Kopfgeometrie zur Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens im Mathematikunterricht in der Sekundarstufe

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Kopfgeometrie Vorbemerkung

Transkript:

Kopfgeometrie zur Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens im Mathematikunterricht in der Sekundarstufe Head geometrics for the support of spatial ability in mathematics teaching in secondary education Verfasser: Marc Hohmann Adresse: Felkeweg 7, 67346 Speyer Matrikelnummer: 212200976 E-Mail: hohm6505@uni-landau.de Studiengang: Bachelor of Education Fach: Mathematik Erstbetreuer: Zweitbetreuer: Frau Dr. Melanie Platz Herr Prof. Dr. Jürgen Roth

Vorwort Vorwort Während des Studiums wurde mir in einer Vorlesung, welche die Didaktik der Geometrie behandeln sollte, die Kopfgeometrie vorgestellt und dabei als eine der wichtigsten Aktivitäten zur Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens benannt. Nach intensiver Auseinandersetzung mit der Thematik, vor allem im Zuge einer modulumfassenden mündlichen Prüfung, kam ich unter anderem auch mit dem Artikel Kopfgeometrie von Kerst (1920) in Kontakt. Dieser weckte mein Interesse zur Kopfgeometrie, zum Lösen vorstellungsbasierter, geometrischer Aufgaben und für ein Anwenden solcher Übungen im Mathematikunterricht der Sekundarstufen. Nicht nur in der Theorie konnte ich meine Kenntnisse erweitern, auch im privat, beim Präsentieren und Durchführen solcher Übungen, sammelte ich schließlich viele Erfahrungen. Der Gedanke, diese Arbeit über Kopfgeometrie, ihre Vor- und Nachteile, ihr Potenzial für den Schüler und ihre Vielfalt an möglicher Übungen zu schreiben, entstand vor allem aus dem Interesse an und dem Vergnügen mit ihr. Gleichzeitig bestand aber auch das Ziel, eine Zusammenfassung historischer und aktueller Literaturrecherche zu erstellen, welche zudem eine Vielzahl an möglicher kopfgeometrischer Übungen aus unterschiedlichen Werken für den Mathematikunterricht übersichtlich zusammenfasst. Besonders möchte ich mich bei meiner betreuenden Dozentin Frau Dr. Platz bedanken, die mir stets für Fragen und bei Problemen zur Seite stand und gleichzeitig die Zeit und Mühen auf sich nahm, sich intensiver mit meinen Entwürfen zu befassen. Auch Herrn Prof. Dr. Roth möchte ich für die Vorlesung zu jenem Zeitpunkt danken, welche mich schlussendlich auf dieses Thema aufmerksam gemacht hat. Darüber hinaus gilt der Dank auch meinen Eltern, meiner Freundin, Alexina Bühler, und auch meinen guten Freunden, Sabrina Dattge und Moritz Kopf. Durch ihre Tipps und Anregungen, ihre stets aufgebrachte Geduld beim Mitmachen der Übungen und die Zeit, welche sie in zahlreiche Stunden zum Korrekturlesen investierten, haben sie entscheidend zu dieser Bachelorarbeit beigetragen. Vielen Dank! 2

Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht 1. Einleitung.................................................................... 4 2. Inhaltliche Einführung Begriffsumfang.................................. 7 2.1 Räumliches Vorstellungsvermögen........................................ 7 2.2 Kopfgeometrie............................................................ 11 2.2.1 Abgrenzung zum Kopfrechnen....................................... 12 2.2.2 Aufbauvariationen der Kopfgeometrieaufgaben..................... 14 3. Praktische Umsetzung in der Schule....................................... 19 3.1 Stufe 1 Gymnasiale Orientierungsstufe................................... 19 3.2 Stufe 2 Gymnasiale Mittelstufe.......................................... 25 3.3 Mathematische Vorstellungsübungen..................................... 42 3.4 Stufe 3 Gymnasiale Oberstufe........................................... 46 4. Tipps & Hilfen für Lehrer.................................................... 52 5. Legitimation der Kopfgeometrie für die Schule........................... 55 5.1 Vorteile und Gefahren der Kopfgeometrie................................. 55 5.1.1 Vorteile und Ziele.................................................... 55 5.1.2 Gefahren............................................................. 57 5.2 Darf ich Kopfgeometrie in der Schule betreiben?.......................... 58 5.3 Trivia Selbstheilungskräfte durch Mentaltraining........................ 60 6. Resümee.................................................................... 62 7. Anhang...................................................................... 65 8. Literaturverzeichnis........................................................ 70 3

Einleitung 1. Einleitung Geometrie auf der niedrigsten Stufe, der nullten Stufe ist die Erfassung des Raumes. Und da wir von Erziehung des Kindes sprechen, ist es die Erfassung des Raumes, in dem das Kind lebt, atmet, sich bewegt, den es kennen lernen muss, den es erforschen und erobern muss, um besser in ihm leben, atmen und sich bewegen zu können. (Freudenthal 1973, zit. nach Bruder, R. et al. 2015, S. 186) Die Kopfgeometrie soll diesen Entwicklungsprozess unterstützen, indem sie dem Kind hilft, sein räumliches Vorstellungsvermögen, eines der wichtigsten Grundlagen all dieser Aktivitäten, zu entwickeln, zu trainieren und zu fördern. Deshalb beschäftigt sich diese Arbeit mit der Kopfgeometrie, ihren charakteristischen Eigenschaften und der Möglichkeit ihres Einsatzes im Mathematikunterricht in den Sekundarstufen durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Aufgaben. Die Kopfgeometrie legt dabei weniger Wert auf ein Automatisieren verschiedener mathematischer Algorithmen oder auf ein Ausbilden von Handlungsabläufen im Gegensatz zum bekannten Kopfrechnen. Vielmehr dienen kopfgeometrische Aufgaben der Entwicklung, dem Training und der Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens, einem Primärfaktor der menschlichen Intelligenz. Gardner (1991, zit. nach Maier 1999b, S. 9) betont, dass ein gut ausgebildetes räumliches Vorstellungsvermögen ein unschätzbarer Vorteil in unserer Gesellschaft ist. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf große Kapitel. Zunächst zeigt eine inhaltliche Einführung den Begriff der Kopfgeometrie und dessen Umfang auf. Dabei werden zuerst das räumliche Vorstellungsvermögen und dessen Subfaktoren dargestellt, wobei vor allem Linn & Petersens (1985) und Thurstones (1938, 1935) Werke maßgebend sind. In beiden Werken sind dazu Studien und Experimente herangezogen worden, um mögliche mentale Fähigkeiten die primary mental abilities zu finden. Neben diesen Standardwerken haben weitere Autoren, wie Maier (1999a; 1999b) und Besuden (1984), großen Einfluss auf die Akzeptanz dieser primary mental abilities (dt.: primäre mentale Fähigkeiten, häufiger auch: Primärfaktoren der Intelligenz). 4

Einleitung Aufbauend darauf wird die Kopfgeometrie anhand einer klassischen Aufgabe vorgestellt, wobei charakteristische Merkmale heraus gedeutet und mittels prägnanter Definitionen unterlegt werden. Hierfür wurden vor allem Texte von Roth & Wittmann (2014) und Gimpel (1992) verwendet. Kopfgeometrie und Kopfrechnen suggerieren aufgrund ihres Wortaufbaus viele Gemeinsamkeiten. Aufgezeigt wird diese Fehlannahme anhand eines Beispiels aus einem Schulbuch, bevor verschiedene methodische Vorgehensweisen bei kopfgeometrischen Übungen aufgezeigt werden, mit welchen sich vor allem Senftleben (1996) intensiver befasste und dabei eine klare Übersicht in seiner Explikation lieferte. Nachdem nun die wichtigsten Begriffe und ihre charakteristischen Eigenschaften näher beleuchtet und dargestellt wurden, stehen im dritten Kapitel eine Vielzahl kopfgeometrischer Aufgaben, teilweise in Verbindung mit Abbildungen, im Mittelpunkt. Hierbei wird auf eine Einordnung in die verschiedenen Jahrgangsstufen, im Hinblick auf das Schwierigkeitsniveau, geachtet. Die aufgeführten Aufgaben sollen jeweils kommentiert werden, wobei die Art der Kopfgeometrieaufgabe, die Möglichkeit eines Einsatzes von Hilfsmitteln und die beanspruchten Fähigkeiten des räumlichen Vorstellungsvermögens im Vordergrund stehen. Für diese Sammlung wurde eine Vielzahl an historischer und aktueller Literatur herangezogen. Neben Radatz & Rickmeyer (1991), Besuden (1984) und Degner & Kühl (1984) wurden vor allem Auszüge aus Maier (1999b; 1999a; 1996) verwendet, dessen Forschungen und Ergebnisse sich sicherlich als Meilensteine zählen lassen. Gegen Ende dieses Kapitels wird eine neue Form mathematischer Kopfaufgaben, sog. mathematische Vorstellungsübungen, kurz vorgestellt, welche kopfgeometrische Aufgaben um fachliche Pointen erweitern und von Weber (2010, 2007) propagiert werden. Um den Einsatz von Kopfgeometrie bzw. von mathematischen Vorstellungsübungen im Mathematikunterricht zu erleichtern, werden im vierten Kapitel einige Tipps und Hilfen für Lehrer vorgeschlagen. Bereits Kerst (1920) stellte viele Bedingungen vor, welche von Senftleben (1996) und weiteren Autoren ergänzend aufgezählt werden sollen. Abschließend wird im fünften Kapitel zum einen der Fokus auf die Vorteile bzw. auf die Gefahren gelenkt, welche die Kopfgeometrie im Unterricht mit sich bringen kann. Neben Roth & Wittmann (2014) und Hammer (2011) wurden dabei zahlreiche weitere Quellen für diese Sammlung herangezogen. Zum anderen erfolgt, mithilfe des Lehrplans der Sekundarstufe I 5

Einleitung und II, eine Begründung für den Einsatz kopfgeometrischer Aufgaben, wobei Maier (1999b; 1999a; 1996) als großer Befürworter aufgeführt wird. Das sechste Kapitel fasst die gesamten Gedanken dieser Arbeit kurz und prägnant zusammen und gibt zugleich einen Ausblick und mögliche Ideen, wie bzw. in welche Richtung sich das Thema Kopfgeometrie in der Schule weiterentwickeln wird. Diese Arbeit verfolgt dabei drei Ziele: Erstens wird mittels einer ausführlichen Einführung der Leser mit der Kopfgeometrie bekannt und vertraut gemacht. Er soll dazu animiert werden, sich intensiver mit dem Thema auseinander zu setzen, Aufgaben zu entwickeln oder selbstständig im Idealfall als Lehrer im Mathematikunterricht kopfgeometrische Übungen durchzuführen. An vielen Stellen dieser Arbeit wird deutlich, welche Vorteile und Möglichkeiten der Einsatz von Kopfgeometrie in der Schule mit sich bringt und welche mathematischen Ziele damit erfüllt werden können. Deshalb ist das zweite Ziel, die Notwendigkeit kopfgeometrischer Übungen im Mathematikunterricht in allen Jahrgangsstufen aufzuzeigen. Drittens und das Hauptziel dieser Arbeit ist es, eine Sammlung historischer und aktueller Literaturrecherche zu erstellen, welche eine Vielzahl an möglicher kopfgeometrischer Übungen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades für den Mathematikunterricht aus verschiedenen Werken übersichtlich zusammenfasst, um sowohl den Einstieg in das Thema zu erleichtern als auch erste literarische Anregungen zu geben. Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf dem Einsatz von Kopfgeometrie in der Schule, vor allem im Mathematikunterricht. Eine detaillierte historische Entwicklung dieses Begriffes, wie sie bspw. Royar & Streit (2006) oder auch Senftleben (1996) darstellen, bleibt unberücksichtigt. Auch eine umfassende Behandlung der mathematischen Vorstellungsübungen würde den Umfang dieser Arbeit sprengen, weshalb dieses Thema auf die, für diese Arbeit, wichtigsten Aspekte reduziert wurde. Näheres lässt sich vor allem in unterschiedlichem Ausmaß in Weber (2011b; 2011a; 2010; 2009; 2007) finden. 6

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Zu Beginn möchte ich darauf hinweisen, dass, zur besseren Lesbarkeit, auf geschlechtsspezifische Formulierungen verzichtet wurde. Selbstverständlich beziehen sich alle gewählten personenbezogenen Bezeichnungen auf beide Geschlechter, falls nicht explizit auf ein bestimmtes Bezug genommen wird. 2. Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Um über Kopfgeometrie sprechen zu können und diese auch sinnvoll in der Schule einzusetzen, bedarf es zu Beginn einiger Erläuterungen sowohl zu den Eigenschaften, als auch zum strukturellen und inhaltlichen Aufbau der Kopfgeometrie. Denn was ist nun genau Kopfgeometrie bzw. was sind ihre charakteristischen Eigenschaften? Gibt es verschiedene methodische Vorgehensweisen? Bevor eine Beantwortung der ersten Frage ausreichend erfolgen kann, muss zunächst eine übergeordnete Ebene, die Ebene des räumlichen Vorstellungsvermögens, in den Fokus genommen werden. Der folgende Abschnitt orientiert sich vorrangig an dieser Thematik. 2.1 Räumliches Vorstellungsvermögen Thurstone gilt als Pionier der Intelligenzforschung. Er fand in seinen Untersuchungen mithilfe der Faktorenanalyse von empirischen Daten heraus, dass sich die menschliche Intelligenz aus insgesamt sieben Faktoren, den primary mental abilities, zusammensetzen lässt (Thurstone 1938). Neben dem räumlichen Vorstellungsvermögen oder auch Raumvorstellung (1) (engl.: space) wurden weitere Primärfaktoren der Intelligenz wie das sprachliche Verständnis (2) (verbal comprehension), die Wortflüssigkeit (3) (word fluency), die Rechengewandtheit (4) (number), die Auffassungsschnelligkeit (5) (perceptual speed), die Merkfähigkeit (6) (associative memory) und das logisch-schlussfolgernde Denken (7) (reasoning) ermittelt (Thurstone 1938, S. 94f.; siehe hierzu auch Besuden 1984, S. 70ff.; Kubinger 2006, S. 12; Schaie 2010, 1286ff.; Weber 2011a; Maier 1999a, S. 18ff.). Nun stellt sich die Frage, was unter räumlichem Vorstellungsvermögen verstanden werden kann. Ilgner (1974, S. 693) definiert hierzu die räumliche Vorstellung als ein sinnliches Abbild, das ohne Präsenz des Objektes die räumliche Beschaffenheit und Lage des Gegenstan- 7

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang des widerspiegelt. Eine weitere Möglichkeit liefert Besuden (1984, S. 66), indem er mehr auf die Reproduzierbarkeit von Raumbezügen eingeht und definiert schließlich Raumvorstellung als ein durch geistige Verarbeitung (Verinnerlichung) von Wahrnehmungen an dinglichen Gegenständen erworbenes Vermögen, das sich der Raumbezüge bewusst geworden ist und diese reproduzieren kann. Räumliches Vorstellungsvermögen kann auf diese Weise sehr prägnant als die Fähigkeit des mentalen Operierens mit räumlichen Objekten (Franke 2007, S. 52) oder als die Fähigkeit, in der Vorstellung räumlich zu sehen und räumlich zu denken (Maier 1999a, S. 14) beschrieben werden. Roth & Wittmann (2014, S. 147) betonen zudem zwei weitere Fähigkeiten: Eine aktive Umordnung von im Gedächtnis gespeicherten Vorstellungsbildern und die Fähigkeit, in der Vorstellung aus vorhandenen Bildern neue zu entwickeln sind ebenfalls Aspekte des räumlichen Vorstellungsvermögens. Um im zwei- und dreidimensionalen Raum zu agieren, bedarf es einer Reihe von Fähigkeiten, welche als Voraussetzungen für ein räumliches Vorstellungsvermögen unabdingbar sind. Thurstone (1938) fand in seinen Forschungen weiter heraus, dass diese Intelligenzdimension eine sehr hohe Komplexität (Maier 1999b, S. 9) aufweist und sich in drei voneinander unabhängigen Subfaktoren zerlegen lässt: Räumliche Beziehungen (spatial relations) Veranschaulichung (visualization) und räumliche Orientierung (spatial orientation). Sowohl Franke (2007), Radatz & Rickmeyer (1991) als auch Besuden (1984), orientieren sich an diesen drei von Thurstone begründeten Teilkomponenten. Linn & Petersen (1985, S. 1482ff.) hingegen deuteten in ihrer Metaanalyse drei ähnlich autarke Subfaktoren heraus (vgl. hierzu auch Grüßing 2002): Vorstellungsfähigkeit von Rotationen (mental rotation) Veranschaulichung (spatial visualization) und Räumliche Wahrnehmung (spatial perception). 8

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Standpunkt des Schülers Statische Denkvorgänge Dynamische Denkvorgänge Schüler befindet sich außerhalb Schüler befindet sich innerhalb Räumliche Beziehungen Räumliche Wahrnehmung Deutlich wird, dass die Teilkomponente der Veranschaulichung bei beiden Modellen auftritt, was Maier (1999a, S. 50f.) dazu veranlasst, die Subfaktoren von Thurstones 3-Faktoren- Analyse und die aus dem Kategoriensystem von Linn & Petersen zusammenzufassen. Er beschreibt die Intelligenzdimension des räumlichen Vorstellungsvermögens mit fünf Teilkomponenten (Maier 1999b, S. 9), wodurch ein breites und tragfähiges Fundament zu einem umfassenden und lückenlosen Trainingsprogramm zur Raumvorstellung geschaffen (ebd.) wird. Maier fasst diese fünf Komponenten anschaulich in einer Grafik (Tab. 1) zusammen, indem er zum einen den Standpunkt der Person und zum anderen die Art des Denkvorgangs (statisch oder dynamisch) miteinbezieht. Diese Landkarte (ebd.) vermittelt einen klaren Überblick über die verschiedenen Relationen der einzelnen Begriffe. Rechts-Links- Unterscheidung Tab. 1: Landkarte der Subfaktoren nach Maier (1999b, S. 14) Veranschaulichung/ Visualisierung Mentale Rotation Räumliche Orientierung Während bei einem statischen Denkvorgang räumliche Relationen zwischen sich nicht bewegten Objekten wahrgenommen werden, also keine Bewegungsvorstellung stattfindet, findet bei einem dynamischen Denkvorgang eine Veränderung von räumlichen Relationen am Objekt bzw. zwischen den Objekten (Maier 1999b, S. 9) oder auch der räumlichen Relation der Person zum Objekt statt. Die Fähigkeit, rechts von links zu unterscheiden, ist ebenfalls ein statischer Denkvorgang und reiht sich unter die räumliche Orientierung ein. Dabei befindet sich die Person innerhalb der Situation und muss mit diesen beiden räumlichen Begriffen operieren und sich im Raum orientieren. Eine genaue Erläuterung und Vertiefung der verschiedenen Subfaktoren soll an dieser Stelle nicht geschehen. Definitionen und Erklärungen unter Zuhilfenahme von Beispielen lassen sich bspw. in Roth & Wittmann (2014; S. 148f.), Franke (2007, S. 55ff.), Grüßing (2002, 9

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang S. 37f.), Maier (1999b, S. 10ff. und 1999a, S. 51ff.), Radatz & Rickmeyer (1991, S. 17) und auch Besuden (1984, S. 71) finden. Räumliches Vorstellungsvermögen ist aber keinesfalls, wie man etwa vermuten könnte, das Ergebnis passiv angesammelter Abbilder der Wirklichkeit, welche im Alltag durch visuelle Wahrnehmung abgespeichert werden. Vielmehr beeinflussen alle Sinnesvorstellungen sowohl sich gegenseitig, als auch das räumliche Vorstellungsvermögen in vielfältiger Art und Weise, wodurch sich dieses zu einer lebendigen dynamischen Fähigkeit (Ilgner 1974, S. 694) entwickelt, die wiederum das mentale Operieren von Franke (2007) aufgreift. Die Raumvorstellung ist eine bedeutsame Komponente der menschlichen Intelligenz und eine zentrale Fähigkeit, die unsere Wahrnehmung und Vorstellung von der Umwelt und damit die Qualität der Interaktion mit ihr nachhaltig beeinflusst (Maier 1999b, S. 4). Offensichtlich ist eine leistungsfähige räumliche Intelligenz (Gardner 1991, zit. nach Maier 1999b, S. 9) eine unabdingbare Qualifikation, um in der Gesellschaft eine positive Stellung einzunehmen. Nun stellt sich also die Frage, ob es Möglichkeiten gibt, das räumliche Vorstellungsvermögen zu fördern, es zu erweitern und zu schulen. Die Antwortet lautet: Ja! Eine solche Möglichkeit, die Kopfgeometrie, soll nun vorgestellt werden. Will der Lehrer die geometrischen Vorstellungskräfte des Kindes entwickeln, so muss er sich entschließen, an geeigneten Stellen 'Kopfgeometrie' zu treiben. Diese Kopf geometrie ist ebenso wichtig wie das Kopfrechnen. Nur sie ermöglicht die Entfaltung der Kräfte der Raumanschauung, die [ ] das wichtigste Mittel sind, geometrische Fragen zu lösen. (Breidenbach 1966, S. 56) Der folgende Abschnitt greift die eingangs gestellte erste Frage auf und versucht dann die Kopfgeometrie anhand kleiner Beispiele zu bekannten, denkbar analogen Begriffen abzugrenzen. Eine Erläuterung zum Aufbau kopfgeometrischer Aufgaben und möglicher methodischer Vorgehensweisen soll im Anschluss als Antwort auf die verbleibende zweite Frage dargestellt werden. 10

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang 2.2 Kopfgeometrie Aufgabe 1: Bei einem herkömmlichen Spielwürfel beträgt die Augensumme gegenüberliegender Seiten stets sieben. In der Ausgangsposition zeigt der Würfel schräg rechts die Ziffer 4, schräg links die Ziffer 2 und oben ist die Ziffer 6 zu sehen. Aufgabe: Kippe den Würfel in Gedanken erst nach hinten, dann nach links, schließlich noch zwei mal nach vorn und einmal nach hinten. Welche Augenzahlen kannst du jetzt erkennen? Anhand dieser klassischen Kopfgeometrieaufgabe lassen sich erste charakteristische Eigenschaften der Kopfgeometrie aufzeigen. Sowohl der Informationstext der Aufgabe als auch die Aufgabe selbst werden dem Schüler nicht vorgelegt, sondern ihm nur verbal mitgeteilt. Zur Präsentation oder Veranschaulichung der Aufgabenstellung werden keine Hilfsmittel wie ein Modell des Würfels, Skizzen oder andere ähnliche Gegenstände verwendet. Das Bearbeiten der Aufgabe erfolgt ausschließlich im Kopf, wobei ein geometrischer Sachverhalt, hier das Bewegen der Würfels, mental visualisiert, manipuliert und neu entwickelt wird. Dadurch wird das Problem, nämlich die zu beantwortende Frage, vorstellungsbasiert (Weber 2011, S. 32) bearbeitet, wobei auf bereits bekannte Vorstellungen, Erfahrungen und verinnerlichte Handlungen zurückgegriffen werden muss, die dann in den Problemlösungsprozess mit einfließen. Dieser besteht aus einer Vielzahl an Operationen wie Dynamisierungen, Umstrukturierungen, Variationen, Kombinationen (Royar & Streit 2006, S. 26) und Manipulationen. Die Präsentation der Lösung wird, wie die Aufgabe selbst, verbal dargestellt. Diese Form einer Kopfgeometrieaufgabe zeigt zum einen die klassische Charakteristik einer solchen Aufgabe auf und spiegelt zum anderen die Grundgedanken der Väter der Kopfgeometrie (die vermutlich auf Kerst [1920] und Treutlein [1911] zurückgeht) wider. Eine sehr prägnante Definition liefern Roth & Wittmann (2014, S. 151). Nach ihnen ist Kopfgeometrie nichts Anderes, als das Lösen geometrischer Aufgaben im Kopf, also ohne Hilfsmittel. Es kann dabei nur auf eigene Vorstellungen und sprachlich formuliertes Wissen über die vorkommenden Objekte zurückgegriffen werden. 11

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Eine etwas ältere und ausführlichere Definition lautet: Kopfgeometrie ist 'hilfsmittelfreie' Geometrie, das heißt, wenn man sie betreibt, dürfen gegenständliche Modelle oder [Skizzen] als Gedächtnisstützen nicht verwendet werden. Bei ihr bilden einzig und allein Vorstellungen über geometrische Objekte und sprachlich formuliertes Wissen über sie das 'Handwerkszeug' zum Lösen geometrischer Aufgaben. [ ] Das Lösen geometrischer Aufgaben im Kopf erfordert die Fähigkeit, sich geometrische Gebilde vorstellen zu können, ihre Lage, ihre Größe und ihre Form zu variieren, sie zu kombinieren und dabei das Wissen über sie anzuwenden. (Gimpel 1992, S. 257) Sowohl Roth & Wittmann, als auch Gimpel sprechen in ihrer Definition das Lösen kopfgeometrischer Aufgaben ohne Hilfsmittel bzw. hilfsmittelfrei an. Auch die Aspekte des sprachlich formulierten Wissens und der eigenen Vorstellungen sind in beiden Aussagen zu finden. Im Gegensatz zu Roth & Wittmann geht Gimpel jedoch noch konkreter auf das Lösen solcher Aufgaben ein, indem er die Fähigkeiten, welche an die Subfaktoren des räumlichen Vorstellungsvermögens erinnern, aufzählend darstellt. Aufgrund dieses Zusatzes bevorzugt der Verfasser dieser Arbeit Gimpels Definition, da eben nicht nur das hilfsmittelfreie Lösen unter Einbeziehung von sprachlich formuliertem Wissen und eigenen Vorstellungen als charakteristische Merkmale genannt, sondern auch die dafür benötigten grundlegenden Fähigkeiten aufgezeigt werden. 2.2.1 Abgrenzung zum Kopfrechnen Kopfgeometrie bildet in der Geometrie das Pendant zum Kopfrechnen. Aber worin genau liegt der Unterschied dieser beiden, vermeintlich ähnlichen Begriffe? Während die Kopfgeometrie wie bereits oben beschrieben, bestimmte Fähigkeiten zum mentalen Operieren und Vorstellungen über geometrische Objekte erfordert, werden beim Kopfrechnen Algorithmen abgearbeitet, was bei elementaren Aufgaben als Fertigkeit ausgebildet und damit automatisiert werden muss (Gimpel 1992, S. 257). Es besteht also keine inhaltliche Analogie zwischen Kopfrechnen und Kopfgeometrie (Franke 2007, S. 66). 12

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Das folgende Beispiel 1, welches relativ einfach im Kopf zu lösen ist, soll diesen Unterschied verdeutlichen: Aufgabe 2: Bestimmen Sie die Ableitung f ' ( x) von f (x)=5x 5. Lösung: 1. Der Schüler kennt die zuvor gelernte Potenzregel Für f (x)=x n mit n Zist f ' ( x)=n x n 1 und wendet diese auf die Ausgangsfunktion für n=5 an, 2. die Zahl 5 wird mit der Potenz 5 multipliziert, 3. von der Potenz 5 wird anschließend 1 subtrahiert. Eine solche klassische Kopfrechenaufgabe verdeutlicht, dass der Algorithmus und die trivialen Grundrechenaufgaben für die Lösung dieser Aufgabe zügig beherrscht werden. Mehrere solcher Aufgaben gilt es dann als Hausaufgabe zu lösen, wodurch die bereits genannten Fertigkeiten entwickelt werden, die für eine Automatisierung solcher Prozesse sorgen. Kopfgeometrie versteht sich also als Fähigkeit, die mehr auf Verstehen denn auf 'Beherrschen' (Streit & Pinkernell 2011, S. 4) abzielt, wohingegen das Kopfrechnen als eine Fertigkeit zum Abrufen von eingeschliffenen Handlungsabläufen (Gimpel 1992, S. 257) angesehen wird. In den vergangenen Jahren haben sich einige methodisch unterschiedliche Vorgehensweisen kopfgeometrischer Aufgaben aufgetan, die sich sowohl in der Phase der Aufgabenstellung als auch in der Präsentationsphase unterscheiden. Senftleben (1996) versucht diese zu ordnen und stellt die verschiedenen Arten in seiner Explikation dar. Eine Darlegung dieser soll im weiteren Verlauf erfolgen. 1 In Anlehnung an Gimpel (1992, S. 258). Die Aufgabe ist aus o. V. (2007, S. 64) entnommen. 13

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang 2.2.2 Aufbauvariationen der Kopfgeometrieaufgaben Reine Kopfgeometrie Die zu Beginn dieses Kapitels gestellte Kopfgeometrieaufgabe entspricht dem klassischen Charakter und wird mit dem Begriff der reinen Kopfgeometrie verbunden. Diese zeichnet sich durch ein Unterlassen jeglicher Hilfsmitteln, sowohl in der Phase der Aufgabenstellung, als auch in der Präsentation, aus. Die Aufgabe wird verbal gestellt, anschließend folgt die Phase des räumlichen Denkens, in welcher der Schüler mental im Kopf operiert. Die Lösung wird im Anschluss wiederum mündlich mitgeteilt. Dabei findet eine Rückübersetzung [ ] aus der mentalen visuellen Repräsentation in den gegeben Wort-, Bild- und/oder Modellkontext der Aufgabestellung (Roth 2011, S. 28) statt. Dieses methodische Vorgehen lässt sich, in Anlehnung an Senftleben, in einer Tabelle übersichtlich zusammenstellen: Phase 1 Aufgabenstellung Phase 2 Operieren im Kopf Phase 3 Präsentation Lehrer verbalisiert die geometrische Fragestellung. Vorstellen, Problemlösen, mentales Operieren im Kopf ohne Hilfsmittel. Ergebnispräsentation in verbaler Form. Tab. 2: Methodisches Vorgehen kopfgeometrischer Aufgaben nach Senftleben (1996, S. 54) Erste Aufgaben mit solchen Eigenschaften lassen sich bereits bei Diesterweg (1790-1866) finden, der seine Seminare damit begann, dass das Gas (Licht) ausgedreht (zit. nach Treutlein 1911, S. 113) werden sollte, um geometrische Aufgaben im Kopf zu lösen. Der Begriff der Kopfgeometrie wurde schließlich als Pendant zum Kopfrechnen von Treutlein (ebd.) und Kerst (1920) eingeführt. Neben Treutlein (1911), der die innere Anschauung der betreffenden Körperformen als alleiniges Hilfsmittel für die Bearbeitung der Übungen vorgibt (edb., S. 113), spricht auch Kerst (1920) von der Fähigkeit, sich geometrische Gebilde ohne sinnliche Hilfsmittel (ebd., S. 217) vorstellen zu können, wodurch dieser mit ihnen vertrauter wird und in der Folge geschickter operieren kann. Er definiert die Kopfgeometrie daraufhin sehr knapp als Übungen, bei denen nur in der Phantasie, ohne Zeichnung oder Modell mit den Gebilden gearbeitet wird (ebd., S. 217; Hervorhebung durch den Verfasser dieser Arbeit 2015). Auch Degner & Kühl (1984, S. 342) schließen sich diesen reformpädagogischen Gedanken an und bevorzugen ein Bearbeiten der Kopfgeometrieaufgaben im dunklen Raum, wobei der Lehrer seine Hinweise und [ ] Fragen [...] ohne jede Gestik formuliert. 14

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Die Würfelaufgabe verdeutlicht, dass zur Lösung solcher reiner kopfgeometrischer Aufgaben konkrete Erfahrungen und Wissen über die zu behandelten Objekte vorhanden sein müssen, etwa die Symmetrie eines Würfels, die Anzahl der Augen auf jeder Seite (falls dies nicht bereits in der Aufgabenstellung formuliert wurde) und die Form der Seitenflächen bzw. des ganzen Würfels. Ein weiteres Beispiel 2 hebt die Wichtigkeit von Erfahrungen und Wissen über entsprechende geometrische Begriffe hervor: Aufgabe 3: Ein Rechteck steht auf einer horizontalen Geraden g. Halbiere die Strecke BC, nenne den Mittelpunkt M. Verbinde D mit M und A mit M. Welche Dreiecke siehst du? Welche Dreiecke sind flächengleich? Hier wird nochmals deutlich, dass eine solche Aufgabe ohne bereits gesammelte Erfahrungen oder Wissen über die wesentlichen Eigenschaften (wie etwa Symmetrieeigenschaften, Winkelgrößen, Seiten- und Längenverhältnisse, Anordnung der Punkte in einem Rechteck) der Objekte nur schwer zu bewältigen ist. Kopfgeometrie mit Hilfsmitteln in der Phase 1 In der Regel sind solche reinen Kopfgeometrieaufgaben ohne ein Repertoire an Wissen (diese und weitere Voraussetzungen sollen im nachfolgenden Abschnitt kurz thematisiert werden) über geometrische Sachverhalte nur schwer lösbar. Aus diesem Grund bietet es sich zum Beispiel an, in der Phase der Aufgabenstellung geeignetes Material als Hilfestellung zur Verfügung zu stellen. Die beiden übrigen Phasen verlaufen analog zu denen der reinen Kopfgeometrie (vgl. S. 13f.) ab. 2 Vgl. hierzu Degner & Kühl 1984, S. 344. 15

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Tabelle 3 soll hierzu einen groben Überblick geben: Phase 1 Aufgabenstellung Phase 2 Operieren im Kopf Phase 3 Präsentation Mithilfe von Gestik, Modellen, Körpernetzen, Gegenständen, Zeichnungen, Text, Bildern oder mit einem Dynamischen Geometrie- System (DGS) wird die verbal gestellte Aufgabe unterstützt. Vorstellen, Problemlösen, mentales Operieren im Kopf ohne Hilfsmittel. Ergebnispräsentation in verbaler Form. Tab. 3: Methodisches Vorgehen kopfgeometrischer Aufgaben nach Senftleben (1996, S. 55) Bei dieser Methode werden unterstützende Hilfsmittel herangezogen, um die Aufgabenstellung zu verdeutlichen, Informationen mitzuliefern oder aber auch, um diese zu konkretisieren. Dazu könnte bspw. im vorangegangenen Beispiel in der ersten Phase ein Tafelbild oder eine Zeichnung auf Folie, etwa auf dem Overhead-Projektor (OHP), verwendet werden. Eine andere Möglichkeit bietet sich hier durch den Lehrer selbst an, welcher mithilfe von Stiften, Teleskopzeigestäben oder seinen Armen die Anordnung des Rechtecks auf der Geraden im Raum verdeutlichen kann. Aber auch konkrete Materialien können in der ersten Phase unterstützend wirken wie das folgende Beispiel (Abb. 1) aufzeigt: Abb. 1: Schrittweise Enthüllung eines Vierecks nach Maier (1996, S. 283) Dabei wird das schwarze Objekt nach und nach enthüllt, wobei die Frage, um welches Viereck es sich bei der jeweiligen Abbildung handeln könnte, im Vordergrund steht. Diese Aufgabe ist ohne eine solche Abbildung nur schwer zu lösen, weshalb eine entsprechende Grafik, die Schritt für Schritt entweder am OHP oder mithilfe eines DGS dynamisch verändert werden kann, unabdingbar ist. Auch wird hier wieder deutlich, dass eine Vielzahl an Vorerfahrungen, wie etwa Kenntnisse zum Haus der Vierecke, mitgebracht werden müssen, falls eine solche Abbildung nicht auch als Hilfsmittel in der ersten Phase zugelassen wird. 16

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Kopfgeometrie mit Hilfsmitteln in der Phase 3 Geht man nun wieder von der reinen Kopfgeometrie aus und nimmt in der dritten Phase Hilfsmittel hinzu, kann eine Unterstützung der Schüler, die Defizite oder fehlende Fähigkeiten im Verbalisieren bzw. im Benutzen fachsprachlicher Formulierungen und Symbolisierungen (Senftleben 1996, S. 55) haben, in der Präsentation ihrer Ergebnisse erfolgen. Hierzu eignen sich zum Beispiel, analog zu den Hilfsmitteln in Phase 1, konkrete Materialien, Zeichnungen und Grafiken, Gestiken oder verbale Äußerungen. Phase 1 Aufgabenstellung Phase 2 Operieren im Kopf Phase 3 Präsentation Lehrer verbalisiert die geometrische Fragestellung. Vorstellen, Problemlösen, mentales Operieren im Kopf ohne Hilfsmittel. Mithilfe von Gestik, Modellen, Körpernetzen, Gegenständen, Zeichnungen, Bildern oder mit einem DGS wird die Lösung erläutert. Durch Nachbauen mit Knete oder Papier kann der Schüler sein Ergebnis ebenfalls präsentieren. Tab. 4: Methodisches Vorgehen kopfgeometrischer Aufgaben nach Senftleben (1996, S. 55) Außerdem besteht die Möglichkeit, den Schüler sein Ergebnis, etwa mithilfe von Knete (Senftleben 1996, S. 55), Papier und/oder Karton eigenständig nachbauen oder in einem DGS selbst konstruieren zu lassen. Neben dieser unterstützenden Funktion hat ein eigenständiges und aktiv-händisches (Nach-)bauen auch motivierende Effekte, da vor allem die Kreativität der Schüler angesprochen wird. Bspw. könnte eine Präsentation der Ergebnisse aus Aufgabe 3 durch nachgebaute Objekte etwa durch Formenplättchen oder Stäbchen in dieser Phase zentral sein. Kopfgeometrie mit Hilfsmittel in Phase 1 und Phase 3 Phase 1 Aufgabenstellung Phase 2 Operieren im Kopf Phase 3 Präsentation Mithilfe von Gestik, Modellen, Körpernetzen, Gegenständen, Zeichnungen, Text, Bildern oder mit einem DGS wird die verbal gestellte Aufgabe unterstützt. Vorstellen, Problemlösen, mentales Operieren im Kopf ohne Hilfsmittel. Mithilfe von Gestik, Modellen, Körpernetzen, Gegenständen, Zeichnungen, Bildern oder mit einem DGS wird die Lösung erläutert. Durch Nachbauen mit Knete oder Papier kann der Schüler sein Ergebnis ebenfalls präsentieren. Tab. 5: Methodisches Vorgehen kopfgeometrischer Aufgaben nach Senftleben (1996, S. 56) 17

Inhaltliche Einführung Begriffsumfang Denkbar wäre natürlich auch, Hilfsmittel sowohl in der ersten Phase, als auch in der Präsentationsphase zuzulassen (vgl. Tab. 5, S. 17). Ein solches methodisches Vorgehen bietet sich besonders bei Aufgaben an, die in der ersten Phase an konkrete Materialien zur Veranschaulichung gebunden sind und in der Präsentationsphase Hilfsmittel wie das Zeichnen von Skizzen oder Modelle, an denen das Ergebnis gezeigt werden soll, erfordern. Die Würfelpuzzle-Aufgabe (Abb. 2) ist an dieser Stelle figurativ: Abb. 2: Würfelpuzzle nach Maier (1996, S. 282) Die abgebildete Grafik soll als Hilfsmittel in der Phase der Aufgabenstellung dienen. Mit der Frage, welche der acht Teile sich zu einem Würfel zusammen setzen lassen, beginnt das Operieren im Kopf. Im Anschluss können anhand konkreter Materialien, wie etwa der Abbildung nachempfundene Holzblöcke, der Ergebnispräsentation nützen, wobei der Schüler aktiv mit den Blöcken die jeweiligen Würfel zusammensetzt. Senftleben (1996, S. 56) nennt in seiner Explikation eine weitere Phase. In dieser Kontrollphase können die Schüler selbstständig durch Handeln mit Material prüfen, ob ihr kopfgeometrisch bestimmtes Resultat auch richtig ist (ebd.). Bei der oben aufgeführten Würfelpuzzle-Aufgabe wäre die Phase mit dem eigenständigen Zusammensetzen eine solche Kontrollphase, da hier die Resultate direkt an konkretem Material überprüft werden können. 18

Praktische Umsetzung in der Schule 3. Praktische Umsetzung in der Schule Nachdem im vorangegangenen Kapitel der Begriff der Kopfgeometrie näher beleuchtet, zu bekannten, scheinbar analogen Begriffen abgegrenzt und ein Überblick über unterschiedliche methodische Vorgehensweisen gegeben wurde, sollen in diesem Kapitel verschiedene Kopfgeometrieaufgaben vorgestellt, kurz kommentiert und hinsichtlich ihres Schwierigkeitsniveaus eingeordnet werden. 3.1 Stufe 1 Gymnasiale Orientierungsstufe Kopfgeometrische Aufgaben dieses Schwierigkeitsniveaus sind den Klassenstufen 5 und 6 zuzuordnen. Zum Lösen solcher Aufgaben sind gewisse Grundkenntnisse zu geometrischen Objekten, wie etwa Winkelgrößen oder Seiten- und Längenverhältnisse, erforderlich. Zweidimensionale Gebilde (Dreieck, Viereck, Quadrat, Rechteck,...) und deren Eigenschaften, aber auch einfache dreidimensionale Objekte sind den Schülern bekannt und bilden die Grundlage zum mentalen Operieren. A) Punktesalat Aufgabe 4: Welche vier Punkte können zu einem Quadrat verbunden werden? 3 Abb. 3: Punktesalat nach Franke (2007, S. 74. Erstellt durch den Verfasser dieser Arbeit 2015) 3 Diese und alle folgenden, vom Verfasser dieser Arbeit, erstellten Grafiken wurden mit dem DGS GeoGebra erstellt und sind, falls nicht anders vermerkt, als Arbeitsblätter auf der GeoGebraTube unter dem Link: http://tube.geogebra.org/hohmann zu finden. 19

Praktische Umsetzung in der Schule Bei dieser Aufgabe soll der Schüler vier geeignete Punkte finden, um ein Quadrat einzeichnen zu können. Hierfür muss der Begriff Quadrat und dessen Eigenschaften auf der Stufe des inhaltlichen Begriffsverständnisses bekannt sein. Die räumliche Beziehung als Subfaktor des räumlichen Vorstellungsvermögens wird bei dieser Aufgabe in erster Linie beansprucht, indem die Fähigkeit, räumliche Beziehungen von mehreren Objekten (in diesem Fall Punkte) zu erfassen, gefordert wird. Um das Anforderungsniveau zu erhöhen, könnte man bspw. weitere Objekte, wie etwa ein regelmäßiges Sechseck oder ein gleichseitiges Dreieck, suchen lassen oder weitere Punkte hinzunehmen, welche das Suchen nach bestimmten Polygonen erschwert. B) Kippen einer Streichholzschachtel Aufgabe 5: Kippe die Streichholzschachtel nach hinten, nach rechts und anschließend wieder nach hinten. Wie liegt die Streichholzschachtel am Ende bzw. welche Seite der Schachtel ist sichtbar? Abb. 4: Kippen einer Streichholzschachtel nach Besuden (2006a, S. 32) 20

Praktische Umsetzung in der Schule Diese Streichholzschachtel-Aufgabe nach Besuden (2006a, S. 32; siehe hierzu auch Radatz & Rickmeyer 1991, S. 58; Besuden 1984, S. 63 und 68) als Ausbildung räumlichen Denkens (Besuden 2006a, S. 32) leitet spielerisch eine Auseinandersetzung mit dem zu bewegenden Objekt auf mentaler Phase ein. Der auffordernde Spielcharakter wirkt dabei unterstützend und motiviert den Schüler zum aktiven Handeln. Zu Beginn der Aufgabenstellung wird die oben abgebildete Grafik dem Schüler als Hilfsmittel zur Veranschaulichung vorgelegt. Im Anschluss an die zweite Phase soll nun das Ergebnis verbal dargestellt werden; es ist also die Methode der Kopfgeometrie mit Hilfsmitteln in der Phase 1 (vgl. Tab. 3, S. 15). Denkbar wäre natürlich auch, durch verbale Formulierung der Aufgabe das Bild der Streichholzschachtel mental zu projizieren. Man hätte nun eine reine Kopfgeometrieaufgabe (vgl. Tab. 2, S. 14), wodurch sich das Anforderungsniveau wesentlich anheben würde. Während bei der Punktesalat-Aufgabe (Aufgabe 4) die Komponente der räumlichen Beziehungen mehr gefordert wird, steht hier der Aspekt der mentalen Rotation, also die Fähigkeit, sich Rotationen von zwei- oder dreidimensionalen Objekten vorstellen zu können (Roth & Wittmann 2014, S. 148) deutlich im Vordergrund. Eine ähnliche Aufgabe, in welcher es ebenfalls um die mentale Rotation geht, stellen Royar & Streit (2006, Kopiervorlage 7) vor. Hierbei soll ein Quader, welcher auf jeder Seite anders gefärbt ist, nach einer vorgegebenen Reihenfolge gekippt werden. Zum Schluss soll, analog zur Streichholzschachtel-Aufgabe, die Endposition angegeben werden. C) Orientierungsübungen Aufgabe 6: Beschreibe den Weg vom Eingang des Schulgebäudes zum Klassenraum, vom Klassenraum zum Lehrerzimmer, dann zur Turnhalle und schließlich zur Toilette. (Radatz & Rickmeyer 1991, S. 144) 21

Praktische Umsetzung in der Schule Aufgabe 7: Gegeben ist ein Quadrat ABCD. A liegt unten links, B unten rechts, C oben rechts und D oben links. Zeichne die Diagonalen AC und BD. Ein Spielwürfel gibt uns Bescheid, wie wir gehen sollen. Folgende Ereignisse können auftreten: 1: Bewege dich nach rechts oder links zum nächsten Punkt. 2: Bewege dich nach oben oder unten zum nächsten Punkt. 3: Bewege dich auf der Diagonalen zum nächsten Punkt. 4, 5 und 6: Pause. Wie kommt man mit einem Wurf von A nach C? Wir beginnen in D und würfeln 1, 3, 1, 6, 2. Wo gelangen wir hin? Wie kommen wir mit drei Würfen von A nach B? (nach Degner & Kühl 1984, S. 343) Grundgedanke dieser beiden Übungen ist die Entwicklung und Ausbildung der räumlichen Orientierung. Diese bezeichnet das räumlich richtige Einordnen der eigenen Person in die Umwelt oder anders gesagt, die Fähigkeit, den Standort der eigenen Person, also die Perspektive, unter der etwas betrachtet wird, zu ändern (Roth & Wittmann 2014, S. 149; Hervorhebung durch den Verfasser dieser Arbeit 2015). In Aufgabe 6 wird eine Wanderung im Kopf durchgeführt. Dabei gibt es einen Startpunkt, von welchem die Aufgabe aus startet. Die Wanderroute wird dem aktiven Schüler vom Lehrer, oder auch von einem Partner während einer Gruppenarbeitsphase, mit Worten vorgetragen. Die Augen des aktiven Schülers sind dabei geschlossen. Diese Aufgabenstellung ist keinesfalls an eine schulische Umgebung gebunden, sondern ist in der Wahl der Wanderroute frei wählbar. Denkbar wären bspw. Wanderungen auf dem Schulweg, zu Hause, im eigenen Klassenraum oder eine bestimmte Route eines Klassenausfluges. Grundlegende Voraussetzung ist aber, dass dem Schüler die Umgebung bereits bekannt ist, da sonst ins Leere gewandert wird. Die Wanderung am Kantenmodell gleicht in ihrem strukturellen Aufbau der Aufgabe 6, jedoch ist der Hauptunterschied eine mentale Projektion eines bestimmten geometrischen Objektes, welches zuvor ebenfalls bekannt sein muss. Auch hier wird die Aufgabenstellung wieder verbal vorgetragen. In der aktiven Phase sind verschiedene methodische Vorgehenswei- 22

Praktische Umsetzung in der Schule sen denkbar, die durch die Beantwortung folgender Fragen festgelegt werden: Wer führt das Würfeln aus? Welche Hilfsmittel (Luftzeichnen) sind erlaubt? Kann diese kopfgeometrische Aufgabe als Wiederholung, bspw. nach der Einführung des Quadrats, in der darauffolgenden Unterrichtsstunde eingesetzt werden? Bei beiden Aufgaben bietet sich außerdem eine Kontrollphase an (vgl. S. 18), dabei zeichnen die Schüler ihre Wanderroute auf Papier. Wird die jeweilige Aufgabe vom Lehrer der ganzen Klasse vorgetragen, können am Ende dieser vierten Phase die Ergebnisse gesammelt und im Klassengespräch überprüft und diskutiert werden. Eine weitere Orientierungsübung, die allerdings deutlich schwieriger ist und deshalb erst ab der Mittelstufe zu empfehlen ist, stellt der Irrgarten dar. Diese Aufgabe, welche im besonderem Maße die Fähigkeit der räumlichen Orientierung beansprucht, schlägt Fahse (2015, S. 32ff.) unter anderem als vorbereitende Kopfgeometrieübung für das Erkunden Archimedischer Körper über den Bau der Ecken, das erst ab der 9. Jahrgangsstufe aufgegriffen werden sollte, vor. D) Würfelschnitte Aufgabe 8: Schneide einen Kartoffelwürfel (Abb. 5) mit einem geraden Schnitt in zwei beliebige Teile. Welche Formen treten als Schnittflächen auf? (Radatz & Rickmeyer 1991, S. 53) Abb. 5: Würfelschnitt nach Breidenbach (1966, S. 74; Abbildung aus Radatz & Rickmeyer 1991, S. 53) 23

Praktische Umsetzung in der Schule Aufgabe 9: Welche Formen können hergestellt werden, wenn man ein quadratisches Stück Papier nur mit einem geraden Schnitt zerteilen darf? (Trill-Zimmermann 2014) Charakteristische Eigenschaft und zugleich auch Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Bearbeitung dieser zwei kopfgeometrischen Aufgaben ist die zur Bearbeitung benötigte Fähigkeit, sich gedanklich Aktivitäten wie [ ] Schneiden von räumlichen Objekten oder Objektteilen vorstellen zu können (Roth & Wittmann 2014, S. 148). Hiermit ist die Fähigkeit der Veranschaulichung gemeint, welche, als weitere Teilkomponente des räumlichen Vorstellungsvermögens, bereits oben genannt wurde. Trill-Zimmermann spricht in ihrer Aufgabe, in der ein Stück Papier mit einem Schnitt zerteilt werden soll, das zweidimensionale Denken an. Die vier möglichen Ereignisse, die auftreten können, setzen sich aus den drei klassischen, zweidimensionalen Objekten (Dreieck, Viereck und Fünfeck) zusammen. Dabei können folgende Ergebnisse auftreten: Zwei Vierecke beim Schnitt von einer Seite zur gegenüberliegenden Seite (1), zwei (kongruente) Dreiecke, wenn von einer Ecke zur gegenüberliegenden Ecke geschnitten wird (2), ein Dreieck und ein Viereck beim Schnitt von einer Seite zur einer Ecke (3) und wird der Schnitt von einer Seite zur benachbarten Seite durchgeführt, werden ein Dreieck und ein Fünfeck entstehen (4). Diese Aufgabe benutzt in keiner ihrer Phasen unterstützende Hilfsmittel, weshalb sie auch als eine reine Kopfgeometrieaufgabe angesehen werden kann. Jedoch bietet sich in der Phase der Aufgabenstellung eine Darstellung durch die Lehrkraft an, welche die konkreten Materialien vor der Klasse hochhält, um die Ausgangssituation zu veranschaulichen bzw. die verbale Aufgabenstellung zu unterstützen. Um die Schwierigkeit zu erhöhen, kann bspw. ein weiterer Schnitt eingefügt werden oder das quadratische Papier wird durch ein fünf- oder dreieckiges ersetzt. Auch eine Kontrollphase lässt sich an die Präsentationsphase anschließen, in der eine Überprüfung der gezeichneten Ergebnisse im Plenum wesentlich ist. Während sich Trill-Zimmermann in der Ebene befindet, gehen Radatz & Rickmeyer über in das dreidimensionale Denken. Das methodische Vorgehen kann bei dem Kartoffelwürfel analog zur Ebene beschrieben werden. Sowohl die visuelle Unterstützung durch den Lehrer, 24

Praktische Umsetzung in der Schule als auch die Erhöhung der Schwierigkeit durch Verwenden geeigneter anderer Körper ist bei dieser Aufgabe ohne Weiteres denkbar. Allerdings muss hier davon abgesehen werden, dreidimensionale Aufgaben zu Beginn der Sekundarstufe I zu stellen, da die dafür benötigten Voraussetzungen zum Operieren im Raum noch nicht bei allen Schülern vorhandenen sind. Eine Kontrollphase wäre an dieser Stelle nicht sinnvoll, da in dieser Jahrgangsstufe mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alle Schüler über die Fähigkeit verfügen, ihre dreidimensionalen Vorstellungen auf eine zweidimensionale Ebene, also das Papier, zu übertragen bzw. diese mit einem Stift zu zeichnen. Neben dem Schneiden gehören noch zwei weitere Aktivitäten, das Verschieben und das Falten, zur Fähigkeit der Veranschaulichung von räumlichen Objekten bzw. Objektteilen (Roth & Wittmann 2014, S. 148). Aufgaben zum Falten und Schneiden (Brenninger 2007, zit. nach Brandl 2010b; Maier 1996; Radatz & Rickmeyer 1991), bei denen ein Stück Papier nach einoder mehrmaligem Falten geschnitten wird und im Anschluss gefragt wird, welche Scherenschnitte entstehen, fördern ebenfalls die Fähigkeit der Veranschaulichung. Auch das Zuordnen von Körpernetzen zu gegebenen Schrägbildern (Vohns 2007, zit. nach Brandl 2010b; Radatz & Rickmeyer 1991; Besuden 1984) reiht sich in die Aufgabenvariationen dieses Subfaktors mit ein. 3.2 Stufe 2 Gymnasiale Mittelstufe Aufbauend auf der Kopfgeometrie der Stufe 1 sollen im nachfolgenden Abschnitt weitere kopfgeometrische Übungen vorgestellt werden, welche deutlich mehr Erfahrungen und Fähigkeiten voraussetzen. Hierzu gehört, im Gegensatz zur Stufe 1, vor allem das dreidimensionale Denken und Operieren mit Körpern im Raum. Während in den vorangegangenen kopfgeometrischen Aufgaben stets nur eine Teilkomponente beansprucht wurde, können auf dieser Stufe gleich mehrere zur Bearbeitung einer Aufgabe unabdingbar sein, wie die folgende Aufgabe aufzeigt: 25

Praktische Umsetzung in der Schule A) Würfelschnitte im Raum Aufgabe 10: Ist die Deckfläche der geschnittenen Würfel (Abb. 6) mit einem geraden Schnitt zu erzeugen? Welche Form hat diese Deckfläche? (Maier 1996, S. 281) Abb. 6: Würfelschnitte nach Maier (1996, S. 281) Anknüpfend an die Würfelschnitt-Aufgabe von Breidenbach (1966) wird hier ebenfalls der Faktor der Veranschaulichung angesprochen, da die Aktivität des Schneidens wieder mental projiziert werden muss. Aber auch die Fähigkeit der mentalen Rotation bzw. der räumlichen Orientierung kann hier von Vorteil sein, um das zerschnittene Objekt mental zu drehen (move objekt) bzw. den eigenen Standpunkt um das Objekt zu variieren (move self). Beide Bearbeitungsstrategien (nach Maresch 2013, S. 4) sind denkbar und können gleichermaßen zum Erfolg führen. Auf welche Bearbeitungsstrategie der Schüler zurückgreift, hängt von verschiedenen Parametern, bspw. vom Schwierigkeitsgrad und der Komplexität der Aufgabe, ab, die Maresch (ebd. S. 5) in seinem Aufsatz beschreibt. Während diese Aufgabenstellung von einer Abbildung zur Veranschaulichung abhängt, beschreibt Besuden (2006b, S. 52ff.) einen Weg, wieder auf die reine Kopfgeometrie zurückzugreifen, indem er sowohl den Körper als auch die Schnitte mental projizieren lässt: 26

Praktische Umsetzung in der Schule Aufgabe 11: 1) Denkt euch vom Quader ein Teilstück so abgeschnitten, dass als Schnittfigur ein gleichschenkliges Dreieck entsteht. Spannt ein Gummiband entsprechend dort herum. 2) Verändert das gleichschenklige Dreieck so, dass es gleichseitig wird. Wie liegen jetzt die drei Ecken auf den Kanten des Quaders? Kann hierbei auch ein rechtwinkliges Dreieck entstehen? 3) Zieht die Spitze des Dreiecks herunter bis über die Ecke des Quaders. Wie heißt die dabei entstehende Schnittfigur? Kann so auch ein Rechteck entstehen? 4) Markiert einen rechteckigen Schnitt am Quader, bei dem man das Gummiband nicht mit den Händen festhalten braucht. 5) Spannt einen quadratischen Schnitt. Verändert den Schnitt zu einer Raute. Kann man den Schnitt auch so verändern, dass eine Drachenfigur entsteht? 6) Macht aus dem rautenförmigen Schnitt ein Parallelogramm. 7) Macht aus dem rautenförmigen Schnitt ein Fünfeck. 8) Verändert den fünfeckigen Schnitt zu einem Sechseck. (nach Besuden 2006b, S. 52ff.) Bei dieser Aufgabe über ebene Schnitte am Quader wird schnell klar, wieso sie als Aufgabe in der gymnasialen Mittelstufe einzuordnen ist. Neben der Fähigkeit der Veranschaulichung und der mentalen Rotation wird zudem Wissen über die entsprechenden Körper und deren Eigenschaften, vorausgesetzt. Auch die zeitliche Länge der Aufgabe erfordert über einen längeren Zeitraum eine ruhige Arbeitsatmosphäre und eine ununterbrochene Aufmerksamkeit sowohl von den Schülern, als auch von der Lehrkraft, welche die Aufgabe vorliest. Denkbar wäre außerdem, in der Präsentationsphase bestimmte Netze der Körper zeichnen zu lassen und die durchzuführenden Schnitte farblich zu markieren. In einer anschließenden Kontrollphase könnten dann die Ergebnisse geprüft oder anhand konkreter Materialien (Körper und Gummibänder) verifiziert werden. Besuden betont hierbei aber, dass eine Übertragung in die Zeichenebene [ ] die oder der Unterrichtende entscheiden [muss] (Besuden 2006b, S. 52). Ein Einsatz von Zeichnungen in der Präsentationsphase ist also stark von der jeweiligen Lerngruppe abhängig. 27