Laudatio 2007 Technologietransferpreis 23. November 2007 Professor Werner Gramm SPERRVERMERK 2007-11-23 11:00 Uhr Vorsitzender der Jury Es gilt das gesprochene Wort! Liebe Preisträger, verehrte Festgäste, sehr geehrte Präsidenten, meine Damen und Herren, den Technologietransferpreis 2007 der Industrie- und Handelskammer Braunschweig erhalten die Wissenschaftler: Frau Dr. Marlies Luszik-Bhadra Herr Wilfried Wendt und Herr Ing. Mathias Weierganz von der Arbeitsgruppe "Messverfahren der Neutronendosimetrie"" der Physikalisch- Technischen Bundesanstalt. Technologienehmende Unternehmen sind: SYNODYS, Lamanon in Frankreich MGP INSTRUMENTS, Smyrna im Bundesstaat Georgia, USA und die RADOS GmbH in Hamburg die in unterschiedlichen Funktionen zur Firmengruppe SYNODYS gehören. Liebe Preisträger, im Namen der Jury und aller hier anwesenden Gäste beglückwünsche ich Sie sehr herzlich zu Ihrer hervorragend gelungenen Transferleistung. Sie haben sich beispielgebend und außerordentlich erfolgreich für die wirtschaftliche Umsetzung Ihrer Ideen eingesetzt! Dafür erhalten Sie den Technologietransferpreis 2007 der IHK Braunschweig. Ich stelle Ihnen, meine Damen und Herren, die Preisträger kurz vor: Dr. Marlies Luszik-Bhadra wurde 1952 in Delmenhorst geboren, studierte 1970 bis 1980 Physik/Kernphysik an der Universität Hamburg und promovierte in den Jahren 1980 bis 1988 an der Freien Universität Berlin im Bereich der Festkörperphysik. Seit 1989 ist Frau Dr. Luszik-Bhadra wissenschaftliche Mitarbeiterin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in verschieden Laboratorien im Bereich Neutronenstrahlung" und seit 2003 Leiterin der Arbeitsgruppe Messverfahren in der Neutronendosimetrie". In den Jahren 2000 bis 2004 war sie international als Leiterin der Arbeitsgruppe Dosismessung externer Strahlung" des deutsch-schweizerischen Fachverbandes für Strahlenschutz tätig. Wilfried Wendt wurde 1939 in Gollnowshagen in Pommern geboren. Nach Absolvierung der Techniker-Schule und verschiedenen Aufenthalten in der Industrie, z.b. Blaupunkt bei der Qualitätskontrolle und FUBA-Antennenwerke, Elektronik-Entwicklung war er von 1964 bis 2002 bei der PTB in Braunschweig tätig und beschäftigte sich mit der
2 Entwicklung von Nuklearelektronik. Ing. (grad.) Mathias Weierganz wurde 1958 in Hannover geboren. Von 1976 bis 1980 studierte er Nachrichtentechnik an der Fachhochschule der Deutschen Bundespost in Berlin und beschäftigte sich zunächst bis 1984 als Entwicklungsingenieur für Harddisks bei der Firma Hightrack in Berlin. Von 1984 bis 1999 betreute Herr Weierganz Empfangs- und Datenverarbeitungseinrichtungen für Wettersatelliten am Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin. Seit 1999 arbeitet er im Fachbereich Neutronenstrahlung der PTB in der Arbeitsgruppe Detektorentwicklung. Worum handelt es sich bei dem Transferobjekt? Es handelt sich um ein Neutronen-Personendosimeter, das in den Anwendungsgebieten Kerntechnik, Medizin und auch Umwelt eingesetzt werden kann. Details werden Sie in der Präsentation von Frau Dr. Luszik-Bhadra erfahren. Der Umwelt- und Strahlenschutz gehört zu den Kern-Kompetenzen der PTB. Die Abteilung "Ionisierende Strahlung" betreibt Anlagen zur Kalibrierung von Strahlenschutzinstrumenten z.b. Röntgenanlagen, Elektronenbeschleuniger, Beschleuniger zur Erzeugung von lonen-und Neutronenstrahlung, Radionuklidquellen etc., die bezüglich ihrer Qualität, ihrer Angebotsvielfalt und Verfügbarkeit als weltweit führend angesehen werden können. Neben der Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung dieser Anlagen wird Forschungs- und Entwicklungsarbeit zur Lösung dringender Probleme betrieben. Dazu gehören z. B. der Strahlenschutz des fliegenden Personals, Therapiedosimeter für den medizinischen Bereich, Messung der Umweltradioaktivität und natürlich Neutronendosimeter. Bei der PTB werden aber auch Forschungen zur Lösung von grundlegenden Fragen des Strahlenschutzes betrieben, z.b. die biologische Wirksamkeit von Strahlung, oder es werden mikroskopische Aspekte der Wechselwirkung der Strahlung untersucht. Neutronen sind elektrisch neutral und können nur über die von ihnen erzeugte Sekundärstrahlung nachgewiesen werden, mithin: die Messung der Neutronenstrahlung und Neutronendosis ist äußerst komplex und wird weltweit nur von einer immer kleiner werdenden Expertengruppe beherrscht. Die primär von der Quelle ausgesandte, auch meterdicke Abschirmungen durchdringende Strahlung wird im Umfeld vielfach gestreut. Dadurch ergeben sich komplexe Strahlungsfelder mit einer Bandbreite der Energieverteilungen von wenigen Millielektronenvolt bis zu einigen Gigaelektronenvolt (in der kosmischen Strahlung) mit unterschiedlichen Richtungsverteilungen und gleichzeitiger Überlagerung von anderen Strahlenarten, wie z.b. Photonenstrahlung und Elektronenstrahlung, Myonen- und Ionenstrahlung; hierdurch wird die Messung der Neutronenstrahlung verkompliziert und erschwert. Was war die Motivation für die Entwicklung? Personen, die in Strahlenfeldern arbeiten, an denen Neutronen mehr als 20% zur Dosis beitragen können, müssen mit Personendosimetern überwacht werden. Dies betrifft Personen in Kernkraftwerken, Personen im Bereich der Forschung und Medizin an Beschleunigungsanlagen und Personen, die mit Neutronen-Radionuklidquellen sowohl im Bereich der Forschung als auch im Bereich der zerstörungsfreien Untersuchung von Ma-
3 terialien mittels Neutronenstrahlung arbeiten. In der Regel werden beruflich strahlenüberwachte Personen mit so genannten passiven amtlichen Dosimetern überwacht, die am Ende der Überwachungsperiode (in der Regel ein Monat) ausgewertet werden um sicherzustellen, dass Dosis-Grenzwerte (20 msv im Jahr) nicht überschritten werden. Für einige Anlagen ist auch das Tragen von direkt anzeigenden Personendosimetern vorgeschrieben, und die neue Strahlenschutzversordnung schreibt vor, dass Mitarbeitern auf Verlangen ein direkt anzuzeigendes Instrument zur Verfügung gestellt werden muss. Diese direkt anzeigenden Geräte sind in der Regel elektronische Personendosimeter zur Messung von Photonenstrahlung, die in der betrieblichen Überwachung an Kernkraftwerken zur Sofortanzeige der Dosis seit etwa 20 Jahren erfolgreich eingesetzt werden. Bis vor einigen Jahren gab es aber kein derartiges Dosimeter für Neutronenstrahlung. Meine Damen und Herren, wie kam es zu dem Transfer? Erste Forschungsarbeiten führten zu einer für die Praxis zu komplexen und teuren Lösung. Eine wesentliche Idee von Frau Dr. Luszik-Bhadra zur radikalen Vereinfachung des Systems war die Ausnutzung spezieller Informationen des Pulshöhenspektrums eines Silizium-Halbleiterdetektors für unterschiedliche Strahlenarten (Neutronen und Photonen). Damit konnte ein Personendosimeter aufgebaut werden, das sowohl die Neutronen- als auch die Photonendosis anzeigte. Diese Idee wurde wenige Tage vor der Vorstellung auf der Tagung Solid State Dosimetry in Athen 2001 als deutsche Patentanmeldung eingereicht. Der Aufbau erster batteriebetriebener Personendosimeter-Prototypen (entsprechend der zum Patent angemeldeten Erfindung) erfolgte in den Jahren 2001 und 2002 in einem von Frau Dr. Luszik-Bhadra geleiteten Projekt. Weitere wesentliche Verbesserungen mussten entwickelt werden bis zum Aufbau des ersten funktionierenden Prototyps Ende 2002. Insgesamt wurden dann neun Prototypen aufgebaut, von denen fünf an das Bundesamt für Strahlenschutz geliefert wurden. Eine internationale Vorstellung des Dosimeters erfolgte auf einer Tagung in Delft im Jahre 2003. Eine erfolgreich durchgesetzte Patentanmeldung, funktionierende Prototypen und Anlagen an der PTB, mit denen dies auch gezeigt werden konnte, waren die beste Voraussetzung für einen Technologietransfer in diesem hochspeziellen Bereich. Zunächst wurde zwei Firmen, die sich zuvor an der Zusammenarbeit beteiligt hatten, das Dosimeter zum Nachbau angeboten. Diese Firmen konnten jedoch erforderliche Kapazitäten für die Weiterentwicklung des Dosimeters zur Marktreife nicht bereitstellen. Es begann nun die Suche nach einem Lizenznehmer. Die Firmen MGP INSTRUMENTS in Frankreich und USA, RADOS in Deutschland und Finnland und HARTMANN UND BRAUN in Deutschland, alle führende Unternehmen im Bereich der Herstellung und des Vertriebs von Strahlenschutzinstrumenten weltweit,
4 hatten sich gerade zur Unternehmensgruppe SYNODYS zusammengeschlossen und schienen der ideale Partner zu sein. Der für den Bereich zuständige Leiter der Entwicklung dieser Unternehmensgruppe hatte die Entwicklungen unserer Preisträger ständig mit großem Interesse verfolgt. Er kam sowohl zu den wesentlichen Tagungen im Ausland als auch mehrfach zu den Sitzungen der Arbeitsgruppe Dosismessung externer Strahlung des deutsch-schweizerischen Fachverbandes für Strahlenschutz, die zu dieser Zeit von Frau Dr. Luszik-Bhadra geleitet wurden, und auf denen mehrfach die Problematik elektronischer Dosimeter diskutiert wurden. Das Interesse der Firmengruppe SYNODYS an einem Lizenzvertrag mit der PTB war groß, so dass der Vertrag, der eine exklusive Nutzung des PTB-Patentes für 10 Jahre vorsieht, bereits Anfang Dezember 2003 unterzeichnet werden konnte. Es wurde ferner die Fortführung der inzwischen eingereichten PCT-Anmeldung für die Länder USA, Kanada, Japan, Deutschland, Frankreich und England vereinbart. Dabei erklärte sich der Lizenznehmer zur Übernahme eines Teils der Patentkosten bereit. Weiterhin wurde vereinbart, dass alle das Neutronendosimeter betreffenden Unterlagen an den Lizenznehmer geliefert und dieser bei den notwendigen Änderungen für den Aufbau eines industriell herstellbaren Gerätes beraten und unterstützt werden sollte. An dem von dem Lizenznehmer durch den Verkauf der lizenzierten Dosimeter erzielten Umsatz ist die PTB mit einem bestimmten Lizenzsatz beteiligt. Die wesentliche Übergabe von Informationen und notwendigen Änderungen für den Aufbau eines industriell herstellbaren und gut vermarktbaren Dosimeters erfolgten im Jahre 2004 bis etwa Mitte 2005. Der Wunsch der Firma, ihr eigenes Photonendosimeter zu erhalten und nur durch den zusätzlichen Einbau einer Neutronensonde zu erweitern, weitestgehend ihre eigene Elektronik einzusetzen, und auch andere Komponenten robust und kostengünstig zu fabrizieren, führte dazu, dass eine Reihe von Komponenten geändert werden mussten. Eine äußerst intensive Zusammenarbeit, teils tägliche Kontakte per E-Mail, der Austausch von Prototypen und Teilkomponenten per Kurier, führte dazu, dass in wenigen Monaten bereits ein erster Prototyp als Photonen/Neutronendosimeter vorlag. Trotz vieler Änderungen wies er ein ähnliches Ansprechvermögen für Neutronen wie das Prototyp-Dosimeter auf. Damit konnten erste Prototypen bereits zu Messungen in Feldern der Kernindustrie in einem europäischen Projekt, das ebenfalls maßgeblich von der PTB geleitet wurde, verwendet werden. Die Anzeigen waren auch hier in guter Übereinstimmung mit dem PTB Prototyp. Parallel zum Aufbau einer kleinen Vorserie - 20 Stück für Testmessungen - wurden weitere Verbesserungen im Bereich der Software und der Störsicherheit durchgeführt. Alle notwendigen Testmessungen und Diskussionen bei den Treffen mit den Partnern wurden dabei ingenieurstechnisch von Herrn Weierganz unterstützt. Herr Wendt ging direkt nach dem Aufbau des ersten Prototyps in den Ruhestand, hat aber alle erforderlichen Unterlagen an das Team weitergegeben und auch aus dem Ruhestand heraus weiter beraten. Ende 2005 wurde die Produktion der ersten industriellen Serie des Neutronen- /Photonendosimeters gestartet. Eine Vorstellung des Dosimeters erfolgte in Deutsch-
5 land Ende November 2005 auf einem PTB-Seminar Elektronische Personendosimeter für Neutronen", zu dem Frau Dr. Luszik-Bhadra Experten aus Industrie, Forschung und von Behörden einlud. Das große Interesse an diesem hochspeziellen Gebiet innovativer Messtechnik spiegelte sich in der hohen Zahl von 68 Teilnehmern. Von der ersten industriellen Serie wurden bis Ende 2006 etwa 1000 Geräte verkauft (der größte Teil in den USA), und weitere Produktionsserien sind angelaufen. Dass techno-bürokratische Hemmnisse sich manchmal Verkaufs fördernd auswirken können, zeigt folgende Episode: Ein Hindernis für den Verkauf in Deutschland und Europa war eine in Deutschland erforderliche Bauartprüfung" für die Photonenkomponente des Dosimeters. Obwohl das Photonendosimeter der Fa. Synodys, das in dem neuen Neutronen/Photonendosimeter integriert war, bereits eine Bauartprüfung" in Deutschland hatte, waren die Änderungen des Elektronikaufbaus und auch des mechanischen Aufbaus durch das Einfügen der Neutronensonde so groß, dass hier eine Neuzulassung der PTB erforderlich war. Die Zulassung wurde zur Wahrung der Unabhängigkeit in einem anderen Fachbereich der PTB durchgeführt und erst Ende Januar 2007 erteilt. Dieses Zulassungsprädikat ist in Deutschland maßgeblich für die Benutzung des Dosimeters auch in Photonenstrahlenfeldern, wird aber auch in anderen europäischen Ländern als Gütesiegel geschätzt und ist damit verkaufsfördernd. Übrigens: Ein erstes Neutronen-Personendosimeter der PTB wurde bereits von unserem deutschen Astronauten, Herrn Reiter, getragen. Ein ähnliches Dosimeter befand sich von Februar 2004 bis August 2006 auf einem menschähnlichen Phantom Matroschka, montiert an der Außenwand der Raumstation ISS, im Weltall. Das, was die Jury letztlich einstimmig bewogen hat, das Team um Frau Dr. Luszik- Bhadra dem Präsidenten der IHK als Preisträger vorzuschlagen, sind neben dem durch den Technologietransfer erzielten Markterfolg die vielfältigen, intensiven Bemühungen, die Personendosimeter zu ihrer wirtschaftlichen Verwertung in eine weltweit technologieführende Firmengruppe zu transferieren. Die Begeisterung des oben erwähnten Entwicklungsleiters des französischen Unternehmens ist sicherlich auch auf das kommunikative und über längere Strecken sehr belastbare Verhalten der Gruppe zurückzuführen. Für dieses nachhaltige, persönliche Engagement gebührt den Preisträgern heute unsere ausdrückliche Anerkennung und Hochachtung. Herr Präsident Dr. Schmid, nachdem uns Frau Dr. Luszik-Bhadra das Transferobjekt erläutert hat, darf ich Sie bitten, die Auszeichnung vorzunehmen.