Reformen im Gesundheitswesen



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Transkript:

Reformen im Gesundheitswesen

Jan Böcken, Martin Butzlaff, Andreas Esche (Hrsg.) Reformen im Gesundheitswesen Ergebnisse der internationalen Recherche Carl Bertelsmann-Preis 2000 Verlag Bertelsmann Stiftung Gütersloh 2000

Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. 3., überarbeitete Auflage 2003 2000 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh Verantwortlich: Jan Böcken, Andreas Esche Lektorat: Sabine Stadtfeld Herstellung: Christiane Raffel Umschlaggestaltung: Tammen Werbeagentur, Osnabrück Umschlagabbildung: werkzwei, Lutz Dudek, Bielefeld Satz: digitron, Bielefeld Druck: Hans Kock Buch- und Offsetdruck, Bielefeld ISBN 3-89204-515-1

Inhalt Vorwort.............................. 7 1 Einleitung: Problembefund.................. 11 Jan Böcken, Martin Butzlaff, Andreas Esche Zukunftsprobleme im Gesundheitsbereich.......... 11 Problembefund Deutschland: zur Lage der Nation...... 12 Die Aufgabe: Reformen statt Krisenmanagement...... 14 Anforderungen an Reformen................. 16 Die internationale Recherche................ 18 Länderauswahl...................... 18 Bewertungs- und Analyseraster.............. 20 2 Gesundheitssysteme und Reformansätze im internationalen Vergleich................. 23 Rita Baur, Andreas Heimer, Silvia Wieseler Ländersynopse........................ 23 Dänemark........................ 23 Deutschland....................... 35 Finnland......................... 50 Großbritannien...................... 60 5

Inhalt Kanada.......................... 73 Niederlande........................ 81 Schweiz.......................... 97 USA........................... 110 Überblick über zentrale Bausteine............. 123 Grundversorgung.................... 123 Organisation der Versorgung: Steuerung, Integration, Honorierung.......... 131 Qualitätssicherung, Prävention und Patientenrechte... 144 3 Vom Ausland lernen..................... 151 Hans Barth, Rita Baur Stärken und Schwächen des deutschen Gesundheitssystems im internationalen Vergleich..... 151 Wo ist uns das Ausland voraus?.............. 153 Umsetzung der Lehren und Rollenverteilung........ 157 Tabellen.......................... 161 Literaturauswahl...................... 177 Der Carl Bertelsmann-Preis 2000.............. 185 6

Vorwort Der Gesundheitssektor ist einer der sensibelsten Bereiche der sozialen Sicherung. Mehr als in irgendeinem anderen Politikfeld bekommen hier die Bürger die Konsequenzen politischer Entscheidungen»am eigenen Leib«zu spüren. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht spielt das Gesundheitswesen eine besondere Rolle mehr als 500 Mrd. DM werden hierfür in der Bundesrepublik jährlich ausgegeben. Die hierzulande paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanzierte gesetzliche Krankenversicherung schlägt dabei mit ca. 250 Mrd. DM direkt in den Lohnkosten zu Buche. Nicht ohne Grund versucht die Politik daher schon seit Jahrzehnten, sich mit einer Unzahl von Gesetzen und Reformvorhaben der ungebremsten Ausdehnung des Gesundheitsbudgets entgegenzustellen, ohne dabei den hohen Stand der medizinischen Versorgung in Deutschland preisgeben zu wollen. Dabei steht die Gesundheitspolitik keineswegs nur in Deutschland unter Druck. Kostentreibende demographische Veränderungen, technischer Fortschritt oder die Bestimmung der Nachfragehöhe durch den Anbieter der Leistungen sind keine nationalen Phänomene, sondern Herausforderungen, denen sich alle westlichen Industrienationen stellen müssen. Die Steuerungsfähigkeit des Gesundheitssektors, also die Möglichkeit der gezielten Einflussnahme in Richtung einer Systemverbesserung, hat sich allerdings in der Vergangenheit in Deutschland als zu gering erwiesen. Die hohe Anzahl der beteiligten Akteure und die 7

Vorwort komplexen Verflechtungsstrukturen verhindern allzu häufig eine schnelle und am Gemeinwohl orientierte Problemlösung. Ursache hierfür ist nicht zuletzt ein kaum mehr überschaubarer gesetzlicher Ordnungsrahmen, der nicht dazu geeignet scheint, die Verantwortung von Politik, Leistungsanbietern und Kostenträgern zu koordinieren. Eine Vielfalt von Regelungsmechanismen, die von staatlichem Dirigismus über verbandliche Koordination bis hin zu wettbewerblicher Steuerung reichen, lässt dabei breiten Raum für die Durchsetzung auch solcher Partikularinteressen, die nicht dem Gemeinwohl dienen: Eine effektive Nutzung der begrenzten Ressourcen wird erschwert oder sogar unmöglich gemacht. Bleiben notwendige Reformen aus, werden weitere Kostensteigerungen folgen. Im Zeichen internationalen Standortwettbewerbs taugen allerdings die alten Lösungskonzepte nicht mehr: Eine Überwälzung zusätzlicher Gesundheitsausgaben auf die Lohnnebenkosten ist weder wirtschaftlich noch politisch tragbar. Andererseits käme es ohne neue Mittelzuflüsse zu einer weiteren Aushöhlung des Solidarsystems. Nicht die medizinische Infrastruktur würde in Frage gestellt, sondern der freie und uneingeschränkte Zugang im Bedarfsfall. In letzter Konsequenz würde dies zu einem Kollaps der solidarischen Grundversorgung führen, mit all seinen sozialen, ethischen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, was für eine Verbesserung der Situation getan werden müsste. Eine größere Verantwortungsübernahme durch den Bürger, verbunden mit der Übertragung größerer Rechte und Pflichten, ist eine denkbare Strategie. Weitere Ansatzpunkte für eine nachhaltige Verbesserung des Status quo sind die Stärkung des Wettbewerbsprinzips im Gesundheitsbereich und Maßnahmen zur Qualitäts- und Effizienzverbesserung in der medizinischen Versorgung. Veränderungen, die bei uns erst diskutiert werden, sind anderswo schon in die Tat umgesetzt. Von diesen Erfahrungen können und müssen wir profitieren. Die Identifikation und Promotion erfolgreicher Best Practices aus dem Ausland ist dabei eine Voraussetzung dafür, der deutschen Diskussion die notwendigen neuen Impulse zu geben. Die Bertelsmann Stiftung möchte hierzu mit dem Carl Bertels- 8

Vorwort mann-preis 2000»Reformen im Gesundheitswesen«ihren Beitrag leisten. Sie hat die Prognos AG Basel mit der Durchführung einer internationalen Recherche beauftragt, die in vergleichender Perspektive auf zwei unterschiedliche Ebenen fokussiert: Die verschiedenen Länder wurden zum einen auf ihre gesundheitspolitische Steuerungsfähigkeit hin untersucht, also auf ihre Fähigkeit, innovative Lösungen gesundheitspolitischer Probleme zu erarbeiten und umzusetzen. Zum anderen konzentrierte sich die Untersuchung auf konkrete Best Practice-Ansätze zur Lösung spezifischer Teilprobleme des Gesundheitswesens. Wir danken Dr. Hans Barth und den Wissenschaftlern der Prognos AG, Basel, für die Durchführung der Recherchen und die kompetente Bewertung der komplexen Sachverhalte. Unser Dank gilt darüber hinaus der Arbeitskommission und der Jury des Carl Bertelsmann-Preises 2000, die die Arbeiten der Wissenschaftler und der Bertelsmann Stiftung konzeptionell unterstützt sowie stets kritisch beraten und begleitet haben. Besonderer Dank gilt schließlich Herrn Dr. Mark Wössner, der unser Vorhaben als Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung und Vorsitzender der Arbeitskommission zum Carl Bertelsmann-Preis 2000 maßgeblich unterstützt hat. Wir hoffen, dass die hiermit vorgelegte Dokumentation der Rechercheergebnisse wie auch die diesjährige Verleihung des Carl Bertelsmann-Preises dazu beitragen, den notwendigen Diskurs über eine Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens und das notwendige Maß an Solidarität ein Stück voran zu bringen. Dr. Stefan Empter Leiter des Bereiches Wirtschaft Bertelsmann Stiftung 9

1 Einleitung: Problembefund Jan Böcken, Martin Butzlaff, Andreas Esche Zukunftsprobleme im Gesundheitsbereich Die sozialen Sicherungssysteme der modernen Industrienationen befinden sich im Umbruch. Der Veränderungsdruck gerade auch im Gesundheitswesen ist in den letzten Dekaden ständig gewachsen und nimmt weiter zu. Dafür existieren eine ganze Reihe von Gründen. Die Ansprüche an das Gesundheitssystem sind wohlstandsabhängig, der Bedarf ist prinzipiell unendlich. Zwar gehen mit wachsendem Wohlstand auch bestimmte Erkrankungen zurück, aber die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen insgesamt wird dadurch nicht verkleinert, sondern sogar ausgeweitet. Die Bevölkerung der Industrienationen wird im Durchschnitt immer älter. Der Effekt dieser demographischen Entwicklung schlägt sich im Gesundheitswesen doppelt nieder: Der Anteil der Rentner an der Gesamtbevölkerung wächst. Da ein Rentner weniger in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlt als ein Erwerbstätiger, ergibt sich ein negativer Effekt auf die Einnahmenzuwächse. Gleichzeitig steigen die Ausgaben, da ältere Menschen im statistischen Mittel eine intensivere medizinische Betreuung benötigen. Die versicherungsmathematisch problematische Relation zwischen alten und jungen Menschen führt dabei zu finanziellen Engpässen. Ein weiterer Grund für den wachsenden Reformdruck ist der medizinische und medizintechnische Fortschritt im Gesundheitswesen. Neue Diagnose- und Therapieverfahren führen häufig zu einer Stei- Steigende Versorgungsansprüche,...... demographische Alterung...... und technologischer Fortschritt treiben die Kosten in die Höhe. 11

Einleitung: Problembefund Rationierung droht gerung der Behandlungsqualität, fast immer aber zu einer Erweiterung dessen, was als medizinisch notwendig angesehen wird. Das Spannungsverhältnis zwischen dem medizinisch Notwendigen bzw. Machbaren und dem tatsächlich Realisierbaren nimmt damit an Brisanz zu. Die Gefahr dabei: Wenn die finanziellen Mittel nicht ausreichen, werden immer mehr medizinische Leistungen aus dem Grundleistungskatalog der Krankenversicherungen ausgegrenzt. Die Zusatzleistungen können sich besser Verdienende zukaufen, Geringverdienern ist dies nicht möglich: Es kommt zur gefürchteten Zwei- Klassen-Medizin. Problembefund Deutschland: zur Lage der Nation In Deutschland kommen diese Probleme in besonderer Weise zur Geltung. Die demographische Entwicklung ist dramatischer als in anderen Staaten: Der Bevölkerungsanteil der ab 60-Jährigen wird sich von heute rund 23 Prozent auf etwa 35 Prozent im Jahr 2040 erhöhen; der Anteil der Hochbetagten steigt noch stärker. Die Geburtenrate dagegen zählt zu den niedrigsten in Europa. In keinem Land der OECD (mit Ausnahme von Japan) ist das Verhältnis zwischen alt und jung so ungünstig. Hohe Ausgaben... Auch die Finanzierungsfrage stellt sich für Deutschland in besonderer Weise: Jede zehnte Mark des Bruttoinlandsproduktes wird im Gesundheitsbereich ausgegeben; nur in den USA kostet Gesundheit noch mehr als in Deutschland. Insgesamt belaufen sich die jährlichen Ausgaben im deutschen Gesundheitswesen auf über eine halbe Billion DM. Damit ist scheinbar genug Geld für die Befriedigung der heutigen und auch der zukünftigen Bedürfnisse vorhanden. Es wird jedoch zunehmend problematischer, diese Gesamtsumme auch in Zukunft aufzubringen: Durch die Finanzierung der Gesundheitsversorgung aus Beiträgen der abhängig Beschäftigten sind die Konsequenzen einer sinkenden Lohnquote in Deutschland besonders schwerwiegend.... bei niedrigen Einnahmen Ein hohes Ausgabenwachstum steht hier unterproportionalen Zuwächsen der Einnahmen gegenüber. Dabei kann auf das Instrument der Beitragssatzerhöhung kaum mehr zurückgegriffen werden: Noch immer stehen die Lohnnebenkosten auf einem Niveau, das die Kon- 12

Problembefund Deutschland kurrenzfähigkeit der deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb nachhaltig beeinträchtigt. Die generell hohe Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland war in der Vergangenheit weitgehend unstrittig. Allerdings wird auch der Qualitätsaspekt zunehmend zu einem Kernproblem des deutschen Gesundheitswesens. Den hohen Pro-Kopf-Ausgaben steht im internationalen Vergleich kein entsprechender Qualitätsvorsprung gegenüber. Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist nicht signifikant besser als in den Vergleichsstaaten innerhalb der OECD. Vielmehr findet sich Deutschland zum Beispiel im Ranking der Lebenserwartung eher im Mittelfeld als an der Spitze. In Deutschland existiert ein Grundleistungskatalog, dessen Umfang größer ist als in den meisten Vergleichsstaaten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob alle Leistungen, die heute noch erstattet werden, auch tatsächlich notwendig und sinnvoll sind und von der Gemeinschaft der Versicherten getragen werden sollten. Die geschilderten Probleme sind nicht allein durch exogene Faktoren wie die demographische Entwicklung oder den medizintechnischen Fortschritt erklärbar: Diese Probleme haben vergleichbare Länder auch. Vielmehr gibt es für die im internationalen Vergleich hohen Ausgaben, die übergroße Anzahl der abgerechneten Leistungen und die wachsenden Zweifel am Qualitätsvorsprung des deutschen Versorgungsmodells endogene Faktoren im Gesundheitssystem, die sich sehr wohl beeinflussen lassen. Einige dieser Faktoren seien im Folgenden genannt: Es gibt zu wenig Anreize für wirtschaftliches Verhalten bei den Leistungserbringern, stattdessen viele Anreize für eine unnötige Ausweitung der medizinischen Leistung. Die monetären Anreizstrukturen und ein Großteil der Sanktionsmechanismen sind nicht qualitätsorientiert. Es existiert keine effektive Kontrolle der Angebotsmenge an ärztlicher Leistung. Sowohl in der Ärztedichte pro Einwohner als auch in der Bettendichte im stationären Bereich liegt Deutschland weit vor den Vergleichsländern. Es bestehen ungleiche Positionen bei den Budgetverhandlungen: Weitgehend homogen auftretende Leistungsanbieter treffen auf konkurrierende Kostenträger mit unterschiedlichen Interessen und starkem Defizit an steuerungsrelevanten Daten. Vergleichsweise geringe Effizienz Falsche Anreizsysteme Zu hohe Angebotsmenge Ungleiche Verhandlungspositionen 13

Einleitung: Problembefund Unzureichende Integration Ungenügende Berücksichtigung der Versicherten bei der Steuerung des Systems Die Aufgabe: Reformen statt Krisenmanagement Die Ansätze der integrierten Versorgung zwischen ambulantem und stationärem Bereich sind in Deutschland unzureichend, die Vergütungssysteme für beide Bereiche sind strikt getrennt. Die wenigen Modellversuche sind nicht übergreifend evaluiert. Fehlende Datentransparenz verhindert eine übergreifende Nutzung der Ergebnisse der Modellversuche durch den Gesetzgeber bzw. ähnliche Modellansätze und Initiativen. Es mangelt an Anreizen (und Wahlmöglichkeiten) für kostenbewusstes Verhalten der Versicherten. Selbstbeteiligungen haben den Charakter von Finanzierungs-, nicht von Steuerungselementen. Die Einbindung der Patienten und Versicherten in die Entscheidungsprozesse ist sowohl im politischen Bereich als auch auf der Selbstverwaltungsebene und in der Arzt-Patienten-Beziehung unzureichend.»gesundheitsnotstand«trotz hohen Ausgabenniveaus? Die öffentliche Diskussion erweckt nicht selten den Eindruck, als ob in Deutschland der Gesundheitsnotstand unmittelbar bevorstehe. Ganz so dramatisch sieht die Realität nicht aus: Das deutsche Gesundheitssystem erfüllt zweifellos die zentralen Anforderungen. Die Gesundheitsversorgung ist für die gesamte Bevölkerung ohne gravierende materielle Barrieren zugänglich, entspricht dem Stand der medizinischen Technik, weist überwiegend gute Qualität auf und verfügt über einen umfassenden Leistungskatalog für die verschiedenen Bedürfnisse der Patienten. Angesichts der oben geschilderten, weitgehend unstrittigen Problembefunde wird es jedoch zunehmend schwieriger, zumindest den Status quo der Versorgung auch in Zukunft zu erhalten. Ziel muss es sein, die grundlegende Aufgabe einer angemessenen und solidarischen Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung auf einem Kostenniveau zu halten, das den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht gefährdet. An Reformaktivitäten hat es in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Deutschland nicht gefehlt. Die Liste der Gesundheitsreformgesetze 14

Die Aufgabe: Reformen statt Krisenmanagement ist lang, und fast ebenso lang ist die Liste der gescheiterten Reformversuche. Die Erfolge stellten sich meist nur temporär ein, die Fehlentwicklungen belasteten dagegen dauerhaft das Gesamtsystem. Es kam häufig zu Leistungsausweitung im Vorfeld von Reformen und nur vorübergehend zu positiven Kosteneffekten nach deren Inkrafttreten. Die bisherigen Reformen zielten zu wenig auf grundsätzliche Veränderungen oder sie haben solche nicht entschieden genug verfolgt. Statt Änderungen am System zu forcieren, wurde Krisenmanagement betrieben: Leistungsausgaben wurden budgetiert, ohne die expansiv wirkende Anreizstruktur zu verändern; Patienten mussten höhere Zuzahlungen leisten, ohne dass diese privaten Zahlungen eine Steuerungswirkung gehabt hätten; Krankenkassen wurden zu Wettbewerbern erhoben, ohne ihnen taugliche Instrumente für den Wettbewerb in die Hand zu geben. Grundlegende Reformen stehen weiterhin aus.»grundlegende Reformen«sind nicht gleichzusetzen mit»radikalem Systemwandel«. Ein solcher wäre weder wünschenswert noch durchsetzbar, da ein Gesundheitssystem nur im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext eines Landes weiterentwickelt werden kann. Es geht darum, die wesentlichen Fehlsteuerungen zu beseitigen und damit die Effizienz zu erhöhen. Die Politik steht in Deutschland vor einer Grundsatzentscheidung: Wie hoch die Rationalisierungspotentiale auch sein mögen, sie sind in jedem Fall begrenzt. Die Möglichkeiten der Kostenausweitung sind dagegen, bedingt durch den medizinischen Fortschritt und eine prinzipiell nach oben offene Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, tendenziell unendlich. Wenn medizinische Leistungen weiterhin im derzeitigen Umfang zur Verfügung gestellt werden sollen, so werden mehr Finanzmittel benötigt. Werden diese weiterhin zu großen Teilen solidarisch über Beiträge aufgebracht, so steigen die Lohnnebenkosten und die wirtschaftliche Entwicklung wird belastet. Geht man auf ein individuelles Versicherungsprinzip über, so führt dies einerseits zu sozialen Härten und Ungleichheiten. Andererseits kann es bei wachsendem Wohlstand der Bevölkerung durchaus jedem Einzelnen freigestellt bleiben, wie viel von diesem Wohlstandszugewinn für Gesundheitsleistungen angelegt werden soll. Als Ergebnis bleibt, dass explizit oder implizit der Leistungskatalog beschnitten würde und nicht mehr alle Bürger unabhängig von ihrem sozialen Status Zugang Wenig erfolgreiche Reformen in der Vergangenheit Grundlegende Reformen müssen Fehlsteuerungen korrigieren Politik muss normative Grundsatzentscheidungen treffen 15

Einleitung: Problembefund zu den Leistungen hätten. Die Rationierung der Gesundheitsleistungen würde zunehmen. Eine grundlegende und nachhaltige Reform im Gesundheitswesen hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie die genannten Problembereiche berücksichtigt und einen Großteil der Bevölkerung in die Richtungsentscheidungen einbezieht. Wie schwer im Gesundheitssystem Reformen zu realisieren sind, zeigen nicht nur die deutschen Erfahrungen, sondern auch solche in anderen Ländern. Der wachsende Problemdruck sollte jedoch die Chancen erhöhen, sich mehr als in der Vergangenheit vorzunehmen und auch mehr zu erreichen. Anforderungen an Reformen Zielsetzung: Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung Gesundheitsversorgung orientiert sich an normativen Vorstellungen Das oberste Ziel eines jeden Gesundheitssystems ist die Erhaltung oder Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung. Für die Erreichung dieses Zieles ist die Gesundheitsversorgung im engeren Sinne allerdings nur ein Faktor; individuelle Gesundheit wird ebenso geprägt durch die genetischen Voraussetzungen, ökonomischen Verhältnisse, die Lebensweise, Umweltfaktoren oder das Bildungsniveau. Gesundheitssysteme lassen sich überdies nicht mittels einfacher Effizienzkriterien beschreiben oder gar bewerten. Normative Vorstellungen sind von großer Bedeutung, und die Komplexität des Zusammenspiels der Faktoren, die Einfluss auf die Effektivität der Versorgung haben, verlangt ein differenziertes Bewertungsraster. Für die Beschreibung und Bewertung im vorliegenden internationalen Vergleich wurden die folgenden fünf zentralen Systemprinzipien entwickelt: Versorgungssicherheit Solidarität Das Gesundheitswesen ist Bestandteil der sozialen Sicherung und garantiert, dass jeder Bürger unabhängig von Einkommen oder sozialem Status die medizinisch notwendige Kernversorgung erhält. Voraussetzung hierfür ist ein solidarisches Finanzierungssystem, das die Leistungsfähigkeit des Einzelnen berücksichtigt. 16

Anforderungen an Reformen Steuerungsfähigkeit Dynamische Umfeldveränderungen, wie der demographische Wandel oder der technische Fortschritt, erfordern Anpassungsfähigkeit. Es bedarf wirksamer Steuerungsmechanismen und einer funktionierenden Koordination der gesundheitspolitischen Stakeholder, um die nahezu unüberschaubare Fülle unterschiedlicher Positionen von Entscheidern, Interessengruppen und Nachfragern effizient in den Prozess der medizinischen Versorgung zu integrieren. Effiziente Steuerung Wirtschaftlichkeit Technischer Fortschritt und demographische Entwicklung, aber auch Einnahmerückgänge auf Grund sich verändernder Erwerbsstrukturen machen es mehr denn je erforderlich, vorhandene Potentiale zur Steigerung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz auszuschöpfen. Hierzu müssen Anreizmechanismen für eine effiziente Erstellung und Nutzung der Leistungen geschaffen werden. Darüber hinaus sind Kostentransparenz und eine wirksame Kostenkontrolle nötig. Kostenbewusstsein Versorgungsqualität Außer an der Wirtschaftlichkeit bemisst sich die Effizienz eines Gesundheitssystems an der Qualität der Leistungen. Neben der Leistungstransparenz sind Voraussetzungen für eine hohe Versorgungsqualität integrierte Versorgungsstrukturen zwischen ambulantem und stationärem Sektor, die Qualitätssicherung sowie eine dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechende Aus- und Weiterbildung, die sich am Prinzip des»life long learning«orientiert. Qualitätsbewusstsein Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen setzt voraus, dass weniger die Behandlung von Krankheit als die Erhaltung der Gesundheit im Ganzheitliche Ausrichtung des Systems 17

Einleitung: Problembefund Unterschiedliche Steuerungstypen Fokus der Gesundheitsversorgung steht und dass die notwendigen Bedingungen für systemimmanente Anpassungsfähigkeit, Innovation und medizinischen Fortschritt geschaffen und erhalten werden. Wesentliche Bestandteile hierfür sind die Förderung von Patientenautonomie und Eigenverantwortung. Bei der Berücksichtigung dieser Grundprinzipien sind unterschiedliche Wege möglich, und entsprechend unterschiedlich sind auch die bestehenden Gesundheitssysteme. Die Pole sind gekennzeichnet durch staatliche Planung, Steuerung und Bereitstellung des Angebots auf der einen und ein dem freien Markt überlassenes System auf der anderen Seite. Eine vergleichende Beschreibung von Gesundheitssystemen erfordert daher einen nachvollziehbaren Bewertungsmaßstab, der für die einzelnen Verantwortungsebenen vom Staat über Kostenträger und Leistungserbringer bis hin zu den Bürgern deutlich macht, welche Aufgaben sie im Zusammenspiel aller Beteiligten haben. Die internationale Recherche Länderauswahl Gesamtsysteme und Teilelemente als Vergleichsgegenstände Kriterien: Übertragbarkeit... Die internationale Recherche hat zur Aufgabe, Gesundheitssysteme vergleichbarer Länder auf beispielgebende Lösungen hin zu untersuchen. Die Länderauswahl basierte auf einem ersten Screening, für das die grundlegende Struktur der Gesundheitsversorgung, die Höhe der Gesundheitsausgaben und wichtige Reformansätze herangezogen wurden. Im ersten Arbeitsschritt wurden acht der im Hinblick auf die Struktur, Organisation und Effizienz ihrer Gesundheitssysteme bzw. auf Erfolg versprechende Teilelemente analysiert. Bei der Auswahl der Länder waren folgende Leitgedanken maßgebend: Ausgewählt wurden nur Länder mit einem hoch entwickelten Gesundheitssystem, da sich Lösungsansätze aus anderen Ländern nicht oder nur schwer in Gesellschaften mit einem hohen Standard der Gesundheitsversorgung übertragen lassen. Um einzelne Erfolg versprechende Elemente im Kontext ihrer 18

Die internationale Recherche Rahmenbedingungen beurteilen zu können, wurden auch Länder mit unterschiedlicher Grundstruktur der Gesundheitsversorgung berücksichtigt. Auf diese Weise sind unterschiedliche, interessante Ansätze einer effizienten Steuerung des Gesundheitswesens repräsentiert. In Abstimmung mit der Arbeitskommission zum Carl Bertelsmann- Preis 2000 wurden schließlich die folgenden Länder ausgewählt:... und Vielfalt Land Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP, 1997 Kurzcharakteristik 1. Dänemark 8,0 Prozent Steuerfinanzierte Versorgung, z. T. private, z. T. öffentliche Leistungserbringung, staatlich gesteuert 2. Deutschland 10,7 Prozent Sozialversicherungsmodell, Mischung aus staatlicher Steuerung, korporatistischen Elementen und Wettbewerb, überwiegend private Leistungserbringung 3. Finnland 7,4 Prozent Steuerfinanzierte, überwiegend öffentliche Versorgung 4. Großbritannien 6,8 Prozent Steuerfinanzierte Versorgung, überwiegend private Leistungserbringung, staatlich gesteuert 5. Kanada 9,2 Prozent Steuerfinanzierte Versorgung, überwiegend private Leistungserbringung, z. T. staatliche Steuerung 6. Niederlande 8,5 Prozent Sozialversicherungsmodell, private Leistungserbringung, starke staatliche Steuerung 7. Schweiz 10,0 Prozent (Eingeschränktes) Sozialversicherungsmodell, private Leistungserbringung, reglementierter Wettbewerb 8. USA 13,9 Prozent Privatversicherung, Sozialversicherung für bestimmte Bevölkerungsgruppen, private Leistungserbringung, Wettbewerb, wenig Reglementierung 19

Einleitung: Problembefund Bewertungs- und Analyseraster Die Länderanalysen waren zweistufig angelegt: Breit angelegte Recherche... In der ersten Stufe wurden die Gesundheitssysteme der acht Länder (einschließlich Deutschland) einer Grobanalyse unterzogen, mit dem Ziel, System- und Steuerungsansätze zu identifizieren, die möglicherweise auch für Deutschland erfolgreiche Lösungswege aufzeigen könnten.... und vertiefende Analysen Auf der Basis von Diskussionen mit ausgewiesenen Experten des Gesundheitswesens wurden aus dem breiten Tableau Beispiele ausgewählt, die in einem zweiten Arbeitsteil vertieft untersucht wurden. Dies bildete dann die Entscheidungsgrundlage für die Preisverleihung.»Gesundheit«ist nicht messbar und die Vielzahl von Einflussfaktoren, die ein bestimmtes Ergebnis hervorbringen, sind nicht anhand weniger empirischer Daten abzubilden. Schon deshalb ging es nicht darum, einen direkten Kausalzusammenhang zwischen den das jeweilige Gesundheitssystem regierenden Prinzipien, dem finanziellen Input, den Angebotsstrukturen und den statistischen»erfolgsindikatoren«zu überprüfen. Weitere Gründe waren: Statistische Indikatoren gibt es auf international vergleichbarer Basis nur für wenige Sachverhalte, und auch diese»vergleichbaren«statistiken sind mit zahlreichen Vorbehalten zu versehen. Der»time-lag«zwischen Einführung/Veränderung einer Regelung und messbaren, in internationalen Statistiken ausgewiesenen Auswirkungen ist gerade bei ordnungspolitischen Maßnahmen häufig groß. Daher ließen sich über Erfolge von Reformmaßnahmen der jüngeren Vergangenheit kaum sichere Aussagen treffen. Die statistische Vergleichsbasis: Gleichwohl können ausgewählte Indikatoren Hinweise auf die Effizienz und Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen bieten. Zu diesem Zweck wurde fast ausschließlich die OECD-Gesundheitsstatistik verwendet, da nur diese eine vergleichbare Datenbasis für alle acht Länder liefert. Aus der Fülle der OECD-Gesundheitsindikatoren wurden jedoch nur wenige ausgewählt (s. Tabellen). Ergebnisindikatoren Als»Erfolgsindikatoren«wurden die Lebenserwartung, die Säuglingssterblichkeit und die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Gesundheitsversorgung herangezogen. Andere, differenziertere 20

Die internationale Recherche Statistiken sind entweder unvollständig oder der Erhebungszeitraum liegt zu weit zurück. Dies gilt z. B. für»durch Krankheit verlorene Lebensjahre«,»Lebensjahre ohne gesundheitliche Beeinträchtigung«oder»subjektiver Gesundheitszustand«. Bezüglich der Aufwendungen wurden der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP und die Pro-Kopf-Ausgaben verwendet. Weitere Differenzierungen, z. B. nach Sektoren, sind statistisch zu unsicher. Als Angebotsindikatoren aus dem ambulanten Sektor wurden die praktizierenden Ärzte je 1000 Einwohner und aus dem stationären Bereich die Akutbetten, Verweildauer, Pflegetage und Einweisungshäufigkeit verwendet. Auch hier gilt, dass wegen unterschiedlicher Zuordnungen und statistischer Lücken eine weitere Differenzierung nicht sinnvoll schien. Kostenindikatoren Kapazitätsindikatoren Die Beschreibung der einzelnen Länder konzentriert sich auf folgende Grundlinien: Aufbau der Länderkapitel 1. Das System Die grundlegenden Prinzipien der Absicherung gegen Krankheit werden beschrieben: der einbezogene Bevölkerungskreis, die Finanzierungsart, der Umfang der solidarisch finanzierten Grundsicherung und die Bedeutung von Zusatzversicherungen und Selbstzahlung. Ferner wird die Grundstruktur der Leistungserbringung dargestellt. 2. Kosten, Kostenentwicklung, Versorgungssituation Es werden die Kosten des Gesundheitswesens und deren Entwicklung gezeigt und wesentliche Ursachen der Kostenentwicklung bzw. der erfolgten Kostenbegrenzung benannt. Die Indikatoren der Versorgungssituation werden den»erfolgen«der Versorgung (Lebenserwartung) gegenübergestellt. Auch die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem Gesundheitssystem gehört zu den Erfolgsindikatoren. 21

Einleitung: Problembefund 3. Organisation und Vertragsgestaltung Hier stehen Struktur und Organisation der Anbieterseite im Vordergrund. Wer wird zur Leistungserbringung zugelassen, wie werden die Leistungen honoriert, gibt es eine Kapazitätsplanung, gibt es Wettbewerb unter den Leistungserbringern? Dargestellt wird dies für die verschiedenen Leistungsbereiche, und es wird die Frage der Integration der Leistungsbereiche aufgegriffen. 4. Qualität Hier geht es um systematische Ansätze der Qualitätsbewertung und -sicherung, sei es durch Anforderungen der Weiterbildung, durch regelmäßige Qualitätsbewertungen oder durch Ranking. Wichtig ist die Frage der Transparenz für Patienten und Planer. Qualitätssicherung durch evidenz-basierte Medizin und Leitlinien ist ein weiterer zentraler Aspekt. 5. Optionen für die Versicherten, Patientenautonomie und -rechte Welche Wahlmöglichkeiten gibt es für die Versicherten in der Wahl der Versicherung bzw. des Umfangs der Absicherung oder in der Wahl der Leistungserbringer? Patientenautonomie ist ein schwer zu fassender Sachverhalt. Im Wesentlichen beschränkt sich die Darstellung auf die kodifizierten Patientenrechte. 6. Bewertung Abschließend erfolgt eine kurze zusammenfassende Bewertung. 22