BORDERLINE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG UND ABHÄNGIGKEIT NEUE ENTWICKLUNGEN PD Dr. med. Marc Walter, MONA, Basel, 14.2.2011
I. Grundlagen der Borderline- Persönlichkeitsstörung II. Interventionen und Psychotherapie bei der BPS
I. Grundlagen der Borderline- Persönlichkeitsstörung Klassifikation der BPS, aktuelle Entwicklungen (DSM-V) Kernbergs Modell der Borderline- Persönlichkeitsorganisation Abhängigkeitserkrankung als Komorbidität bei BPS
Borderline-Persönlichkeitsstörung (DSM-V, proposed changes) Interpersonelle Instabilität Hohe Sensitivität für Ablehnung und Zurückweisung [Interpersonal Hypersensitivität] Impulsivität Impulsives und selbstschädigendes Verhalten, Wutausbrüche [Behavioral Dystregulation] Affektive Instabilität Gefühle innerer Leere Selbstverletzung und Suizidalität [Affective/Emotional Dysregulation] [Disturbed Self]
Borderline-Persönlichkeitsstörung / DSM-IV (DSM-V, proposed changes) 1. Verzweifeltes Bemühen, Verlassen werden vermeiden [anxious preoccupation with abandonment and rejection] 2. Muster instabiler aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen [between overinvolvement and withdrawal] 3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes und der Selbstwahrnehmung [including perceptions of self as bad] 4. Impulsivität 5. Suizidalität und wiederholte Selbstverletzungen [deliberate self-harming behavior] 6. Affektive Instabilität [chronic dysphoria with sudden shifts from irritability to anxiety and depression] 7. Chronische Gefühle von Leere 8. Heftige Wut oder Schwierigkeiten, Wut zu kontrollieren [violent outbursts] 9. Vorübergehende paranoide Vorstellungen oder dissoziative Symptome
Schwere Persönlichkeitsstörungen = mind. 2 Persönlichkeitsstörungen (NICE Clinical Guideline 2009) Persönlichkeitsstörung mit Identitätsstörung (Kernberg) Persönlichkeitsorganisation Identität Neurotische Persönlichkeitsorganisation Hysterische, Depressivmasochistische und Zwanghafte PS Gut integrierte Identität Borderline Persönlichkeitsorganisation Identitätsdiffusion Klinik Narzisstische PS Borderline PS Antisoziale PS = nicht integriertes Konzept des Selbst und wichtiger Bezugspersonen Widersprüchliches Verhalten, Widersprüchliche Selbstwahrnehmung, oberflächliche Wahrnehmung von anderen, chronische Leere (Clarkin et al. 2003, Stinson et al. 2008, Goldstein & Grant 2009)
Cluster B Persönlichkeitsstörungen (DSM-IV) Persönlichkeitsstörungen Schweregrad Identitätsdiffusion Narzisstische Persönlichkeitsstörung Muster von Grossartigkeit, dem Bedürfnis nach Bewunderung und Mangel an Einfühlungsvermögen Borderline Persönlichkeitsstörung Muster von interpersoneller und affektiver Instabilität und Impulsivität Antisoziale Persönlichkeitsstörung Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer Selbst und Beziehungsstörungen, einige aggressive Anteile Selbst und Beziehungsstörungen, starke abgespaltene Aggressionen Selbst und Beziehungsstörungen, Wut und Hass, fehlende Empathie und Gewissen (APA 2000, Clarkin et al. 2009)
Abhängigkeitserkrankungen bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung Empirische Daten Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit > 50% Drogenmissbrauch und -abhängigkeit > 50% (McGlashan et al. 2000, Walter et al. 2009, Trull et al. 2010)
Abhängigkeitserkrankungen bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung Merkmale 1. BPS mit erhöhtem Risiko für Manifestation einer Abhängigkeitserkrankung und anderen Achse I-Störungen 2. Achse I-Störung mit wenig bis keinem reziproken Effekt auf den Verlauf der BPS 3. BPS ist auch der Behandlungsfokus bei komorbiden Achse I-Störungen (Gunderson 2011)
II. Interventionen und Psychotherapie DBT Linehan. CIP Medien, 1996 DBT = Dialektisch-Behaviorale Therapie Clarkin, Yeomans, Kernberg. Schattauer, 2. Auflage, 2008 TFP = Übertragungsfokussierte Psychotherapie (Transference-Focused Psychotherapy)
Evidenz psychotherapeutischer Behandlungen Die Prognose für die psychotherapeutische Behandlung der Borderline Persönlichkeitsstörung ist in der Regel sehr gut (Zanarini et al. 2009) MBT = Mentalisierungsbasierte Therapie 4 evidenzbasierte störungsspezifische Psychotherapieverfahren mit Verbesserung subjektiver und objektivierbarer Parameter im Verlauf (Sollberger & Walter 2010) (Fonagy & Bateman 2009)
Therapeutische Grundannahmen (nach Linehan) Jedes Verhalten der Borderline Patientinnen macht im subjektiven Kontext Sinn Borderline Patientinnen wollen sich verbessern Borderline Patientinnen müssen sich stärker anstrengen, härter arbeiten und stärker motiviert sein, um sich zu verändern Borderline Patientinnen haben ihre Problem in der Regel nicht selbst verursacht, müssen sie aber selbst lösen
Therapeutische Grundregeln für den Beziehungsaufbau (nach Bohus) Therapeut achtet besonders auf die nonverbalen Signale Therapeut benennt seine eigenen Emotionen Therapeut balanciert zwischen Akzeptanz und Drängen auf Veränderung Therapeut balanciert zwischen Einhaltung von Regeln und Flexibilität Therapeut balanciert zwischen stützender und wohlwollend fordernder Haltung
Therapeutische Beziehung Übertragung Positive und negative Gefühle vom Patienten werden auf den Therapeuten übertragen 1. Historisch: Neuinszenierung vergangener Beziehungen 2. Modern: Neuinszenierung einer neuen Beziehung, inkl. Einfärbungen aus der Vergangenheit (Cooper 1987)
Therapeutische Beziehung Gegenübertragung Emotionale Reaktion des Therapeuten auf die Patientin (Kernberg 2002) 1. Konkordante Gegenübertragung: Therapeut identifiziert sich mit dem zentralen subjektiven Erleben der Patientin, etwa mit dem Gefühl ein Opfer zu sein 2. Komplementäre Gegenübertragung: Therapeut identifiziert sich mit dem abgespaltenen und projizierten Anteil (Aggressiv-sadistisch, Täter )
Therapeutische Interventionen BPS mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit Setting: - Geschlossene Behandlung kann traumatisierend erlebt werden und/oder mit starken Regressionen verbunden sein - Geschlossene Entzugsabteilungen nur im Notfall (Eigen- oder Fremdgefährdung, Komplikationen), Behandlung begrenzen Techniken: - Empathische und wertschätzende Grundhaltung - Extreme Positionen vermeiden (Gegen-Agieren, Passivität) PT 1. Stufe sucht
Therapeutische Interventionen und Psychotherapie BPS mit Alkohol- und Drogenkonsum Spezielle Probleme in der ambulanten Behandlung Techniken: Balance zwischen empathischen Vorgehen (Motivationale Gesprächsführung, MI) und Konfrontation «Rückfallprophylaxe» ermöglicht über die Analyse der Konsummuster einen Zugang zu Affekten, Gefühlen und interpersonellen Stressoren PT 2. Stufe sucht
Psychotherapie BPS mit Alkohol- und Drogenkonsum Psychotherapie i.e.s. (z.b. TFP) «Sucht verschwindet» 1. Wahl des Hauptthemas ( der Affekt leitet, z.b. Suizidalität) 2. Schutz des therapeutischen Rahmens (Agieren vermeiden) 3. Analyse positiver und negativer Übertragungen 4. Anwendung der Gegenübertragung PT 3. Stufe sucht
Psychotherapie Möglichkeiten 1. (Direkte) Aggressionen gegenüber Therapeuten entstehen und werden bearbeitet 2. Wahrnehmung und Verbalisierung von Gefühlen gelingt 3. Substanzkonsum kann eingegrenzt werden (3. Stufe)
Psychotherapie Grenzen 1. «Innerer Rückzug» des Therapeuten mit Gefühlen von Müdigkeit und Langeweile in der Gegenübertragung 2. Schwere komorbide antisoziale/ psychopathische Persönlichkeit 3. Schwerer anhaltender Substanzkonsum ( 1. Stufe)
DANKE FÜR DIE AUFMERKSAMKEIT Marc Walter Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel marc.walter@upkbs.ch www.upkbs.ch