Armutsfalle Pflege! A. Präambel. B. Ausgangslage, Zahlen/Fakten /24

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Transkript:

6883.01-1/24 Armutsfalle Pflege! A. Präambel Das Thema Pflege nimmt in der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussion einen großen Raum ein. Dabei geht es vor allem um die Kosten der Pflege, andere wichtige Fragen, wie die Bedingungen, unter denen gepflegt werden muss, und die Situation der Betroffenen werden dem großen Thema Kosten meistens untergeordnet. Das vorliegende Papier nimmt dagegen einen anderen Aspekt in den Fokus, es betrachtet das Thema Pflege unter dem Gesichtspunkt Frauen und Armut. Denn Frauen sind bei dieser Themenkombination dreifach betroffen: als Pflegebedürftige, als pflegende Angehörige und als Beschäftigte in der Altenpflege. Bei dem Thema Frauen als pflegende Angehörige ist auch die Zuständigkeit für die Pflege zu diskutieren, denn diese Rolle wird oft automatisch (den) Frauen zugewiesen. Ziel muss aus der Sicht des Bayerischen Landesfrauenrates die Übernahme der Verantwortung durch jeden Einzelnen, die Gesellschaft und die Familie sein; auch vor dem Hintergrund, dass viele Pflegebedürftige keine Familie im gesetzlichen Sinn haben oder die Familie weit auseinander lebt. Dazu kommt, dass vielen Pflegebedürftigen z. B. die körperliche Pflege durch externe Dritte lieber ist als durch enge Familienangehörige. B. Ausgangslage, Zahlen/Fakten Schon jetzt sind fast 25 Prozent der Bevölkerung älter als 60 Jahre. Dieser Anteil wird voraussichtlich im Jahr 2050 bei ca. 40 Prozent liegen. 1 Bei dieser Entwicklung muss aber berücksichtigt werden, dass Menschen über 60 Jahre heute viel fitter sind als noch vor 20 oder 30 Jahren. Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen von 2,25 Millionen im Jahr 2007 auf ca. 3,37 Millionen im Jahr 2030 ansteigen könnte. Das ist eine Steigerung von ca. 50 Prozent. 2 Bei allen Überlegungen muss berücksichtigt werden, dass diese Zahlen nach dem Pflegeversicherungsgesetz nur einen Teil der Realität abbilden, da es daneben Pflegeund Hilfebedürftige gibt, die noch keine Leistungen nach diesem Gesetz erhalten. Die Auswirkungen dieses demographischen Wandels auf die Alterssicherung werden kontrovers diskutiert. Als Maßnahmen werden die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Absenkung der gesetzlichen Rente bei gleichzeitiger Deregulierung des Arbeitsmarktes genannt und auch umgesetzt. Die Auswirkungen auf die Pflegesituation werden dabei nur unzureichend diskutiert. Für das Problem der vermutlich steigenden Pflegebedürftigkeit bzw. hauswirtschaftlichen Versorgung gibt es noch keine Lösung. 1 Destatis, Demographischer Wandel in Deutschland, Heft 2, Ausgabe 2010, Seite 5 2 Destatis, Demographischer Wandel in Deutschland, Heft 2, Ausgabe 2010, Seite 27f Telefon: E-Mail: Internet: Adresse: 089 1261-1520; -1412 Winzererstraße 9 Telefax: 089 1261-1633 info@lfr.bayern.de www.lfr.bayern.de 80797 München

2 I. Frauen als Pflegebedürftige 2011 gab es bundesweit 2,5 Millionen Menschen, die pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes waren. Davon waren 65 Prozent (ca. 1,6 Mio.) Frauen. 70 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Während die Pflegequote (Anteil der Pflegebedürftigen an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe) zwischen den Geschlechtern bis zum 75. Lebensjahr relativ ausgewogen ist, steigt ab dem 75. Lebensjahr die Frauenquote stetig von 10,5 (75 bis 80 Jahre) auf 65,2 bei den über 90-Jährigen, während die entsprechende Quote bei den Männern 8,9 bzw. 36,9 Prozent beträgt: Der Anstieg verläuft also deutlich flacher. 3 In Bayern verläuft die Entwicklung analog. Im Jahr 2011 gab es ca. 329.500 Pflegebedürftige im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes. Davon waren 65 Prozent weiblich, das entspricht ca. 214.500 Frauen. 4 Frauen haben als Pflegebedürftige ein größeres Armutsrisiko, denn sie werden älter als Männer und sie werden seltener daheim gepflegt. Im Jahr 2011 waren bundesweit 74 Prozent der Pflegebedürftigen, die vollstationär betreut wurden, weiblich. 5 In Bayern ist die Situation entsprechend. Für diese Frauen entsteht eine besonders schwierige finanzielle Situation, da sie deutlich weniger Rente/Gesamteinkommen als Männer haben: 2011 betrug die durchschnittliche Rente von Frauen in Bayern 521,38 Euro. Männer hatten fast doppelt so viel, 1011,95 Euro. 6 Wird im Alter eine stationäre Altenpflege notwendig, ergibt sich für 2011 folgende Rechnung: Belastungsvergleich nur Rente Belastungsvergleich Gesamteinkommen Pflegekosten im - 3.200-3.200 Heim Pflegestufe II +1.279 + 1.279 Rente + 521 Gesamteinkommen + 1.292 Differenz 1.400 629 Alleinstehende Frauen in Deutschland hatten 2011 durchschnittlich 1.292 Haushaltsnettoeinkommen im Monat zur Verfügung. Dieser Betrag setzt sich im Wesentlichen aus der gesetzlichen Rente (64 Prozent), anderen Alterssicherungssystemen (21 Prozent) und Einkommen jenseits der Alterssicherungssysteme (15 Prozent) 7 zusammen. Selbst wenn man diesen Einkommensbetrag in die Rechnung einsetzt, bleiben immer noch über 600 Euro Differenz übrig. Diese niedrigeren Renten und Einkommen (von Frauen) beruhen überwiegend auf den anderen Erwerbsverläufen von Frauen: Kürzere Beschäftigungs- und Versicherungszeiten, mehr Teilzeit, längere Unterbrechungen, die Berufswahl und die schlechtere Bezahlung (gender pay gap). Nachdem die gesetzliche Rente in der Regel zwei Drittel des Alterseinkommens ausmacht, sind Verbesserungen bei der Absicherung durch Erwerbstätigkeit notwendig. 3 Pflegestatistik 2011, Seite 7ff, Statistisches Bundesamt, 2013 4 Bayerisches Landesamt für Statistik, Pflegeeinrichtungen und Pflegegeldempfänger in Bayern 2011. 5 Pflegestatistik 2011, Seite 9ff, Statistisches Bundesamt, 2013 6 Deutsche Rentenversicherung, Rentenbestand am 31.12.2011, Band 187 7 BMAS, Rentenversicherungsbericht 2012; ASiD 2012

3 II. Frauen als pflegende Angehörige Bei der Pflege in der Familie sind Frauen zu 73 Prozent die Hauptpflegeperson. 8 Davon sind ca. zwei Drittel im erwerbsfähigen Alter, meist über 40 Jahre alt und verheiratet. Allerdings sind viele dieser Frauen im erwerbsfähigen Alter nicht berufstätig. Untersuchungen bestätigen, dass sich im Pflegefall fast nur verheiratete Frauen für eine Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit zur Pflege eines Angehörigen entscheiden. 9 Sie zeigen auch, dass die Pflege im Haushalt oft nicht mit einer Teilzeitbeschäftigung vereinbar ist. Frauen sind im Gegensatz zu Männern in sehr viel größerem Umfang hohem moralischen Druck ausgesetzt, die Pflege daheim persönlich zu übernehmen. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl der zu pflegenden Fälle um den Ehepartner (ca. 25 Prozent) und die Eltern bzw. Schwiegereltern. Es ist zu vermuten, dass sowohl bei der gesellschaftlichen Pflegekostenbetrachtung, als auch bei der innerfamiliären Betrachtung die Nachteile der Frauen, die durch die Übernahme der Pflege entstehen, wie z. B. durch früheres Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bzw. Unterbrechung der Berufstätigkeit, in Form von aktuellem Einkommensverlust und der geringeren Rentenzahlungen nicht berücksichtig wurden. Viele Frauen sehen keine Alternative und geraten dadurch immer mehr in die Armutsfalle. Fast zwei Drittel der Pflegebedürftigen brauchen auch bei der Pflege durch Familienangehörige Pflegeleistungen rund um die Uhr, ein Viertel zumindest stundenweise. Im Durchschnitt werden rund 37 Stunden in der Woche dafür benötigt und die Pflegebedürftigkeit erstreckt sich durchschnittlich über 8,2 Jahre. 10 Dazu kommt, dass die häusliche Pflege sehr belastend sein kann, sowohl psychisch als auch physisch. Inzwischen gibt es zwei Gesetze, die Ansprüche von Beschäftigten an den Betrieb bei privater Pflegeübernahme regeln: Das Pflegezeitgesetz von 2008 Es wurden zwei Freistellungsansprüche geschaffen. Eine kurzzeitige Freistellungsmöglichkeit von bis zu 10 Tagen, die dazu dienen soll, die Pflege zu organisieren. Ein Vergütungsanspruch besteht nicht. Dazu kommt der Anspruch auf vollständige oder teilweise Freistellung für maximal sechs Monate. Es gibt keine Wartezeit, die Inanspruchnahme muss dem Arbeitgeber mit einer Frist von 10 Tagen angekündigt werden. Freistellung muss gewährt werden, bei Teilzeit kann er aber dringende betriebliche Belange geltend machen. Diese Freistellung gilt nur für Arbeitgeber mit mehr als 15 Beschäftigten. Es gibt einen besonderen Kündigungsschutz für diese Zeiten. Das Familienpflegezeitgesetz von 2012 Es ermöglicht Berufstätigen, die wöchentliche Arbeitszeit maximal zwei Jahre lang auf einen Mindestumfang von 15 Stunden zu reduzieren, um nahe Angehörige zu pflegen. Das Gehalt wird um die Hälfte des reduzierten Entgelts aufgestockt (Darlehen). Spätestens nach zwei Jahren beginnt die Nachpflegephase, in der zum Ausgleich der Gehaltsaufstockung so lange Vollzeit zum geringeren Gehalt gearbeitet werden muss, bis 8 Gender -Datenreport 2005 BMFSFJ, S. 336 ff 9 Gender -Datenreport 2005 BMFSFJ S. 336 ff 10 Pflegesensible Arbeitszeitgestaltung: Ein Handlungsleitfaden für Betriebs- und Personalräte. Herausgeber: DGB Bundesvorstand Berlin Juli 2012, Seite 4

4 das Darlehen zurückgezahlt ist. Voraussetzung ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer. Einen gesetzlichen Anspruch auf Familienpflegezeit gibt es nicht. Dazu kommt, dass die Beschäftigten eine Versicherung abschließen müssen, die eventuelle Ausfallrisiken des Arbeitgebers abdeckt. III. Frauen als Beschäftigte in der Altenpflege Die Altenpflege teilt sich in ambulante Pflegedienste und die stationäre Pflege auf. Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf Bayern: Zahl der Dienste Zahl der Beschäftigen insgesamt davon Frauen davon Teilzeit Ambulante Pflege 12.300 (1.829) 291.000 (38.594) 88 % (87%) 70% (77%) Stationäre Pflege 12.400 (1.704) 661.000 (94.501) 85% (85%) 61% (59%) Quelle: Pflegestatistik 2011, Seiten 10 17 und Bayerisches Landesamt für Statistik, Pflegeeinrichtungen und Pflegegeldempfänger in Bayern 2011 In der Altenpflege sind überwiegend Frauen beschäftigt. Das erklärt die geringen Bruttomonatsverdienste von ca. 2.148 Euro für Altenpflegerinnen und Altenpfleger und ca. 1.877 Euro für Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfer. 11 Gleichzeitig sind die Arbeitsbedingungen in der Pflege insgesamt sehr belastend. Eine Befragung aller Pflegekräfte zeigt, dass jede fünfte Pflegekraft hoch belastet ist und jede vierte eine Reduzierung der Arbeitszeit wegen der Überforderung anstrebt. 12 Das gilt auch für die Altenpflege, das betrifft sowohl die psychische als auch die physische Belastung. 13 Eine Online-Befragung macht deutlich, dass in Tarif ungebundenen Betrieben das Einkommen ca. 19 Prozent unter den in Tarif gebundenen Betrieben liegt. Über die Hälfte der Beschäftigten arbeitet demnach mehr als vertraglich vereinbart. Davon bekommen ca. 86 Prozent eine entsprechende Bezahlung oder Freizeitausgleich, 14 Prozent erhalten keine Überstundenvergütung. Fast ein Viertel der Altenpflegerinnen und Altenpfleger arbeitet befristet, bei den Helferinnen und Helfern liegt der Anteil sogar bei 30 Prozent. Damit liegen sie an der Spitze der Pflegeberufe. 14 C. Resümee / Forderungen Die Pflege wird immer noch als primäre Aufgabe der Familie bzw. der Frauen gesehen und wird in ihrem Umfang massiv unterschätzt. Diese Pflegearbeit durch die Familie und hier besonders durch die Frauen, kann in Zukunft nicht mehr im notwendigen Umfang geleistet werden. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: die steigenden Zahlen bei den Pflegebedürftigen, das veränderte Rollenbild bei den Frauen, der Wandel im gesellschaftlichen Familienbild (weg von der Versorgerehe), die steigende Erwerbsorientierung und -notwendigkeit von Frauen, die bessere Qualifikation der Frauen und die wachsenden Anforderungen an die Mobilität und Flexibilität der Menschen. 15 Eine höhere finanzielle Ausstattung des Pflegesektors ist nötig. Dies hat auch eine hohe frauenpolitische Relevanz. Die Einbindung der Männer in die Pflegearbeit ist unerlässlich. 11 WSI Lohnspiegel-Datenbank www.lohnspiegel.de 12 Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung, Pflegethermometer 2009 13 WSI Lohnspiegel-Datenbank www.lohnspiegel.de Arbeitspapier 07/2012 14 WSI Lohnspiegel-Datenbank www.lohnspiegel.de Arbeitspapier 07/2012 15 Gender in der Pflege. Herausforderungen für die Politik WISO Diskurs August 2008 Friedrich-Ebert- Stiftung

5 D. Der Bayerische Landesfrauenrat fordert daher: - Ausbau der ortsnahen ambulanten Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege von Frauen und Männern zu verbessern; - Förderung von generationsübergreifenden Wohnformen, um geringschwellige Hilfsmöglichkeiten zu ermöglichen; - Sicherstellung einer flächendeckenden guten Beratung rund um die Pflege, z. B. durch Pflegestützpunkte in jeder kreisfreien Stadt und jedem Landkreis; - Ausbau der Informationen über Präventionsmöglichkeiten um Pflegebedürftigkeit zu reduzieren; - Verbesserung und Ausbau der kurzfristigen Freistellungsmöglichkeiten zur Organisation von Pflege bei einem akuten Pflegebedarf. Dazu gehören der Rechtsanspruch und eine Lohnersatzleistung in Höhe des Krankengeldes analog der Regelung bei der Pflege kranker Kinder. - Schaffung eines Zeitbudgets (ca. 6 bis 12 Monate), das flexibel in Anspruch genommen werden kann und mit einer Lohnersatzleistung ähnlich dem Elterngeld ausgestattet wird. Nachdem schon jetzt 17 Prozent der Pflegebedürftigen nicht von Angehörigen gepflegt werden, müssen diese Regelungen für alle die gelten, die Pflegeverantwortung übernehmen und dürfen nicht von familiären Beziehungen abhängig gemacht werden. - Verbesserung der Ausbildungsbedingungen in der Altenpflege, d. h. auch die Ausbildung kostenfrei zu gestalten. Finanzierung der Ausbildungskosten durch ein Umlagesystem; - Verbesserung der Arbeitsbedingungen; - Belastungs- und anforderungsgerechte Bezahlung der Altenpflege; - Bessere Anerkennung der Pflegezeiten in der Rentenversicherung; - Um zu verhindern, dass Frauen Angehörige aus finanziellen Gründen zuhause pflegen und nicht in eine stationäre Einrichtung geben, sollte der Unterhaltsanspruch der Pflegebedürftigen gegenüber ihren Kindern bis zu einem jährlichen Gesamteinkommen von 100.000 Euro unberücksichtigt bleiben wie das bereits bei Beziehern von Grundsicherung im Alter der Fall ist ( 43 Abs. 3 SGB XII). München, 29. Juli 2013 Hildegund Rüger Präsidentin