfahrungen die Diskussionen, den Austausch und die Arbeit in den Arbeitsgruppen zu bereichern. Zeichnungen: Antje Ipsen-Wittenbecher 6

Grußwort Bernhard Brackhahn Die Veranstalterinnen der heutigen Tagung Entdeckendes Lernen Lernen entdecken, Frau Ipsen-Wittenbecher, Frau Dr. Janzen und Frau Mika, haben mir als Programmkoordinator des BLK- Modellversuchsprogramms Qualitätsverbesserung in Schulen und Schulsystemen kurz QuiSS ein angemessenes kurzes Wort der Begrüßung eingeräumt. Daran will ich mich halten und mich mit dem Dank und Glückwunsch für diese Veranstaltung auf zwei Gesichtspunkte beschränken. Der große Zuspruch und die überregionale Resonanz dieser Veranstaltung beweisen, dass Thema und Inhalt den Nerv bildungsplanerischen Handelns nach den desolaten PISA- Ergebnissen getroffen haben. Aus der Not der PISA-Ergebnisse haben das QuiSS- Programm und auch andere BLK-Programme einen herausragenden Stellen-wert gewonnen hinsichtlich der schulnahen Qualitätsentwicklung von Unterricht und Erziehung im Kooperationsprozess innerhalb der Schule netzwerkgebundenen Kooperation von Schulen zur nachhaltigen Sicherung von Innovationsfähigkeit langfristigen Förderung überregionaler Bildungsplanung Die BLK hat durch ihre Modellversuchsprogramme eine ganz bedeutsame Initiative hinsichtlich der Entwicklung von Schule, Unterricht und Erziehung wahrgenommen, sie leitet im Grunde die Prozesse ein, die zur Verbesserung des Schulwesen führen. Auf die drei genannten Gesichtspunkte wird sich der Fokus bei der Planung der zukünftigen Dissemination der QuiSS-Ergebnisse konzentrieren müssen. Auch diese Tagung wird Anlässe bieten zur konkreten Disseminationsplanung nach Ende des Modellversuchs in gut einem Jahr. Der zweite Punkt meines Beitrags gilt der Tatsache, dass die heutige Tagung der Initiative aus drei Länderprojekten zu danken ist. Diese Tagung ist ein Beweis dafür, dass die inhaltlich heterogenen Länderprojekte insgesamt in diesem Programm nicht nur die Summe der Einzelteile bilden, sondern inzwischen das Gesamtkonzept einer Qualitätsverbesserung in Schulen und Schulsystemen ausfüllen. Die Schnittstellen zwischen den Länderprojekten bieten modellhafte Konkretionen für innovative Schulund Unterrichtsentwicklung Die entsprechenden Produkterwartungen und Produktrealisierungen, die am Ende des Modellversuchsprogramms Grundlage des Ergebnistransfers sein sollen, werden gegenwärtig in Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Länderprojekte und mit dem Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats des QuiSS-Programms, Herrn Prof. Brockmeyer, mit Frau Rieger von der QuiSS-Koordinierungsstelle in Oberhausen und mir ermittelt. Die bisherigen Gespräche lassen Produkte in folgenden Kernbereichen erwarten: Professionalisierungsmodelle zur innerschulischen Schulentwicklung Veränderung schulaufsichtlichen Handelns Evaluationsvorhaben und Arbeit an Schulprogrammen zur Unterstützung des Schulentwicklungsprozesses Die Schnittstellen zwischen den Länderprojekten bieten modellhafte Konkretionen für innovative Schul- und Unterrichtsentwicklung 7

Grußwort Projekte, die Unterricht, Curricula und Leistung in den Mittelpunkt stellen Initiierung von Netzwerken zur innovativen Schulentwicklung Professionalisierungsbedarf und Bewertung von Professionalisierung im Hinblick auf einen innovativen Schulentwicklungsprozess Innovationsverstärkung durch aktive Schulleitungen Modelle des vertikalen Übergangs Systematische Arbeitsansätze zur Ausbreitung der Innovationsbereitschaft in den Kollegien. Hier wird neben der Bewältigung des normalen, anstrengenden Schulalltags qualifizierte konzeptionelle Arbeit geleistet Das sind zunächst Arbeitstitel, deren Ausprägung sich in den Gesprächen mit den Ländern und in den anschließenden Regionalkonferenzen der an einem oder mehreren Themenbereichen arbeitenden Länder noch schärfen wird. Ich hoffe, dass damit eine tragfähige Voraussetzung für eine nachhaltige Dissemination der QuiSS-Ergebnisse geschaffen wird. Meine Damen und Herren, ich schließe meine im Programm vorgesehene Begrüßung. Ich danke für die engagierte Arbeit der vielen Kolleginnen und Kollegen in diesem Programm. Hier wird neben der Bewältigung des normalen, anstrengenden Schulalltags qualifizierte konzeptionelle Arbeit geleistet, die bei weitem nicht mit dem Budget der bereitgestellten Abminderungsstunden ausgeglichen wird. In Erwartung auf die Tagung Entdeckendes Lernen Lernen entdecken wünsche ich uns allen einen gewinnbringenden Erfahrungsaustausch, ermutigende Anregungen und die kollegial-mitmenschliche Begegnung, die eine weitere Kooperation über die Tagung hinaus begründet. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg! 8

Wissen ist der Schlüssel zum Können Elsbeth Stern Das Zauberwort seit PISA heißt Frühförderung. Doch ist zweifelhaft, ob sich mit abstrakten Denkspielen die kindliche Gehirnentwicklung stimulieren lässt. Als vielversprechender hat sich erwiesen, Kinder schon in frühem Alter gezielt mit dem Lernstoff der Schule vertraut zu machen denn nicht Intelligenz, sondern Wissen ist der Schlüssel zum Können. Wissenschaftler kritisieren, dass sich die Vor- und Grundschulpädagogik bisher vor allem an den vermeintlichen Defiziten von Kindern orientierte. Dabei berief man sich oft auf den berühmten Schweizer Biologen und Entwicklungspsychologen Jean Piaget. In Analogie zum Größenwachstum nahm man an, dass das Gehirn heranreifen müsse, bevor das Kind anspruchsvolle Lernangebote nutzen könne. Dazu eine Anekdote: Eine von der Piagetschen Entwicklungstheorie beeinflusste Grundschullehrerin ließ die Eltern auf einem Informationsabend wissen, dass es völlig natürlich sei, wenn Kinder ihr Heft nicht von vorn nach hinten voll schrieben, sondern Eintragungen querbeet vornähmen. Die Bemerkung einer Mutter, ob man denn nicht in die Schule gehe, um ordentliche Heftführung zu lernen, konterte die Lehrerin mit der Feststellung, Piaget habe schließlich bewiesen, dass man Entwicklungsschritte nicht einfach überspringen könne.... nicht Intelligenz, sondern Wissen ist der Schlüssel zum Können Auch intelligente Kinder müssen lernen Natürlich gibt es stark reifungsabhängiges Lernen. Es ist vergebliche Liebesmüh, Kindern Sauberkeitsverhalten anzutrainieren, bevor sich bestimmte Nervenverbindungen herausgebildet haben. Vor dem dritten Lebensjahr wird man Kindern bestimmte Satzkonstruktionen nicht entlocken können. Längerfristige Ziele zu vorfolgen, fällt Kindern schwer. Im Kindesalter vollziehen sich grundlegende geistige Veränderungen, die eng an die Hirnentwicklung geknüpft sind. Dennoch müssen Kinder früh gefördert werden. In einer hochtechnisierten und zivilisierten Gesellschaft ist es unlogisch, Kinder möglichst lange in einem geistigen Naturzustand belassen zu wollen. Schreibhefte waren in der Natur nicht vorgesehen. Deshalb konnten unsere Gene uns auch nicht darauf vorbereiten, Hefte so mit Informationen zu füllen, dass wir selbst oder andere bestimmte Abschnitte mit minimalem Aufwand wiederfinden. Derartiges lernt man nicht durch Versuch und Irrtum, sondern nur mit direkter Anleitung durch einen Mentor sprich Lehrer. Im Kindesalter vollziehen sich grundlegende geistige Veränderungen, die eng an die Hirnentwicklung geknüpft sind Das Gehirn ist kein Schwamm, der Informationen aufsaugt Bisweilen stößt man jedoch auf eine Frühförderungseuphorie, die ins andere Extrem umschlägt. Im Kindesalter, so heißt es da, sei das Gehirn ganz besonders aufnahmefähig. Wenn es in dieser Zeit nicht trainiert werde, gingen seine ungenutzten Kapazitäten verloren. Als Beispiel wird gern auf die Sprachentwicklung verwiesen: In den ersten Lebensjahren wird ohne professionelle Instruktion nicht nur die Muttersprache, sondern in mehrsprachigen Umgebungen problemlos auch noch eine zweite Sprache erworben. Aus diesem Befund wird häufig unberechtigterweise auf eine generell erhöhte Lernfähigkeit in der frühen Kindheit geschlossen. Das Gegenteil ist der Fall: Ein gut 9

Vortrag Der so genannte Arbeitsspeicher ist begrenzt, und diese Begrenzung ist durchaus sinnvoll funktionierendes Gehirn ist ständig damit beschäftigt, nur diejenigen Umweltreize herauszufiltern, die für das gerade aktualisierte Handlungsziel relevant sind. Der so genannte Arbeitsspeicher und damit die Informationsmenge, die man in einer bestimmten Zeiteinheit verarbeiten kann. Sie erlaubt uns, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wo Sind mehr Bonbons? Vorschulkinder sind klüger, als der berühmte Entwicklungspsychologe Jean Piaget ihnen zugestand Jean Piaget nahm an, dass die geistige Entwicklung von Kindern in einer Abfolge von Stufen erfolgt. Auf welcher Stufe ein Kind steht, wird von seiner fortschreitenden Hirnreifung vorgegeben. Der sensomotorische Säugling holt sich noch nicht den vor seinen Augen mit einem Tuch bedeckten Gegenstand. Das präoperative Grundschulkind behauptet, dass die aus einem flachen in ein hohes Gefäß umgegossene Flüssigkeit mehr geworden ist. Auch scheinen diese Kinder zu glauben, dass die in einer Reihe ausgelegten Bonbons mehr werden, wenn die Reihe auseinander gezogen wird. Das konkret-operative Grundschulkind behauptet, dass eine Mischung aus 3 Gläsern Himbeersirup und 8 Gläsern Wasser genauso schmeckt wie eine Mischung aus 13 Gläsern Himbeersirup und 18 Gläsern Wasser, da die Differenz und nicht das Verhältnis berücksichtigt wird. Jede Stufe ist durch geistige Grenzen charakterisiert. Piagets Aufgaben waren genial, und die von ihm gefundenen Antworten lassen sich noch immer an Kindern in unterschiedlichen Kulturkreisen reproduzieren. Allerdings gibt es inzwischen zahlreiche Befunde, die zeigen, dass Piaget die geistige Leistung der Kinder unterschätzte, weil er Antworten der Kinder, die mit dem Kontext der Aufgabenstellung zu tun hatten übergeneralisierte. Die Einbeziehung zusätzlicher Beobachtungsdaten, geringfügige Abweichungen in der Aufgabenstellung oder recht einfache Formen der Unterstützung zeigen, dass Kinder mehr von der Welt begreifen, als lange angenommen wurde. Elsbeth Stern: Wissen ist der Schlüssel zum Können. Psychologie Heute, 7/2003, S. 32 Auf diese Weise lässt sich zum Beispiel demonstrieren, dass Säuglinge durchaus wissen, dass sich besagter Gegenstand unter dem Tuch befindet. An den Blickbewegungen der Kinder lässt sich ersehen, dass sie den ort kennen, an dem der Gegenstand liegt. Vorschulkinder, die zuvor noch behauptet haben, dass die umgeschüttete Flüssigkeit mehr wird, verneinen, dass man mit dieser Methode einer drohenden Getränkeknappheit auf einem Kindergeburtstag entgegenwirken kann. Darf sich ein Grundschulkind zwischen einer kürzeren Reihe mit vielen eng aneinander liegenden Bonbons und einer längeren Reihe mit weit auseinander liegenden wenigen Bonbons entscheiden, so wählt es, ohne zu zögern, die kurze Reihe mit der größeren Zahl Bonbons. Soll ein Grundschulkind herausfinden, ob ein Gemisch aus 4 Gläsern Himbeersirup und 6 Gläsern Wasser stärker nach Himbeeren schmeckt als ein Gemisch aus 3 Gläsern Sirup und 5 Gläsern Wasser, so wird es mit einfachen Hilfsmitteln erkennen, dass 2 zusätzliche Gläser Wasser eine Grundsubstanz von 3 Sirupgläsern stärker verwässern als eine Grundsubstanz von 4 Sirupgläsern. Kleinen Kindern fehlt häufig das Wissen, um beim Denken mit vielen Elementen zu jonglieren ansonsten können sie aber mehr, als Piaget ihnen zutraute. 10

Wissenschaft diskutiert Praxis Diese Funktionen werden vom Frontalhirn koordiniert, das sich im Laufe der Kindheit stark verändert und entwickelt. Kinder haben noch deutliche Defizite in der Handlungsund Planungskompetenz. Ein Beispiel dafür ist der Erwerb der Muttersprache ohne systematische Instruktion in den ersten Lebensjahren. Obwohl Kinder von Anfang an komplexe, verschachtelte Sätze hören, bilden sie zunächst nur Einwortsätze, später dann Zwei- und Dreiwortsätze. Sie blenden zunächst so genannte Funktionswörter wie Artikel und Präpositionen ganz aus und unterlassen auch das Konjugieren und Deklinieren. Erst wenn sie Substantive, Verben und Artikel besser im Griff haben, wenden sie sich Wortarten und Regeln zu, die komplexere Satzkonstruktionen erlauben. Die Aussage, man müsse möglichst viel Lernstoff in die ersten Lebensjahre packen, weil das Gehirn in diesem Zeitabschnitt neue Informationen wie ein Schwamm aufsauge, ist falsch. Im Gegenteil, wie die Sprachentwicklung zeigt, ziehen Kinder geradezu einen Nutzen aus der Beschränktheit ihres Aufnahmevermögens. Dennoch ist die Forderung nach einer anregenderen und anspruchsvollen Lernumgebung berechtigt. Dabei geht es nicht nur darum den Intellekt optimal mit komplexen Problemen zu schulen, sondern die Inhalte dessen was gelernt wird, das Wissen selbst ist wichtig. Das Gehirn ist kein Schwamm Wissen ist der entscheidende Schlüssel zum Können Der Begriff des Wissens hat in unserer Gesellschaft häufig einen negativen Beigeschmack. Wissen ansammeln sei etwas für weniger intelligente Menschen, während intelligente Köpfe sich auch ohne diese behelfen könnten. Neuere Ergebnisse der Kognitionsforschung zeigen jedoch auf drastische Weise, dass Wissen und nicht Intelligenz der Schlüssel zum Können ist. Beispielsweise wurden die Fähigkeiten von Menschen untersucht, die in einem anspruchsvollen und komplexen Gebiet Höchstleistungen erbringen, etwa in Schach, Mathematik, Musik oder den Naturwissenschaften. Dabei zeigte sich, dass sich diese Experten von anderen nicht durch ihre Intelligenz, sondern durch ihr Wissen unterscheiden. Während fehlendes Wissen nicht kompensierbar ist, können Defizite bei Intelligenz und speziellen Begabungen durch besonders intensives Üben in gewissem Maß ausgeglichen werden. Die Bedeutung von Wissen zeigte sich auch bei einer Studie an Schulkindern: Kinder, die unabhängig von ihrer Intelligenz schon zu Beginn des Schuljahres Wissen mitbringen, haben die besten Chancen, etwas dazuzulernen. Unterschiede des Vorwissens etwa in der Mathematik treten schon sehr früh auf. Manche Kinder können rechnen, lange bevor sie in die Schule kommen, und sich diesen Vorsprung oft auch erhalten. Kompetenztraining: eine einfältige Mode der Pädagogik Die heute oft anzutreffende negative Einstellung zum Wissen hängt möglicherweise mit einer einseitigen Betrachtungsweise zusammen, die Wissen auf eine Ansammlung von Fakten reduziert. Wenn ich weiß, dass Manila die Hauptstadt der Philippinen ist, aber gleichzeitig denke, dass die Philippinen in Nordeuropa liegen, nützt mir das nicht wirklich etwas. Isoliertes Faktenwissen ist unbrauchbar. Ein Großteil des in der Schule erworbenen Wissens ist jedoch genau so: einige korrekte Fetzen in einem wüsten Haufen Müll. Den Satz des Pythagoras kennen viele Schüler vielleicht noch, aber es gelingt ihnen nicht, ihn zur Lösung eines ungewöhnlichen Problems heranzuziehen. Faktenwissen ist wichtig und hilfreich, wenn es in intelligent vernetztes Begriffswissen eingebettet ist. Seit einiger Zeit wird unter dem Modeschlagwort Schlüsselqualifikationen gefordert, dass nicht die Vermittlung von Wissen im Mittelpunkt von Bildung stehen solle, sondern Fähigkeiten wie Sozial- und Lernkompetenz. Damit geht die Annahme einher, diese Kompetenzen ließen sich unabhängig vom Inhalt vermitteln. Nichts ist falscher als das. 11

Vortrag Lernstrategien oder Sozialkompetenzen sind zwar lernbar, aber nicht direkt lehrbar Tatsächlich sind Lernstrategien oder Sozialkompetenzen zwar lernbar, aber nicht direkt lehrbar. In einer erfolgreichen Lernumgebung fallen sie als höchst brauchbare Nebenprodukte ab. Man sollte als Lehrer durchaus Gruppenarbeit machen und die Schüler zum systematischen Lernen und Lesen anhalten aber eben nur im Zusammenhang mit der erfolgreichen Vermittlung von Inhalten. Intelligentes Wissen kann nicht über eine Art Fotokopierprozess vom Kopf des Lehrers in den Kopf des Schülers übertragen werden. Es muss vom Lernenden konstruiert werden, indem er mit der neu eingegangenen Information an sein bereits bestehendes Wissen anknüpft. Je mehr Wissen er hat und je besser dieses strukturiert ist, umso leichter kann er neu eingehende Informationen aufnehmen. Wer früh lernt, hat später einen Vorsprung In der Vor- und Grundschulzeit muss mit dem Aufbau von Wissen begonnen werden. Diese Konstruktion einer intelligenten Wissensbasis benötigt Zeit, damit die mit dem Lernen einhergehende Automatisierung von Wissen stattfinden kann. Dass wir in Sekundenschnelle das Wort Mississippidampfschifffahrtsgesellschaftskapitän lesen können, verdanken wir der hochgradigen Automatisierung des Erkennens von Buchstaben sowie dem Wissen darüber, welche Buchstabengruppen welchen Silben zugeordnet sind. Ein im Lesen ungeübter Mensch hingegen muss jeden Buchstaben in einen Laut übertragen und daraus mühsam ein Wort konstruieren. Es wird Arbeitsspeicherkapazität gebunden, die für das Sinnverständnis verloren geht. Automatisierung wird in allen Bereichen gefordert. Das Beherrschen des Einmaleins gehört ebenso dazu wie das Erkennen von Schaubildern oder das Vokabellernen in der Fremdsprache. Automatisierung ist die Folge von Übung in Teilschritten. Automatisiertes Wissen befördert Verstehensprozesse Automatisiertes Wissen ist die Voraussetzung für Verstehensprozesse, eben weil man für die Verstehensprozesse freie Kapazitäten benötigt. Das teilweise durchaus stupide Üben in Teilschritten mit dem Ziel der Automatisierung hat seine Berechtigung, wenn es nicht ausschließlich dabei bleibt. Automatisiertes Wissen muss immer wieder in sinnstiftendes Lernen eingebettet werden. Aber die Automatisierung des Wissens braucht Zeit: Je früher bestimmte Teilschritte automatisiert werden, umso eher kann man sich auf Sinnstiftung konzentrieren. Eine Voraussetzung für den unproblematischen Schriftspracherwerb ist z.b. die so genannte phonologische Bewusstheit. Darunter versteht man die Fähigkeit, die lautlichen Merkmale einer Sprache zu erkennen. Dies drückt sich in der Fähigkeit aus, im Rhythmus der Silben zu klatschen oder Reime zu erkennen. Phonologische Bewusstheit ist die Voraussetzung für eine Automatisierung des Lesens. Das allgemeine Niveau steigt, aber auf diesem höheren Niveau bleiben die Unterschiede bestehen Anspruchsvolle Lernbedingungen sind für alle Kinder wichtig Ein häufig vorgebrachter Einwand gegen anspruchsvollere Lernbedingungen in der Vorund Grundschule betrifft die Schüler mit ungünstigeren geistigen Voraussetzungen. Es wird befürchtet, dass diese von Anfang an überfordert und damit frustriert werden. Diese Annahme ist jedoch nicht berechtigt. Gerade Schüler mit ungünstigeren Voraussetzungen bedürfen der besonderen Anregung. Ebenso unberechtigt ist allerdings auch die Hoffnung, ein anregender Unterricht würde die Unterschiede zwischen den Schülern zum Verschwinden bringen. Tatsächlich werden durch anregenden Unterricht alle Schüler entsprechend ihren Voraussetzungen gefördert. Das allgemeine Niveau steigt, aber auf diesem höheren Niveau bleiben die Unterschiede bestehen. 12

... ins Gespräch kommen Die Konzeption der verschiedenen Arbeitsphasen Wissenschaft diskutiert Praxis, Praxis diskutiert Wissenschaft und Wissenschaft und Praxis diskutieren ist von der Methode des Gruppenpuzzle, einer Form des kooperativen Lernens, abgeleitet worden. Phase 1: Der Vortrag im Plenum wirft Fragen zu einem komplexen Thema auf. Phase 2: In Arbeitsgruppen werden die Thesen des Vortrages an Hand von Leitfragen erörtert. Phase 3: Die Diskussionsbeiträge aus den Arbeitsgruppen werden dem Plenum auf Stellwänden präsentiert. Phase 4: Erörterung der offenen Fragen mit Elsbeth Stern nach der Fishbowl Methode. Diese vier Phasen gewährleisten, dass die Inhalte des Vortrages sowohl in kleinen Gruppen als auch im Plenum eingehend diskutiert werden können. Außerdem wurde durch dieses Tagungsdesign von vornherein der inhaltliche Austausch zwischen den drei Projektgruppen ermöglicht. Die Fishbowl Methode wurde für die letzte Phase gewählt, da sie trotz des großen Plenums ohne formale Hierarchie jedem die Möglichkeit bietet sich an der Diskussion zu beteiligen. Diese Methode stellt einen dynamischeren Austausch zwischen allen Beteiligten her als eine Podiumsdiskussion oder ein moderiertes Großplenum. Das Gruppenpuzzle-Verfahren Alexander Renkl hat in seinem Buch Lernen durch Lehren * verschiedene Formen des kooperativen Lernens dargestellt und auf ihre Wirksamkeit hin untersucht. U.a. beschreibt er das Gruppenpuzzle-Verfahren wie folgt: Eine international bekannte Methode kooperativen Lernens, in der das Lernen durch Lehren eine zentrale Rolle spielt, ist die Gruppenpuzzle-Methode (jigsaw). Sie wurde ursprünglich von Aronson, Blaney, Stephan, Sikes und Snapp (1978; vgl. auch Aronson, 1984) entwickelt. Clarke (1994) teilte diese Methode in vier Phasen ein: Renkl, Alexander: Lernen durch Lehren: Zentrale Wirkmechanismen beim kooperativen Lernen. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag 1997. 13

Tagungsarrangement Informationen unter: http://www.vibbw.de/tp1/grppzz_3.htm Als erstes gibt die Lehrperson eine Einführung in die Thematik, die beispielsweise in einer Sitzung erarbeitet werden soll. Dann wird der Lernstoff in Teilgebiete aufgeteilt. In der zweiten Phase bilden die Lernenden sogenannte Expertengruppen, die sich selbstständig ein Teilgebiet des Stoffes erarbeiten. Verschiedene Teile des Stoffes werden dabei durch verschiedene Expertengruppen abgedeckt. In einer dritten Phase reorganisieren sich die Expertengruppen in Lerngruppen, und zwar so, daß in jeder Gruppe jeweils ein Experte für jedes Teilgebiet vorhanden ist. Der Experte für ein bestimmtes Teilgebiet vermittelt dann jeweils den Partnern in der Lerngruppe den entsprechenden Stoff. Die vierte Phase dient der Integration und Evaluation. Dabei kann zum einen der Stoff im Klassenplenum nochmals bearbeitet werden, zum anderen kann die zurückliegende Kooperation reflektiert werden. Die Fishbowl-Methode Ziel dieser Methode ist, allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu ermöglichen, durch ein Innen-Außenkreis-Arrangement persönlich in den Dialog in diesem Falle mit der Referentin Frau Stern zu treten. Günther Gugel: Methoden Manual I: Neues Lernen. Tausend Praxisvorschläge für Schule und Lehrerbildung. Weinheim und Basel 1997 1. Schritt Um einen Innenkreis mit ca. 6 bis 10 Stühlen bilden sich je nach Teilnehmerzahl ein oder mehrere Außenkreise. Die Anzahl der Stühle im Innenkreis richtet sich nach der Anzahl der Vertreter der Arbeitsgruppen und der Referenten plus ein oder mehrerer freier Stühle, die für Teilnehmer aus dem Außenkreis bereitstehen. 2. Schritt Der Gesprächsleiter erklärt die Methode. Im Innenkreis beginnt das Gespräch über das vereinbarte Thema. Die Teilnehmer im Außenkreis bleiben in der Rolle der Zuhörer. 3. Schritt Teilnehmer aus dem Außenkreis können jederzeit im Innenkreis auf einem freien Stuhl Platz nehmen und sich mit ihren Fragen und Gedanken zu dem Thema am Gespräch beteiligen. Damit möglichst viele Teilnehmer aus dem Außenkreis Gelegenheit bekommen, sich zu äußern, sollte ein Stuhl nie zu lange von einem Teilnehmer besetzt bleiben. Rückmeldungen zu den Arbeitsphasen Die Eindrücke und Überlegungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden am Ende jeder Arbeitsphase der Tagung durch einen Feedbackbogen erfragt. 14

Praxis diskutiert Wissenschaft Zusammenfassung aus den Diskussionsrunden Im Anschluss an den Vortrag von Elsbeth Stern trafen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in moderierten Diskussionsrunden. Dabei wurde die Verteilung so organisiert, dass die Gruppen etwa zu gleichen Teilen mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern der drei Projekte besetzt waren. Die heterogene Gruppenzusammensetzung führte dabei in allen sechs Arbeitsgruppen zu einem angeregten Erfahrungsaustausch über die Grenzen des eigenen Projektes hinaus. Im Anschluss an diese Arbeitsphase wurden die Ergebnisse und Überlegungen auf Informationswänden präsentiert. Die Thesen, die Frau Stern aus ihrer wissenschaftlicher Sicht auf Schule formuliert hat, wurden aus der praxisorientierten Erfahrung der Kolleginnen und Kollegen an vier Leitfragen lebhaft diskutiert. Dabei wurden einige Aspekte des Vortrages als bereichernd für die eigene Unterrichtspraxis angesehen, andererseits aber manches auch kontrovers erörtert. Die heterogene Gruppenzusammensetzung führte dabei in allen sechs Arbeitsgruppen zu einem angeregten Erfahrungsaustausch über die Grenzen des eigenen Projektes hinaus Leitfragen 1. Welche Aussagen von Frau Stern bestätigen Ihre pädagogische Praxis? 2. Welche Fragen, Widersprüche, Widerstände hat der Vortrag bei Ihnen hervorgerufen? 3. Welche Anknüpfungspunkte zur Weiterentwicklung der Bildung im Elementar- und Primarbereich entnehmen Sie dem Vortrag? 4. Kinder brauchen anspruchsvolle Lerngelegenheiten. Wie können Lehrer/innen diese schaffen und gestalten? 15

Zusammenfassung aus den Diskussionsrunden 16

Wissenschaft und Praxis diskutieren Fishbowl In der anschließenden Fishbowl-Runde wurden einige Punkte der vorherigen Diskussionen mit Frau Stern vertieft. Dazu gehörten Fragen zur Automatisierung von Wissen, zu Konsequenzen aus den Bildungsstudien, zur Erfahrung mit Standards für Unterricht, zur sinnvollen Einbindung von Methodenlernen in den Unterricht und zum Lernprozess bei Kindern. Da es den Rahmen sprengen würde, die Diskussionen aus den Arbeitsgruppen ( Praxis diskutiert Wissenschaft ) und das vollständige Gesrpäch zwischen Frau Stern und den Kolleginnen und Kollegen wiederzugeben seien hier nur einige zusammenfassende Überlegungen beider Arbeitsphasen wiedergegeben. 17

Diskussionsbeiträge aus der Fishbowl 18

Rückmeldung Praxis und Wissenschaft 19

Entdeckendes Lernen alte Ideen, neue Erkenntnisse Thesen zum Impulsreferat Karin Ernst Qualifikationen in der Gestaltung entdeckendkonstruktiver Lernsituationen muss man sich aktiv erarbeiten 20 Entdeckendes Lernen ist eine alte pädagogische Idee und eine aktuelle Konzeption von Unterricht, die durch die Ergebnisse neuer Lernforschung bestätigt und erweitert wird. Das sind ihre wesentlichen Merkmale: Lernen wird als aktive Konstruktion von Erkenntnis durch die Lernenden betrachtet, es geht um wirkliches Verstehen von Sachverhalten und Zusammenhängen, um Lernen, das Sinn macht und persönliche Bedeutung gewinnt, nicht um die Speicherung von Faktenwissen, nicht um das alleinige Trainieren von Methoden oder Schlüsselkompetenzen. die Auseinandersetzung zwischen Lernenden und Lehrenden ist dialogisch, entwickelnd und unterstützend; die Unterschiedlichkeit der Kinder kann in ihrer Vielfalt gewürdigt werden, ohne die einzelnen in ihrem Leistungswunsch und -vermögen zu behindern. der Austausch in der Lerngruppe trägt zum gemeinsamen Erkenntnisfortschritt bei und macht es möglich, persönlich erworbenes Wissen in allgemeine Zusammenhänge einzuordnen und das eigene Lernen nach Qualität und Quantität zu beurteilen. In Deutschland hat Entdeckendes Lernen kaum Tradition. Während in der englischsprachigen Welt seit dem Ende der 50er Jahre eine Fülle von Curricula und Arbeitsmaterialien entwickelt wurde und es eine reichhaltige Unterrichtsforschung bis hin zur Aktionsforschung im Klassenzimmer gibt, sind es in Deutschland wenige Lehrerinnen und Lehrer und einige Lernwerkstätten, die diese Ideen aufgegriffen und sich zu eigen gemacht haben. Dass man sich Qualifikationen in der Gestaltung entdeckendkonstruktiver Lernsituationen nicht anlesen kann, sondern sich aktiv durch Erproben und Reflektieren erarbeiten muss, macht es Lehrerinnen und Lehrern nicht einfacher. Auch ein oberflächliches Verständnis von Kindern, die doch immer irgend etwas entdecken, ist für eine anspruchsvolle Unterrichtsgestaltung nicht förderlich. Worauf kommt es an, wenn man bei Kindern (und Erwachsenen!) durch Entdeckendes Lernen die Herausbildung von Erkenntnissen, die für die Lernenden persönlich Sinn machen und die gleichzeitig auch im sozialen Zusammenhang tragfähig sind, fördern möchte? Fragen entstehen lassen Entdeckendes Lernen beginnt damit, dass etwas fraglich wird. Sich wundern, staunen, irritiert sein, provoziert werden, mit Zweifeln konfrontiert sein; all dies kann neues Lernen nach sich ziehen, wenn die Lernumgebung es fördert. Dass Lernende hierbei vielfältige naive Vorstellungen mit sich bringen und die Welt mit Alltagstheorien erklären, die sie nur ungern aufgeben, sollten Lehrende akzeptieren und zum Ausgangspunkt des Lernens machen. Es ist für alle spannender und für den Lernerfolg wirksamer, aktiv Wege zu ersinnen, um unzureichende Erklärungen in gute zu verwandeln, als die richtigen Merksätze auswendig lernen zu lassen. Weil Alltagstheorien meist auch dann erhalten bleiben, wenn sie durch neues Faktenwissen überlagert werden, liegt hier eine besondere Herausforderung für Lehrerinnen und Lehrer, sich mit geeigneten Wegen der Lernförderung auseinander zu setzen.

Entdeckendes Lernen Ideen und Erkenntnisse Fragen nachgehen Entdeckende Lernprozesse unterscheiden sich fundamental von allem, was die Schule in der Regel über Lernen als effektives Speichern von geordnetem, richtigem Wissen annimmt. Im Einklang mit der aktuellen Lernforschung wird davon ausgegangen, dass unser Wissen assoziativ, komplex und verbunden mit persönlichen Erfahrungen in konzeptuellen Netzen gespeichert ist, und dass durch lernende Aktivitäten neue Erkenntnisse in dieses Netz eingewoben und mit dem vorhandenen Wissen verknüpft werden. Deshalb ist es wichtig, die vorhandene Denkstruktur allmählich ins Bewusstsein zu rücken durch konzeptuelle Landkarten und andere kreative Methoden, durch Fördern von Erinnerungen und durch Äußern von Vermutungen und Voraussagen zur eigenen Arbeit. Besonders, wenn Entdeckendes Lernen anfängt, ist eine Wuselphase nötig, in der alle möglichen Ideen ausprobiert und wieder verworfen werden. Hieraus schälen sich allmählich einzelne Fragenkomplexe heraus, über die man Neues herausfinden möchte. Der Mut, sich auf eine entsprechende Untersuchung einzulassen, wird sehr gestärkt, wenn man eine Idee hat, wie man dabei vorgehen kann, und wenn einem Lehrerin oder Lehrer vermitteln, dass man nicht völlig auf dem Holzweg ist. Durch lernende Aktivitäten werden neue Kenntnisse mit dem vorhandenen Wissen verknüpft Die grafische Darstellung der Arbeitsphasen Entdeckendes Lernen verwende ich mit freundlicher Genehmigung von Christian Frahm 21

Vortrag Während der Arbeit ist es immer wieder angebracht, die neu entstandenen Erkenntnisse zu sichten und zu ordnen und mit anderen darüber zu reden. Dokumentation und Präsentation der (vorläufigen) Ergebnisse sind Verarbeitungsformen, die die konkret untersuchenden Handlungen in Symbolstrukturen fassen helfen (Sprache, Zahlen, Schaubilder, Theaterstücke, Geschichten), die wiederum die Verankerung der neuen Erkenntnisse im Denken unterstützen. Entdeckendes Lernen erfordert für alle diese Tätigkeiten Zeit und die Möglichkeit, viele verschiedene Wege auszuprobieren. Viele persönliche Zugänge zu einem Thema Die Komplexität des Wissens Beim Entdeckenden Lernen kommt es darauf an, nicht einen vorgegebenen, bereits didaktisch reduzierten Stoff abzudecken, sondern die Komplexität des Wissens zu enthüllen, sie aufzudecken. Dies gelingt dann, wenn man möglichst viele persönliche Zugänge zu einem Thema hat und seine Fragen in der Wirklichkeit findet. Dabei kann es natürlich auch weiterhin zu Fehldeutungen kommen, doch zeigen unsere Erfahrungen, dass die konkreten Gegenstände, mit denen Kinder sich beschäftigen, sozusagen von sich aus richtig antworten, wenn man sich sorgfältig mit ihnen beschäftigt und aufkommende Zweifel zum Anlass nimmt, noch einmal neu nachzudenken und zu erkunden. Die Rolle der Lehrenden Dafür zu sorgen, dass kindliche Entdeckungsprozesse nicht in die Irre gehen, ist eine der Aufgaben der erwachsenen Pädagoginnen und Pädagogen. Sie können Situationen schaffen, in denen Kinder sich über etwas wundern und beginnen, Fragen zu stellen, sie sollten aber vor allem sorgfältig hinhören und zu verstehen versuchen, wie Kinder sich die Welt erklären, um sie durch aufkommende Irritationen hindurch verständnisvoll zu begleiten Entdeckendes Lernen braucht, wie jeder andere Unterricht, Methode. Es findet nicht schon dann statt, wenn man sich als Lehrerin oder Lehrer mit den Kinder gemeinsam auf die Fragen an die Welt einlässt und abwartet, was passiert. Workshops, in denen Erwachsene selbst entdeckend lernen und dies reflektieren, sind hierfür ein besonders wirksames Mittel, Lernwerkstätten, die nach Prinzipien entdeckenden Lernens arbeiten, die passenden Lernorte. Aktuelle und historisch interessante Literatur ist in der Digitalen Bibliothek des Vereins Entdeckendes Lernen e.v. im Internet unter www.entdeckendeslernen.de zu finden. Wichtige englischsprachige Beiträge wurden übersetzt. 22

Hände entdecken (zum) Entdecken Karin Ernst Frau Ernst begann die Arbeitsgruppe mit einer Übersicht zum Tagesablauf. Die Methode sollte nicht theoretisch erläutert, sondern in praktischer Erfahrung erlebt werden. Daran schloß eine Vorstellungsrunde an, in der auch über die Erfahrungen der Teilnehmerinnen mit dem Entdeckenden Lernen berichtet wurde. Aus den genannten Erfahrungen und Fragestellungen ergab sich ein Austausch zwischen den Kolleginnen. Frau Ernst griff wenig lenkend in diese Phase ein und ließ den Kolleginnen Raum ihre Gedanken zu äußern und mögliche Lösungswege zu diskutieren. Diese Phase fand ihren Abschluss in dem Moment, als keine weiteren Fragen mehr aufgeworfen wurden. Anschließend erläuterte Frau Ernst die Lernumgebung. Auf dem Bücher-tisch lagen als Anregung verschiedene Handreichungen zum Entdeckenden Lernen. Auf den Arbeitstischen fanden sich Arbeitsgruppe 1 Oya Amtmann Petra Böhm Kerstin Bork Barbara Gerstmann Antje Kretschmann Christel Lamsfuß-Bischoff Kristin Münz Claudia Schmedt Ina Schumann Marianne Wischmann Protokoll: Margot Janzen Materialien zum Erkunden möglicher Fragestellungen zum Thema Hände entdecken (zum) Entdecken. Frau Ernst betonte dabei, dass diese Arbeitstische nicht als Stationenarbeit gedacht sind und das Material nur erste Assoziationen zum Thema wecken sollte. In der schulischen Praxis werden die verschiedenen Materialien nicht bestimmten Erkundungsideen zugeordnet. Zum Anwärmen und als Phase der Konzentration auf den Gegenstand diente das Spiel Stille Post per Hand und der Auftrag ein Portrait der eigenen Hand zu erstellen. In dieser Phase ließ Frau Ernst Raum für eigene Ideen, gab aber Tipps und Anregungen für die Nutzung des Materials und klärte Fragen. Im Anschluss erfolgte eine Vorstellungsrunde mit den persönlichen Handportraits. Danach wurden erste Ideen für weitere Untersuchungen und Erkenntnisse zu Materialien 23

Arbeitsgruppe 1 und Methoden ausgetauscht. Das freie Erproben von Materialien und die Entwicklung erster Fragestellungen zum Thema wurde als Wuselphase bezeichnet und mit der Vorgabe eingeleitet, sich vor dem Mittagessen im Stuhlkreis einzufinden und konkrete Ideen für die Arbeitsphase am Nachmittag zu präsentieren. Aus den vorgetragenen Ideen kristallisierten sich Forschungsfragen heraus, die als gemeinsames Thema zusammengefasst werden konnten: Hände messen und vergleichen. Bis zum Abend sollte an den Fragestellungen gearbeitet und der Lernprozess dokumentiert werden. Wuselphase und konkrete Aufgabenstellung Kinder mit Konzentrationsschwäche Wuselphase nicht unnötig ausdehnen. Gute Ideen gehen nicht verloren Im Laufe des Tages wurden einige Fragen zur Methode aufgeworfen, Vorschläge zur Lösung wurden z. T. von Frau Ernst aber auch von Kolleginnen gegeben. Wie bringt man Kinder mit Konzentrationsschwäche dazu sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren? Wie verhindert man, dass diese Kinder abgleiten und keine Aufgabe finden? Die Lehrkraft kann sich während der verschiedenen Arbeitsphasen diesen Kindern widmen, da andere Kinder an ihren Fragestellungen arbeiten. Dabei sollte sie Anregungen geben oder auch konkrete Arbeitsaufträge erteilen und damit einen ersten Zugang zu dem Thema anregen. Man sollte die Wuselphase nicht unnötig ausdehnen, aber auch nicht gleich bei den ersten guten Ideen beenden. Die Erfahrung zeigt, dass gute Ideen auch bei einer längeren Wuselphase nicht verloren gehen, manche Ideen aber erst nach einer gewissen Zeit konkret werden. Die Wuselphase sollte durch Rituale beendet werden, die sich mit zunehmender Erfahrung im Prozess ausbilden und von den verschiedenen Gruppen abhängig sein können. unerwartete Ideen Beschränkungen Es können unerwartete Ideen in der Wuselphase entstehen. Ein Beispiel dafür war das Thema Wolle färben, das Frau Ernst mit einer Gruppe von Kindern begonnen hat. Das Hauptinteresse der Kinder richtete sich dabei nicht wie erwartet auf die Ergebnisse der Färbeversuche sondern auf die Funktion des Thermometers, das eigentlich nur als Hilfsmittel in der Materialsammlung vertreten war. Damit veränderte sich die Zielsetzung dieser Einheit durch das Interesse der Kinder. An dieser Stelle sollte man nicht auf dem ursprünglichen Thema beharren. Ist die Wuselphase beendet, werden die Ideen der Kinder in der Gruppe vorgetragen und besprochen. Beschränkungen für Fragestellungen der Kinder ergeben sich aus zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben, die von der Lehrkraft im Sinne der Durchführbarkeit berücksichtigt werden müssen und mit den Kindern besprochen werden sollten. 24

Hände entdecken Bei der Wuselphase ist der Lärm im Klassenraum zu groß, wie kann ich das regulieren? Es sollten für die verschiedenen Phasen mit den Kindern Rituale festgelegt werden, die je nach Gruppenstruktur variieren können. Mit zunehmender Erfahrung in der Methode wird auch das Repertoire der Rituale größer. Unsere Räume sind viel zu klein und die Gruppen zu groß! Zu Themen des Entdeckenden Lernens können Kinder in kleineren Gruppen in Form von AGs oder Lernwerkstätten arbeiten. Dadurch hat jedes Kind im Laufe eines Schuljahres die Möglichkeit nach dieser Methode zu arbeiten. Lärm im Klassenraum Räume sind viel zu klein Auf Euphorie folgt Frust... Frau Ernst machte darauf aufmerksam, dass die erste Euphorie der Ideenfindung in der Wuselphase häufig durch eine Phase der Frustration abgelöst wird. Man sollte diese Frustphase, die immer wieder entsteht, nicht ignorieren, sondern mit den Kindern thematisieren. Einige dieser Frustfallen wurden im Laufe des Tages diskutiert: Die Erfahrung mit verschiedenen bisher erprobten Messmethoden zeigte, dass sie oft nicht genau genug für konkrete Aussagen waren. Bei der Diskussion des Problems mit den Kindern können neue Ideen entstehen, wie eine Methode zu verbessern ist. Dabei wird die Frage der Reproduzierbarkeit der Messergebnisse (einheitliche Testbedingungen) und deren Darstellung aufgeworfen. Die Messverfahren sollten signifikant sein, wobei nicht die absolute Genauigkeit wichtig ist, sondern die Vergleichbarkeit der Messergebnisse. Bei Vergleichsmessungen müssen viele langweilige Wiederholungen durchgeführt werden, die für Kinder nicht motivierend aber notwendig sind, um zu einer konkreten Aussage zu kommen. Die Kinder sollten darauf hingewiesen werden, dass die Vielzahl der Einzelmessungen für die Genauigkeit eines Vergleichs wichtig ist und in der Zusammenfassung der Messungen wieder zu einem interessanten Ergebnis führt. Wie kommen Kinder auf Tabellen oder Graphen? Das muss durch ein Gespräch mit den Kindern und durch konkrete Anregungen unterstützt werden z. B. Gegenstände nach bestimmten Kriterien ordnen oder wiegen lassen, dazu eine Tabelle anfertigen oder das Ergebnis in Form von Säulen mit Legosteinen darstellen und in einen Graphen übertragen lassen. Messmethoden Vergleichsmessungen Tabellen oder Graphen Ein Prozess ist abgeschlossen, wenn er ein natürliches Ende findet Frau Ernst betonte gleich zu Beginn, dass sie Seminare zu diesem Thema normalerweise über drei Tage durchführt. Die vorgegebene Zeit für die Arbeit nach dieser Methode wäre eigentlich nicht ausreichend was sich auch bewahrheitet hat. Sie hat den Arbeitsprozessen der Kolleginnen viel Raum gegeben und wenig regulierend eingegriffen und hat damit ein Prinzip des Entdeckenden Lernens auch in die Gruppenarbeit einfließen lassen. Einige Fragen, die schon während des Tages diskutiert wurden, wie z. B. nach dem Spannungsfeld zwischen freiem Arbeiten und der Lenkung und Struktur des Unterrichts, ebenso wie die Regulierung einzelner Arbeitsphasen und die Ritualisierung von Prozessen innerhalb einer Gruppe, spiegelten sich für mich als Beobachterin auch in der Frustration mancher Kollegin wider. 25

Arbeitsgruppe 2 Arbeitsgruppe 2 Elisabeth Ahrens-Assem Marlene Braun-Schmidt Ursula Camin Dagmar Kirchhof Anne Küppers Jörg Mackenbach Hanna Most Gudrun Scharwächter Christiane Schröder Janine Schubert Protokoll: Alfred Peters, Gundula Meiering Vorerfahrungen von Kindern erkennen und nutzen Schriftspracherwerb und Mathematik im Anfangsunterricht Elke Engelhardt, Schriftspracherwerb, Gundula Meiering, Mathematik Kinder dort abholen wo sie sind und dort hinschicken wo sie noch nicht waren (nach Wittmann) Ziel der Veranstaltung war es die Kolleginnen und Kollegen für die unterschiedlichen Lernausgangslagen von Schulanfängern zu sensibilisieren. Außerdem soll für eine verstehende und akzeptierende Grundhaltung gegenüber Schülerlösungen geworben werden, insbesondere im Umgang mit fehlerhaften Lösungen. Als wichtigste Konsequenz aus dem Vorhandensein unterschiedlicher Lernvoraussetzungen wurde die Notwendigkeit differenzierender und flexibler Unterrichtsarbeit aufgezeigt und Anregungen für die konkrete Unterrichtspraxis gegeben. Das Lernen entdecken bei Schriftspracherwerb Frau Engelhardt stieg in ihr Thema mit der Fragestellung ein: Was müssen Lehrer mitbringen, um das Lernen der Kinder zu entdecken? Anschließend zeigte sie Schreibproben von 2 Kindern aus dem 1. Schuljahr (siehe Abb. 1). Die Workshopteilnehmer erkannten beim Vergleich der beiden Schreibproben sehr schnell den unterschiedlichen Entwicklungsstand und die Lernentwicklung der Kinder und folgerten daraus, dass sie entsprechend unterschiedliche Programme zur weiteren Lernentwicklung benötigen. 26 Quelle: P. Hanke, Anfangsunterricht Grundschule, S.22, Neuwied 2002

Vorerfahrungen von Kindern erkennen und nutzen Es wurde deutlich, dass der Schriftspracherwerb ein sehr individueller Prozess ist und dass Kinder gleichen Alters auf sehr unterschiedlichen Entwicklungsstufen stehen können. Sie benötigen für den Durchlauf einzelner Stufen unterschiedlich viel Zeit, dabei können Stufen aber nicht übersprungen werden (siehe Abb. 2). Es folgte ein Erfahrungsaustausch der Teilnehmer über Freies Schreiben in der 1. Klasse mit der Anlauttabelle. Quelle: R. Valtin Das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs, in: Die Unterstufe 9/91 Aktiv entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht Mit der Öffnung des Mathematikunterrichts, dem Schaffen von Räumen für individuelles Lernen, haben Lehrer häufig noch Schwierigkeiten. Was im Deutsch- und Sachkundeunterricht schon recht gut gelingt, bereitet in Mathematik noch Mühe. Grund dafür ist häufig das starre Festhalten an einem Lehrgang. Das Konzept des aktiv-entdeckenden Lernens impliziert ein verändertes Verhältnis der Lehrer und Lehrerinnen zu den Kindern. Beim Lernen durch Entdeckenlassen vertrauen sie auf die Fähigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler, ein Problem eigenständig lösen zu können. Die Aufgabe des Lehrenden besteht darin, durch komplexere Aufgabenstellungen Möglichkeiten zur intensiven Auseinandersetzung zu bieten und dabei die Kinder zu beobachten, anzuregen, Gespräche über Lern- und Lösungsversuche mit ihnen zu führen und dadurch zu lernen ihre Sprache zu verstehen. Kinder verfügen im Allgemeinen über ein beachtliches Grundverständnis mathematischer Inhalte, wobei es allerdings große Unterschiede innerhalb einer Lerngruppe gibt. Das erfordert ein großschrittiges Planen komplexer Aufgaben. Diese sollen für alle zugänglich sein und sich auf unterschiedlichen Niveaus bearbeiten lassen. Jedes Kind hat eigene Erfahrungen im Umgang mit Zahlen und eigene Vorstellungen von der Bedeutung der Zahlen. Will man ein wirkliches Verständnis mathematischer Inhalte und Freude an der Mathematik erzielen, muss man an den Voraussetzungen der Kinder ansetzen. Um diese zu diagnostizieren werden verschiedene Verfahren referiert. Beim Lernen durch Entdeckenlassen vertrauen sie auf die Fähigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler, ein Problem eigenständig lösen zu können 27