Stiftung SPI. Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei. Infoblatt Nr. 42. Gefährderansprachen gegenüber Jugendlichen durch die Polizei.

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Transkript:

Stiftung SPI Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei Infoblatt Nr. 42 Gefährderansprachen gegenüber Jugendlichen durch die Polizei Teil 2 Geschäftsbereich Soziale Räume und Projekte Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei Kremmener Straße 9-11 10435 Berlin Telefon 030.449 01 54 Fax 030.449 01 67

Gefährderansprache aus der Sicht einer Operativen Gruppe Jugendgewalt (OGJ) Sascha Breuer, Polizeikommissar, Polizeidirektion 3, OGJ Atila Yelgin, Polizeiobermeister, Polizeidirektion 3, OGJ Einführung Im Rahmen der Aufgabenbewältigung bei der Bearbeitung von Straftaten, die von Jugendlichen begangen werden, ist die Gefährderansprache ein Instrument, das von Beamten/-innen der Operativen Gruppe Jugendgewalt der Direktion 3 gerne genutzt wird. 1 Die Gefährderansprache wird als eigenständiger Begriff weder im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) des Landes Berlin noch in der Strafprozessordnung (StPO) aufgeführt oder genannt. Die Gefährderansprache ist ein wichtiges Mittel, um Menschen in der Regel Jugendliche davor zu schützen, (erneut) Opfer einer brutalen Gewalttat zu werden. Sie hilft Menschen darauf zu vertrauen, vom Rechtsstaat, hier vertreten durch die Polizei, auch geschützt und nicht Opfer eines Rechts des Stärkeren zu werden. Begriffsklärung Unter Gefährderansprache versteht man die Ansprache an eine Person oder eine Personengruppe, die auf Grund ihres bisherigen Verhaltens polizeiliche Aufmerksamkeit erregt. Dabei handelt es sich nicht um eine strafprozessuale Maßnahme, sondern um eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Durch die gezielte Gefährderansprache im Bereich der Jugendgruppengewalt wird der/die Adressat/in auf sein/ihr Fehlverhalten hingewiesen. Ihm/Ihr sollen die polizeilichen Möglichkeiten aufgezeigt und erläutert werden, wenn er/sie oder Freunde von ihm/ihr beispielsweise an Zeugen/-innen oder Geschädigte herantreten, um diese zu bedrohen oder zu nötigen. Durch die Gefährderansprache soll bei den Tätern/-innen eine psychische Hemmschwelle aufgebaut werden, um die möglichen Opfer vor zukünftigen Übergriffen oder Einschüchterungen zu schützen. Rechtliche Einordnung Fraglich ist, ob Polizeibeamte/-innen durch die Gefährderansprache in die allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz I GG) der Adressaten/-innen eingreifen. Dann bedürfte es gemäß des Vorbehalts des Gesetzes einer rechtlichen Grundlage. 1 Vorliegende Ausführungen beziehen sich auf Dir 3 VB III 1 OGJ. Infoblatt Nr. 42 Gefährderansprachen gegenüber Jugendlichen durch die Polizei Teil 2 1

Nach herrschender Meinung stellt die Gefährderansprache jedoch keinen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen dar. Es handelt sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des 35 Abs. I Satz 1 VwVfG, da die Gefährderansprachen keine konkreten Ver- oder Gebote enthalten. Daher gelten sie allgemein als Realakte (VG Berlin 1 A 102.00 und 124.00, Beschluss jeweils vom 28. April 2004; VG Göttingen, 1 A 1014/02, Urteil vom 27. Januar 2004). Der juristische Begriff des Realaktes bezeichnet rein faktisch wirkende Handlungen, die nicht auf das Herbeiführen einer Rechtsfolge gerichtet sind. Im Verwaltungsrecht wird der Realakt zum Verwaltungsakt abgegrenzt. Wichtig für das allgemeine Verständnis ist hierbei, dass durch die Gefährderansprache kein Verbot ausgesprochen wird, sondern dass die Betroffenen nur daran erinnert werden, bestehende Gesetze zu respektieren, also z.b. keine Körperverletzungen oder Nötigungen zu begehen. Voraussetzungen Die Gefährderansprache stellt somit ein schlicht hoheitliches Handeln dar. Auch wenn es sich nicht um einen Eingriff im polizeirechtlichen Sinne handelt, müssen für solch einen Realakt dennoch bestimmte Voraussetzungen vorliegen: Zunächst darf eine Gefährderansprache nicht willkürlich erfolgen. Dieses Willkürverbot beinhaltet die Anforderung an die Polizeibeamten/-innen, keinesfalls eine Gefährderansprache an beliebige Personen, sondern nur an solche zu richten, bei denen aus ihrer Sicht Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen möglicherweise in naher Zukunft polizeilich in Erscheinung treten könnten. Des Weiteren gilt es, die so genannte Je-Desto-Regel zu beachten, d.h., je höher der zu erwartende Schaden ist, desto geringere Bedeutung fällt der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu. Im Bereich der Jugendgruppengewalt werden besonders häufig Raub- und Rohheitsdelikte begangen. Demnach können hier die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum geschädigter Personen als hoch einzustufende Rechtsgüter angeführt werden. Diese Rechtsgüter auf der einen Seite und die geringe Beeinträchtigung der Adressaten/-innen durch die Gefährderansprache Infoblatt Nr. 42 Gefährderansprachen gegenüber Jugendlichen durch die Polizei Teil 2 2

auf der anderen Seite stellen im Sinne der Je-Desto-Regel nur geringe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Praktische Erfahrung aus Sicht der Operativen Gruppe Jugendgewalt (OGJ) Als Fachdienststelle für Jugend- und Jugendgruppengewalt hat die OGJ überwiegend mit Jugendlichen zu tun, die polizeilich in Erscheinung treten. In vielen Fällen sind die Jugendlichen der Polizei bereits durch diverse Vorgänge oder Identitätsfeststellungen bekannt. In diesem Zusammenhang wird die OGJ sowohl präventiv als auch repressiv tätig. Im Rahmen der Prävention, also der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, wird gezielt das Gefährdergespräch mit den Jugendlichen durch die OGJ gesucht. Die jugendlichen Täter/innen schüchtern oftmals Geschädigte oder Zeugen/-innen ein und geraten dabei häufig in den strafprozessualen Bereich der Zeugenbeeinflussung. Beispielhaft sei hier die Aussagen genannt: Wenn du bei den Bullen was sagst, dann wirst du es bereuen, das schwöre ich dir. In diesen Fällen wird geprüft, ob hierfür bereits der Haftgrund der Verdunklungsgefahr in Betracht kommen könnte, da beim Opfer bewusst eine Einschüchterung angestrebt wird. Somit kommt in vielen Fällen zumindest eine strafrechtlich relevante Nötigung in Betracht. Zielrichtung der Gefährderansprache ist demnach auch, die Täter/innen von der Beeinflussung von Zeugen/-innen oder Geschädigten abzuhalten. Beispiel 1 Zum besseren Verständnis hier zwei Beispiele aus der Praxis: Ein Jugendlicher wird von einer Personengruppe abgezogen. Ihm wird sein Handy geraubt. Anschließend flüchten die Täter. Der Jugendliche erstattet daraufhin eine Anzeige bei der Polizei. Zwei Tage danach meldet er sich auf der hiesigen Dienststelle und gibt an, von einer ihm aus der Schule bekannten Person angesprochen worden zu sein. Diese Person habe dem Jugendlichen nahe gelegt, die von ihm erstattete Anzeige zurückzuziehen, da es ihm sonst sehr schlecht ergehen werde. Der Jugendliche nennt den Namen der Person. In dem o. g. Beispiel wird versucht, auf den Jugendlichen Druck aufzubauen, damit dieser von der Erstattung einer Anzeige absieht bzw. seine Aussage bei der Polizei revidiert. Nach Erhalt dieser Information wird der Jugendliche von der Polizei an seiner Wohnanschrift aufgesucht. In Beisein seiner Eltern wird er auf sein Fehlverhalten hingewiesen. Lassen der Jugendliche bzw. dessen Eltern die Beamten/-innen in die Infoblatt Nr. 42 Gefährderansprachen gegenüber Jugendlichen durch die Polizei Teil 2 3

Wohnung eintreten, weil sie ein Gespräch im Treppenhaus vermeiden wollen, so ist eine rechtliche Grundlage für das Eintreten in die Wohnung nicht nötig. Wird den Beamten/-innen der Zutritt in die Wohnung verweigert, so muss das Gespräch im Treppenhaus geführt werden. Ein Betretungsrecht für die Wohnung existiert nicht. Alternativ kann dem Jugendlichen das Angebot unterbreitet werden, das Gespräch im Dienstfahrzeug oder an einem Ort seiner Wahl durchzuführen. Weigern sich der Jugendliche oder die Eltern, das Gespräch zu führen, bleibt den Beamten/-innen keine rechtliche Möglichkeit, diese zu erzwingen. Beispiel 2 Eine bekannte Jugendgruppe begeht fortlaufend Straftaten von erheblicher Bedeutung (z.b. Raub- und Rohheitsdelikte). Die Jugendgruppe ist auf Grund ihrer Brutalität in ihrem Wohngebiet bekannt. Geschädigte sowie Zeuginnen fürchten sich, sich bei der Polizei zu melden, da sie mit Repressalien durch die Gruppe oder deren Freunde rechnen. In der Praxis kennen sich Täter/innen und Opfer häufig, da sie teilweise aus demselben Umfeld kommen (Wohngebiet, Schule, Freunde, Arbeit). Nach Erhalt dieser Information wird der bekannte Aufenthaltsort der Gruppe durch Beamte der hiesigen Dienststelle aufgesucht. Es wird offensiv an die Gruppe herangetreten. Den Jugendlichen werden in einem erzieherischen Gespräch explizit die Rechtsfolgen erläutert, falls sie selbst, in mittelbarer Täterschaft (also durch andere Personen, die sie gezielt steuern) oder als Anstifter weiterhin eine Gefahr für Personen oder Sachen darstellen sollten. Ist bei Jugendlichen aus der Gruppe die Identität nicht bekannt, so kann eine Personalienfeststellung der Jugendlichen gem. 21 I ASOG erfolgen. Des Weiteren ergibt sich nach 21 III ASOG das Anhalterecht für die Dauer der Identitätsfeststellung. Es sollte über das Aufsuchen des Jugendlichen ein detaillierter Bericht geschrieben werden, in dem die Eindrücke der Beamten/-innen und das Verhalten des/der Jugendlichen bzw. der Eltern enthalten sind. Dieser kann bei einer späteren Verhandlung herangezogen werden, um die Eindrücke der Polizeibeamten/-innen darzulegen. Ein solcher Bericht kann auch für das Jugendamt oder die Jugendgerichtshilfe sehr nützlich sein. Fazit Die Gefährderansprache stellt eine verantwortungsbewusste Hilfe für tatverdächtige Jugendliche dar. Ihnen wird erläutert, dass sie sich in die Infoblatt Nr. 42 Gefährderansprachen gegenüber Jugendlichen durch die Polizei Teil 2 4

Gefahr begeben, Ziel schwererer polizeilicher Maßnahmen, bis hin zur Erlangung eines Haftbefehls, zu werden, wenn sie ihr gewalttätiges Verhalten fortführen. Die Gefährderansprache trägt damit dem Anspruch unserer Gesellschaft Rechnung, dass bei Jugendlichen der Erziehungsgedanke Vorrang vor dem Strafgedanken hat, wie es auch im Jugendgerichtsgesetz ausgeführt wird. Es obliegt der geschickten Gesprächsführung des/der jeweiligen Beamten/-in, den Jugendlichen die Folgen ihres Handelns vor Augen zu führen und sie entweder durch den Aufbau einer psychischen Hemmschwelle (Abschreckung) oder durch das Erreichen eines Umdenkens (positive Beeinflussung) wieder auf den gesetzestreuen Weg zurück zu führen. Die Gefährderansprache hat sich bei der Bekämpfung der Jugend- und Jugendgruppengewalt hervorragend bewährt und stellt ein äußerst wirksames Mittel der Prävention dar. Erfahrungsgemäß reagieren Jugendliche im Ergebnis zum größten Teil positiv auf eine Gefährderansprache, da ihnen häufig nicht bewusst ist, dass sie sich mit ihrem Verhalten strafbar machen und Haftgründe verwirklichen könnten. Die OGJ führt Gefährderansprachen oft mit Jugendlichen durch, die ihnen bereits durch ihre Arbeit bekannt sind. Daher profitiert sie von ihrem Ruf, den sie bei vielen Jugendlichen genießt. Die Jugendlichen wissen, dass die OGJ ihre Maßnahmen konsequent umsetzt. Die Jugendlichen verstehen Gefährderansprachen daher als letzten Hinweis, bevor weitere Maßnahmen gegen sie getroffen werden. Aus diesem Grund verhält sich die Mehrheit der Jugendlichen bei einer Gefährderansprache kooperativ und ändert aus Respekt vor den sonst drohenden rechtlichen Konsequenzen ihr Verhalten. Abkürzungsverzeichnis ASOG Bln GG OGJ StPO VG VwVfG Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin Grundgesetz Operative Gruppe Jugendgewalt Strafprozessordnung Verwaltungsgericht Verwaltungsverfahrensgesetz Infoblatt Nr. 42 Gefährderansprachen gegenüber Jugendlichen durch die Polizei Teil 2 5

Impressum Infoblatt Nr. 42 Juni 2007 Herausgeber Stiftung SPI Sozialpädagogisches Institut Berlin Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei Kremmener Str. 9-11 10435 Berlin Tel: 030/ 449 01 54 Fax: 030/ 449 01 67 Gefördert durch die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin Redaktion Konstanze Fritsch Verfasser Sascha Breuer, Polizeikommissar, Polizeidirektion 3, Operative Gruppe Jugendgewalt Atila Yelgin, Polizeiobermeister, Polizeidirektion 3, Operative Gruppe Jugendgewalt Das Infoblatt erscheint mindestens dreimal im Jahr als Lose-Blatt-Sammlung zu Themen aus den Bereichen Recht, Pädagogik, Verwaltungsstrukturen und Polizeiaufgaben. Die Vervielfältigung unter Angabe der Quelle ist ausdrücklich erwünscht. Der in den Infoblättern abgebildete Informationsstand bezieht sich auf das Datum der Herausgabe. Nachträglich bekannt werdende Aktualisierungen können in bereits veröffentlichten Infoblatt-Ausgaben redaktionell nicht berücksichtigt werden. Infoblatt Nr. 42 Gefährderansprachen gegenüber Jugendlichen durch die Polizei Teil 2 6