Ethik-Policy Palliative Sedierung Theoretische Grundlegungen für ethische Abwägungen in der Praxis von Annette Riedel 1. Auflage Ethik-Policy Palliative Sedierung Riedel schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Medizinische Ethik Jacobs 2014 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 89918 222 4
Annette Riedel Ethik-Policy Palliative Sedierung Theoretische Grundlegungen für ethische Abwägungen in der Praxis
Ethik-Policy Palliative Sedierung Theoretische Grundlegungen für ethische Abwägungen in der Praxis Annette Riedel
Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Copyright 2014 by Jacobs-Verlag Hellweg 72, 32791 Lage Druck: Pressel Foto Umschlag: lichtsicht / photocase.com ISBN 978-3-89918-222-4
Inhaltsverzeichnis Tabellen-, Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis... 7 1 Einleitung... 9 1.1 Relevanz und Gegenstand... 9 1.2 Ziele und Fragestellungen... 14 1.3 Literaturrecherche... 14 1.4 Aufbau... 15 2 Palliative Sedierung am Lebensende... 17 2.1 Indikation und Konkretion der Behandlungsoption... 17 2.2 Indikationsstellung, Aufklärung, Beratung und Begleitung... 22 2.3 Übergreifender gesellschaftlicher Diskurs... 27 2.4 Expliziter ethischer Diskurs... 31 3 Ethik-Policy zur ethischen Reflexion bei palliativer Sedierung... 45 3.1 Intentionen und Ziele der Ethik-Policy... 46 3.2 Kriterien zur Entwicklung der Ethik-Policy... 50 3.3 Geltungsbereich der Ethik-Policy... 57 3.4 Ethik-Korridor und Orientierungshilfen zur ethischen Reflexion... 64
4 Expertenbefragung zur ethischen Bewertung der entwickelten Ethik-Policy... 69 4.1 Befragung der Ethik-Expertinnen/-Experten und Befragungsinstrument... 69 4.2 Ergebnisse und Erkenntnisse für die Ethik-Policy... 75 4.3 Abwägungen und Anpassung der Ethik-Policy... 80 4.4 Endprodukt: Ethik-Policy Palliative Sedierung... 85 Ethik-Policy Palliative Sedierung für das klinische Palliative Care Setting... 87 5 Prämissen für den Transfer in die Praxis... 99 Literatur... 103 Anhang... 120 Anhang 1: Fragebogen für die Ethik-Expertinnen und Ethik-Experten... 121 Anhang 2: Ethik-Policy Stand Juni 2013 (Grundlage für die Bewertung seitens der Ethik-Expertinnen und Ethik-Experten)... 125
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Zusammenfassende Darstellung der in der Literatur benannten Werte im Kontext der palliativen Sedierung (Eigenerstellung)... 40 Tabelle 2: Gegenüberstellung zentraler ethischer Perspektiven der Argumentation (Eigenerstellung)... 42 Tabelle 3: Gegenüberstellung der Kriterien zur Erstellung einer medizinischen Leitlinie und einer Ethik-Leitlinie (Eigenerstellung)... 51 Tabelle 4: Bezugspunkte und Fundierungen für die Entwicklungsschritte und Inhalte der Ethik-Policy Palliative Sedierung (Eigenerstellung)... 57 Tabelle 5: Grundgelegte Kriterien für die Items der Befragung (Eigenerstellung)... 73 Tabelle 6: Auswertung der Befragung und Anpassung der Ethik-Policy Palliative Sedierung (Eigenerstellung)... 81 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Vorgehen auf dem Weg zur Ethik-Policy Palliative Sedierung...16 Abbildung 2: Prämissen für den Transfer der Ethik-Policy Palliative Sedierung in die stations-/einrichtungsbezogene Praxis (Eigenerstellung)...100 Abkürzungsverzeichnis AMA American Medical Association AEM Akademie für Ethik in der Medizin e. V. AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften ÄZQ Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin BMA British Medical Association DGP Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. DGSS Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes EAPC European Association for Palliative Care NHPCO National Hospice and Palliative Care Organization SAMW Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften WHO World Health Organization 7
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1 Einleitung 1.1 Relevanz und Gegenstand Zum Thema Palliative Sedierung wurden in den letzten Jahren auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene mehrere Leitlinien (z. Bsp. EAPC/Alt-Epping et al., 2010; Radbruch & Nauck, 2010; Verkerk, 2007; Legemaate et al., 2007; Morita et al., 2005) 1, Empfehlungen (z. Bsp. Dean et al., 2012; Neitzke et al., 2010a; Müller-Busch, 2008a; Müller-Busch et al., 2006; BIGORIO, 2005) und Positionierungen (z. Bsp. seitens der NHPCO; Kirk & Mahon, 2010; National Ethics Committee, Veterans Health Administration, 2007; Quill & Byock, 2000) publiziert. 2 Ziel dieser Publikationen und Ausarbeitungen ist es, juristische Klarheit, differenzierte Informationen und Sicherheit durch Standards zu vermitteln und somit eine gute klinische Praxis (Schildmann & Schildmann, 2012, S. 134) der Behandlungsoption palliative Sedierung zu bewirken. So intendiert die Leitlinie der EAPC zum Beispiel, die Schulung des medizinischen Personals sowie Standards für eine bestmögliche Versorgung und die hierzu notwendigen Informationen zu transportieren (EAPC/Alt-Epping et al., 2010, S. 112). Die Zahlen zu Häufigkeiten der palliativen Sedierung variieren gemäß der aktuellen Studienlage zwischen 5 und 52 % aller stationär behandelten Patienten auf Palliativstationen (Stiel et al., 2008). 3 Die nationalen Zahlen zur palliativen Sedierung beziehungsweise die Sedierungsraten, differieren ferner in Bezug auf die 1 Eine umfassende Darstellung indet sich u. a. bei Berger (2010). 2 Bereits 2006 publizierte die American Academy of Hospice and Palliative Medicine Position Statements, hier: Statement on Palliative Sedation. Die American Medical Association publizierte 2008 eine Positionierung, basierend auf einem umfänglichen Bericht: Opinion 2.201 Sedation to Unconsciousness in End-of-Life Care. 3 Die vorhandenen Zahlen variieren (Hardy, 2000) in nationalen und internationalen Publikationen stark. Zu berücksichtigen ist gemäß Anquinet et al. (2012): Differences in the prevalence of continuous deep sedation appear to relect complex legal, cultural and organizational factors more than differences in patients characteristics or clinical proiles (S. 34). Das zeigen auch ländervergleichende Studien wie zum Beispiel zwischen USA und den Niederlanden (Rietjens et al., 2012). Cowan & Walsh (2001) beschreiben auf der Basis eines Literaturreviews (1990-1999) ein Spektrum der Häuigkeiten zwischen 20-30 Prozent. Deutlich wird in den Publikationen, dass eine kontinuierliche Zunahme palliativer Sedierung im klinischen Setting zu verzeichnen ist (Zahn, 2012; Haene et al., 2009; Levy & Cohen, 2005; Müller-Busch et al., 2003). Ferner fällt in den publizierten Studien auf, dass psychosoziale Belastungen und Stress zunehmend zur Indikationsstellung einer palliativen Sedierung führen (Radbruch & Nauck 2012). 9
jeweiligen Settings (Palliativstation, Hospiz, ambulante Begleitung durch ein SAPV- Team) (Jaspers, 2011; Jaspers et al., 2012). 4 Eine vergleichende Bezugnahme auf Erhebungsdaten aus internationalen Studien ist vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Terminologien, der unterschiedlichen Versorgungsstrukturen wie auch der abweichenden Rechtsstrukturen für den nationalen Diskurs wenig aussagekräftig. Dass das Thema Palliative Sedierung in der Versorgung am Lebensende in allen Settings bedeutsam ist, zeigen sowohl die nationalen als auch internationale Publikationen, Leitlinien, Empfehlungen und Studien (Rys et al., 2013b; Jaspers et al., 2012; Maltoni et al., 2012; Neitzke, 2010; Engström et al., 2007). Nachfolgend wird palliative Sedierung am Lebensende als eine nach wissenschaftlichem Stand erfolgende Behandlungsoption angesehen, die erst dann realisiert wird, wenn andere therapeutische Maßnahmen und Optionen für die/den Patientin/en keine Linderung der belastenden Symptome und somit keine Linderung des subjektiv empfundenen Leidens bewirken (Therapierefraktärität). Das heißt, eine state of the art durchgeführte palliative Sedierung ist die letzte Therapieoption, dann, wenn keine anderen Optionen zur Leidlinderung der unerträglichen Symptome und Beschwerden mehr wirksam sind. 5 Es wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Intention, die Motivation und das Ziel der palliativen Sedierung am Lebensende eindeutig und ausschließlich der Linderung des Leidens der Patientinnen/en gilt. Vor diesen genannten Prämissen wird palliative Sedierung in der letzten Lebensphase eines Menschen als ethisch gerechtfertigte und medizinisch gebotene Behandlungsoption vertreten. Das Thema Palliative Sedierung weist neben juristischen Sachverhalten, den fachlichen Herausforderungen der ärztlichen Indikationsstellung und der pflegefachlichen sowie medizinischen Begleitung, zentrale ethische Implikationen auf (Beauverd et al., 2013; Billings & Churchill, 2012; Laufenberg-Feldmann et al., 2012; Blan ker et al., 2012; Juth et al., 2010; Virt & Hunstorfer, 2010; Neitzke et al., 2010a, Neitzke et al., 2010b; EAPC/Alt-Epping et al., 2010; Kreß, 2010; Materstvedt & Bosshard, 2009; Nationaler Ethikrat, 2006; Weber et al., 2005; Neitzke & Frewer, 2004). So formulieren Radbruch und Nauck (2012, S. 1001): Palliative Sedierung ist eine ethische und nicht nur medizinische Entscheidung. Auch die EAPC-Leitlinie greift die- 4 Little is known about the practice of palliative sedation (PS) in Germany (Jaspers et al., 2012, S. 672). 5 Palliative Sedierung wird in häuslichen, klinischen und hospizlichen Handlungsfeldern der Gesundheitsversorgung praktiziert. Diese Vielfalt repräsentiert auch die EAPC-Leitlinie, die sich ihrerseits nicht exklusiv am klinischen Setting ausrichtet. Sie verweist explizit darauf: Die Empfehlungen können in der vorliegenden Form übernommen oder vorzugsweise den lokalen, kulturellen und rechtlichen Gegebenheiten und speziischen Bedürfnissen angepasst werden, sei es im häuslichen, im klinischen oder im hospizlichen Umfeld (EAPC/Alt-Epping, 2010, S. 114-115). Primär erfolgt palliative Sedierung bei Tumorerkrankungen (Bruinsma et al., 2012; Swart, 2012). 10
se Perspektive auf und fordert, dass palliative Sedierung eine ethisch gerechtfertigte Vorgehensweise kennzeichnet (EAPC/Alt-Epping et al., 2010, S. 112). In der Begründung des Behandlungsstandards der EAPC wird ferner formuliert, dass dieser dazu beiträgt, unethisches Handeln zu verhindern (EAPC/Alt-Epping et al., 2010, S. 112). Das heißt, die Komplexität der Situation wie auch die impliziten ethischen Kontroversen im Gesamtkontext der palliativen Sedierung fordern nicht nur eine verantwortungsvolle Indikationsstellung sowie eine würdevolle und fachlich kompetente Beratung und Begleitung aller Beteiligten, sondern auch eine ethisch reflektierte Entscheidung. Ethische Reflexion und ethische Konsentierung sind grundlegend dafür, dass palliative Sedierung als ethisch legitime Maßnahme akzeptiert werden kann. Andernfalls erscheint möglicherweise die gestellte Indikation für die/den behandelnde/n Ärztin/Arzt als schlüssig und angemessen (Dietl & Böhm, 2012), bei Pflegenden oder anderen Mitgliedern im multidisziplinären Palliative Care Setting löst die Entscheidung in der identischen Situation hingegen moralische Irritationen beziehungsweise moralisches Unbehagen aus (Erbguth, 2012; Bruce & Boston, 2011; Neitzke et al., 2009; Engström et al., 2007; Boston et al., 2006). Derartige Situationen führen nicht nur innerhalb des Teams zu Konfliktpotenzial und Verunsicherungen, sondern tangieren auch die Begegnung mit der/dem Patientin/en. Das heißt, es ist möglichst bereits im Rahmen der Indikationsstellung ein Innehalten gefordert und eine ethische Reflexion indiziert. Dies, um eine qualitätsvolle und zugewandte Versorgung der/des Patientin/en zu sichern und um die Entscheidung im multidisziplinären Team mittragen zu können. Ethische Reflexion trägt dazu bei, über bestehende Vorgaben hinauszuschauen, sie will hinterfragen, die Perspektive erweitern und einen Beitrag zu transparenten Entscheidungen leisten. Es geht um eine bewusste und intendierte Analyse der Situation mit der Perspektive auf deren moralischen Gehalt hin. Im Fokus stehen die beteiligten Werte und die Werteorientierungen aller Beteiligten (Wertereflexion!). Ethische Reflexion erfolgt bestenfalls systematisiert, dies im Rahmen von Ethik-Fallbesprechungen oder auf der Grundlage einer Ethik-Leitlinie/Ethik-Policy. 6 Vor diesem Hintergrund ist es begründet und bedeutsam, neben den oben genannten bereits bestehenden Leitlinien die ihren Schwerpunkt primär auf die klinische Praxis und 6 Ethik-Leitlinien/Ethik-Policies bilden die dritte Komponente der Ethikberatung (Jox & Borasio, 2011; Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e. V., 2010). Es existiert für Policy kein geeigneter deutscher Begriff (Jox & Borasio, 2011). An dieser Stelle soll durch den Begriff Policy eine klare Abgrenzung zu den medizinischen Leitlinien einer evidenzbasierten Therapie erfolgen, zumal die Policy einen leitenden und einen empfehlenden Charakter aufweist und somit einen begrenzten Grad an Verbindlichkeit birgt. Dies wiederum fordert situative (ethische) Relexion und begründete Entscheidungen versus der stringenten vielfach routinierten Befolgung von deinierten, verbindlichen Vorgaben. 11
die juristische Perspektive legen 7 ergänzend eine Ethik-Policy Palliative Sedierung 8 zu entwickeln. Die Intention ist, die Ethik-Policy komplementär zu den vornehmlich klinisch ausgerichteten Leitlinien für das multidisziplinäre Palliative Care Setting zu entwickeln. Die Entwicklung erfolgt im Sinne der Perspektivenerweiterung und Sensibilisierung für die der Behandlungsoption palliative Sedierung inhärenten komplexen ethischen Fragestellungen, die beteiligten Werte und ethisch brisanten Konstellationen. Handelt es sich um ein Thema, das aufgrund seiner Komplexität wiederkehrend ethische Dissenssituationen/Wertekonflikte provoziert, so kann eine Ethik-Policy die Beteiligten und Entscheidungsträger darin unterstützen, einen systematisierten Weg der ethischen Reflexion zu vollziehen, um so ergänzend zu der Frage nach der sorgfältigen medizinischen Indikation (Radbruch & Nauck, 2012; EAPC/Alt-Epping et al., 2010; Virt & Hunstorfer, 2010; Verkerk, 2007; Morita et al., 2005) der Forderung nach der ethischen Reflexion gerecht zu werden. Denn Ethik-Policies sind Handlungsempfehlungen, die sich aus immer wiederkehrenden Situationen (...) ableiten und die als Orientierungshilfe für Einzelfallentscheidungen dienen. (...) Sie müssen den gesetzlichen Vorschriften sowie dem wissenschaftlichen Standard entsprechen (...) (Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e.v., 2010, S. 152). Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW, 2012, S. 996) formuliert: In Ethikleitlinien werden wiederkehrende Probleme oder Wertekonflikte aufgenommen (...). Ethikleitlinien enthalten inhaltliche Aspekte, eine ausgearbeitete ethische Begründung sowie eine explizite Wertereflexion. Dabei berücksichtigen sie die spezifischen Herausforderungen der Institution. Diese Definitionen zweier anerkannter Fachgesellschaften im Bereich der deutschsprachigen Medizinethik sind grundlegend für die weiteren Ausführungen. Die nachfolgend entwickelte Ethik-Policy wird an dem multidisziplinären klinischen Palliative Care Setting ausgerichtet. Das heißt, die Ethik-Policy ist exemplarisch für ein spezifisches Handlungsfeld: die stationäre klinische Versorgung. Im klinischen Kontext sind Ethik-Policies bereits vielfach verbreitet, zumeist definiert als Aufgabe im Kontext der Ethikberatung und als Auftrag der Ethikkomitees (Jox & Borasio, 2011; Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e. V., 2010). Zum Thema Palliative Sedierung konnte im Rahmen der umfassenden Internet-Recherche eine 7 Literaturreviews zeigen, dass der Aufbau der Leitlinien vielfach identisch ist (Bruce & Boston, 2011). Deutlich ist allerdings auch, dass zwar die ethischen Implikationen in den Leitlinien benannt werden (Billings & Churchill, 2012), eine Unterstützung zur ethischen Relexion lassen die Leitlinien jedoch vermissen. 8 Bezogen auf die Entwicklung der Ethik-Policy erhält diese eine eigene Bezeichnung: Ethik-Policy Palliative Sedierung. Das heißt, immer dann, wenn es nachfolgend um die zu entwickelnde/entwickelte speziische Policy geht, wird diese Schreibweise gewählt. 12
Empfehlung zur palliativen Sedierung am Lebensende des Klinischen Ethikkomitees im St. Marien-Hospital Lünen (Stand 06. Oktober 2011) (Klinisches Ethikkomitee St. Marien-Hospital Lünen, 2011) und eine Empfehlung des Ethikkomitees der Kath. St.-Johannes-Gesellschaft Dortmund ggmbh: Ethische Orientierungshilfe zum Umgang mit der Palliativen Sedierung (Stand 2007) (Kath. St.-Johannes-Gesellschaft Dortmund ggmbh, 2007) erfasst werden. In wieweit sich eine Empfehlung und eine ethische Orientierung von einer Ethik-Policy unterscheidet, gilt es im Folgenden zu analysieren und zu explizieren. Zentraler Gegenstand der Ausarbeitung ist es, vor dem Hintergrund der formulierten ethischen Anforderungen und Implikationen, eine Literatur gestützte und theoretisch fundierte Ethik-Policy Palliative Sedierung zur Orientierungshilfe und als Diskussionsgrundlage für das multidisziplinäre Palliative Care Setting zu erstellen. Optimaler Weise wird eine Ethik-Policy von beziehungsweise mit den Personen erarbeitet, die mit dieser auch arbeiten, basierend auf einem deliberativen Prozess und begründeter Meinungsbildung (Winkler et al., 2012a; Winkler, 2005). Die Ethik-Policy fordert die Integration mehrerer Perspektiven und die Positionierung zu den inhärenten Wertefragen und den antizipierten Situationen. Das heißt: Die spezifische Ausrichtung hin zu einer stations-/einrichtungsbezogenen Ethik-Policy bedarf der Konkretion und Anpassung seitens des jeweiligen Teams. Ergänzend zu der literaturbasierten Entwicklung der Ethik-Policy erfolgt eine schriftliche Befragung zur externen Bewertung und Analyse durch Ethik-Expertinnen/-Experten. Ziel ist, die Ethik-Policy Palliative Sedierung in einem definierten Rahmen extern begutachten und validieren zu lassen, um so der signifikanten Perspektivenvielfalt, aber auch der kritischen Reflexion Raum zu eröffnen. Da eine Ethik-Policy keine Antworten liefert, sondern zur ethischen Reflexion anregen und dabei unterstützend hin zur ethisch begründeten Entscheidung wirken soll, stellt sich im Rahmen der Bewertung durch die Ethik-Expertinnen/-Experten primär die Frage nach der ethischen Orientierungswirkung. Das heißt danach, ob und in welcher Form die Ethik-Policy zur ethischen Reflexion beziehungsweise zur ethisch begründeten Entscheidung beiträgt. Um diese Einschätzung zu erlangen, wird die Ethik-Policy mit einem eigens entwickelnden Einschätzungsinstrument/Fragebogen an Ethik-Expertinnen/-Experten versendet. Deren Rückmeldungen und Bewertungen fließen in die weiteren Überlegungen zur Entwicklung und Überarbeitung der Ethik-Policy Palliative Sedierung ein. Es geht bewusst um eine Ethik-Policy, die den Ansprüchen der vorliegenden medizinischen Leitlinien beziehungsweise Guidelines Rechnung trägt. Hierbei wird die EAPC-Leitlinie (EAPC/Alt-Epping et al., 2010) in Bezug auf die definitorischen Eingrenzungen, die fachlich-medizinischen Prämissen und strukturellen Anforderungen der Ethik-Policy grundgelegt. Die Ethik-Policy selbst richtet ihren Fokus auf ethische Spannungsfelder, die beteiligten Werte und ethische Reflexion. Es geht um die Verknüpfung der zentralen ethischen Implikationen im Kontext von palliativer 13
Sedierung. Ziel der intendierten Ausrichtung ist eine ethisch reflektierte und begründete Entscheidung als Basis einer ethisch legitimierten Maßnahme. Die Ethik-Policy dient sodann als Diskussionsgrundlage und als Orientierungshilfe (nicht als Blaupause!; Winkler et al., 2012a, S. 230), der Systematisierung ethischer Reflexion und ethisch begründeter Meinungsbildung im multidisziplinären Palliative Care Setting. 1.2 Ziele und Fragestellungen Der Entwicklung der Ethik-Policy Palliative Sedierung liegen die folgenden erkenntnisleitenden Fragestellungen zugrunde: 1. Wie muss eine theoretisch fundierte und die ethische Reflexion lancierende Ethik-Policy Palliative Sedierung ausgestaltet sein, so dass diese den Anforderungen an eine Ethik-Policy entspricht und den aktuellen ethischen Diskurs zur palliativen Sedierung repräsentiert? 2. Wie muss eine Ethik-Policy ausgestaltet sein, die eine fundierte Grundlage dafür bietet, eine situations-/einrichtungsbezogene Ethik-Policy Palliative Sedierung abzuleiten, die eine konkrete Orientierungshilfe für die ethische Reflexion darstellt und das multidisziplinäre Team bei der ethisch begründeten Entscheidungsfindung unterstützt? Die Vorgehensweise orientiert sich an dem übergreifenden Ziel, eine Ethik-Policy Palliative Sedierung auf der Basis einer differenzierten Literaturrecherche sowie unter Einbezug einer kriteriengestützten Expertenreflexion zu konzipieren. Das heißt im Umkehrschluss: Das Ziel der Ausführungen ist es nicht, die Behandlungsoption der palliativen Sedierung in Frage zu stellen. Vielmehr geht es darum, den im Rahmen der Indikationsstellung, an der Beratung und Begleitung der Patientinnen/en beteiligten Berufsgruppen eine fundierte Ethik-Policy Palliative Sedierung an die Hand zu geben, die sie unterstützt, eine stations-/einrichtungsbezogene Ethik-Policy in ihrem Setting nachhaltig zu implementieren. 1.3 Literaturrecherche Die zugrundeliegende systematische Literaturrecherche stützt sich auf die folgenden Datenbanken: CINAHL, PubMed, MEDLINE, Carelit, PsychINFO, ETHMED sowie die Bibliothekskataloge der Universität Freiburg und der Württembergischen Landesbibliothek. Mit folgenden Schlagwörtern wurde u. a. recherchiert: Terminale Sedierung, Palliative Sedierung, Palliative Sedierung UND Ethik-Leitlinie, palliative sedation, palliative sedation AND ethics, palliative sedation AND ethical issues, palliative sedation AND guideline OR policy OR framework, etc. Vornehmlich die Kombination von palliativer Sedierung und Ethik-Leitlinie bzw. Ethik-Policy/ethical policy ergab keine Treffer. Insgesamt konnten in der systematischen Recherche Publikationen erfasst werden, die folgenden wissenschaftlichen Bereichen zuzuordnen 14
sind: der Pflegewissenschaft, der Medizin, der Medizinethik, der Palliative Care Versorgung und der Pflegeethik. Es wurden in der ersten Recherche alle Publikationen (Original-, Übersichtsarbeiten sowie Fallberichte) berücksichtigt. Einschlusskriterien für die weitere Literaturrecherche und die Vertiefung in die Quellen waren die oben genannten Suchbegriffe sowie der explizite Bezug zum Ziel und zur Fragestellung. 1.4 Aufbau Auf der Basis der Literaturrecherche zu den Themen Palliative Sedierung und Ethik-Policy wird die theoretische Fundierung abgesichert sowie die Struktur und inhaltliche Ausrichtung der Ethik-Policy Palliative Sedierung grundgelegt. Den theoretischen Rahmen für die Erstellung der Ethik-Policy bildet in Kapitel 2 die wissenschaftliche Auseinandersetzung zum aktuellen Stand des fachlichen und ethischen Diskurses zur palliativen Sedierung. Im Rahmen der Literaturrecherche wurde deutlich, dass das Thema Palliative Sedierung eine hohe Aktualität und Relevanz aufweist, was sich unter anderem in der eingangs skizzierten Erstellung von Leitlinien, Empfehlungen und Positionierungen repräsentiert. Des Weiteren sind für die Ausgestaltung der Ethik-Policy die Erfassung der genuin ethischen Implikationen und Spannungsfelder zu der Thematik sowie die aktuellen gesellschaftlichen und ethischen Diskurse bedeutsam. Diese Erkenntnisse gilt es im Rahmen von Kapitel 2 sowohl aus Studien (z. Bsp. Schildmann & Schildmann, 2012), aus den bereits eingangs benannten (zum aktuellen Zeitpunkt recherchierten) Leitlinien, Empfehlungen und Positionierungen und aus publizierten Fallanalysen (z. Bsp. Schäfer, 2013; Schildmann & Vollmann, 2013; Frewer & Bruns, 2011; Müller-Busch, 2008b; Simon, 2008) zu erfassen. Kapitel 2 hat das Ziel, die zentralen Dimensionen der Ethik-Policy zu explizieren und zu konkretisieren. Die zweite Perspektive im Rahmen der theoretischen Fundierung richtet sich auf das Thema Ethik-Policy und die Entwicklung einer Ethik-Policy. In Kapitel 3 werden diesbezüglich exemplarische, wissenschaftlich fundierte und publizierte Leitlinien grundgelegt (Winkler et al., 2012a; Winkler et al., 2012b) wie auch der aktuell medizinethische Diskurs zur Entwicklung (Reiter-Theil et al., 2011; Jox & Borasio, 2011) und Evaluationen von Ethik-Policies analysiert (Frolic & Drolet, 2013; Winkler et al., 2012b; Strech & Schildmann, 2010; Winkler, 2011; Winkler, 2008; Bartels et al., 2005). Auf dieser Basis können einerseits die Struktur der in Kapitel 3 zu erstellenden Ethik-Policy abgeleitet werden sowie fundierte und weitestgehend objektive Kriterien für die in Kapitel 4 intendierte Analyse und Bewertung der Ethik-Policy generiert werden. Kapitel 4 umfasst die Erstellung des Befragungsinstrumentes, welches an Ethik-Expertinnen/-Experten versendet wird, die Auswertung der Expertenbefragung und die sich daraus ergebenden Modifikationsbedarfe der auf Literatur gestützt entwickelten Ethik-Policy Palliative Sedierung. Zur Erstellung und Auswer- 15
tung des Fragebogens dient das Programm EvaSys, das sowohl geschlossene wie auch offene Fragestellungen ermöglicht. Die Ausführungen schließen mit Empfehlungen dahingehend, wie die entwickelte Ethik-Policy Palliative Sedierung für die stations-/einrichtungsbezogene Palliative Care Praxis konkretisiert und angepasst werden kann. Das folgende Schaublid stellt das systematische Vorgehen hin zum Endprodukt der Ethik-Policy Palliative Sedierung zusammenfassend dar: Abbildung 1: Vorgehen auf dem Weg zur Ethik-Policy Palliative Sedierung 16