Schrumpfende Städte in Deutschland?

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Transkript:

Informationen zur Raumentwicklung Heft 10/11.2003 557 Schrumpfende Städte in Deutschland? Fakten und Trends Hans-Peter Gatzweiler Katrin Meyer Antonia Milbert 1 Stadtentwicklung zwischen Wachstum und Schrumpfung Unsere Städte verändern ihre Strukturen Tag für Tag auf zweifache Weise: durch räumliche Ausweitung in ihr Umland, verbunden mit der Umwandlung von weiteren Freiflächen in Siedlungsflächen und durch Erneuerung und Umbau mit oder ohne Änderungen der Gebäude- und Flächennutzung. Stadtentwicklung muss also als ein kontinuierlicher, zyklischer Prozess in der Folge Stadterweiterung, -erneuerung sowie -umbau verstanden werden. Was also ist dann das Besondere an der derzeit politisch hoch gehandelten Aufgabe Stadtumbau? Was veranlasste die Bundesregierung Ende, ein spezielles Städtebauförderungsprogramm Stadtumbau Ost aufzulegen und ein Pilotvorhaben Stadtumbau West im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus zu starten? Seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert war die Entwicklung der Städte von Ausnahmen abgesehen durch stetiges Wachstum gekennzeichnet. Bis Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts befand sich Deutschland auf einem Entwicklungspfad, der in eine wirtschaftlich prosperierende und sozial ausgeglichene Gesellschaft führte. Aber schon mit den er Jahren änderten sich die Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung wesentlich, bedingt durch den einsetzenden wirtschaftsstrukturellen und demographischen Wandel, der zu anhaltenden Arbeitsplatz- und Bevölkerungsverlusten führte. Es gilt nunmehr, sich von der Wachstumseuphorie vergangener Jahrzehnte zu verabschieden. Der Deutsche Rat für Stadtentwicklung stellte so seine Empfehlungen vom 27. April 1976 unter die Überschrift Stadtentwicklung ohne Wachstum?. Schrumpfung wird jetzt mehr und mehr zur neuen, bestimmenden, allerdings mit großer Skepsis und Sorge aufgenommenen Rahmenbedingung der Stadtentwicklung. Schrumpfen sich unsere Städte krank? fragte auf einer kommunalpolitischen Fachtagung 1975 der damalige Bürgermeister von Bremen, Hans Koschnick. 1 Als Problem gesehen, meist von Großstädten, wird die anhaltende Randwanderung von Haushalten und Arbeitsplätzen: der Suburbanisierungsprozess. Viele städtebauliche Strategien und Maßnahmen konzentrieren sich denn auch darauf, die Ursachen für diese Randwanderungen zu beseitigen und eine Trendumkehr zu bewirken. Es ging und geht bis heute also im Wesentlichen um Stadtsanierung und -erneuerung, um städtische Innenentwicklung mit dem Ziel, die Wohn- und Standortattraktivität kernstädtischer Quartiere zu verbessern. Über die mit der Suburbanisierung von Bevölkerung und Arbeitsplätzen verbundenen Probleme hinausgehend werden mit dem Phänomen der Schrumpfung vor allem aber die alten Industriestädte konfrontiert, z.b. die Städte im Ruhrgebiet. Neben der Randwanderung führen hier wirtschaftsstrukturelle Veränderungen mit dem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft zu massiven Arbeitsplatzverlusten und anhaltenden Wanderungsbzw. Bevölkerungsverlusten. Gleichwohl wird das Problem der Schrumpfung auch hier politisch, insbesondere kommunalpolitisch, noch wenig akzeptiert und öffentlich thematisiert. Im Westen hat Schrumpfung bis heute noch nicht den Status eines allgemein anerkannten, öffentlich diskutierten politischen und gesellschaftlichen Problems erreicht. Anders stellt sich die Situation im Osten dar. Die Transformation der ostdeutschen Planwirtschaft in die Marktwirtschaft führte Ende der er Jahre zu einem massiven wirtschaftlichen Abbau, hoher Arbeitslosigkeit und anhaltender Abwanderung. Die Folgen dieser Entwicklung zeigen sich flächendeckend in so gut wie allen ostdeutschen Städten in Form von dramatisch hohen Wohnungsleerständen und Arbeitslosenzahlen. Eine neue gesellschaftspolitische Dimension und Dynamik erreichte die Diskussion Dr. Hans-Peter Gatzweiler Katrin Meyer Antonia Milbert Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Deichmanns Aue 31 37 53179 Bonn E-Mail: Hans-Peter.Gatzweiler @bbr.bund.de Katrin.Meyer@bbr.bund.de Antonia.Milbert@bbr.bund.de

558 Hans-Peter Gatzweiler, Katrin Meyer, Antonia Milbert: Schrumpfende Städte in Deutschland? Fakten und Trends (1) Koschnik, Hans: Schrumpfen sich unsere Städte krank? Neue kommunale Aufgaben und Probleme erfordern zeitgemäße Antworten. Die demokratische Gemeinde 29 (1977) Nr. 4, S. 285 ff. (2) Bericht Expertenkommission Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Ländern, November : www.bmvbw.de/anlage1723/ Bericht-der-Kommission,tif (3) Hannemann, Christine: Schrumpfende Städte : Überlegungen zur Konjunktur einer vernachlässigten Entwicklungsoption für Städte, Teil 2: www.kommunale-info.de/infothek/1667.asp. S. 1 (4) Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): Programm und Pilotstädte Stadtumbau West. Berlin, Oldenburg 2003, hier S. 5: Vorwort Achim Großmann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (5) Das BBR ist bemüht, die Festlegungen zum zentralörtlichen System der einzelnen Bundesländer zu klassifizieren und den Grundstufen nach MKRO zuzuordnen. Den Stadttypen liegen folgende Klassifikationen zugrunde: Großstädte (= Oberzentrum, Teil eines Oberzentrums); Mittelstädte (= mögliches Oberzentrum, Teil eines möglichen Oberzentrums, Mittelzentrum, Teil eines Mittelzentrums); Kleinstädte (= mögliches Mittelzentrum, Teil eines möglichen Mittelzentrums). über schrumpfende Städte Ende mit dem Bericht der Kommission Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern. Die neue Herausforderung heißt Umgang mit Schrumpfung, proklamiert dieser Expertenbericht. 2 Schrumpfende Städte sind im Osten heute schon der Normalfall. Sie stehen für einen Typ von Stadtentwicklung, für den es keine hergebrachten, erprobten und belastbaren Bewältigungsstrategien gibt. 3 Zwei Prozesse vor allem kennzeichnen schrumpfende Städte: der massive, dauerhafte Verlust an Arbeitsplätzen durch wirtschaftlichen Strukturwandel (Deindustrialisierung) und der Verlust an Einwohnern, insbesondere durch selektive Abwanderung der jüngeren, qualifizierteren, erwerbsorientierten Bevölkerung. Zusammen mit den Folgen dieser Prozesse auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, für die städtische Infrastruktur, die Kommunalfinanzen usw. ergeben sich neue Aufgaben und Optionen für die Stadtentwicklung: Stadtentwicklungspolitik wird nicht länger allein dadurch bestimmt sein, Wachstum räumlich zu verteilen. Für die ostdeutschen Städte gilt es schon generell, für die westdeutschen in zunehmendem Maße, rückläufige Entwicklungen unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten umfassend nachhaltig zu gestalten. Angestoßen durch den o.a. Kommissionsbericht und die schnelle Reaktion der Politik mit dem Bundesprogramm Stadtumbau Ost sowie die Initiierung des Forschungsfeldes Stadtumbau West im Forschungsprogramm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau wird das Thema Schrumpfung mittlerweile nicht mehr tabuisiert, sondern breit und offen als gesellschaftliches Problem diskutiert und findet politische Resonanz. Das gesellschaftliche Problembewusstsein hat also schnell die handelnde Politik erreicht. Der Umbau unserer Städte als Reaktion auf Schrumpfungsprozesse, ihre Anpassung an die heutigen Bedürfnisse und die zukünftigen Erfordernisse gehört jetzt zu den wichtigsten innen- und städtebaupolitischen Aufgaben in Ost und West. 4 Damit die Politik auf die neuen Herausforderungen sach- und zielgerecht reagieren kann, ist sie auf aktuelle und vorausschauende Informationen zur Stadtentwicklung im Bundesgebiet angewiesen. Entsprechende Informationen liefert das räumliche Informationssystem des BBR, die Laufende Raumbeobachtung. Sie kann Antworten auf Fragen geben wie: Welche Städte schrumpfen, welche wachsen? Um was für Städte handelt es sich? Wie urteilen die Bürger? usw. Anliegen dieses Beitrags ist es, das Phänomen schrumpfende Städte in Deutschland auf der Grundlage von Fakten und Trends zu beschreiben. Das Problembewusstsein für diesen für zunehmend mehr Städte realistischen Entwicklungspfad soll gestärkt und es sollen aus Bundessicht Handlungsbedarfe sowie -möglichkeiten aufgezeigt werden. 2 Aktuelle Situation und Entwicklung der Städte Vielfalt von Städten Deutschland zeichnet eine Vielfalt von Städten und Gemeinden aus. Dies verdeutlicht schon eine einfache, auf der administrativen Ebene der 4 859 deutschen Gemeinden/Gemeindeverbände vorgenommene Typisierung nach den drei Kriterien: Zentralität 5, Größe (Einwohnerzahl) und Stadtrecht. Danach lassen sich folgende Stadt- bzw. Gemeindetypen unterscheiden (siehe Anhang Karte 1 und Tab. 1): Großstädte (Oberzentren, > 000 Ew.) Mittelstädte (Ober- oder Mittelzentrum, < 000 Ew.) Kleinstädte (meist ZO unterer Stufe, Stadtrecht, meist < 20 000 Ew.) Große Landgemeinden (häufig ZO unterer Stufe, > 7 500 Ew.) Kleine Landgemeinden (< 7 500 Ew.). Diese Stadt- und Gemeindetypen bilden die Grundlage für die folgende vergleichende Darstellung der aktuellen Situation und Entwicklung der Städte und Gemeinden in Deutschland. Zudem erfolgt eine Differenzierung nach ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten siedlungsstrukturellen Regionstypen: Agglomerationsräumen, verstädterten Räumen und ländlichen Räumen. Ausdrücklich wird hier schon darauf hingewiesen, dass es sich um Durchschnittswerte handelt und einzelstädtische Situationen und Entwicklungen natürlich erheblich von diesen abweichen können.

Informationen zur Raumentwicklung Heft 10/11.2003 559 Bedeutung der Städte Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Städte belegt in Kürze Tabelle 1 unten: Etwas mehr als drei Viertel der Bevölkerung des Bundesgebietes, 62,7 % bzw. 76,1 Mio. Einwohner, lebt in Städten. Fast die Hälfte, 39,9 % bzw. 48,4 Mio. Einwohner, in Mittel- und Kleinstädten. Mittel- und Kleinstädte sind die bevorzugte urbane Siedlungsform bzw. Lebensweise. Als regionale Wirtschaftsund Arbeitsmarktzentren bestimmen sie neben den Großstädten auch entscheidend die wirtschaftliche Entwicklung im Bundesgebiet. Gut 48 % aller abhängig Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz in einer Mittel- oder Kleinstadt. Ihr Anteil am bundesweiten kommunalen Steueraufkommen beträgt 46,5 % und am bundesweit vorhandenen Kaufkraftvolumen 47,7 %. Strukturunterschiede zwischen Städten Zwischen den Städten, erst recht zwischen Städten und Landgemeinden, bestehen große strukturelle Unterschiede. Sie lassen sich an einer Vielzahl von Indikatoren festmachen. Charakteristisch ist dabei insgesamt ein ausgeprägtes Gefälle von den Großstädten über die Mittel- und Kleinstädte bis hin zu den Landgemeinden (siehe Tab. 2). Die Großstädte weisen gemessen am Abhängigkeitsverhältnis 6 zwar eine günstige Bevölkerungsstruktur auf, aber die stärkste Bevölkerungsabnahme im Zeitraum bis. Je Erwerbspersonen bieten sie als herausragende Wirtschafts- und Arbeitsmarktzentren mit weitem Abstand die meisten Arbeitsplätze an, verzeichnen aber auch die höchsten Arbeitslosenquoten. Die Wohnungsbautätigkeit ist weit unterdurchschnittlich, der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche mit rd. 45 % dagegen um ein Vielfaches höher als in den Mittel- und Kleinstädten, natürlich auch den Landgemeinden. Überragend wiederum, d.h. weit überdurchschnittlich, ist schließlich ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit. Die Mittelstädte weisen im Vergleich zu den Großstädten eine etwas günstigere Bevölkerungsentwicklung auf. Die Arbeitslosigkeit ist geringer, trotz eines niedrigeren Arbeitsplatzbesatzes und einer unterdurchschnittlichen Arbeitsplatzzunahme im Zeitraum. Schließlich ist auch die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit noch überdurchschnittlich hoch. (6) Das Abhängigkeitsverhältnis setzt die Jungen (0 15-Jährigen) und die Alten (über 65- Jährigen) in Beziehung zur erwerbsfähigen Bevölkerung. Stadt-Gemeindetyp Bevölkerung Arbeitsplätze Realsteuerkraft / Kaufkraft 2002 Anzahl Anteil Anzahl Anteil Mio.E Anteil Mio.E Anteil Großstädte West 16 696 25,6 8 094 36,3 14 584 402 36,7 301 575 26,9 Ost 6 037 35,3 2 315 41,7 2 304 676 45,4 94 428 40,0 Bund 22 733 27,6 10 409 37,4 16 889 077 37,7 396 003 29,2 Tabelle 1 Bedeutung von Städten und Gemeinden Mittelstädte West 24 657 37,7 9 014 40,5 14 879 5 37,5 422 758 37,7 Ost 4 220 24,7 1 594 28,7 1 185 326 23,4 54 697 23,2 Bund 28 877 35,0 10 608 38,1 16 065 281 35,9 477 455 35,2 Kleinstädte West 7 742 11,9 1 973 8,9 3 605 967 9,1 128 202 11,4 Ost 3 396 19,8 883 15,9 839 692 16,6 42 677 18,1 Bund 11 138 13,5 2 856 10,3 4 445 659 9,9 1 879 12,6 Große West 10 619 16,3 2 127 9,6 4 631 948 11,7 179 132 16,0 Land- Ost 1 118 6,5 250 4,5 281 193 5,5 15 244 6,5 gemeinden Bund 11 738 14,2 2 377 8,5 4 913 141 11,0 194 376 14,3 Kleine West 5 608 8,6 1 059 4,8 2 002 914 5,0 88 379 7,9 Land- Ost 2 347 13,7 507 9,1 462 564 9,1 28 8 12,3 gemeinden Bund 7 5 9,6 1 567 5,6 2 465 478 5,5 117 287 8,6 Insgesamt West 65 323,0 22 267,0 39 5 186,0 1 046,0 Ost 17 118,0 5 550,0 5 073 451,0 235 4,0 Bund 82 440,0 27 817,0 44 778 636,0 1 356 000,0 Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBR

560 Hans-Peter Gatzweiler, Katrin Meyer, Antonia Milbert: Schrumpfende Städte in Deutschland? Fakten und Trends Tabelle 2 Strukturunterschiede zwischen Städten und Gemeinden Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBR Strukturindikatoren Mittelstädte Großstädte Kleinstädte Stadt- und Gemeindetypen Große Landgemeinden Kleine Landgemeinden Insgesamt Bevölkerungsstruktur und -entwicklung Einwohner-Arbeitsplatz- Dichte (je km²) 2621,4 523,8 161,7 184,8 89,8 308,8 Abhängigkeitsverhältnis (in %) 74,7 85,4 86,4 83,7 85,0 82,2 Jugendquote (in %) 18,4 21,2 22,2 23,1 23,0 21,0 Altenquote (in %) 24,4 24,9 24,2 22,5 22,9 24,1 Bevölkerungsentwicklung (in %) -0,9-0,1 0,5 3,7 1,6 0,5 Gesamtwanderungssaldo (je 1.000 E.) 3,1 4,4 7,3 24,3 10,8 7,8 Arbeitsplatzsituation und -entwicklung Arbeitsplatzbesatz (je Erwerbspersonen) 91,5 76,3 52,0 41,8 39,2 68,7 Anteil der Auspendler an den Beschäftigten (in %) 27,2 53,0 71,8 81,2,9 55,3 Anteil der Arbeitsplätze im sekundären Sektor (in %) 25,4 37,8 45,9 43,4 46,9 35,0 Arbeitsplatzentwicklung (in %) 2,7 1,2-0,6 5,7 1,7 2,0 Arbeitslosenquote / (in %) 10,8 9,4 9,5 6,5 8,4 9,3 Wohnungsbau- und Siedlungstätigkeit Fertiggest. Wohnungen (je 1.000 Whgn.) 17,6 27,1 32,9 45,0 39,2 28,1 Wohnungsbestandsentwicklung (in %) 2,8 4,1 5,2 7,2 6,2 4,4 Siedlungsflächenintensität (m² je Einw. u. Besch.) 175,2 338,1 594,5 607,4 822,1 398,0 Anteil der Siedlungs- u. Verkehrsfläche (in %) 45,9 17,7 9,6 11,2 7,4 12,3 Entw. d. Siedungs- u. Verkehrsfläche 1996 (in %) 3,1 4,2 5,0 4,7 5,2 4,5 Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit Realsteuerkraft / (E je E.) 371,5 278,2 199,6 209,3 155,0 271,6 Einkommenssteueranteil / (E je E.) 314,9 282,3 227,6 269,6 214,1 275,5 Steuerkraft / (E je E.) 650,0 525,5 405,9 448,7 352,2 516,0 Kaufkraft (E je E.) 17.420 16.534 15.342 16.560 14.745 16.448 Für Kleinstädte trifft dies allerdings nicht mehr zu. Deren wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit wird nur noch von den kleinen Landgemeinden unterboten. Als einziger Stadttyp verzeichnen sie im Zeitraum bis eine Arbeitsplatzabnahme. Die großen Landgemeinden sind im Zeitraum offenbar die Gewinner im Wettbewerb um Einwohner und Arbeitsplätze. Mit einer Bevölkerungszunahme von 3,7 %, zurückzuführen insbesondere auf sehr starke Wanderungsgewinne, und mit einer Arbeitsplatzzunahme von sogar 5,7 % weisen sie die mit Abstand stärksten Bevölkerungs- und Arbeitsplatzgewinne auf. Dies schlägt sich auch in einer entsprechenden wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit nieder, die weit über der der kleineren Landgemeinden liegt und auch die der Kleinstädte (bei allen Indikatoren) übertrifft.

Informationen zur Raumentwicklung Heft 10/11.2003 561 West-Ost-Unterschiede Die beschriebenen strukturellen Unterschiede besagen allerdings nicht, dass es sich bei den Stadt- und Gemeindetypen um jeweils homogene Gruppen von Städten und Gemeinden handelt. Schlagartig verdeutlicht dies ein West-Ost-Vergleich (siehe Anhang Tab. 2). Fast alle Strukturindikatoren zeigen statistisch hoch signifikante West-Ost-Unterschiede für die verschiedenen Städtetypen an: starker Bevölkerungsrückgang (z.b. Mittelstädte 5,3 %) und hohe Wanderungsverluste (z.b. Mittelstädte 27 je 1 000 Ew. jährlich) im Osten noch leichte Bevölkerungszunahme und Wanderungsgewinne im Westen, starke Arbeitsplatzverluste im Osten (z.b. Mittelstädte 9,8 %) noch leichte Arbeitsplatzgewinne im Westen, überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit im Osten (z.b. Mittelstädte 18,7 %) unterdurchschnittliche Arbeitslosigkeit im Westen. Und auch bei der Realsteuerkraft und Kaufkraft sind die Unterschiede zwischen West und Ost eklatant. Weniger einschneidend als das Lagemerkmal Westen bzw. Osten, gleichwohl differenzierend wirkt sich das Merkmal Großräumige siedlungsstrukturelle Lage aus, also die Lage in einem Agglomerationsraum, verstädterten Raum oder ländlichen Raum. Zum Beispiel sind die Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung zwischen den einzelnen Stadt- und Gemeindetypen in Abhängigkeit vom siedlungsstrukturellen Regionstyp i.d.r. hoch signifikant. Für die Arbeitsplatzentwicklung trifft dies allerdings nicht zu. Die nichtsignifikanten Mittelwertunterschiede bei der Arbeitsplatzentwicklung im Zeitraum zwischen den Stadt- und Gemeindetypen sind nur mit den enormen West- und Ostunterschieden zu erklären: Während im Westen die Beschäftigung in diesem Zeitraum noch leicht zunimmt (+4,4 %), geht sie im Osten rasant zurück (-6,9 %). Diese Entwicklung gilt für fast alle Städte in West und Ost gleichermaßen. Gleichzeitigkeit von Wachstum und Schrumpfung Zwei wichtige Bestimmungsfaktoren für Wachstum oder Schrumpfung von Städten sind Bevölkerung und Arbeitsplätze. Negative Veränderungen dieser beiden Faktoren bedeuten Schrumpfung, positive bedeuten Wachstum gewiss eine einfache Definition von Stadtschrumpfung und -wachstum, die zunächst einmal die jeweiligen Auswirkungen unberücksichtigt lässt. Folgende Trends, lassen sich für diese beiden Faktoren differenziert nach West und Ost, im Zeitraum, der sog. Normalisierungsphase der Stadtentwicklung nach der Transformationsphase in der ersten Hälfte der er Jahre beobachten (s. a. Abb. 1): Abbildung 1 Bevölkerungs- und Beschäftigtenentwicklung nach Stadttypen Bevölkerung = Beschäftigte Großstädte West große Landgemeinden West = = Mittelstädte Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBR Bevölkerung = kleine Landgemeinden Im Westen verzeichnen in der Zeit von bis bis auf die Großstädte alle Stadtund Gemeindetypen leichte, aber stetige Bevölkerungszunahmen, die stärksten die großen und kleinen Landgemeinden mit +3,3 bzw. 2,5 % und Kleinstädte mit +1,8 %. Weitaus dynamischer und unterschiedlicher verläuft die Entwicklung im Osten. Gewinner sind hier allein die großen Landgemeinden mit einer Zunahme von +8,1 %, Ost Ost Kleinstädte

562 Hans-Peter Gatzweiler, Katrin Meyer, Antonia Milbert: Schrumpfende Städte in Deutschland? Fakten und Trends (7) Hannemann, Christine; a.a.o., S. 9 Einw.+Beschäft./km² 0 - -200-300 -400-500 -600-0 -0 Großstädtstädtstädte Land- Mittel- Klein- Große gem. Kleine Landgem. bedingt vor allem durch hohe Wanderungsgewinne (+ 52 je 1 000 Ew. jährlich). Verlierer sind dagegen vor allem die Mittelstädte, in erster Linie aufgrund starker Wanderungsverluste (- 27 je 1 000 Ew. jährlich). Arbeitsplätze Während im Westen in allen Stadt- und Gemeindetypen noch leichte, stetige Arbeitsplatzzunahmen zu beobachten sind (z.b. große Landgemeinden +7,1 %, Großstädte immerhin noch +4,1 %), verzeichnen im Osten alle Stadt- und Gemeindetypen starke Arbeitsplatzverluste Tendenz noch zunehmend. Vor allem die Mittel- und Kleinstädte erleben mit fast -10 % in nur fünf Jahren weitere drastische Beschäftigungsverluste. Sie sind in erster Linie Opfer der mit dem wirtschaftsstrukturellen Wandel im Osten einhergehenden Deindustrialisierung. Denn diese Städte waren meist Industriestandorte bzw. wurden im Rahmen der Industrieansiedlungspolitik der DDR vorrangig zu Industriestandorten entwickelt, geprägt meist durch eine Vielzahl kleinerer und i.d.r. einen Großbetrieb. Nach der Wende erweist sich dies als äußerst problematisch. 7 Weiteren Aufschluss ergibt eine Unterscheidung nach Stadt- und Regionstypen (siehe Anhang Abb. 1 und 2 ). Abbildung 2 Veränderung der Siedlungsdichte 1996 nach Stadt- und Regionstypen Großstädtstädtstädte Land- Mittel- Klein- Große gem. Kleine Landgem. Mittelstädtstädte Klein- Große Kleine Land- gem. Landgem. Agglomerationsräume Verstädterte Räume Ländliche Räume Abnahme der Siedlungsdichte ein genereller Trend Die siedlungs- und stadtstrukturellen Folgen der jüngsten Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung lassen sich am Indikator Siedlungsdichte festmachen. Eine hohe Siedlungsdichte steht für städtisch, ist ein wesentliches Merkmal von Stadt. Charakteristisch ist deshalb ein ausgeprägtes Gefälle in der Siedlungsdichte von den Großstädten über die Mittel- und Kleinstädte hin zu den Landgemeinden. Die hier berechnete Siedlungsdichte gibt an, wie viele Menschen (Einwohner und Beschäftigte) je km 2 Siedlungs- und Verkehrsfläche in einer Stadt bzw. Gemeinde wohnen und arbeiten. Schon für den kurzen Zeitraum von 1996 bis zeigt sich als genereller Trend eine Abnahme der Siedlungsdichte (siehe Abb. 2). Mit Abstand am gravierendsten ist diese im Osten und dort wiederum vor allem in den Groß- und Mittelstädten in allen Regionstypen (Abnahme von 500 und mehr Einwohnern und Beschäftigten je km 2 bzw. Rückgang von 10 % und mehr). Diese Entwicklung hat zwei Ursachen: Zum einen halten die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungszwecke und damit auch die räumliche Ausweitung der Siedlungs- und Verkehrsfläche weiter an, weil die Ansprüche an Wohnfläche je Einwohner und Wirtschaftsfläche je Arbeitsplatz noch zunehmen. Zum anderen aber führen Bevölkerungs- und Arbeitsplatzrückgang zwangsläufig dazu, dass je km 2 Siedlungsund Verkehrsfläche weniger Menschen wohnen und arbeiten. Bevölkerungs- und Arbeitsplatzschrumpfung bedeuten also generell Rückgang von Dichte, im schlimmsten Fall eine extreme Abnahme der Siedlungsdichte und damit einen Verlust an Stadt. Auf einmal gibt es wieder mehr Platz in der Stadt, und für zunehmend mehr Städte stellt sich die schwierige Aufgabe, den zu füllen als Stadtumbauaufgabe. West Ost Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBR

Informationen zur Raumentwicklung Heft 10/11.2003 563 Wie urteilen die Bürger? Die mittels sog. harter Daten festgestellten Entwicklungsunterschiede zwischen den Stadt- und Gemeindentypen sind eklatant. Aber decken sich diese Unterschiede auch mit dem Urteil der Bürger? Wie bewerten die Bürger die Lebensbedingungen in Städten und Gemeinden? Antworten hierauf gibt die Laufende BBR-Umfrage. Es handelt sich um eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, die seit 19 jährlich in West und Ost mit jeweils 2 000 Befragungen durchgeführt wird. Gefragt wird nach den alltäglichen objektiven Wohn- und Lebensbedingungen aus Sicht der Bürger. Dabei geben die Befragten u.a. auch Auskunft über den Wohnort. Zudem werden Bewertungen, z.b. die individuelle Zufriedenheit mit den jeweiligen Lebensbedingungen sowie Einstellungen und Verhaltensweisen wie z.b. Umzüge und Wanderungen erhoben. 8 Zufriedenheit mit dem Wohnort Im Durchschnitt der Jahre 2002 waren 60 % der Befragten im Westen und 41 % der Befragten im Osten mit ihrem Wohnort zufrieden (Skalenwerte 6 und 7 auf einer Skala von 1 = sehr unzufrieden bis 7 = sehr zufrieden). Während im Westen die Schwankungen sehr gering sind, hat sich im Osten der Anteil der mit dem Wohnort Zufriedenen bis ständig erhöht (von 24 % 19 auf 56 % ), fällt danach aber ab und erreicht 2002 nur noch einen Wert von 40 % (siehe Abb. 3). Die abrupt sinkende Zufriedenheit mit dem Wohnort betrifft im Osten mehr oder weniger alle Stadttypen gleichermaßen. Ursachen dafür dürften vor allem im wirtschaftlichen Bereich liegen, d.h. in dem anhaltend starken Arbeitsplatzrückgang und der hohen Arbeitslosigkeit. So werden dort die schlechtesten Werte bei der Wohnzufriedenheit in Mittel- und Kleinstädten (nur 36 % bzw. 37 %) erreicht, also den Stadttypen, die auch schon die negativsten Trends bei der Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung verzeichnen. Am größten ist im Osten die Zufriedenheit mit dem Wohnort Großstadt. Im Westen ist dagegen 2002 die Zufriedenheit mit diesem Wohnort am geringsten (54 %), mit dem Wohnort Kleinstadt aber am größten (64 %). Abbildung 3 Zufriedenheit mit dem Wohnort 2002 nach Stadttyp % der Befragten West % der Befragten 60 40 20 0 97 98 Großstädte 99 00 Datenbasis: Laufende BBR-Umfrage 01 02 Mittelstädte 60 40 20 0 97 98 Kleinstädte Abbildung 4 Subjektive Defizite in den Lebensbedingungen am Wohnort West Angebot der Jugendfreizeiteinrichtungen Zusammensetzung der Nachbarschaft Ost Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten Angebot an Ausbildungsplätzen Sicherheit im Straßenverkehr Spielmöglichkeiten für Kinder Attraktivität Innenstadt/Ortskern Gestaltung/Erhaltung Strassenbild Parkmöglichkeiten für Pkw Versorgung mit Alten-/Pflegeheimen kulturelle Einrichtungen Versorgung mit Wohnungen 99 Ost 00 01 02 Landgemeinden Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten Angebot an Ausbildungsplätzen Schutz vor Kriminalität Angebot der Jugendfreizeiteinrichtungen Sicherheit im Straßenverkehr Spielmöglichkeiten für Kinder Attraktivität Innenstadt/Ortskern Gestaltung/Erhaltung Strassenbild Parks, Grünanlagen ruhige Wohnlage Parkmöglichkeiten für Pkw Versorgung mit Alten-/Pflegeheimen kulturelle Einrichtungen Zusammensetzung der Nachbarschaft Versorgung mit Wohnungen Einkaufsmöglichkeiten Versorgung mit ÖPNV 0 10 20 30 40 50 60 %-Punkte Großstädte Schutz vor Kriminalität Parks, Grünanlagen ruhige Wohnlage Einkaufsmöglichkeiten Versorgung mit ÖPNV 0 10 20 30 40 50 60 %-Punkte Mittelstädte Datenbasis: Laufende BBR-Umfrage Kleinstädte, Landgemeinden Dargestellt ist die Prozentpunktdifferenz zwischen der Einschätzung der Wichtigkeit von Lebensbedingungen am Wohnort und der Beurteilung der Zufriedenheit mit diesen Lebensbedingungen, geordnet nach den Defiziten der Mittelstädte Ost.

564 Hans-Peter Gatzweiler, Katrin Meyer, Antonia Milbert: Schrumpfende Städte in Deutschland? Fakten und Trends (8) Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.); Meyer, Katrin u.a. (Bearb.): Lebensbedingungen aus Bürgersicht. Bonn 2003. = Berichte Bd. 15 (9) Spars, Guido: Schrumpfende Städte Folgerungen für Stadtökonomie und Infrastruktur. In: Stadtumbau, Dokumentation. Hrsg.: ISW. Frankfurt/Oder, S. 53 f. (download) Den geäußerten Zufriedenheiten mit dem Wohnort entsprechen auch die Umzugspräferenzen. Eine Fernwanderung (= ganz woanders hin) wird in West und Ost am wenigsten in den Großstädten ins Auge gefasst (nur von 19 %). In den Mittel- und Kleinstädten sowie Landgemeinden nimmt die Zahl der Fernwanderungswilligen dagegen kontinuierlich zu, dabei jeweils im Osten stärker als im Westen. Ursache dafür dürften zuvorderst unzureichende Erwerbsmöglichkeiten und damit Wohn- und Lebensperspektiven sein. Aus Städten und Regionen, die ihre Bewohner nicht mehr ernähren können, wandern die Menschen zwangsläufig ab, vor allem die Jüngeren und Leistungsfähigen. Lebensbedingungen am Wohnort Aus der Differenz der Angaben zur Wichtigkeit und zur Zufriedenheit mit den Lebensbedingungen am Wohnort kann ein Index der subjektiv relevanten Defizite in den Lebensbedingungen gebildet werden (siehe Abb. 4). Es ragen, in der Rangfolge in West und Ost weitgehend übereinstimmend, zentrale, vom klassischen Instrumentarium der Städtebaupolitik nur bedingt beeinflussbare Lebensbereiche als subjektiv relevante Defizite heraus: Neben dem Aspekt Sicherheit, dem Schutz vor Kriminalität, treten in West und vor allem in Ost die Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation als Bereiche hervor, bei denen die Wichtigkeit und die Zufriedenheit besonders weit auseinander klaffen. Von sehr großer Bedeutung sind aber auch im weiteren Sinne städtebaulich relevante Gesichtspunkte: Sicherheit im Straßenverkehr, Spielmöglichkeiten, ruhige Wohnlage, Parks/Grünflächen, im Osten zudem Attraktivität der Innenstadt/des Ortskerns und Gestaltung/ Erhaltung des Straßenbildes. Überdeutlich wird aber auch noch einmal, dass vor allem im Osten und hier wiederum besonders in den Mittelstädten die Kluft zwischen Wichtigkeit und Zufriedenheit bei fast allen Dimensionen überaus groß ist, meist doppelt so groß wie im Westen. Die schon an objektiven Strukturindikatoren festzumachende besondere Problemsituation der Mittelstädte im Osten wird damit im Urteil der Bürger noch einmal nachdrücklich bestätigt. 3 Schrumpfende und wachsende Städte Die Analyse der aktuellen Situation und Entwicklung auf der Ebene von Stadt- und Gemeindetypen hat schon verdeutlicht, dass Schrumpfung zurzeit hauptsächlich ein Problem Ost ist. Nachfolgend soll auf einzelstädtischer Ebene der Frage nachgegangen werden, welche Städte stärker schrumpfen und welche stärker wachsen. Schrumpfung und Wachstum werden dabei an folgenden sechs Indikatoren festgemacht: Bevölkerungsentwicklung in % Gesamtwanderungssaldo je 1 000 Einwohner Arbeitsplatzentwicklung in % Arbeitslosenquote Durchschnitt / Realsteuerkraft in Euro je Einwohner Durchschnitt / Kaufkraft in Euro je Einwohner Die Auswahl dieser Indikatoren geht davon aus, dass es sich bei Schrumpfung bzw. Wachstum um einen mehrdimensionalen Prozess handelt. Schrumpfung bedeutet dabei eine negative Zirkularität in der Stadtentwicklung. Bevölkerungsabnahme ist auf Wanderungsverluste zurückzuführen, hohe Arbeitslosigkeit auf starke Arbeitsplatzverluste, der Rückgang von Bevölkerung und Arbeitsplätzen führen zu Kaufkraft- und Realsteuerkraftverlusten. Abnehmende private und öffentliche Mittel bewirken sinkende Investitionen in private Betriebe und öffentliche Infrastruktur, was sich wiederum verstärkend auf Schrumpfungsprozesse von Bevölkerung und Arbeitsplätzen auswirkt. Diese einfachen Kreislaufzusammenhänge werden durch die zwischen den Indikatoren bestehenden korrelativen Zusammenhänge weitgehend bestätigt (siehe Abb. 5). 9 Schrumpfung als mehrdimensionaler zirkulärer Prozess der Stadtentwicklung legt es nahe, alle Indikatoren bei der Festlegung von schrumpfenden bzw. wachsenden Städten und Gemeinden gleichgewichtet zu berücksichtigen. Das heißt, eine Stadt ist umso mehr mit dem Problem Schrumpfung konfrontiert, je stärker die Bevölkerungsabnahme, je größer die Wanderungsverluste, je stärker der Arbeitsplatzrückgang, je höher die Arbeitslosigkeit und je geringer die

0,11 Informationen zur Raumentwicklung Heft 10/11.2003 565 Abbildung 5 Zirkularität der Schrumpfung 0,38 Kaufkraft BBR Bonn 2003 0,37 0,91 0,35 0,11 0,04-0,67-0,42 Arbeitsplatzentwicklung Gesamtwanderungssaldo Realsteuerkraft 0,05 0,04-0,47 0,06 Wirtschafts- und Kaufkraft sind. Schrumpfung gilt als Problem, wenn eine Stadt bei den einzelnen Indikatoren jeweils im unteren Quintil liegt, also zur Klasse der 20 % Gemeinden am unteren Ende der Rangskala gehört. Das heißt, je höher die Anzahl der Indikatorenwerte im unteren Quintil ist (maximal 6), umso größer ist das Problem Schrumpfung (Schrumpfung als kumulatives Problem). Entsprechendes gilt für den Gegenpol Wachstum. Schrumpfung und Wachstum sind in Deutschland ungleich verteilt (siehe Karte 1, Tab. 4): Im Osten konzentrieren sich die schrumpfenden, im Westen die wachsenden Städte und Gemeinden. Während im Westen nur rd. 2,6 % aller Städte und Gemeinden (betroffene Bevölkerung lediglich 0,6 %) stärker mit Schrumpfungsproblemen (vier und mehr Indikatoren im unteren Quintil) konfrontiert sind, sind es im Osten 53,5 % aller Städte und Gemeinden mit einem Bevölkerungsanteil von fast 39 %. Besonders von Schrumpfung betroffen sind Mittel- und Kleinstädte im Osten mit einem Anteil von 59,5 % bzw. 60,4 % und 57,8 % bzw. 57,6 % betroffener Bevölkerung. Die wenigen Wachstumsgemeinden im Osten finden sich vor allem im Berliner Umland sowie im Einzugsbereich einiger Großstäd- Bevölkerungsentwicklung -0,06 Arbeitslosigkeit -0,21 Korrelationen zwischen den betrachteten Strukturindikatoren stark mittel schwach te (z.b. Dresden, Leipzig, Magdeburg, Rostock). Dagegen ist im Westen von Ausnahmen wie dem Ruhrgebiet, dem Saarland oder Oberfranken abgesehen Schrumpfung in der Regel ein singuläres, lokales Problem. Im Westen ragen die großen Agglomerationsräume wie Hamburg, die Rheinschiene von Düsseldorf über Köln bis Bonn, Frankfurt, Stuttgart und München als regionale Wachstumscluster heraus. Wachsende Städte und Gemeinden finden sich dabei vor allem im Umland der Kernstädte. Tabelle 4 Schrumpfende und wachsende Städte und Gemeinden Schrumpfend: 4 und mehr Indikatoren im unteren Quintil Anteil betroffener Gemeinden und Bevölkerung an der jeweiligen Gesamtzahl in % West Ost Bund Stadt-Gemeindetyp Gemeinden Bevölkerung Gemeinden Bevölkerung Gemeinden Bevölkerung Großstädte 0,0 0,0 30,8 13,3 5,9 0,5 Mittelstädte 0,3 1,4 59,3 57,8 11,1 3,6 Kleinstädte 0,8 0,3 60,4 57,6 25,2 4,8 Große Landgemeinden 0,0 0,0 29,7 26,3 3,3 10,6 Kleine Landgemeinden 6,6 0,7 51,2 49,8 18,4 7,6 Gesamt 2,6 0,6 53,5 38,9 15,3 4,3 Wachsend: 4 und mehr Indikatoren im oberen Quintil Anteil betroffener Gemeinden und Bevölkerung an der jeweiligen Gesamtzahl in % West Ost Bund Stadt-Gemeindetyp Gemeinden Bevölkerung Gemeinden Bevölkerung Gemeinden Bevölkerung Großstädte 1,8 0,7 0,0 0,0 1,5 0,5 Mittelstädte 5,7 4,2 0,0 0,0 4,6 3,6 Kleinstädte 4,7 6,8 0,5 0,4 3,0 4,8 Große Landgemeinden 10,4 11,5 1,8 1,8 9,4 10,6 Kleine Landgemeinden 10,4 10,8 0,0 0,0 7,6 7,6 Gesamt 8,3 5,4 0,3 0,2 6,3 4,3 Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBR BBR Bonn 2003

566 Hans-Peter Gatzweiler, Katrin Meyer, Antonia Milbert: Schrumpfende Städte in Deutschland? Fakten und Trends Karte 1 Schrumpfende und wachsende Städte Kiel Rostock Hamburg Schwerin Szczecin Bremen Berlin Amsterdam Hannover Magdeburg Potsdam Bielefeld Cottbus Essen Dortmund Halle/S. Düsseldorf Köln Kassel Erfurt Leipzig Chemnitz Dresden Liège Bonn Wiesbaden Frankfurt/M. Praha Luxembourg Mainz Saarbrücken Mannheim Nürnberg Strasbourg Stuttgart Ulm Freiburg i.br. München BBR Bonn 2003 km Zürich Innsbruck Schrumpfung 6 5 4 3 2 1 1 2 3 4 5 6 Wachstum Anzahl Indikatorenwerte im unteren Quintil Anzahl Indikatorenwerte im oberen Quintil Stadt-/Gemeindetyp Großstadt Mittelstadt Kleinstadt große Landgemeinde kleine Landgemeinde Siedlungsstruktureller Regionstyp Agglomerationsraum Verstädterter Raum Ländlicher Raum Betrachtete Strukturindikatoren: Bevölkerungsentwicklung - Gesamtwanderungssaldo - Arbeitsplatzentwicklung - Arbeitslosenquote / Realsteuerkraft / Kaufkraft Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBR

Informationen zur Raumentwicklung Heft 10/11.2003 567 4 Schrumpfung langfristiger Trend der Stadtentwicklung? Welche Perspektiven zeichnen sich für die Stadtentwicklung in der mittleren und ferneren Zukunft ab? Wird Schrumpfung als Rahmenbedingung der Stadtentwicklung anhalten? In erster Linie wird dies von der künftigen Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung abhängen. Einigermaßen zuverlässige regionalisierte Langfristprognosen dieser beiden Faktoren, also Prognosen über einen Zeitraum von 20 oder gar 50 Jahren, sind allerdings kaum möglich. Arbeitsplatzentwicklung Dies gilt insbesondere für die künftige Arbeitsplatzentwicklung. Langfristige Voraussagen sind hier besonders schwierig, weil sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in größeren Zeitabständen stark verändern können. Aufgrund der EU-Erweiterung und fortschreitender Globalisierung wird nach Meinung von Experten die Standortkonkurrenz zwischen den Regionen und Städten noch zunehmen. Wirtschaftliches Wachstum und damit Arbeitsplatzwachstum werden umso größer sein, je mehr es Städten und Regionen gelingt, überregionale Nachfrage an sich zu binden, d.h. einen Exportüberschuss zu erzielen. 10 Der sektorale Strukturwandel verdeutlicht, dass dabei immer weniger der produzierende Sektor (Industrie) als Exportbasis und städtischer Wachstumsträger von Bedeutung ist, sondern zunehmend der Dienstleistungssektor. Im Gegensatz zu früher werden auch Dienstleistungen (z.b. Finanz- und Beratungsdienste, Medien, Tourismus) immer mehr überregional gehandelt. Der aktuelle Prognos Deutschland Report erwartet bis 2020 für den Dienstleistungssektor einen Zuwachs von 2,3 Mio. Arbeitsplätzen, dagegen für den Produzierenden Sektor einschließlich Bauwirtschaft eine Abnahme von 1,7 Mio. 11 Dieser sektorale Strukturwandel trifft deshalb vor allem die Städte, die noch stark vom produzierenden Sektor bzw. durch den industriellen Charakter einer bestimmten Produktion geprägt sind. Sie müssen also mit weiteren Arbeitsplatzverlusten rechnen. Gleichwohl spricht aber vieles dafür, dass insgesamt die Städte, insbesondere standortattraktive Großstädte Gewinner des wirtschaftlichen Strukturwandels werden könnten (siehe auch Kap. 2). Bevölkerungsentwicklung Noch relativ verlässlich im Vergleich zur Arbeitsplatzentwicklung ist dagegen die künftige Bevölkerungsentwicklung absehbar. Die jüngst vom Statistischen Bundesamt vorgelegte 10. Koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung bestätigt noch einmal, dass der langfristige Trend in Richtung Schrumpfung der Bevölkerung weist. 12 Die bis zum Jahr 2050 fortgeschriebenen Verläufe der Geburten- und Sterbefälle zeigen eine immer weiter aufgehende Schere zwischen der Zahl der Neugeborenen und der Gestorbenen, wobei sich das Geburtendefizit künftig deutlich vergrößert. Die Zuwanderung aus dem Ausland mindert den dadurch einsetzenden Bevölkerungsrückgang, kann ihn jedoch nicht vollständig ausgleichen: Die mittlere Variante (jährli- Karte 2 Bevölkerungsentwicklung 2020 Amsterdam Liège Luxembourg km Düsseldorf Mainz Saarbrücken Strasbourg Bevölkerungsentwicklung bis 2020 in % bis unter -10-10 bis unter -2-2 bis unter 2 2 bis unter 10 10 und mehr Bremen Wiesbaden Zürich Kiel Hamburg Stuttgart Hannover Erfurt Schwerin Magdeburg (10) Gebhardt, Kurt; Gornik, Martin; a.a.o. (11) Eitenmüller, Stefan: Wo steht Deutschland in 20 Jahren? Prognos trendletter 3/2002, S. 4 (12) Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung Deutschlands bis 2050. 10. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden 2003 Potsdam München Innsbruck Berlin Dresden Szczecin Praha BBR Bonn 2003 Datengrundlage: BBR-Bevölkerungsprognose -2020/Kreise Kreise, Stand 31.12.

568 Hans-Peter Gatzweiler, Katrin Meyer, Antonia Milbert: Schrumpfende Städte in Deutschland? Fakten und Trends Abbildung 6 Kleinräumige Bevölkerungsentwicklung 2020 Insgesamt unter 20-Jährige 20- bis unter 60-Jährige 25- bis unter 45-Jährige 60-Jährige und älter West = = = 2010 che Zuwanderung von rd. 200 000 Ausländern) ergibt für 2050 noch 75 Mio. Einwohner. Bei niedrigerer Zuwanderung (um die 000 Personen jährlich) sinkt die Bevölkerungszahl auf 68,5 Mio. Der Anteil der jungen Menschen (< 20 Jahren) an der Bevölkerung wird von rd. einem Fünftel im Jahr auf ein Sechstel im Jahr 2050 sinken. Dagegen steigt der Anteil der über 2015 2020 = = Kernstädte 2010 2015 2020 = = = 2010 2010 2010 2015 2015 2015 2020 2020 2020 stadtnahe Kreise = Datenbasis: BBR-Bevölkerungsprognose -2020/Kreise = Ost stadtnahe ländliche Kernstädte Kreise Kreise 2010 2015 2020 2010 2010 2010 2010 2015 ländliche Kreise 2015 2015 2015 2020 2020 2020 2020 60-Jährigen im gleichen Zeitraum von etwa einem Viertel auf mehr als ein Drittel. Aufgrund der anhaltend hohen Zuwanderung aus dem Ausland wird zudem die Zahl der Ausländer, und damit die Ausländerquote, stark steigen. Abnahme, Alterung und Internationalisierung der Bevölkerung werden also langfristig den demographischen Wandel in Deutschland prägen. Die jüngste BBR-Bevölkerungsprognose bis 2020, die in den Grundannahmen in etwa der mittleren Variante der 10. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung entspricht, verdeutlicht die kleinräumigen Konsequenzen des demographischen Wandels. 13 Auf der regionalen Ebene der Kreise zeigt sich ein Nebeneinander von Wachstum und Schrumpfung. 14 In den er Jahren waren die Kreise mit wachsender Bevölkerung noch deutlich in der Mehrheit. In 302 von 440 Kreisen mit knapp 53 Mio. Einwohnern (Ende 19) stieg die Bevölkerung bis um 3,7 Mio. Personen an. Die restlichen 138 Kreise mit 26,9 Mio. Personen (ein Drittel der Gesamtbevölkerung) verloren gut 1,3 Mio. an Bevölkerung. Hinter dem Gesamtbild einer um 3 % wachsenden Bevölkerung in Deutschland verbergen sich somit ein um gut 7 % wachsender Teil und ein um knapp 5 % schrumpfender Teil. Bis 2020 kehrt sich die Dynamik allmählich um in Schrumpfung (siehe Karte 2). Die Zahl der Kreise, die noch Wachstum zu erwarten haben, nimmt ab. Die Bevölkerung dieser dynamischen Kreise wird kleiner (von zwei Drittel auf weniger als die Hälfte der gesamten Bevölkerung). Die Zahl der Kreise mit abnehmender Bevölkerung verdoppelt sich nahezu. In der kleinräumigen Betrachtung der Kreisdynamik zeigen sich die Veränderungen als neue Muster. Der Ost-West-Gegensatz der Bevölkerungsentwicklung löst sich allmählich auf, wiewohl die neuen Länder weiterhin Wanderungsverluste gegenüber dem Westen haben werden. Nunmehr erwarten auch zunehmend Kreise im Westen Abnahmen und einige wenige Kreise im Osten Zunahmen. Altersstrukturelle Veränderungen verlaufen in West und Ost gleichgerichtet, jedoch mit unterschiedlicher Dynamik (siehe Abb. 6). Bis 2020 geht die Zahl der Jugendlichen (< 20 Jahren) im Westen um ca. 18 % zurück, im Osten wird der niedrigste Wert schon 2009 erreicht, wobei der ländliche

Informationen zur Raumentwicklung Heft 10/11.2003 569 Raum mit einer Abnahme von ca. 30 % besonders betroffen sein wird. Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis < 60 Jahre) nimmt im Westen nur in den Kernstädten um etwa 5 % ab, im Osten dagegen ist mit einer Abnahme um 10 % in Kernstädten und stadtnahen Kreisen und bis zu 20 % in ländlichen Kreisen zu rechnen. Die besonders auf dem Wohnungsmarkt aktive Gruppe der 25- bis unter 45- Jährigen nimmt dagegen schon sehr stark ab, vor allem in den Kernstädten. Die Zahl älterer Menschen über 60 Jahre wird im Westen wie im Osten in allen Gebietskategorien stark zunehmen, insbesondere in den stadtnahen Kreisen (Umland) und in den ländlichen Kreisen (ca. 20 % und mehr). Fazit: Zum einen ist eine differenzierte Betrachtung der künftigen Arbeitsplatz- und Bevölkerungsentwicklung nach Sektoren/ Branchen und Altersgruppen angesagt. Dabei zeigt sich oft eine Gleichzeitigkeit von Schrumpfung und Wachstum. Zum anderen muss Schrumpfung auf mittlere Sicht nicht die alleinige Rahmenbedingung der Stadtentwicklung bleiben. Es sind auch Trendbrüche denkbar. Dies gilt sowohl für die Arbeitsplatz- als auch für die Bevölkerungsentwicklung. Sollten die überregionalen Dienstleistungen wie Finanz- und Beratungsdienste, Medien und Tourismus im Zuge des wirtschaftsstrukturellen Wandels als städtischer Wachstumsmotor weiter an Bedeutung gewinnen, profitieren davon in erster Linie die Städte, vor allem natürlich die Städte, die bei diesen Branchen schon höhere Beschäftigtenanteile aufweisen. Und auch vom zunehmenden Alterungsprozess der Bevölkerung könnten die Städte profitieren: Zum einen nimmt das Potenzial der Kern-Rand-Wanderer (wohnungsmarktaktive Familien im Alter von 25 bis 45 Jahren mit Kindern) bis 2020 sehr stark ab, damit möglicherweise auch die Randwanderung. Zum anderen könnte der Alterungsprozess im suburbanen Raum zu einer verstärkten Rückwanderung älterer Haushalte in die Städte führen, nachdem die Kinder das Haus verlassen haben. Die Städte, vor allem die Großstädte, müssen also nicht zwangsläufig Opfer von wirtschaftlichen und demographischen Schrumpfungsprozessen werden. 5 Einige Schlussfolgerungen für die künftige Stadtentwicklungspolitik Die dargelegten Fakten und Trends belegen nachdrücklich, dass Stadtentwicklung in Deutschland nicht länger identisch ist mit Wachstum. Neu und von Gesellschaft und Politik als dringendes Problem erkannt und akzeptiert, vor allem im Osten Deutschlands, ist das Phänomen der Schrumpfung. Aber auch im Westen gibt es Städte und Gemeinden mit Schrumpfungstendenzen. Als neue Herausforderung an eine zukunftsbeständige Stadtentwicklungspolitik zeichnet sich ab, einen Paradigmenwechsel vom gesteuerten Wachstum auf geordneten Rückzug zu kommunizieren, anzunehmen und umzusetzen. Der Umbau der Städte wird nicht länger nur, wie in der Vergangenheit gewohnt, dadurch bestimmt sein, Wachstum räumlich zu verteilen, sondern rückläufige Entwicklungen unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten umfassend nachhaltig zu gestalten. Die Akzeptanz und der Erfolg solcher Strategien und Konzepte des Umbaus hängen davon ab, wie dieser Wandel nicht als Verlust, sondern als Gewinn von Lebensqualität und örtlicher Standortattraktivität erkennbar und vermittelbar wird - dies in dem Sinne Weniger ist mehr. Stadtumbau ist das zentrale Handlungsfeld, um die im Baugesetzbuch normativ festgeschriebene Strategie der Innenentwicklung zu unterstützen, d.h. die Siedlungsflächeninanspruchnahme zu vermindern und eine nachhaltige Siedlungsentwicklung zu fördern. Stadtumbau heißt in erster Linie Bestandsentwicklung. Für eine bestandsorientierte Stadtentwicklung bieten sich unterschiedlichste Handlungsoptionen an: Weiternutzung durch Anpassung (Schwerpunkt: Modernisierung), Wiedernutzung durch Neubau (Schwerpunkt: Nutzungswandel), Umnutzung (Schwerpunkt: Nutzungsänderung), Konservierung (Schwerpunkt: Nutzungsoptionen offen halten) bis hin zur Renaturierung (Schwerpunkt: kreislauforientierte Flächennutzung). Schrumpfende Städte, eine kleiner werdende gesellschaftliche Verteilmasse im Raum, erfordert vor allem neue Interpretationen und Auseinandersetzungen mit dem Thema Städtebauliche Dichte. (13) Die Ergebnisse der BBR-Bevölkerungsprognose bis 2020 auf Kreisbasis sind als CD-ROM INKAR PRO veröffentlicht und über den Selbstverlag des BBR zu beziehen. Mit INKAR PRO lassen sich für verschiedene Raumbezüge vom Kreis aufwärts Prognoseergebnisse nach ausgewähltem Differenzierungsgrad tabellarisch, kartographisch oder graphisch aufbereiten und darstellen. (14) Bucher, Hansjörg; Schlömer, Claus: Der demographische Wandel und seine Wohnungsmarktrelevanz. VHW-Forum Wohneigentum 3 (2003) H. 3, S. 121 126

5 Hans-Peter Gatzweiler, Katrin Meyer, Antonia Milbert: Schrumpfende Städte in Deutschland? Fakten und Trends (15) Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen/Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): Dokumentation zum Bundeswettbewerb Stadtumbau Ost. Bonn 2003 (16) Siehe auch den Beitrag von Markus Eltges in diesem Heft Welche Dichte ist aus der Perspektive des kleinteiligen städtebaulichen Zusammenhangs notwendig/verträglich? Mehr Lebensqualität durch weniger Dichte? Die Aufgabe Stadtumbau stellt auch neue Anforderungen an die Stadtentwicklungsplanung. Es sind integrierte Stadtentwicklungskonzepte gefordert, die einen ressourcenbewussten Umgang mit der Stadt als Lebensraum zum Maßstab der Politik erheben. Es wird eine Vielzahl von kleinen Projekten und Maßnahmen sein, die diesen Weg markieren. Gleichwohl sind diese einzubetten in eine gesamtstädtische Strategie. Gerade knapper werdende Ressourcen verlangen nach einem Konzept, das den großen Bogen spannt vom detaillierten Einzelobjekt, z.b. der Wiedernutzung einer innerstädtischen Brachfläche, bis hin zu interkommunalen Kooperationsformen mit den Nachbargemeinden, z.b. bei der regionalen Flächennutzungsplanung oder beim regionalen Flächenmanagement. Der 2002 durchgeführte Bundeswettbewerb Stadtumbau Ost hat eindrucksvoll gezeigt, dass integrierte Stadtentwicklungskonzepte eine unverzichtbare Grundlage sind für einen Stadtumbau, der als Daueraufgabe verstanden werden muss. 15 Für die Städtebauförderung im weitesten Sinne d.h. für alle wesentlichen investiven Instrumente der Stadtentwicklungspolitik stellt sich die Frage, ob sie geeignet ist, rückläufige Entwicklungen durch gebündelten Mitteleinsatz räumlich und funktional zu steuern. 16 Dabei geht es zum einen um die Frage förderungsbedürftiger/-würdiger Städte und Gemeinden, d.h. eine problem- und zielgerechte Mittelverteilung. Sind bzw. sollen z.b. die schrumpfenden Städte und Gemeinden, insbesondere die Klein- und Mittelstädte, Schwerpunkte der Förderung werden? Zum anderen geht es um die Frage neuer Fördergebietskategorien (jenseits von Sanierungs- und Entwicklungsgebieten) und neuer Fördertatbestände (jenseits von baulichen Defiziten). Die Weiterentwicklung der Städtebauförderung als Stadtumbauförderung darf nicht die Finanzierung eines resignativen Rückzugs leiten. Vielmehr gilt es, eine neue, gezielte Qualitätsoffensive für den Lebens- und Wirtschaftsraum Stadt zu starten und Schrumpfung als Chance zur Schaffung von mehr Lebensqualität und Standortattraktivität zu nutzen.

Informationen zur Raumentwicklung Heft 10/11.2003 571 Karte 1 Stadt- und Gemeindetypen Anhang Kiel Rostock Hamburg Schwerin Szczecin Bremen Berlin Amsterdam Hannover Magdeburg Potsdam Bielefeld Cottbus Essen Dortmund Halle/S. Düsseldorf Köln Kassel Erfurt Leipzig Chemnitz Dresden Liège Bonn Wiesbaden Frankfurt/M. Praha Luxembourg Mainz Saarbrücken Mannheim Nürnberg Strasbourg Stuttgart Freiburg i.br. Ulm München BBR Bonn 2003 km Zürich Innsbruck Stadt-/Gemeindetyp Großstadt Mittelstadt Kleinstadt große Landgemeinde kleine Landgemeinde Siedlungsstruktureller Regionstyp Agglomerationsraum Verstädterter Raum Ländlicher Raum Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBR Prägend für das städtische Siedlungssystem sind die von der Landesplanung bestimmten Zentralen Orte. Auf höchster Stufe sind es Oberzentren, i.d.r. Städte mit mehr als.000 Einwohnern (Großstädte); Mittelzentren, i.d.r. Städte mit einer Einwohnerzahl von 20 000 bis < 000 Einwohnern, erfüllen wichtige Funktionen als regionale Wirtschafts- und Arbeitsmarktzentren (Mittelstädte). In ländlichen Räumen sind Zentrale Orte unterer Stufe, i.d.r. mit einer Einwohnerzahl von < 20.000 Einwohnern (Kleinstädte), für die Versorgung der Bevölkerung besonders wichtig. Die Landgemeinden, d.h. Gemeinden ohne Stadtrecht, werden noch einmal unterschieden nach großen (mehr als 7 500 Einwohner) und kleinen Landgemeinden (unter 7 500 Einwohner). Viele große Landgemeinden erfüllen dabei als Unter- oder Kleinzentren überörtliche Versorgungsfunktionen, insbesondere wiederum in verstädterten und ländlichen Räumen.