Rede von Herrn Minister Peter Hauk MdL anlässlich des Kongresses der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema "Zukunft der ländlichen Räume" am 15.06.2009 in Berlin - Es gilt das gesprochene Wort! - Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, heute an dieser Podiumsdiskussion beim Kongress zur Zukunft der ländlichen Räume teilzunehmen. Um es gleich eingangs anzumerken: Baden-Württemberg ist stark, weil es starke ländliche Räume hat. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so bleibt. Zu den wichtigsten Kriterien, weshalb sich Menschen für oder gegen ein Leben im ländlichen Raum entscheiden, gehört die Frage, welche Infrastruktureinrichtungen vor Ort oder zumindest in gut erreichbarer Nähe vorhanden sind. Dies gilt für junge Familien mit Kindern ebenso wie für ältere Menschen, die nicht mehr ganz so mobil sind. Neben Arbeitsplätzen benötigen wir deshalb vor allem eine gute Infrastruktur. Diese reicht vom Straßen- und Schienennetz über die medizinischen Versorgung, ortsnahe Schulen, die Nahversorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs bis hin zu Standortfaktoren wie dem schnellen Internet. Ich möchte Ihnen anhand einiger Beispiele aus Baden-Württemberg schlagwortartig darstellen, an welchen Stellschrauben wir deshalb drehen müssen, damit unsere ländlichen Räume auch in Zukunft attraktive und lebenswerte Räume sind. I. Instrumente einer Politik für den ländlichen Raum Dass der ländliche Raum in Baden-Württemberg heute so gut dasteht, verdanken wir mehreren Faktoren:
- 2 - o der integrierten Förderung des ländliche Raums, insbesondere durch das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR). Seit 1995 wurden mit dem ELR in Baden-Württemberg über 950 Mio. Euro an Fördermitteln bereitgestellt, mit denen ein Investitionsvolumen von mehr als 7 Mrd. Euro angestoßen und fast 28.000 Arbeitsplätze neu geschaffen und darüber hinaus eine große Anzahl bestehender Arbeitsplätze gesichert wurden, o der Wirtschaftsförderung, o den Investitionen in Bildung und Schule, o dem Ausbau des ÖPV, o dem Straßenbau der 60-80er Jahre, o der integrierten Agrar- und Strukturpolitik und o der Flurneuordnung und Landentwicklung (Schaffung von wettbewerbsfähigen Strukturen). Alle diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in den ländlichen Räumen im Vergleich zu den Ballungsräumen weitgehend gleichwertig sind. Das soll auch in Zukunft so bleiben. II. Zukünftigen Herausforderungen bereits heute aktiv begegnen Deutschland erlebt derzeit eine Phase gravierender struktureller Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie stellen unsere ländlichen Räume vor eine Reihe von Herausforderungen. Schlagworte sind: o ganz aktuell die derzeit schwierige Phase auf den Finanzmärkten und in der Wirtschaft, o die Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft, aber auch im Gesundheitswesen, im Schulbereich, in der Nahversorgung und im Dienstleistungssektor, o die weitere Liberalisierung der Märkte, o die Erweiterung der Europäischen Union und die Globalisierung,
- 3 - o der Versuch, die Strukturpolitik zunehmend auf die Metropolen auszurichten, o der fortlaufende Strukturwandel in der Landwirtschaft sowie o die demografische Entwicklung: Wir werden weniger und vor allem älter. Die Kombination dieser beiden Faktoren wird erhebliche Auswirkungen haben. o Gleichzeitig engen die begrenzten finanziellen Ressourcen der öffentlichen Haushalte die Spielräume langfristig ein. Auch die Städte und Gemeinden in den ländlichen Räumen durchlaufen einen Prozess der stetigen Veränderung. Diese Entwicklung umfasst alle Lebensbereiche. Die genannten Aspekte erfordern daher größte politische Aufmerksamkeit. Eine zukunftsorientierte Politik für den ländlichen Raum muss vor allem Folgendes leisten: o Höchste Priorität haben Arbeitsplätze. Dies gilt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie diesen umso mehr. Gibt es keine Arbeit, ziehen die Menschen weg. o Das A und O ist aber auch eine gute Infrastruktur. Industrie ist da, wo es eine gute Verkehrsverbindung gibt. Das gilt für das Straßen- wie das Schienennetz. Und hier gibt es im ländlichen Raum einiges zu tun! Gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um die Metropolregionen darf es keine Mittelverschiebung zu Lasten der ländlichen Räume geben. Die Situation der ländlichen Räume ist eben nicht mit der der Ballungsräume vergleichbar. Und es genügt eben nicht, nur die Verkehrsachsen zwischen und um die Metropolen auszubauen. Ein in die Fläche reichendes, gut ausgebautes Straßennetz und ÖPV- Angebot ist für die Wirtschaftsbetriebe und die Bevölkerung im ländlichen Raum von entscheidender Bedeutung! o Wir brauchen außerdem eine flächendeckende Breitbandinfrastruktur. Eine gute Versorgung mit Neuen Medien im ländlichen Raum ist Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und die Attraktivität des ländlichen Raums für die Bürgerinnen und Bürger. Denn für diese ist schnelles Internet
- 4 - zum Lebensstandard geworden, wie Radio und Fernsehen. Deshalb setzen wir mit der Breitband-Initiative Baden-Württemberg in den Jahren 2008 bis 2010 insgesamt 53 Mio. Euro für den Ausbau der Breitbandinfrastruktur ein. Zu den 20 Mio. Euro Landesmittel kommen 30 Mio. Euro aus dem Konjunkturpaket des Bundes sowie 3 Mio. Euro aus der GAK hinzu. Damit können wir wichtige Impulse setzen! Wir fördern hiermit Modellprojekte, den Ausbau einer zukunftssicheren kommunalen Glasfaser-Infrastruktur, um dem besonderen Bedarf der gewerblichen Wirtschaft entsprechen zu können, die Verlegung von Leerrohren sowie Zuschüsse von Gemeinden an Netzbetreiber zur Deckung der Wirtschaftlichkeitslücke bei Investitionen in den Ausbau der Breitband-Infrastruktur. Daneben haben wir ein umfassendes flankierendes Maßnahmenpaket aufgesetzt. Unsere Vorreiterrolle in Baden-Württemberg führt dazu, dass wir Antworten haben, wo andere noch fragen und wir Fragen stellen können, die sich anderswo noch nicht auftun. Daher begrüßen wir alle Maßnahmen des Bundes, die auf einen engen Schulterschluss zwischen Bund und Ländern hinauslaufen. Wichtig ist dabei aber auch, dass wir von der Bürokratie nicht erstickt werden. o Der ländliche Raum muss für hoch qualifizierte Arbeitskräfte und für junge Familien auch als Wohnort attraktiv bleiben. Sonst wird es für Unternehmen schwierig, junge, qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen. Und genau dies wird eine zentrale Zukunftsfragestellung für den ländlichen Raum sein. Die Menschen erwarten ein familienfreundliches Umfeld mit ortsnahen Kindergärten und Grundschulen, erreichbaren weiterführenden Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Kultureinrichtungen. Deshalb müssen auch Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen ausgebaut werden. Familie und Beruf müssen auch im ländlichen Raum vereinbar sein!
- 5 - Ebenso gehört ein in die Fläche reichender ÖPNV dazu. Gleiches gilt für die ortsnahe ambulante und stationäre medizinische Versorgung. Baden-Württemberg verfügt über ein qualifiziertes und flächendeckendes Netz von niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern und Rettungsdiensten. Aber auch bei uns wird es immer schwieriger, Nachfolger für Arztpraxen im ländlichen Raum zu finden. Die ersten kleinen Lücken im engen Netz werden sichtbar! Wir haben uns deshalb mit unserem Sozialministerium zusammengesetzt. Neben der Erhebung des Status quo und einer Prognose der künftigen Entwicklungen haben wir gemeinsam konkrete Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen entwickelt, die wir jetzt in Modellprojekten erproben. Diese reichen unter dem Stichwort "Landarztpraxis" von Überlegungen, wie kommen junge Ärzte wieder in den ländlichen Raum, über die modellhafte Erprobung eines Landarzttaxis, die Erprobung, ob ein Gesundheitszentrum die notärztliche Versorgung sicherstellen kann, bis hin zu verschiedenen Projekten im Bereich Telemedizin. o Ein weiterer wichtiger Standortfaktor ist die Schule. Als Eltern wollen wir, dass unsere Kinder auch in Zukunft wohnortnah zur Schule gehen können und nicht schon im Grundschulalter halbe Weltreisen zurücklegen (Stichwort: "kleine Füße - kurze Wege"). Kennzeichen der baden-württembergischen Bildungspolitik sind deshalb dezentrale ortsnahe Bildungs-, Hochschul- und Forschungsinfrastrukturen. Denn gleichwertige Lebensbedingungen heißt auch ortsnaher Zugang zu Bildung, Wissen und Know-How. Mit Hochschulen und Berufsakademien im ländlichen Raum verhindern wir den "Brain-Drain" in die Städte und geben jungen Menschen attraktive Ausbildungs- und Karriereoptionen in der Nähe ihrer ländlichen Heimatorte. Das ist eine große Themenpalette, die nur ressortübergreifend angegangen werden kann. Dazu müssen alle Akteure an einen Tisch geholt werden.
- 6 - Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat deshalb im August 2006 den Kabinettsausschuss "Ländlicher Raum" eingesetzt. Der Kabinettsausschuss hat den Auftrag, konkrete Lösungsvorschläge für diese Themenbereiche zu erarbeiten. Dabei sollen auch bewusst neue und kreative Lösungen gesucht werden. Es gilt, den ländlichen Raum für zukünftige Generationen attraktiv zu halten. Finden die Menschen keine Arbeit, ziehen sie weg. Stimmt das Umfeld nicht, ziehen sie über kurz oder lang ebenfalls weg oder kommen erst gar nicht. Die Frage, ob sich z.b. ein junger Ingenieur für einen Arbeitsplatz auf dem Land entscheidet, wird heute immer öfter vom Familienrat und nicht nur vom Geldbeutel entschieden. III. Schluss Es geht darum, in den Grundsatzfragen des ländlichen Raums heute die Weichen richtig zu stellen. Mit guten Konzepten, aber auch mit dem Mut zu neuen, innovativen und unkonventionellen Lösungen! Dies gelingt nur, wenn alle an einem Strang ziehen! Die ländlichen Räume in Deutschland haben gute Perspektiven. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Möglichkeiten genutzt werden. Es liegt an uns, unsere Zukunft aktiv zu gestalten!