Gesichtspunkte zur biologisch-dynamischen Getreidezüchtung

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Transkript:

Gesichtspunkte zur biologisch-dynamischen Getreidezüchtung Dr. habil. Hartmut Spieß IBDF im Forschungsring ev & Landbauschule Dottenfelderhof ev www.ibdf.de / www.dottenfelderhof.de Es ist auffallend, dass nur die Biodynamiker innerhalb der verschiedenen Bio- Landbau-Verbände eine eigene Pflanzenzüchtung aufgebaut haben. Dies hat verschiedene Ursachen. In den Jahren 1922/23 traten verschiedene Landwirte an R. STEINER, den späteren Begründer des Biologisch-Dynamischen Landbaues, heran und fragten ihn um Rat, da sie eine zunehmende Degeneration des Saatgutes und mancher Kulturpflanzen zu beobachten meinten. So wurde die Frage gestellt, was zu tun sei, um den Zerfall der Saatgut- und Ernährungs-Qualität aufzuhalten. Dies war der Beginn, sich in diesem Umfeld mit Fragen der Pflege des Saatgutes sowie der Erhaltung der Sorten, aber auch von Neuzüchtungen zu befassen. Weitere Gesichtspunkte für das Aufgreifen der Saatgutfrage kamen hinzu, als 1924 von STEINER der Landwirtschaftliche Kurs gehalten wurde. Zum einen handelt es sich um den Organismusgedanken, welcher dem biodynamischen Landbau zugrunde liegt. Nach STEINER (1924) erfüllt eine Landwirtschaft ihr Wesen - im besten Sinne des Wortes -, wenn sie als eine wirklich in sich geschlossene Individualität aufgefasst wird. Deshalb müsste eine gesunde Landwirtschaft dasjenige, was sie selber braucht, in sich selber auch hervorbringen können. Es wird daher angestrebt, dass die Mittel für die Produktion der Landwirtschaft aus den lebendigen Verhältnissen desselben Standortes stammen, von ihnen geprägt und belebt sind, in denen sie angewendet werden, d.h. aus dem Lebenszusammenhang des Organismus höherer Art selbst. Dadurch wirken sie nicht als Fremdkörper, die erst belebt werden müssen und dabei gewissermaßen Lebenskräfte beanspruchen, sondern sie verbleiben innerhalb des Organismus, aus dem sie stammen, wie es physiologisch normal ist (SCHAUMANN 1996). Hier spiegelt sich der Organismusgedanke wider, wonach alle einzelnen Glieder des Organismus in wechselseitigen Verhältnissen stehen und sich gegenseitig bedingen. Idealer Weise sollte demnach das Saatgut - als eines der Glieder dieses landwirtschaftlichen Organismus - im eigenen Betrieb erzeugt werden. Der zweite wesentliche Gesichtspunkt für das Aufgreifen der Saatgut- und Züchtungsarbeit bestand in der Qualitätsfrage, insbesondere hinsichtlich der Ernährung. STEINER war es wichtig, dass die Nahrungsmittel nicht nur der Ernährung des Leibes, sondern insbesondere auch dem seelischen und geistigen Wohl des Menschen dienen [STEINER 1924: Sie können ja irgendwelche Frucht ziehen, die glänzend aussieht, auf dem Felde oder im Obstgarten, aber sie ist vielleicht für den Menschen nur magenfüllend, nicht eigentlich sein inneres Dasein organisch befördernd. ]. Die Assoziation biologisch-dynamischer Pflanzenzüchter ev (www.abdp.org) hat dieses Ziel, Sorten für eine menschengemäße Ernährung zu züchten, in ihrem Leitbild verankert. Ein ebenso wichtiges Anliegen der biodynamischen Pflanzenzüchter ist die Erhaltung und Mehrung der Sortenvielfalt. Mensch und Kulturpflanze haben seit 10.000 Jahren eine gemeinsame Evolution. Die Existenz der Kulturpflanze ist dabei an die menschliche, pflegerische Tätigkeit genau so gebunden, wie die Höherentwicklung des Menschen an die Kulturpflanzen. Diese sind kulturelles Erbe, welches von Generation zu Generation weitergegeben wird und daher unveräußerliches Kulturgut. Die Gesellschaft hat daher die Aufgabe, dieses kulturelle Erbe zu bewahren, in seiner Vielfalt zu erhalten und weiterzuentwickeln. Dies kann jedoch nicht nur im Rahmen von 1

Genbanken geschehen, sondern sollte in situ / on farm erfolgen, damit sich die Pflanzen den wechselnden Umweltbedingungen anpassen können. Dieses sieht die herkömmliche Pflanzenzüchtung auch als einen Teil ihrer Aufgaben an, wenn auch ihre Hauptaufgabe darin besteht, die Weiterentwicklung der Kulturpflanzen zu gewährleisten. Im Rahmen einer Öko-Züchtung sollte sie jedoch auch darin gesehen werden, der Gesellschaft Kulturpflanzen zur Verfügung zu stellen, welche die gesunde Ernährung von Mensch und Tier gewährleisten und - aus aktuellem Anlass - welche auf den Naturzusammenhang keine schädliche Auswirkung haben. Diesen Passus enthält zwar das Pflanzenschutzgesetz ist aber expressis verbis in der Pflanzenzucht bzw. in Sortenzulassungsverfahren nicht vorgeschrieben. Grundsätzlich ist daher die Züchtung gentechnisch veränderter Pflanzen bzw. deren Einsatz mit den Grundsätzen des Ökologischen Landbaus (ÖL) nicht vereinbar und daher weltweit im ÖL untersagt (IFOAM-Richtlinie). Ein weiteres wesentliches Ziel biodynamischer Pflanzenzüchtung besteht in einer standortangepassten Züchtung, womit regionale Vielfalt gefördert werden soll. Das Ideal dieser Pflanzenzüchtung wird darin gesehen, unter den Bedingungen biodynamisch bewirtschafteter Betriebe zunächst eine Vielfalt von Pflanzen zu erzeugen, aus denen über eine stete Selektion Sorten entwickelt werden, welche über die erwünschten Eigenschaften verfügen. Damit entsteht jedoch eine Problematik in der praktischen Züchtungsarbeit. Will man eine Sorte in Verkehr bringen, setzt dies üblicherweise die Zulassung durch das Bundessortenamt (BSA) voraus. Diese hängt von den Ergebnissen einer dreijährigen bundesweiten Prüfung vor allem auf den so genannten landeskulturellen Wert und die Homogenität der Sorte ab. Sorten, die man anmelden will, sollten daher zuvor eine ausreichende Vorprüfung auf verschiedenen Standorten durchlaufen haben, denn die Zulassungskosten in Deutschland sind sehr hoch (derzeit rd. 17.000 einschließlich Öko-Prüfung). Diesen Aufwand wird man jedoch nicht bei Regionalsorten betreiben, die in geschlossenen Produktionssystemen, beispielsweise im Rahmen einer Erzeugergemeinschaft, genutzt werden könnten. Möglicherweise wären sie auch als Erhaltungssorten in den Handel zu bringen, wobei in den meisten Ländern der EU diese Kategorie zwar gesetzlich vorgesehen ist, aber noch keine verbindlichen Durchführungsverordnungen verabschiedet wurden. Österreich bildet hiervon eine Ausnahme. Die Züchtungsziele für Öko-Sorten sind vielfach in Fachgremien diskutiert worden, jedoch gibt es Besonderheiten, wie eine spezifische Ernährungsqualität, wie sie vor allem aus biodynamischer Sicht gefordert wird. Die Rangfolge der erwünschten Eigenschaften ist nicht einheitlich, sondern hängt zunächst von der Anbauregion (Standort), von der Bewirtschaftung und von der Vermarktung ab. Das Ranking wird aber auch davon beeinflusst, ob die Sorte einen landeskulturellen Wert erfüllen oder als Erhaltungs- sprich Regionalsorte diese Hürde nicht nehmen muss. Am Beispiel von Brotweizen soll in chronologischer Weise gezeigt werden, welche Zuchtziele nach Gesichtspunkten des biodynamischen/öko-landbaus verfolgt werden. Betrachtet man zunächst die Kornausbildung, wird bei der Selektion auf gesunde, glattschalige, gut ausgebildete, fleckenlose, runde, glasige Körner mit schmaler Bauchfurche geachtet. Das Korn soll über eine hohe Saatgutvitalität und starkes Bewurzelungsvermögen verfügen. Dies ist wichtig, wenn im Drei- bis Fünfblattstadium zum ersten Mal gestriegelt wird. Hier spricht man bereits von der Striegelresistenz einer Sorte. Hinsichtlich der Konkurrenz des Weizens gegenüber den Unkräutern ist ein hoher Bedeckungsgrad des Bodens erwünscht. Dazu sollen die Triebe während der Bestockung am Boden flach anliegen. Bei den späteren Stadien der Pflanzenentwicklung wird eine waagerechte Blatthaltung ( planophil ) gegenüber einer erektophilen wegen der besseren Bodenbedeckung bevorzugt. Auch gegenüber der 2

schwer bekämpfbaren Ackerkratzdistel, die empfindlich auf Lichtentzug reagiert, sollte dies wirksam sein. Das Maß der Unkrautunterdrückung hängt jedoch auch mit der Wuchslänge zusammen, wobei von den Öko-Züchtern Pflanzen mit langem Stroh, selbstverständlich unter dem Gesichtspunkt der Standfestigkeit, bevorzugt werden. Mehrere Gründe sprechen für eine gewisse Langstrohigkeit. Zum einen soll aus Qualitätsgesichtspunkten das Korn in Licht und Wärme reifen, was bei Kurzstrohsorten eher im Feuchtemilieu des Bodens geschieht. Zum anderen ist die Gesundheit der Ähre anvisiert, da ein geringerer Fusarium- und Septoria-Befall mit zunehmender Wuchslänge, vor allem des letzten Interodiums, in der Regel zu konstatieren ist. Weiterhin ist der Strohertrag, der mit der Wuchshöhe eng korreliert ist, für viehhaltende Betriebe wichtig, um über genügend Einstreu zu verfügen. Nicht zuletzt soll erwähnt werden, dass eine Ausreifungsqualität des Strohs hinsichtlich Farbigkeit und Glanz Berücksichtigung findet. Die Bewurzelungsfähigkeit der Sorte wurde schon angeführt, welche für ein hohes Nährstoffaneignungsvermögen besonders wichtig ist. Noch am ehesten spiegelt nach bisherigem Kenntnisstand die Gesamtbiomassebildung der oberirdischen Pflanzenteile die der Wurzeln wider. Hier kommt der Durchwurzelungsintensität über die Bildung von Feinwurzeln größere Bedeutung zu als der Wurzelmassebildung. Unter den Bedingungen des ÖL scheint es wichtig zu sein, dass vor der Kornfüllung in erster Linie viel Stickstoff von der Pflanze aufgenommen und während der Kornfüllungsphase in das Korn umgelagert wird. Hinsichtlich der Bedeutung der Blatt- und Ährenerkrankungen gibt es im ÖL eine stark unterschiedliche Gewichtung. Blattkrankheiten wie Mehltau, Rost, Septoria oder DTR/HTR treten auch im ökologischen Getreidebau auf, bleiben aber in der Regel deutlich unterhalb einer Schadschwelle. Daher reichen unter den gegenwärtigen Bedingungen die heute in den Sorten etablierten Resistenzen für den ÖL aus. Sorten, die in Feuchteregionen angebaut werden sollen, müssen jedoch im Züchtungsgang auf die Widerstandfähigkeit gegen Ähren-Fusariosen getestet werden. Auch wenn bisher im ÖL keine bedenklichen Werte bei Fusarientoxinen am Korn bekannt wurden, ist wegen der Gefährlichkeit dieser Toxine eine hohe Widerstandsfähigkeit der Sorten im Zuchtziel verankert. Gegenüber den Blattkrankheiten haben die saatgutübertragbaren Getreidebrände im ÖL eine große Bedeutung erlangt, weil eine Beizung mit hochwirksamen Fungiziden unterbleibt. Eine Bekämpfung ist jedoch zwingend notwendig, weil Ertragseinbußen eintreten und die Sporen toxikologisch bedenklich sind. Zudem droht der Saatgutvermehrung Schaden, denn bereits mehr als drei bzw. fünf befallene Pflanzen pro 150 m² führen zur Aberkennung des Basis- bzw. Z-Saatgutes. Resistente Sorten stehen kaum zur Verfügung, denn wegen der Saatbeizung bestand für die Züchtung seit Jahrzehnten keine Notwendigkeit, sich einer Resistenzzüchtung zu widmen. Das spiegelt sich auch in den Zulassungskriterien des Bundessortenamtes wider, in denen die Anfälligkeit der Sorten auf Brandkrankheiten nicht berücksichtigt wird. Ein wesentliches Ziel der ökologischen Pflanzenzüchtung besteht daher in der Entwicklung resistenter Sorten. Aktuelle Untersuchungen über den Status der Anfälligkeit des derzeitigen Sortenspektrums gab es mit Ausnahme österreichischer Sortentests nicht. In Deutschland wurde deshalb vorwiegend von biodynamischen Züchtern diese Forschungsproblematik aufgegriffen. In erster Linie handelt es sich um den Weizensteinbrand (Tilletia tritici), der von Einkorn bis Dinkel alle Weizenformen befällt und maximale Ertragsausfälle von 70 bis 90 % bewirken kann. Zwar steht mit Tillecur ein richtlinienkonformes, wirksames Saatgutbehandlungsmittel der Dr. Schaette AG, Bad Waldsee zur Verfügung, dennoch empfiehlt es sich als nachhaltiges Verfahren der Gesunderhaltung des Saatgutes, die Resistenz der Sorten einzubeziehen. Im 3

Hinblick auf den Einsatz wenig anfälliger Sorten zeigten Untersuchungen von rd. 160 Winterweizen in 2002-2006, dass lediglich acht Weizen unter 1% Befall blieben. Von 64 untersuchten Sommerweizen in 2001 und 2002 waren sechs Sorten befallsfrei getestet. Beim Zwergsteinbrand (T. controversa) stellt wegen der bodenbürtigen Infektion und kaum wirksamer Saatgutbehandlungsmittel der Einsatz resistenter Sorten die wichtigste Alternative in der Krankheitskontrolle dar. Um eine vergleichbare Problematik handelt es sich beim Flugbrand des Weizens (Ustilago tritici) und der der Gerste (U. nuda). Das im Inneren des Kornes sitzende Myzel ist nur mit thermischer Saatgutbehandlung zu bekämpfen, wobei kaum eine geeignete Technik vorhanden ist. Während bei Weizen auf eine größere Anzahl Sorten für eine Resistenzzüchtung im ÖL zurückgegriffen werden kann, sind es bei der Gerste nur vereinzelte. Der Hartbrand der Gerste (U. hordei) stellt ein geringeres Problem dar, wogegen beim Haferflugbrand (U. avenae) eine Resistenzzüchtung notwendig erscheint. Von den derzeit zugelassenen Hafersorten zeigte nur Neklan einen hohen Resistenzgrad. Nicht zuletzt ist die Qualität des Erntegutes von entscheidender Bedeutung und eines der wichtigsten Kriterien in der Selektion der Züchter. Beim Weizen ist es zunächst die technologische Backqualität, die hauptsächlich an der Klebermenge, an der Kleberbeschaffenheit und am Backvolumen gemessen wird. Unter den Bedingungen des ÖL ist die Verfügbarkeit von Stickstoff einer der begrenzenden Faktoren, von dem aber Rohprotein- und Klebergehalt abhängen. Auf extensiveren Standorten ist die genetisch veranlagte und verarbeitungstechnologisch notwendige Klebermenge selbst bei Weizen der Qualitätsgruppe E nicht ausreichend. Die Selektion auf sehr hohe Klebergehalte beinhaltet daher die N-Aufnahme bzw. die Effektivität der N- Umlagerung vom vegetativen ins generative Organ. Fehlende Klebermengen lassen sich in einem gewissen Maße durch höhere Kleberqualität kompensieren, weshalb für den ÖL in erster Linie Weizen der Qualitätsgruppe E in Frage kommen. Diese zeichnen sich durch eine spezifische Eiweißzusammensetzung aus, die hohe Backvolumina ermöglichen. Es ist daher in der Öko-Weizenzüchtung wichtig, schon früh Parameter der Backqualität zu erfassen. Derzeit arbeiten einige Öko-Züchter mit dem SDS-Sedimentationswert, der gegenüber der Methode nach Zeleny zu einer besseren Differenzierung und Vorhersage der Backqualität führt. Es wird aber auch an der Entwicklung eines Minibacktests gearbeitet, der mit 10 bis 20g Mehl auskommt. Gegenüber diesen technologischen Eigenschaften nimmt nach biodynamischen Gesichtspunkten die Ernährungsqualität einen wesentlich höheren Rang ein. Danach fängt die Ernährung nicht erst beim fertigen Nahrungsmittel an, sondern bereits auf dem Feld. Auch eine Getreidepflanze kann schön sein, was sich im Gestaltaufbau, in Form und Farbe zeigen kann. In der Betrachtung und Wahrnehmung eines wogenden, reifenden Ährenfeldes können die Sinne so angesprochen werden - vergleichsweise der Beobachtung eines Alpenglühens -, dass der Mensch sich ernährt fühlt. Die Beurteilung mit den Sinnen setzt sich beim Verkosten des Brotes fort. Hier wird Qualität in Geruch und Geschmack erlebbar. Die Qualität des Kornes erschließt sich darüber hinaus nicht nur in wertgebenden Inhaltsstoffen, die zudem durch die Verarbeitung starke Veränderungen erfahren, sondern auch durch die ihm innewohnenden lebendigen Kräfte. Gemeint sind damit nicht die bekannte Triebkraft resp. Saatgutvitalität des Kornes, sondern dessen Fähigkeit, den Menschen in physiologischer Hinsicht zu ernähren und sein seelisches und geistiges Wohlbefinden zu fördern. Für den Nachweis dieser qualitativen Eigenschaft wurden so genannte bildschaffende Methoden wie die Kupferkristallisation, Rundbildchromatogramm nach Pfeiffer und Steigbild nach Wala entwickelt. Mit diesen kann eine Qualitätsbeurteilung der Proben nach Reifung, Vitalität, Alterung u.a.m. vorgenommen werden. Aber auch der direkten Wahrnehmung durch seelisch-geistig geschulte Fähigkeiten des 4

Beobachters sind diese Bildekräfte objektiv erleb- und beschreibbar. Biodynamische Züchter und Züchterinnen setzen diese Methoden bei der Entwicklung der Sorten zunehmend ein (KUNZ et al. 2006) und fügen so dem Züchterblick - als der Summe der praktischen Erfahrung und wissenschaftlichen Erkenntnis des Züchters - ein weiteres Element hinzu. Abschließend sei im Hinblick auf wirtschaftliche Gesichtspunkte angemerkt, dass die Züchtung der Kulturpflanzen - indem sie auf kulturelle Vorleistungen der Menschheit aufbaut - als gesellschaftliche Aufgabe angesehen und damit von der Menschengemeinschaft gemeinnützig getragen werden müsste. Insbesondere gilt dies für den Aufwand der Entwicklung von Öko-Sorten, welcher aufgrund des begrenzten Umfanges des Anbaues nicht von erhobenen Saatgutlizenzen zu finanzieren ist. Von biodynamischer Seite wurden daher Vermarktungskonzepte entwickelt, welche die Nutznießer dieser Sorten - Anbauer, Verarbeiter und Vermarkter - in die Finanzierung der Züchtung einbeziehen. Der Vorteil eines solchen Modells besteht darin, den Beteiligten an der Wertschöpfungskette bis hin zum Konsumenten die Notwendigkeit einer nachhaltigen Pflanzenzüchtungsforschung, deren Transparenz gewährleistet ist, nahe zu bringen. Literatur: KUNZ P., FRITZ F., SCHMIDT D., BUCHMANN M. (2006): Qualität im Methodenvergleich. Charakterisierung von Weizensorten. Leb. Erde 5, 12-16 SCHAUMANN W. (1996): Rudolf Steiners Kurs für Landwirte. Eine Einführung. SÖL- Sonderausgabe Nr. 46, DEUKALION Verlag STEINER R. (1924): Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft. GA 327, Rudolf Steiner Verlag Dornach/Schweiz, 6. Aufl. 1979 5