Psychosomatik in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

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Transkript:

WISSENSCHAFTLICHE STELLUNGNAHME Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde gegr. 1859 Psychosomatik in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Psychosomatische Medizin beschäftigt sich mit den Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen somatischen, psychischen und sozialen Faktoren in Gesundheit und Krankheit, damit diese Faktoren ihrer Bedeutung entsprechend in der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen berücksichtigt werden können. Bio-psycho-soziale Medizin Entsprechend dem bio-psycho-sozialen Krankheitsentstehungsmodell hat jedes Krankheitsgeschehen sowohl eine somatische als auch eine psychosoziale Dimension, wobei die Wertigkeit der einzelnen Faktoren für jedes Individuum und für jede Form der gesundheitlichen Beeinträchtigung unterschiedlich ist. Auch bei rein organischen Erkrankungen spielen psychosoziale Aspekte eine Rolle, hier vorwiegend im therapeutischen Prozeß, bei der Krankheitsverarbeitung und der Compliance. Demgegenüber werden bei fast allen funktionellen bzw. psychosomatischen Erkrankungen körperliche Symptome geklagt und oft auch entsprechende Befunde erhoben. Zwischen der somatischen und der psychosozialen Ebene bestehen intensive Wechselwirkungen. Symptomentstehung kann sowohl durch Faktoren der somatischen als auch der psychosozialen Ebene bzw. durch beide gleichzeitig ausgelöst werden. So kann ein im Adaptationsbereich des Organismus befindlicher klinischer Befund (Normvariante) während einer belastenden Situation (mit den damit verbundenen physiologischen Veränderungen: Erhöhung des Ruhetonus der Muskulatur, Herabsetzung der Schmerzschwelle u. a.) eine Symptomatik auslösen. Werden diese Normvarianten oder Zufallsbefunde dem Patienten vorschnell als ursächlich relevant vermittelt, so besteht die Gefahr der iatrogenen Chronifizierung. Psychosoziale Belastungssituationen sind für die psychosomatische Medizin von besonderer Bedeutung, weil sie nicht nur funktionelle Störungen in Organen bzw. Organsystemen auslösen, sondern sekundär auch zu organpathologischen Schäden führen können. Art, Dauer und Intensität der Belastung, die von jedem Individuum unterschiedlich stark wahrgenommen wird, bestimmen in der Regel den Krankheitsverlauf. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Begriff Streß. Der Druck und die Zwänge der sogenannten Leistungsgesellschaft bereiten den Boden für die Entstehung gesundheitlicher Störungen. Aus der Medizin weiß man, daß ein Viertel der Stadtbevölkerung der westlichen Industrieländer an funktionellen Störungen und psychosomatischen Erkrankungen leidet. Dazu gehören nicht nur Angststörungen und Depressionen, Herz-

Kreislauferkrankungen, Bluthochdruck, Angina pectoris, u. a. sondern auch schwere körperliche Erkrankungen infolge extremen Fehlverhaltens im Umgang mit Rauchen, Alkohol, Drogen oder gestörtem Eßverhalten usw. Fast alle Fachdisziplinen der Medizin einschließlich der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sehen sich heute zunehmend mit Patienten konfrontiert, die unter funktionellen Störungen/psychosomatischen Erkrankungen leiden. Dabei sind Frauen signifikant häufiger betroffen (sowohl Prävalenz- als auch Inzidenzrate). Angehörige der Unterschicht haben ein höheres Fallrisiko. Nach einer epidemiologischen Untersuchung von SCHEPANK (1990) bleiben nur 29% stabil gesund, während 41% sich in einem klinisch grenzwertigen Beeinträchtigungsschweregrad befinden. In der Regel vergehen auch heute noch mehrere Jahre, bis die Patienten eine ihrer Störung adäquate Hilfe erhalten, weil gegenwärtig immer noch das einseitig organisch - somatische Krankheitsverständnis vorherrscht. Psychosomatische Symptome unterliegen dagegen einer gewissen Abwertung durch Patienten und Ärzte, weil angenommen wird, daß sie von Patienten selbst schuldhaft erzeugt werden, was bei organischen Erkrankungen nicht der Fall sei. Daraus resultiert der Wunsch vieler Patienten nach einer körperlichen Ursache ihrer Beschwerden und die Gefahr, daß vom behandelnden Arzt ein somatischer Zufallsbefund kausal mit der Symptomatik verknüpft wird. Nicht selten kommt es als Folge dieser Fehlinterpretation zu einer sekundären iatrogenen körperlichen Schädigung, beispielsweise der Extraktion aller Zähne bei chronischem, orofazialem Schmerz. Krankheitsbilder in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Krankheitsbilder, bei denen die psychosoziale Dimension von wesentlicher Bedeutung ist, begegnen heute jedem praktisch tätigen Zahnarzt. Sie sind auch in unserem Fachgebiet kein Randproblem mehr. Bei den Krankheitsbildern handelt es sich im wesentlichen um Adaptationsprobleme mit festsitzendem, häufiger jedoch mit herausnehmbarem Zahnersatz unter der Diagnose Prothesenintoleranz bzw. psychogene Prothesenunverträglichkeit. Auch der überwiegende Teil der Fälle von Burning-Mouth-Syndrom (syn. für Zungen- und Schleimhautbrennen, Glossodynie, Stomatodynie) und von chronischen, orofazialen Schmerzzuständen, deren Ursache häufig in einer craniomandibulären Dysfunktion, (einschließlich exzessiver oraler Parafunktionen) besteht, sind den psychosomatischen Störungen zuzurechnen. Das gleiche gilt für die sogenannte Amalgamintoleranz mit ihren unspezifischen, nur schwer objektivierbaren Beschwerdebildern, die am ehesten dem psychosomatischen Allgemeinsyndrom (Somatoforme Störung nach ICD 10) vergleichbar sind.

Fast immer leiden die Patienten neben den Symptomen im Kiefer-Gesichtsbereich an weiteren Schmerzsyndromen bzw. funktionellen und psychosomatischen Störungen, sehr häufig unter LWS-Syndrom, Migräne oder Spannungskopfschmerz, funktionellen Herz- Kreislaufbeschwerden, Schwindel oder Tinnitus. Monosymptomatische Krankheitsbilder sind in der psychosomatischen Medizin nur sehr selten anzutreffen. Behandlungsgrundsätze in der Psychosomatik Eine der wichtigsten Aufgaben bei der Behandlung psychosomatisch Kranker besteht darin, daß von Anfang an der somatische und psychosoziale Anteil einer gesundheitlichen Störung so genau wie möglich erfaßt werden müssen. Stellt sich der Behandler zuerst die Frage, ob das Symptom somatisch oder psychisch verursacht sei, ist er in der Gefahr, die Therapie (und damit den Patienten) zunächst auf ein rein körperliches Problem zu orientieren und erst bei ausbleibendem Behandlungserfolg die Beteiligung psychosozialer Faktoren in Betracht zu ziehen. Die Feststellung, die Erfolglosigkeit der somatischen Therapie beweise die psychische Natur des Problems, frustriert den Patienten und führt fast regelmäßig zum Behandlungsabbruch. Der allein ist schon bedauerlich, viel schlimmer jedoch ist die Tatsache, daß hieraus das entsteht, was man eine Patientenkarriere nennt. Auf der Suche nach einem Arzt, der die geschilderten Symptome endlich ernst nimmt und in der Lage ist, die Ursache dafür zu finden (dem Krankheitskonzept der Patienten entsprechend ausschließlich auf der körperlichen Ebene), kommt es zu unzähligen Arztkonsultationen verbunden mit hohen Behandlungskosten für den Patienten selbst und die Gesellschaft. In einem Zustand der Verunsicherung ( keiner findet was... ), der inneren Anspannung und Nervosität sinkt die Schmerzschwelle und das Symptom verstärkt sich. Zunehmend bestimmt die Krankheit das Erleben und Verhalten in Alltag, Beruf und Freizeit. Sie bestimmt auch die Qualität aller sozialen Kontakte, Kommunikation ist ausschließlich auf die Symptomatik orientiert. Die Patienten glauben schließlich nicht mehr an eine Heilung und bei jedem neuen Arztbesuch sinkt das Vertrauen in dessen fachliche Kompetenz. Im Widerspruch dazu steht die Beobachtung, daß in dieser Phase der Erkrankung eher eine verstärkte Tendenz zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe, verbunden mit immer neuen Therapieversuchen, besteht. Die ständige Enttäuschung über das Therapieergebnis macht die Patienten zunehmend hilflos. Folge davon ist ein völliger Rückzug und die Vermeidung jeglicher Kontakte. Isolation und gleichzeitige Konzentration auf das Symptom tragen zur erneuten Verstärkung des Krankheitsbildes bei. Der sicherste Weg zur Verhinderung einer iatrogenen Chronifizierung besteht in der Vermeidung diagnostischer und therapeutischer Um- und Irrwege eines zweistufigen Vorgehens (ADLER 1998). Das bedeutet, daß nicht erst bei Behandlungsmißerfolg auf der somatischen Ebene über psychosoziale Einflußgrößen nachgedacht werden darf. Nur das Nebeneinander bzw. gleichzeitige Erfassen von somatischen und psychosozialen Daten vermag derartige Entwicklungen auszuschließen. Das setzt eine tragfähige Arzt-Patient- Beziehung und eine besondere Technik der Anamneseerhebung voraus.

Therapie psychosomatischer Erkrankungen In den meisten Fällen verläuft die Therapie psychosomatischer Erkrankungen in einzelnen Behandlungsschritten : - Behandlung der Symptome (Schmerzen, Brennen...) - Behandlung der Ursache einschließlich disponierender, auslösender und verstärkender Faktoren - Behandlung pathologischer Veränderungen. Nach der intensiven klinischen und gegebenenfalls röntgenologischen Untersuchung und der gemeinsamen Besprechung aller Befunde ist es zunächst wichtig, daß der Patient schrittweise über das Wesen derartiger Störungen aufgeklärt wird. Der Arzt muß versuchen, die Natur psychosomatischer Symptome zu erläutern. Gleichzeitig erfolgt die Behandlung der Symptome vorwiegend mit medikamentöser Therapie und physiotherapeutischen Maßnahmen zur Entspannung der Kau- und Gesichtsmuskulatur. Wenn Hinweise auf orale Parafunktionen vorhanden sind, können verhaltenstherapeutische Methoden, in erster Linie die Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle empfohlen werden. Die Behandlung der Ursache (einschließlich disponierender, auslösender und verstärkender Faktoren) setzt erneut einen diagnostischen Prozeß in Gang, der als biographische Anamnese beginnt und fast den gesamten Behandlungsprozeß hindurch neue Erkenntnisse für den Arzt und seinen Patienten bringt (Ineinandergreifen von Diagnose und Therapie in der psychosomatischen Medizin). Verdichten sich die Hinweise dafür, daß schwere neurotische Störungen oder Persönlichkeitsstörungen für die Symptomatik verantwortlich sind, sollte eine Fachpsychotherapie angeraten werden. Anonyme Überweisungen sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Der Patient muß für diese Behandlungsformen gut vorbereitet und motiviert werden, damit er bereit ist, die Empfehlung anzunehmen. Dazu gehört auch, daß wiederholt und eingehend über das Wesen einer psychosomatischen Störung bzw. Erkrankung gesprochen wird und daß der Patient eine gewisse Einsicht in die Entstehung seiner Symptome bekommt. Die günstigsten Voraussetzungen dafür, daß der Patient die Empfehlung zur Psychotherapie annimmt, bestehen dann, wenn der behandelnde Zahnarzt schon jahrelang mit speziell auf unserem Gebiet tätigen Psychotherapeuten zusammen arbeitet und seinem Patienten so die Kontaktaufnahme erleichtern kann. Mit der Anfertigung bzw. Korrektur von Zahnersatz sollte erst begonnen werden, wenn der Patient die psychosomatischen Zusammenhänge hinsichtlich seiner Symptomatik verstanden hat, besser noch, wenn durch die therapeutischen Maßnahmen bereits eine Linderung der Beschwerden eingetreten ist. Sind durch exzessive Parafunktionen starke Abrasionen entstanden, ist es ratsam, erst nach erfolgreicher Therapie (kognitive Verhaltenstherapie) mit der definitiven Versorgung der betroffenen Zähne zu beginnen (Behandlung pathologischer Veränderungen). Psychosomatische Medizin ist keine Spezialdisziplin, sondern eine veränderte Betrachtungsweise des kranken Menschen (Uexküll, 1998).

A.-M. Kluge, Berlin DZZ 55 (00) Stellungnahme der DGZMK V 1.0, Stand 2/00