Rechtsprobleme des Atomausstiegs

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Jura Lars Peschel Rechtsprobleme des Atomausstiegs Diplomarbeit

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1 1.1 Von der Zukunftstechnologie zum Auslaufmodell 1 1.2 Aufgabenstellung und Vorgehensweise 3 2. Die Nutzung der Atomenergie und die freiheitliche Rechtsordnung 6 2.1 Atomkraft, Sicherungsmaßnahmen und Grundgesetz 6 2.2 Die Gefahr der Verfassungsentscheidung für die Nutzung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken 9 2.3 Mögliche Rechtsveränderungen für die Mitarbeiter in AKWs 11 2.4 Auswirkungen des Sicherungssystems auf die Rechte Dritter 14 2.5 Ergebnis und Bedeutung 16 3. Die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen 18 3.1 Erste Schritte der Rot-Grünen Bundesregierung zum Atomausstieg 18 3.2 Inhalt der Vereinbarung 19 3.3 Rechtsnatur, Rechtsgrundlage und Rechtsfolgen der Vereinbarung 22 3.4 Rechtsprobleme der Vereinbarung 25 3.4.1 Bindung des Initiativrechts der Bundesregierung 25 3.4.2 Die Vereinbarung und die Bindungswirkung auf den Bundestag 26 3.4.3 Grundrechtsverzicht der Energieversorgungsunternehmen 30 3.5 Von der Vereinbarung zum Gesetz 31 4. Verfassungsrechtliche Probleme des Atomausstiegs 33 4.1 Grundsätzliche Zulässigkeit eines Gesetzes zur Beendigung der Atomenergienutzung 33 4.1.1 Rechtliche Verpflichtung zur Nutzung der Atomenergie? 33 4.1.2 Rückwirkungsverbot des AtG 35 4.2 Das AtG und die Grundrechte 36 4.2.1 Grundrechtsfähigkeit der Betreiber von AKWs 36 4.2.2 Willkürverbot des Gesetzgebers 37 4.2.3 Schutzbereich der Berufsfreiheit 38 4.2.4 Schutzbereich des Eigentums 44 4.3 Das AtG als verfassungsrechtlich zulässiges Gesetz zum Atomausstieg 55 4.3.1 Das AtG als unzulässiges Einzelfallgesetz? 55 4.3.2 Das AtG und die horizontale Gewaltenteilung 55 4.3.3 Das AtG und die vertikale Gewaltenteilung 58 4.3.4 Verletzung der Rechtsschutzgarantie durch das AtG? 59 4.4 Ergebnis 60 I

5. Europarechtliche Probleme des Atomausstiegs 61 5.1 Vereinbarkeit mit dem EURATOM-Vertrag 61 5.2 Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag 64 5.3 Das Wiederaufarbeitungsverbot 66 6. Fazit und Ausblick 70 6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 70 6.2 Umkehrbarkeit des Atomausstiegs und politischer Ausblick 72 Literaturverzeichnis III Monographien III Aufsätze IV Dokumente V Tageszeitungen VI Internetquellen VI II

1. Einleitung 1.1 Von der Zukunftstechnologie zum Auslaufmodell Die Nutzung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken wurde nach dem zweiten Weltkrieg erforscht und entwickelt. Dabei kam den USA und Großbritannien eine Vorreiterrolle zu. 1956 nahm das erste Atomkraftwerk (AKW) in Calder Hall (England) den Betrieb auf. In Deutschland wurden Forschungsreaktoren in Karlsruhe, Jülich und Garching errichtet und 1961 eine erste Versuchsanlage zur Stromerzeugung in Kahl am Main gebaut. In der folgenden Zeit stieg der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung zunehmend an. Zunächst wurde die Atomenergienutzung durch den Großteil der Politik unterstützt. Auch die damalige SPD-Opposition forderte Maßnahmen zur schnelleren Erreichung des Atomzeitalters. 1 Da der Staat die flächendeckende Entwicklung der Energieerzeugung durch Atomkraft nicht vollständig selbst finanzieren wollte, regte er eine enge und langfristig angelegte Zusammenarbeit mit der Energiewirtschaft an. Parallel dazu entwickelte sich eine Anti- Atombewegung, da das Ausmaß der Zerstörung durch Atomkraft in Hiroshima und Nagasaki allzu deutlich geworden ist und ein Wettrüsten zwischen den Blöcken Ost und West im Gange war. Die ablehnende Haltung gegenüber Atomwaffen übertrug sich aber erst in den siebziger Jahren auf die friedliche Atomenergienutzung. Vorher war der Bau von AKWs weitestgehend unumstritten. Einen entscheidenden Wandel erfuhr die Meinung größerer Bevölkerungsteile nach dem schweren Unfall im amerikanischen AKW Three Mile Island nahe Harrisburg 1979. Dabei schmolz der Reaktorkern teilweise durch. Da die radioaktiven Stoffe aber innerhalb des Sicherheitsbehälters festgehalten wurden, könnte man annehmen, dass sich die Sicherheitsmaßnahmen erfolgreich bewährt hätten. Jedoch öffnete sich das öffentliche Bewusstsein nun für die Möglichkeiten eines Unfalls in AKWs. Noch einschneidender war schließlich der Reaktorunfall in Tschernobyl 1986, bei dem einer der vier Kernreaktoren durch eine Explosion zerstört wurde. Hauptursache dafür waren erhebliche Verletzungen der technischen Vorschriften durch das Personal und Konstruktionsfehler. Als Folge erhielten tausende Menschen Strahlenschäden und weite Landstriche wurden verseucht. 2 1 Radkau, 1983, S. 95 f., 161 2 Gewaltig, 2003, S. 4 f. 1

Damit bekam die strittige Diskussion über die Atomenergie einen neuen Stellenwert in der Gesellschaft, da deutlich wurde, wie groß das Gefährdungspotential dieser Energieform ist und welche enormen Schadensfolgen möglich sind. Um ihr störungsfreies Funktionieren zu gewährleisten, wird bei der Nutzung der Atomenergie auf fehlerfreie Menschen vertraut. Tschernobyl hat gezeigt, dass die technischen Sicherungssysteme, auf die so vieles gesetzt wird, versagen können, wenn der Mensch nicht so funktioniert, wie es vorgesehen ist. Durch das unabsichtliche menschliche Fehlverhalten wurden Sicherheitssysteme umgangen und ein Unfall ausgelöst, der auf unterschiedlichste Weise Menschenleben kostete, Gesundheitsschäden nach sich zog und vielerlei andere Zerstörungen verursachte. 3 Es drängt sich daher auch die Frage auf, wie immens ein Schaden sein könnte und wie viel eher er realisierbar wäre, wenn ein Mensch eine solche Katastrophe willentlich auslösen würde. Zeitgleich mit diesem Reaktorunglück fand in Deutschland die Anti-Wackersdorf- Kampagne gegen eine deutsche Wiederaufbereitungsanlage statt, die von größeren Teilen der Gesellschaft unterstützt wurde. Die Befürwortung der Atomenergie sank zunehmend und die Anti-Atombewegung etablierte sich. Projekte wie der schnelle Brüter 4 in Kalkar und die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurden unter anderem wegen des Drucks dieser Bewegung aufgegeben. Auch in der SPD setzten sich nach harten Auseinandersetzungen in der seit 1983 eingenommenen Oppositionsrolle die Atomgegner durch. 5 Die 1983 erstmals in den Bundestag eingezogenen GRÜNEN sind unter anderem aus der Anti-Atombewegung hervorgegangen. Angesichts der Bedenken gegen die Atomenergie in Deutschland, gab es in den achtziger Jahren einige Bemühungen, die Nutzung selbiger per Gesetz zu beenden. So beispielsweise der Entwurf eines Volksbegehrens in Nordrhein-Westfalen, das 1986 ein Gesetz erwirken sollte, welches die sofortige Einstellung der Atomenergienutzung ermöglichet hätte. Bereits 1984 brachte die Bundestagsfraktion Die GRÜNEN den Entwurf eines Gesetzes über die sofortige Stilllegung von Atomanlagen in der BRD (Atomsperrgesetz) ein. 6 1987 versuchte die Bundestagsfraktion der SPD, den Atomausstieg nicht ganz so abrupt mit einem Gesetz zur Beendigung der energiewirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie und ihrer 3 Roßnagel, 1987, S. 9 4 Der sog. Schnelle Brüter ist ein Atomreaktor, der neben der Energiegewinnung auch der Erzeugung von weiterem spaltbarem Material dient. Im Gegensatz zum Leichtwasserreaktor kann er nicht nur das relativ seltene Uran 235 verwenden, sondern auch Uran 238 in spaltbares Plutonium umwandeln. Ein Brutreaktor stellt damit mehr Brennstoff her, als er selbst in der gleichen Zeit verbraucht. Angesichts der begrenzten Uranvorräte auch in Deutschland wurde in dieser neuen Technologie eine Möglichkeit gesehen, die vorhandenen Vorräte effizienter Nutzen zu können. 5 Ronellenfitsch in: Bayer/Huber, 2000; S. 141 f. 6 BT-DrS 10/1913 2

sicherheitstechnischen Behandlung in der Übergangszeit (Kernenergieabwicklungsgesetz) zu realisieren. 7 All diese Bemühungen erreichten aber nie die nötigen Mehrheiten. Mit dem Wechsel zu einer rot-grünen Bundesregierung im Jahr 1998 waren die Weichen für einen Ausstieg aus der Atomenergie schließlich gestellt. An Hand der Parteiprogramme, des geführten Wahlkampfes und letztlich des Koalitionsvertrages der beiden regierungsbildenden Parteien wurde deutlich, dass es ein erklärtes Ziel der neuen Regierung sein würde, die Nutzung der Atomenergie, sobald wie rechtlich und wirtschaftlich möglich, zu beenden. 8 Damit fand sich erstmals die kritische und ablehnende Haltung der Bevölkerung auch in der politischen Mehrheit des Bundestages und den Leitlinien der Regierung wieder. Zu dieser Zeit wurden in Deutschland 19 AKWs, die zwischen 1969 und 1989 ans Netz gegangen waren, betrieben. Mittlerweile ist der Atomausstieg beschlossen, das erste AKW 2003 vom Netz gegangen und die rot-grüne Regierung, deren zu Stande kommen sehr wahrscheinlich die einzige politische Möglichkeit für den Beschluss eines Atomausstiegs war, nicht mehr im Amt. Der Atomausstieg wird auch weiterhin von einem Großteil der Bevölkerung befürwortet. 9 1.2 Aufgabenstellung und Vorgehensweise Ziel dieser Arbeit ist es, die juristischen Probleme der Atomenergienutzung und des Atomausstiegs zu untersuchen, um die verschiedenen, rechtlich strittigen Fragen im Zusammenhang mit dem Atomausstieg zu klären. In wie weit ist die Beendigung der Atomenergienutzung durch eine Vereinbarung der Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen (EVU) und per Gesetz möglich? Welche Inhalte muss ein solches Gesetz haben, wo liegen seine Grenzen? Kann der Ausstieg so geregelt werden, dass er unumkehrbar ist? Der Ausstieg muss mit der Verfassung vereinbar sein. Er darf insbesondere nicht gegen die Prinzipien des Rechtsstaats oder einzelne Grundrechte verstoßen. Darüber hinaus muss er auch mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union in Einklang stehen. Geprüft wird in Kapitel 2 zunächst die grundsätzliche Grundrechtsverträglichkeit der Nutzung der Atomenergie, bevor der Atomausstieg selbst Gegenstand der Untersuchung wird. In den 7 BT-DrS 11/13 8 Abschnitt IV Tz. 3.1 (S. 19) der Koalitionsvereinbarung zw. SPD u. Bündnis 90/Die Grünen vom 20.10.1998 9 Laut Forsa-Umfragen im Auftrag des BMU vom Januar und August 2006 sind 62 % der Bundesbürger für eine Beibehaltung des Tempos des Atomausstiegs, oder dessen Beschleunigung. Nur 18 % sind gegen den Atomausstieg. Bei den Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren ist dieser Unterschied noch deutlicher: 81 % für die Beibehaltung und Beschleunigung des Atomausstiegs; 10 % gegen den Atomausstieg. 3

achtziger Jahren entstand als Teil der Diskussion um die Nutzung der Atomenergie aus juristischer Sicht die Frage, wie die Atomenergie in Hinblick auf die Grundrechte genutzt wird, und welche Freiheiten damit bei ihrem umfassenden Großausbau eingeschränkt oder gefährdet würden. Die politische Führung ging zu dieser Zeit davon aus, dass die friedliche Nutzung der Atomenergie als solche keine unfriedliche Nutzung hervorbringen könnte. Eingangs werden daher die rechtlichen Probleme und Gefahren einer umfassenden Atomenergienutzung, die sich nach deren Großausbau in Deutschland ergeben würden, erläutert. Daraufhin soll in Kapitel 3 gezeigt werden, wie die rot-grüne Bundesregierung ihr Ziel des Atomausstiegs erreichen wollte und wie der Inhalt des Ausstiegs im Rahmen eines Konsenses zwischen der Bundesregierung und den EVU gestaltet wurde. Dabei werden die Besonderheiten der Konsensvereinbarung dargestellt und die rechtlichen Probleme, die sich daraus ergeben, geprüft. Anschließend wird in Kapitel 4 der Schwerpunkt der Arbeit und lebhafter öffentlicher Diskussionen untersucht. So wird zunächst erörtert, ob ein Atomausstiegsgesetz grundsätzlich zulässig ist. Weiterhin wird im Rahmen der Vereinbarkeit der Ausstiegsregelungen mit einzelnen Grundrechten zunächst die Grundrechtsfähigkeit der Atomkraftwerkbetreiber geklärt, bevor die großen Kernpunkte der Arbeit Gegenstand der Untersuchung werden. Dazu gehören der grundrechtliche Schutzbereich der Berufsfreiheit und des Eigentums. Beiden Grundrechten kommt bezüglich des Ausstiegs eine hohe Bedeutung zu. Die Ausstiegsregelungen werden daher ausführlich im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf diese Schutzbereiche untersucht, um zu klären, ob die getroffenen Regelungen mit den Grundrechten der Betreiber vereinbar sind. Außerdem wird die Vereinbarkeit des Ausstiegsgesetzes mit den Prinzipien des Rechtsstaats einer Prüfung unterzogen. In Kapitel 5 wird daraufhin die Vereinbarkeit der Ausstiegsregelungen mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht untersucht. Es werden sowohl Verstöße gegen den EURATOM- als auch den EG-Vertrag in Betracht gezogen. Zudem soll die Zulässigkeit des deutschen Wiederaufarbeitungsverbots aus europarechtlicher Sicht überprüft werden. Abschließend wird in Kapitel 6 nach einer Zusammenfassung der Ergebnisse ein Ausblick bezüglich der Zukunft der Atomenergie in Deutschland gegeben und in diesem Rahmen schließlich die Frage geklärt, in wie weit der Atomausstieg endgültig und unumkehrbar geregelt werden kann. 4