1 Stellungnahme des Beirats für Raumordnung vom 23. Januar 2009 Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt Territoriale Vielfalt und Stärke Der Beirat für Raumordnung begrüßt das Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 6.10.2008 als wichtige Initiative zur territorialen Kohäsion und zur Weiterentwicklung der EU-Strukturpolitik. Der Beirat empfiehlt dem Bundesminister, den im Grünbuch verfolgten Ansatz, der territorialen Sichtweise Vorrang vor der rein sektoralen Betrachtung bestimmter Maßnahmen zu gewähren, nachhaltig zu unterstützen. Der Beirat für Raumordnung befürwortet das Vorhaben der Kommission, durch die öffentliche Konsultation das Konzept des territorialen Zusammenhalts soweit zu präzisieren, dass es operativ in der zukünftigen EU-Strukturpolitik umsetzbar wird. Zu den im Grünbuch aufgeworfenen Fragen nimmt der Beirat für Raumordnung deshalb wie folgt Stellung: 2. Umfang und Reichweite territorialer Maßnahmen Wie kann die EU den territorialen Zusammenhalt fördern? Wie kann ihr Beitrag unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips aussehen? Der Beirat für Raumordnung verweist auf den Maßnahmenkatalog der Territorialen Agenda der Europäischen Union dementsprechend die Europäische Kommission insbesondere in ihren Kohäsionsberichten die territoriale Dimension der EU hervorheben sollte, um Städte und Regionen anzuregen, ihre eigenen Entwicklungsvorstellungen verstärkt in den europäischen Kontext einzubringen. Um Städte und Regionen bei der Umsetzung der EU-Politiken stärker zu beteiligen, bedarf es nach Überzeugung des Beirats auch weiterhin der Unterstützung des Ausschusses für Regionalentwicklung des Europäischen Parlaments, der Fachkommission für Kohäsionspolitik, des Ausschusses der Regionen und des Europäische Wirtschafts- und Sozialausschusses bei der Umsetzung der Territorialen Agenda. Beide vorstehend beschriebenen Maßnahmen tragen dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung.
2 3. Bessere Zusammenarbeit Welche Rolle sollte die Kommission bei der Förderung und Unterstützung der territorialen Zusammenarbeit spielen? Der zunehmenden Raumbedeutsamkeit von Gemeinschaftspolitiken sollte nach Ansicht des Beirates für Raumordnung und im Sinne der Territorialen Agenda dadurch Rechnung getragen werden, dass die EU-Politiken durch einen strategisch ausgerichteten, integrierten räumlichen Ansatz die Potentiale lokaler, regionaler und nationaler Entwicklungen und Motive der Akteure der Raumentwicklung stärker als bislang berücksichtigen. Als europäische Politik des territorialen Zusammenhalts bedürfen insbesondere die Politik für den ländlichen Raum, die Umwelt- und Verkehrspolitik sowie die europäische Strukturpolitik einer engen Verzahnung der unterschiedlichen nationalen, regionalen und lokalen Anliegen. Wünschenswert wäre eine größere Kohärenz der EU-Politik im Hinblick auf ihre territorialen Wirkungen. Dieser Empfehlung der Territorialen Agenda schließt sich der Beirat für Raumordung an und regt an, geeignete Forschungs- und Förderprogramme gezielt hierfür einzusetzen und aufzustocken. Besteht Bedarf an neuen Formen der territorialen Zusammenarbeit? Nach Auffassung des Beirates für Raumordnung kann territorialer Zusammenhalt im Sinne territorialer Governance nur in einem intensiven und kontinuierlichen Dialog aller Akteure der räumlichen Entwicklung angegangen werden. In Übereinstimmung mit der Territorialen Agenda empfiehlt der Beirat eine verstärkte Zusammenarbeit von Wirtschaft (insbesondere auch das lokale und regionale Unternehmertum), Wissenschaft, Verwaltung (vornehmlich lokale und regionale Gebietskörperschaften), Nichtregierungsorganisationen und Fachpolitiken, um die dringend erforderlichen Investitionen in den europäischen Regionen effektiv einzusetzen. Der Beirat für Raumordnung begrüßt die in der Territorialen Agenda angeregte verstärkte territoriale Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft. Er spricht sich für den in der Charta Wirtschaft und Raum des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom Oktober 2008 erfolgten Aufruf zum Territorialen Dialog aus, der im Rahmen der in der Territorialen Agenda angekündigten Konferenz Wirtschaft und Raum ins Leben gerufen wurde. Darin wird vorgeschlagen, den Territorialen Dialog zwischen Politik und Wirtschaft als neue Kooperationsform für politische Entscheidungen zu etablieren. Dem liegt die begrüßenswerte Erkenntnis zugrunde,
3 dass für die Entwicklung des europäischen Raumes die Investitionsentscheidungen der Wirtschaft von ebensolcher Bedeutung sind, wie die von der Politik zu schaffenden Rahmenbedingungen. Als Hauptfelder des Dialoges benennt die Charta Wirtschaft und Raum die Bereiche Mobilität, Siedlungsentwicklung, Energie- und Telekommunikationsvernetzung sowie die wirtschaftsnahe Forschung. Der Beirat für Raumordnung empfiehlt, die Implementierung und Fortentwicklung des Territorialen Dialogs durch Forschungsund Fördermaßnahmen zu unterstützen. Besteht Bedarf an neuen legislativen und administrativen Instrumenten, um die Zusammenarbeit, auch entlang der Außengrenzen, zu vereinfachen? Der Beirat für Raumordnung ist der Ansicht, dass sowohl die Untersuchung der Auswirkungen der europäischen Gesetzgebung auf eine nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung als auch die Koordinierung des Dialoges zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission sowie anderen europäischen Institutionen im Rahmen bestehender Institutionen und Verfahren erfolgen kann. Als Plattform für den Dialog zwischen den Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen empfiehlt sich die Arbeitsgruppe Territoriale Kohäsion und Städtische Fragen, die vom Koordinierungsausschuss der Fonds eingerichtet wurde. Daneben sollten auch die Regionen stärker bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Optimierung des territorialen Zusammenhaltes unterstützt werden. Als neues Instrument für die grenzüberschreitende, transnationale und interregionale Zusammenarbeit steht jedenfalls innerhalb der Union der Europäische Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) zur Verfügung. Der Beirat für Raumordnung begrüßt die Unterstützung der Bildung eines Initiativkreises grenzüberschreitender Metropolregionen in Deutschland durch das Bundesministerium. Insbesondere in Bezug auf grenzüberschreitende Governancemodelle sind hiervon Impulse und Problemlösungen zu erwarten. 4. Bessere Koordinierung Wie können territoriale und sektorale Maßnahmen besser koordiniert werden? Eine effiziente Koordination territorialer und sektoraler Maßnahmen setzt zuforderst eine vertiefte Analyse der Wirkungszusammenhänge von EU-Politiken voraus. Diese
4 soll (mit Verweis auf den Maßnahmenkatalog der Territorialen Agenda) im Rahmen des ESPON-2013-Programms erfolgen. In einem zweiten Schritt erfordert die bessere Koordination territorialer und sektoraler Maßnahmen den Informationsaustausch zwischen den Beteiligten der territorialen Entwicklung. In Übereinstimmung mit der Charta Wirtschaft und Raum hält der Beirat für Raumordnung insbesondere zur Verwirklichung des Dialoges zwischen privaten und öffentlichen Akteuren die Erhebung und Bereitstellung aussagekräftiger und vergleichbarer Daten für erforderlich, um wirtschaftliche Entwicklungen in den Regionen bewerten und fördern zu können. Nur durch übersichtliche Behördenstrukturen und funktionierende Informationsnetzwerke zwischen Unternehmen und Regionen kann gewährleistet werden, dass die Regionen die erforderliche Kenntnis von den für die Ansiedlungsentscheidung relevanten Faktoren erhalten. Hierzu sollten die Regionen Ansprechpartner benennen, um sicherzustellen, dass Wirtschaftsunternehmen stärker und frühzeitiger in die jeweiligen regionalen Planungsprozesses einbezogen werden können. Auch die Unternehmen sollten darin bestärkt werden, ihrerseits die öffentlichen Akteure frühzeitig in ihren Planungsüberlegungen einzubeziehen. Der Beirat für Raumordnung begrüßt daher den Aufruf an die Mitgliedstaaten und die Kommission, die Regionen beim Aufbau von Netzwerken und ggf. Online- Plattformen für den Informationsaustausch zu unterstützen. Bei welchen sektoralen Maßnahmen sollte bei der Ausarbeitung stärker auf die territorialen Auswirkungen geachtet werden? Welche Instrumente können hierfür entwickelt werden? Insbesondere bei der Entscheidung über die Verwendung öffentlicher Fördergelder sieht der Beirat für Raumordnung ein Bedürfnis, noch stärker auf die territorialen Auswirkungen zu achten. Gleiches gilt in den Bereichen der optimierten verkehrliche Vernetzung, des Ausbaus eines gerechten Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien, von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sowie für die Erforschung und Nutzung effizienter, sicherer und umweltfreundlicher erneuerbarer Energien. In Übereinstimmung mit der Territorialen Agenda sieht der Beirat ein Bedürfnis für leistungsfähige Netze im Schienen-, Straßen- und Flugverkehr, leistungsfähige Seeund Binnenwasserstraßen und Sekundärnetze ebenso wie ein grenzüberschreitendes
5 Verkehrsmanagement und spricht sich dafür aus, bestehende Hindernisse und Engpässe im grenzüberschreitenden Schienen- und Straßenverkehr zu beseitigen und die Funktionsfähigkeit überlasteter Netzteile im Straßenverkehr, durch Kapazitätserweiterungen und moderne Verkehrsmanagement und Telematiksysteme, sicherzustellen. Beim Netzausbau sollten die Korridore der europäischen Hauptverkehrsachsen gezielt und strategisch bevorzugt umgesetzt werden. Um die erforderlichen Infrastrukturen für einen gerechten Zugang zu Informationsund Kommunikationstechnologien, wie eine allgemeine Versorgung mit Breitbandanschlüssen, flächendeckend bereitzustellen, wurde bereits in der Territorialen Agenda angeregt, neue Verkehrsprojekte mit Telekommunikationsinfrastrukturen zu kombinieren. Eine weitere Vernetzung und einheitliche Rahmenbedingungen im Energiesektor lassen insbesondere ländliche Regionen wirtschaftlich von den Chancen profitieren, die der Bereich der erneuerbaren Energien bietet. Ferner empfiehlt der Beirat zur Vermeidung und Minimierung von Treibhausgasemissionen und im Hinblick auf die Bewältigung der Folgen des Klimawandels ein effizientes Risikomanagement. Dies erfordert wiederum transeuropäische und grenzüberschreitende Strategien (beispielsweise im Hochwasserschutz, Dürrebekämpfung). Dies gilt insbesondere für Gebiete mit komplexen Gefahrenlagen, wie Küstenzonen, Seeufer, See- und Flussgebiete sowie Bergregionen. Wie können die Maßnahmen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten besser aufeinander abgestimmt werden, damit sie zum territorialen Zusammenhalt beitragen? Für eine effiziente Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten (einschließlich der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften) und der Europäischen Kommission über territoriale Belange empfiehlt es sich, bereits bestehende Gremien der EU zu nutzen. Insbesondere benennt die Territoriale Agenda hierzu die Arbeitsgruppe Territoriale Kohäsion und Städtische Fragen, die vom Koordinierungsausschuss der Fonds eingerichtet wurde. Dabei sind in einem Dialog die Auswirkungen europäischer Gesetzgebung auf eine nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung zu untersuchen und zu berücksichtigen.
6 5. Neue territoriale Partnerschaften Müssen neue Akteure, wie Vertreter der Sozialwirtschaft, lokale Akteure, Freiwilligenorganisationen und NRO, in die politische Entscheidungsfindung einbezogen werden, um den territorialen Zusammenhalt zu verwirklichen? Diesbezüglich verweist der Beirat für Raumordnung auf die so genannten Stadt- Land-Partnerschaften, deren Bildung in der Territorialen Agenda angeregt wurde. Dabei handelt es sich um die Zusammenarbeit von Städten und ländlichen Regionen (etwa in Form von Städteregionen oder Metropolregionen) als gleichberechtigte Partner, um ihre gemeinsamen Potentiale zu identifizieren, gemeinsame regionale Entwicklungsstrategien zu erarbeiten und damit gemeinsam das Fundament für regionale Attraktivität und Investitionsentscheidungen der Wirtschaft und der öffentlichen Hand legen. Der Beirat begrüßt die Förderung großräumiger Stadt-Land- Partnerschaften, wie es derzeit im Rahmen eines Modellvorhabens der Bundesraumordnung geschieht. Darüber hinaus sollten Bemühungen unterstützt werden, Unternehmen wie aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen in den Regionen stärker in den Prozess des territorialen Zusammenhaltes einzubeziehen. Die Charta Wirtschaft und Raum zeigt hierfür geeignete Instrumente auf, die nach Ansicht des Beirats für Raumordnung auf europäischer Ebene gefördert und unterstützt werden sollten. Wie kann die gewünschte Beteiligung erreicht werden? Die Zusammenarbeit kann beispielsweise in dem Bereich des Marketings oder der Strategieentwicklung erfolgen. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels werden Gebietskörperschaften, die von Abwanderung junger Menschen betroffen sind, zur Aufrechterhaltung attraktiver Dienstleistungen und Infrastruktureinrichtungen zukünftig eng zusammen arbeiten müssen. Der Beirat würde es daher begrüßen, wenn diese Formen der Zusammenarbeit sowohl seitens der Mitgliedstaaten als auch seitens der Kommission gefördert würden. Der Beirat für Raumordnung unterstützt den Ansatz, regionale Investitionsentscheidungen zunehmend durch öffentliche und private Akteure gemeinsam vorbereiten zu lassen und empfiehlt daher, diese Kooperationsformen in einschlägige nationale und europäische Programme einzuspeisen, um somit die Wirtschaft wie auch zivilgesellschaftliche Organisationen bei der Umsetzung der Territorialen Agenda stärker einzubinden.
Für die stärkere Einbindung der Wirtschaft in regionale Planungs- und Entwicklungsprozesse bietet sich vor allem das Instrument des Territorialen Dialogs an, dessen Einführung in den Regionen durch die Kommission aktiv unterstützt werden sollte. Der Beirat begrüßt diesbezüglich die aktive Rolle des Bundesministeriums und erhofft sich weitere Impulse von dem laufenden Modellvorhaben der Raumordnung, mit dem konkrete Ansatzpunkte zur Implementierung dieses neuen Instruments erarbeitet werden sollen. 7