Mein Name ist Cathrin Adler, ich bin seit 6 Jahren Mitarbeiterin im Frauenhaus Norderstedt und arbeite dort im Bereich Kinder und Mütter.

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Transkript:

Einleitung Mein Name ist Cathrin Adler, ich bin seit 6 Jahren Mitarbeiterin im Frauenhaus Norderstedt und arbeite dort im Bereich Kinder und Mütter. Das Frauenhaus ist ein Zufluchtsort und Schutzhaus für Frauen und ihre Kinder, die von physischer und / oder psychischer Gewalt betroffen sind oder bedroht werden. Das Thema Häusliche Gewalt ihre und Auswirkungen auf die Kinder in einem 15- minütigen Vortrag zu bearbeiten war eine große Herausforderung für mich, weil ich Ihnen darüber viel mehr mitteilen möchte, als aufgrund der Zeit möglich ist. Mein Anliegen ist es, Ihnen einen Einblick in die Fragen zu geben: Was ist häusliche Gewalt, was erleben die Kinder und welche Auswirkungen hat sie auf die Kinder, aber auch der Frage nachzugehen: Was brauchen Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind? Definition Zunächst einmal die Frage: Was ist häusliche Gewalt? Das Berliner Interventionskonzept gegen häusliche Gewalt (kurz BIG e.v.), definiert den Begriff wie folgt: Der Begriff Häusliche Gewalt umfasst die Formen der physischen, sexuellen, psychischen, sozialen und emotionalen Gewalt, die zwischen erwachsenen Menschen stattfindet, die in nahen Beziehungen zueinander stehen oder gestanden haben. Das sind in erster Linie Erwachsene in ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, aber auch in anderen Verwandschaftsbeziehungen. Es geht also in diesem Vortrag um die Auswirkungen der Gewalt zwischen Erwachsenen af die Kinder und nicht um Kindesmisshandlung oder sexuelle Misshandlung von Kindern, wenngleich Untersuchungen gezeigt haben, dass es eine enge Korrelationen zwischen Partnergewalt und Gewalt gegen Kinder gibt. Das - 1 -

heißt, wenn ein Mann seine Frau schlägt, ist die Wahrscheinlichkeit, groß, dass er auch die Kinder schlägt, z.b. in einem fortgeschrittenen Stadium der Partnergewalt. In über 90% der Fälle häuslicher Gewalt sind die Opfer Frauen und die Täter Männer, deshalb werde ich mich im Folgenden auf diese Konstellation beziehen. Studien haben ergeben, dass jede 4. Frau mindestens ein Mal in ihrem Leben Opfer häuslicher Gewalt wird. Die Gewalttätigkeit dient dem Partner dazu, Kontrolle über das Verhalten der Frau zu erhalten. Der Frau gelingt es nicht, auf die Häufigkeit und Ausübung von Gewalt Einfluss zu nehmen, indem sie z.b. versucht, durch ihr Verhalten Anlässe zu vermeiden. Das einzige, was für eine Verhaltensänderung des Mannes entscheidend sein kann ist, wie entschlossen die Partnerin ist, die Gewalt nicht hinzunehmen, bzw. ob sie sich trennt. 2/3 der Frauen geben an, dass auch ihre Kinder Gewalt erleben. Formen der Gewalt Um Ihnen eine Vorstellung über die Auswirkungen davon zu geben, möchte ich Ihnen erzählen, was Kinder erlebt haben, die in unser Frauenhaus kamen: Manche Kinder sind durch eine Vergewaltigung der Mutter durch ihren Mann oder Lebenspartner entstanden. Diese Gewalterfahrung hat oftmals ambivalente Gefühle der Mutter dem Kind gegenüber zur Folge. Die Mütter schwanken zwischen Fürsorge, Verantwortung und Verbundenheit für das neue Leben auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Erinnerungen an die gewalttätige Zeugung und die aufgezwungene Schwangerschaft. Diese Ambivalenz kann für das Kind eine unsichere und zum Teil über Jahre stark beeinträchtigte Mutter-Kind-Beziehung hervorbringen. Die Kinder fühlen die auch vorhandene Ablehnung durch die Mutter. Manche Kinder erleben die Misshandlungen der Mutter während der Schwangerschaft mit. Die Mütter werden geschlagen, in den Bauch getreten, gestoßen und vergewaltigt. Die Folgen für Mutter und Kind sind zum Teil - 2 -

massive Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt, bis hin zu Fehl- und Totgeburten. Die Misshandlungen gefährden die Gesundheit und das Leben der (ungeborenen) Kinder. Manche Kinder erleben die Misshandlungen der Mutter auf deren Arm oder Schoß. Die Kinder sind nicht das Ziel der Täter, werden aber in die Gewalthandlungen direkt mit eingezogen, indem sie z.b. zur Seite geschubst oder mit geschlagen werden. Söhne und Töchter von gewalttätigen Vätern erleben zu 80-90% die Gewalt gegen die Mutter mit. Sie wachsen in einer Atmosphäre der Gewalt und Demütigungen auf. Ein Punkt, der mir sehr wichtig ist ist folgender: Kinder sind niemals nur ZeugInnen häuslicher Gewalt, sie sind als ZeugInnen immer auch Betroffene. Neuere Untersuchungen belegen, dass die Auswirkungen auf die Kinder gleich schwerwiegend sind, egal, ob sie Zeuginnen oder Ziel von Gewalt in der Familie sind. Seelische Entwicklung Wächst ein Kind in einer von Gewalt geprägten Atmosphäre auf, so ist ein sehr wichtiges Bedürfnis von ihm nicht erfüllt, das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz. Es könnte jederzeit zu erneuten Gewalttätigkeiten des Vaters kommen und damit etwas passieren, das für das Leben des Kindes selbst oder das Leben seiner wichtigsten Bezugsperson, meist der Mutter entscheidend oder lebensbedrohlich ist. Die Anlässe zu erneuten Gewaltausbrüchen sind für die Kinder und meist auch für die Mutter weder voraussehbar, noch steuerbar. Die wenigsten Kinder schildern ihren Vater als ausschließlich gewalttätig. Die Kinder haben ihren Vater zum Teil auch in kurzen oder längeren Phasen als liebevoll erlebt. - 3 -

Sie entwickeln eine zum Teil sehr ambivalente Beziehung zu ihrem Vater. Es fällt ihnen schwer, die liebevolle und die gewalttätige Seite des Vaters unter einen Hut zu bringen, miteinander zu verbinden. Sie beziehen die Aggression des Vater auf sich und denken, sie haben etwas falsch gemacht, wären sie nur anders, hätten sie nur alles richtig gemacht, dann müsste der Vater nicht so handeln. Die Kinder übernehmen die Verantwortung für das gewalttätige Handeln des Vaters, indem sie sich die Schuld dafür geben und sie übernehmen die Verantwortung für die Hilflosigkeit der Mutter, indem sie die Mutter nach bestem Können versorgen und versuchen, Entscheidungen für sie zu übernehmen. Etwa ein Drittel der Kinder greift in Gewaltsituationen der Eltern ein. Zudem übernehmen die älteren Kinder oftmals die Versorgung und Verantwortung für die kleineren Geschwister. Die Sorge für ihr eigenes Wohl steht bei den Kindern dann hinten an. Hier kann es zu einer so genannten Parentifizierung der Kinder kommen, das bedeutet, eine Pollenumkehr zwischen Eltern und Kind, wobei die Eltern ihre Elternfunktion unzureichend erfüllen und dem Kind eine nicht kindgerechte überfordernde Elternrolle zuweisen. Für das Kind ist die Übernahme der Elternrolle eine Überlebensstrategie, um Verluste zu vermeiden und in der Nähe der Eltern bleiben zu können. Es versucht die nicht kindgerechten Rollenerwartungen zu erfüllen auf Kosten der eigenen Bedürfnisse. Die Kinder fühlen sich ohnmächtig, weil sie die Mutter nicht vor der Gewalt des Vaters schützen können. Das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der Kinder leiden. Viele Kinder leben in Bezug auf das Gewaltgeschehen zuhause sehr isoliert. Sie schämen sich für das, was zuhause passiert und wissen wenn sie etwas älter sind oft sehr wohl, dass bei ihnen Zuhause etwas nicht in Ordnung ist. - 4 -

Sie schweigen, weil sie Angst haben, der Vater müsse sonst ins Gefängnis oder sie haben Drohungen gehört, der Vater bringe die Mutter oder die Kinder um, wenn sie etwas verraten. In ständiger Unsicherheit zu leben kostet Kinder viel Energie, die sie für ihre eigene psychische, physische und geistige Entwicklung nicht mehr zur Verfügung haben. Studien zufolge entwickeln etwa 40% der Kleinkinder und 50% der älteren Kinder Probleme im emotionalen Bereich und im sozialen Verhalten. Sie entwickeln Verhaltensauffälligkeiten, wie Aggression oder Unruhe, die nach außen gerichtet sind oder ausgeprägte Niedergeschlagenheit und Ängste, die nach Innen gerichtet sind. Folgen miterlebter Misshandlungen der Mutter können z.b. das sogenannte ADS (Aufmerksamkeits-Defizitsyndrom), Schlafstörungen, Alpträume, depressiver Rückzug, Ängste, regressive Symptomatiken wie Einnässen, Daumenlutschen sowie somatische Beschwerden (Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Ess-Störungen) bis hin zu aggressiven-dissozialem Verhalten oder als komplexe Begrifflichkeit, dem posttraumatischen Belastungssyndrom, in dem eine Reihe von Symptomen wie z.b. Übererregtheit, Flash-backs, Alpträume und Ängste zusammengefasst werden. (Wurdak 2006) Auf diese Symptome für die miterlebte Gewalt sollten Professionelle und andere Menschen aufmerksam werden. Falsch wäre es allerdings von den Symptomen auf die Ursache zu schließen, da auch andere Ursachen die gleichen Symptome entwickeln können. Wichtig ist mir aber, dass wir, sowohl in unserem beruflichen aber auch privaten Alltag aufmerksam für die Möglichkeit sind, dass häusliche Gewalt dahinter stecken kann und diese Möglichkeit ins Gespräch bringen, bzw. Handlungsfähigkeit darin erlangen. - 5 -

Traumatisierung Wenn Kinder die Gewalt, die sie erleben als hoffnungslose, ausweglose und lebensbedrohliche Situation erleben, dann es sein, dass sie die Situation traumatisch verarbeiten. Das bedeutet, dass die Situation nicht als ganzes verarbeitet wird, sondern in Teilen, so genannten Fragmenten im Gehirn gespeichert wird. Die Art der Verarbeitung ist wie eine Sicherung im Gehirn, damit der betroffene Mensch in einer schier unaushaltbaren Situation handlungsfähig bleiben kann. Dieser Überlastungsschutz ist willentlich nicht steuerbar und erschwert den Betroffenen über das Erlebte zu sprechen. Zum Teil kann das Gehirn solche Fragmentierungen selbst heilen, Erinnerungen werden sprachlich besetzt, zusammengesetzt und in Sinnzusammenhängen verarbeitet. Zu einem Großteil kann aber das Erlebte von den Kindern nicht ohne professionelle / therapeutische Hilfe verarbeitet werden. Kognitive Entwicklung In der Schule können Kinder, die zuhause häusliche Gewalt erleben durch schlechte Schulleistungen oder häufiges Fehlen auffallen. Manche Kinder gehen nicht zur Schule, weil sie meinen, mit ihrer Anwesenheit zuhause die Mutter vor erneuten Übergriffen des Vaters schützen zu können. Schulschwänzen wird somit zur Problemlösungsstrategie, die sich langfristig gegen die Lernentwicklung der Kinder richtet. Untersuchungen zufolge weisen etwa 40% betroffener Kinder ernsthafte Entwicklungsrückstände oder bedeutsame Schulschwierigkeiten auf. Das wiederholte Miterleben von Partnergewalt untergräbt die Lernbereitschaft, bzw. Konzentrationsfähigkeit der Kinder. - 6 -

Wenn Kinder, die häusliche Gewalt erleben schlechte Schulleistungen erbringen, liegt es weder daran, dass sie dumm sind, noch dass sie nicht lernen wollen. Ihre Lebensenergie ist dann daran gebunden, die Situation zu bewältigen, das eigene Überleben oder das ihrer wichtigsten Bezugspersonen oder der Geschwister zu sichern. Welche gravierenden Folgen die miterlebte Partnergewalt für die kognitiven Entwicklung der Kinder belegen Studien, so wiesen z.b. 40% der untersuchten Kinder einen Fähigkeitsrückstand von einem oder mehreren Jahren in standardisierten Lesetests auf. Bei anderen Untersuchungen wurde ein mittlerer Unterdrückungseffekt von miterlebter Partnergewalt auf die Intelligenz von acht IQ- Punkten festgestellt (Kindler 2006). Soziale Entwicklung Erlebte Partnergewalt der Eltern hat ebenfalls Einfluss auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität der Kinder. Die Zuordnung in Geschlecht ist eine der ersten Kategorien, die Kinder erlernen. Sie erleben, dass der Vater als Mann schlägt und die Mutter als Frau geschlagen, erniedrigt und vergewaltigt wird. Sie identifizieren sich selbst als weiblich, bzw. männlich. Die erlebte Geschlechterhierarchie hat Auswirkungen auf die Entwicklung der eigenen Identität und auf den geschlechtsbezogenen Selbstwert. Da Kinder viel durch Vorbilder lernen, so genanntes Lernen am Modell, liegt die Vermutung nahe, dass Kinder, die in ihrer Herkunftsfamilie Partnergewalt miterlebt haben in späteren Beziehungen auf das erlernte Verhalten zur Konfliktlösung zurückgreifen. Dies bedeutet, dass Jungen ihren Partnerinnen gegenüber gewalttätig werden und Mädchen bereit sind, gewalttätiges Verhalten ihrer Partner zu erdulden. Untersuchungen in denen Erwachsene befragt wurden zeigen deutliche Zusammenhänge zwischen Partnergewalt in der Herkunftsfamilie und Partnergewalt in aktuellen Beziehungen. - 7 -

Wenn sich Söhne mit dem Täter identifizieren wird für sie Gewalt ein legitimes Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen. Wenn sich Töchter mit der Mutter identifizieren, so führt dies dazu, dass sie die Opferrolle übernehmen und diese Aufrechterhalten. Die Kinder entwickeln dann ihre Fähigkeiten zu einer konstruktiven Bewältigung von Konflikten nur unzureichend, sie können ihre Interessen nicht gewaltfrei vertreten und aushandeln. Bedürfnisse der Kinder Kinder brauchen Schutz und Sicherheit davor, erneut ZeugInnen der Partnergewalt der Eltern zu werden. Sie brauchen Eltern, die die Verantwortung für ihr Handeln in der Familie und für die Situation ihrer Kinder übernehmen. Sollte dies nicht möglich sein, so ist wichtig, dass das Kind wenigstens zu dem Elternteil eine stabile Beziehung wieder oder neu aufbauen kann, der das Kind hauptsächlich betreut. In diesem Fall müssen die Besuchskontakte zum anderen Elternteil dafür vorübergehend ausgesetzt werden. Kinder brauchen oft professionelle Unterstützung von Erzieherinnen und Erziehern, Lehrern und Lehrerinnen, Ärztinnen und Ärzten, Therapeuten und Therapeutinnen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anderer Institutionen, die einen Blick auf die Familie haben. Sie brauchen Menschen, die die Kompetenz haben mit Familien, die häusliche Gewalt erleben oder erlebt haben, zu arbeiten. Dies bedeutet, zunächst eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, in der die Kinde und Mütter Vertrauen fassen können, dann häusliche Gewalt zum Thema zu machen und in Absprache mit den Betroffenen adäquat zu handeln. - 8 -

Zudem ist eine Präventionsarbeit notwendig, die ein Alltagswissen aller betroffenen und nicht betroffenen Kinder und Erwachsenen zum Ziel hat. Kinder sollten schon in Kindergarten und Schule lernen, dass es häusliche Gewalt gibt, dass sie häufig vorkommt, und wie und wo sie sich als betroffene oder ZeugInnen Hilfe holen können. Last but not least ist es für Kinder wichtig, Männer, Frauen und andere Familien zu erleben, in denen Konflikte auf konstruktive Weise gelöst werden und der Wert eines Menschen nicht von seinem Geschlecht abhängig ist. Literatur Kindler, Heinz/ Kavemann, Barbara und Kreyssig, Ulrike (Hrsg.) (2006): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWV Fachverlage GmbH Wurdak, Marion/ Kavemann, Barbara und Kreyssig, Ulrike (Hrsg.) (2006): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWV Fachverlage GmbH - 9 -