Sommersemester 2015 Übung im Strafrecht für Anfänger Hausarbeit vom 20. Juli Lösungshinweise. Teil 1 Der Wurf mit der Hantelscheibe

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Transkript:

FAKULTÄT FÜR RECHTSWISSENSCHAFT Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Europäisches Strafrecht Prof. Dr. Tonio Walter Richter am Oberlandesgericht Sommersemester 2015 Übung im Strafrecht für Anfänger Hausarbeit vom 20. Juli 2015 Lösungshinweise Teil 1 Der Wurf mit der Hantelscheibe A. Strafbarkeit der B Ausgangsfall I. 22, 223 / Zugehen auf A ( ) 1. Vorprüfung (+) Eine Vollendung ist nicht eingetreten; der Versuch ist strafbar nach 23 Absatz 1, 223 Absatz 2. 2. Tatentschluss ( ) B hat keinen Tatentschluss hinsichtlich eines Körperverletzungserfolgs. II. 185 / Zugehen auf A ( ) B greift die Ehre der A nicht durch Kundgabe von Missachtung an und hat dies auch nicht vor. Ein etwaiger Beleidigungsversuch wäre ohnehin nicht strafbar. Anmerkung: Da die Verwirklichung dieser Tatbestände eher fern liegt, könnte man auf sie auch verzichten. 1

B. Strafbarkeit der A I. 22, 212 / Werfen mit der Hantelscheibe ( ) 1. Vorprüfung (+) Eine Vollendung ist nicht eingetreten; der Versuch ist strafbar nach 12 Absatz 1, 23 Absatz 1. 2. Tatentschluss ( ) A müsste Tatentschluss haben, also Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Merkmale eines Totschlags. 1 Sie denkt allerdings nicht einmal an die Möglichkeit des Erfolgseintritts. Somit liegt nach allen vertretenen Theorien kein Dolus eventualis vor. 2 Anmerkung: Eine Prüfung dieses Tatbestands erscheint ebenfalls entbehrlich. II. 223 / Werfen mit der Hantelscheibe (+/ ) 1. Tatbestand (+) a) Objektiver Tatbestand (+) Die Platzwunde an der Schläfe der B erfüllt die Voraussetzungen einer körperlichen Misshandlung und einer Gesundheitsschädigung, sie ist Folge einer substanzverletzenden Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit und stellt zugleich einen pathologischen Zustand dar. 3 Gleiches gilt für den Eintritt der Bewusstlosigkeit. Der Wurf mit der Hantelscheibe ist für diese Erfolge kausal, die objektive Zurechenbarkeit ist zu bejahen. b) Subjektiver Tatbestand (+) B handelt mit Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale. 2. Rechtswidrigkeit (+) A könnte gemäß 32 StGB (Notwehr) gerechtfertigt sein. Dazu müsste zunächst eine Notwehrlage vorliegen, also ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff. Es fehlt allerdings schon an einem Angriff, da bei der gebotenen objektiven Be- 1 Vgl. BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 598; T. WALTER Skript AT II Rn. 91. 2 Vgl. hierzu KINDHÄUSER Strafrecht AT 14 Rn. 14, 16; T. WALTER Skript AT I Rn. 231 ff. 3 Vgl. zu den üblichen Definitionen HETTINGER W/He BT 1 Rn. 255, 257; T. WALTER Skript REX BT Rn. 54 f. 2

trachtung keine Bedrohung rechtlich geschützter Individualinteressen der A durch das Verhalten der B droht. 4 3. Schuld (+/ ) a) Erlaubnistatbestandsirrtum ( ) A könnte sich in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befinden, der je nach Behandlung die Schuld oder bereits den Vorsatz ausschließt. Anmerkung: Aus diesem Grund ist es möglich wenn auch sehr unüblich den Irrtum bereits im Rahmen des subjektiven Tatbestandes zu prüfen. Zu prüfen ist zunächst, ob die A nach 32 gerechtfertigt wäre, wenn ihre Vorstellung der Realität entspräche. aa) Notwehrlage (+) A stellt sich vor, die B wolle auf sie einschlagen. Das wäre eine Bedrohung ihres Individualinteresses körperliche Unversehrtheit und daher ein Angriff. Die B ist nur noch zwei Meter entfernt, der Angriff steht aus Sicht der A also auch unmittelbar bevor und ist damit gegenwärtig. Unterstellt man die Vorstellung der A, ist dieser Angriff auch rechtswidrig. Insbesondere kann das vorherige Ausspannen des Freundes keine Rechtfertigung der B bewirken. bb) Notwehrhandlung ( ) Der Wurf mit der Hantelscheibe wäre auch geeignet, diesen Angriff abzuwehren. Es fehlt allerdings an der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung, da die A nach der eingebildeten konkreten Kampflage ein milderes Mittel zur Verfügung hat: einen Schlag in die Magengegend. Anmerkung: Überflüssig ist es hier deshalb, den Streit um die Auswirkungen eines Erlaubnistatbestandsirrtums darzustellen oder gar zu entscheiden. 4 Vgl. BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 330; T. WALTER Skript AT I Rn. 289. 3

b) Notwehrexzess, 33 ( ) Ob 33 beim sogenannten Putativnotwehrexzess überhaupt anwendbar ist, wird unterschiedlich beurteilt. 5 Es fehlt im Fall aber jedenfalls an einem Handeln aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (sogenannte asthenische Affekte). c) Unvermeidbarer Verbotsirrtum, 17 (+/ ) aa) Verbotsirrtum (+) A müsste bei Begehung der Tat die Einsicht fehlen, Unrecht zu tun. Sie ist aufgrund der Aussage des Rechtsexperten der Meinung, man dürfe gegen einen Angreifer stets auch mit härteren Mitteln vorgehen. A überdehnt also die Reichweite eines existierenden Rechtfertigungsgrundes, nämlich der Notwehr. Sie nimmt hinsichtlich der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung auf abstrakte Weise eine andere Bewertung vor als das Gesetz. Damit liegt ein Verbotsirrtum in der Variante Erlaubnisirrtum vor. 6 bb) Unvermeidbarkeit (+/ ) Der Verbotsirrtum schließt die Schuld aber nur aus, wenn er unvermeidbar ist, 17 Satz 1. Andernfalls führt er bloß zu einer fakultativen Strafmilderung, 17 Satz 2. An die Unvermeidbarkeit stellt die herrschende Ansicht vor allem im hier relevanten Bereich des Kernstrafrechts hohe Anforderungen. Nach der Rechtsprechung des BGH muss der Täter sein Gewissen anspannen sowie seine Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen voll einsetzen. 7 Danach hätte A hier merken können, dass ihr Verhalten Unrecht ist. Die Aussage des Rechtsexperten im Fernsehen ist erkennbar keine verlässliche Quelle und auch inhaltlich sehr pauschal gehalten (andere Ansicht bei guter Begründung vertretbar). Anmerkung: Dogmatisch unzutreffend wäre es hier, die Information aus der Fernsehsendung unter dem Gesichtspunkt der Erkundigungspflicht zu diskutieren, da eine solche nur bei tatsächlichen Zweifeln des Täters 5 Vgl. zum Streit KINDHÄUSER Strafrecht AT 25 Rn. 17 ff.; T. WALTER Skript AT I Rn. 376. 6 Vgl. hierzu BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 482 f., 484; T. WALTER Skript AT I Rn. 399. 7 So bereits BGHSt. 4, 1 (5); aus neuerer Zeit etwa BGH NJW 1996, 1604 (1606); vgl. ferner BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 466; FISCHER 17 Rn. 8; T. WALTER Skript AT I Rn. 396 f. 4

an der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens besteht. 8 A hätte in ihrer Situation auch gar keine Möglichkeit gehabt, noch Rechtsrat einzuholen. III. 224 / Werfen mit der Hantelscheibe (+) 1. Das Grunddelikt des 223 ist erfüllt (+), siehe oben II. 2. Tatbestand (+) a) Objektiver Tatbestand (+) Nummer 1 (+): Die Hantelscheibe ist zwar keine Waffe im technischen Sinne, aber nach ihrem Einsatz im konkreten Fall geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, und somit als gefährliches Werkzeug anzusehen: 9 Wurf gegen den Kopf aus kurzer Entfernung. Nummer 3 ( ): Es liegt zwar objektiv ein Angriff auf einen Ahnungslosen und damit ein Überfall vor. Dieser ist allerdings nicht hinterlistig, da A ihre Verletzungsabsicht nicht planmäßig verdeckt, sondern lediglich das Überraschungsmoment durch schnelles Handeln ausnutzt. 10 Nummer 5 (+): Bei dem erfolgten Wurf gegen den Kopf ist sogar von einer konkreten Lebensgefährdung auszugehen, da die Gefahr eines Schädelbruchs besteht. Auf den entsprechenden Meinungsstreit um die nötige Qualität der Gefährdung kommt es daher nicht an. 11 b) Subjektiver Tatbestand (+) B handelt mit Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale der Nummern 1 und 5. Hinsichtlich Nummer 5 genügt hier die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Gefährlichkeit ergibt. Eine entsprechende Bewertung durch den Täter ist nach h. M. nicht erforderlich, 12 könnte hier aber auch bejaht werden. 3. Rechtswidrigkeit (+), siehe oben II 2. 4. Schuld (+), siehe oben II 3. 8 Vgl. FISCHER 17 Rn. 9; T. WALTER Skript AT I Rn. 397. 9 Vgl. zu den Definitionen HETTINGER W/He BT 1, Rn. 273 ff.; T. WALTER Skript REX BT Rn. 57, 59, 61. 10 Vgl. HETTINGER W/He BT 1, Rn. 279; T. WALTER Skript REX BT Rn. 59. 11 Vgl. HETTINGER W/He BT 1, Rn. 282 f.; T. WALTER Skript REX BT Rn. 61. 12 BGH NJW 1990, 3156 (ebd.); siehe auch FISCHER 224 Rn. 13; a. A. etwa WESSELS/HETTINGER, Strafrecht BT 1, Rn. 284 mit weiteren Nachweisen; vgl. zum Streit T. WALTER Skript REX BT Rn. 61. 5

Variante A. Strafbarkeit der A Wie oben. B. Strafbarkeit der B I. 22, 212 / Werfen mit der Hantelscheibe ( ) Wie oben. II. 223 / Werfen mit der Hantelscheibe (+/ ) 1. Tatbestand (+) Wie oben. 2. Rechtswidrigkeit (+) Wie oben, auch hier steht objektiv kein Angriff bevor. 3. Schuld (+/ ) a) Erlaubnistatbestandsirrtum (+) A könnte sich in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befinden. Zu prüfen ist zunächst wieder, ob sie nach 32 gerechtfertigt wäre, wenn ihre Vorstellung der Realität entspräche. aa) Notwehrlage (+) Wie oben. bb) Notwehrhandlung (+) Der Wurf mit der Hantelscheibe wäre geeignet, diesen Angriff zu beenden. Auch die Erforderlichkeit der Notwehrhandlung ist hier zu bejahen, aufgrund des augenblicklichen Erschöpfungszustands der A hat sie kein milderes, aber gleich wirksames Mittel zur Verfügung, den vorgestellten Angriff abzuwehren. 13 13 Vgl. hierzu BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 335; T. WALTER Skript AT I Rn. 288. 6

cc) Das Werfen mit der Hantelscheibe wäre hier auch geboten, die sozialethischen Grenzen der Notwehr wären nicht überschritten: A hat die Notwehrlage nicht vorwerfbar provoziert, das vorhergehende Ausspannen des Freundes ist nicht rechtswidrig und muss sogar als sozialadäquates Verhalten angesehen werden. Außerdem fehlt der nötige enge räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen Provokation und Tat. 14 dd) Subjektives Rechtfertigungselement (+) A kennt hier alle (aus ihrer Sicht) notwehrbegründenden Umstände und handelt sogar mit Verteidigungswillen. Das zusätzliche Motiv, der B eine Lektion zu erteilen, macht die Verteidigung nicht zur bloßen Nebensache und ist daher unschädlich. 15 b) Rechtliche Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums Im Streit ist, wie genau sich ein solcher Irrtum auf die Strafbarkeit auswirkt: 16 aa) Strenge Schuldtheorie ( 17) Die strenge Schuldtheorie besagt, dass jeder Irrtum über das Verbotensein einer Handlung das Merkmal Schuld betrifft, außer es liegt der Sonderfall des 16 Absatz 1 vor (Tatbestandsirrtum, bei dem der Vorsatz entfällt). Das Unrechtsbewusstsein ist ein Schuldelement, daher ist der Erlaubnistatbestandsirrtum ein (indirekter) Verbotsirrtum nach 17. Daraus folgt, dass der Täter nur dann straflos (weil schuldlos) handelt, wenn der Irrtum unvermeidbar ist, ansonsten liegt eine Vorsatztat vor. 17 In unserem Fall ist der Irrtum für A unvermeidbar. Angesichts der Vorgeschichte, des aggressiven Auftretens der B und der Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung hat sie keine Möglichkeit, die wahre Sachlage zu erkennen (andere Ansicht bei entsprechender Begründung vertretbar). Ergebnis nach dieser Meinung: Vorsatz (+); Schuld (+/ ), je nach Beurteilung der Vermeidbarkeit des Irrtums. 14 Vgl. dazu BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 348; T. WALTER Skript AT I Rn. 292 f. 15 Vgl. FISCHER StGB 32 Rn. 26; T. WALTER Skript AT I Rn. 298. 16 Vgl. zum Folgenden T. WALTER Skript AT I Rn. 400. 17 Nach der minderheitlich vertretenen Auffassung von JAKOBS AT 11/43 ff. ist bei Vermeidbarkeit des Irrtums wegen vorsätzlicher Tat zu verurteilen, aber der Strafrahmen dem Fahrlässigkeitsdelikt zu entnehmen. 7

bb) Eingeschränkte Schuldtheorie ( 16 Absatz 1 analog) Das Unrechtsbewusstsein gehört zur Schuld. Allerdings besteht zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen kein qualitativer Unterschied unter dem Blickwinkel der Unrechtsvoraussetzungen. Der durch den Vorsatz begründete Handlungsunwert (= Vorsatzunrecht) entfällt, wenn der Täter von einer rechtfertigenden Sachlage ausgeht. Daher ist trotz der Zugehörigkeit des Unrechtsbewusstseins zur Schuld beim Erlaubnistatbestandsirrtum nicht 17, sondern 16 Absatz 1 analog heranzuziehen. Eine Analogie ist hier auch möglich, da sie nur günstig für den Täter ist; verboten sind im Strafrecht nur Analogien zu Lasten des Täters. Der Vorsatz entfällt analog 16 Absatz 1 Satz 1, Fahrlässigkeit bleibt nach 16 Absatz 1 Satz 2 möglich. Ergebnis nach dieser Meinung: Vorsatz ( ). cc) Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie (nur bezüglich der Rechtsfolgen 16 Absatz 1 analog) Grundsätzlich gehört das Unrechtsbewusstsein zur Schuld. Der Vorsatz ist aber als Verhaltensform sowohl Träger des Handlungsunwertes (Tatbestandsvorsatz) als auch als Schuldform Träger des für Vorsatztaten charakteristischen Gesinnungsunwertes (Vorsatzschuld). Die irrige Annahme einer rechtfertigenden Sachlage berührt nicht den Tatbestandsvorsatz, sondern nur die Vorsatzschuld. Somit liegt bei einem Erlaubnistatbestandsirrtum zwar eigentlich ein Mangel der Schuld vor, es erfolgt aber aufgrund einer Wertung eine Gleichstellung mit den Rechtsfolgen des 16 Absatz 1 Satz 1, also eine Anwendung von 16 Absatz 1 Satz 1 analog bezüglich der Rechtsfolgen. Ergebnis nach dieser Meinung: Vorsatz (+), aber mangels einer Vorsatzschuld keine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat. dd) Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ( 16 Absatz 1 direkt) Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen stützt sich auf den sogenannten zweigliedrigen Verbrechensaufbau: Anstatt: I. Tatbestand, II. Rechtswidrigkeit, III. Schuld soll gelten: I. Gesamtunrechtstatbestand, II. Schuld. Folge: Rechtfertigungsgründe sind sogenannte negative Tatbestandsmerkmale, also Tatbestandsmerkmale, die nicht vorliegen dürfen, soll der Unrechtstatbestand erfüllt sein. Es handelt nach dieser Ansicht nur tatbestandsmäßig, wer zum einen den Tatbestand des Delikts 8

verwirklicht und zugleich nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist. Beim Erlaubnistatbestandsirrtum hat nach dieser Ansicht der Täter keinen Vorsatz hinsichtlich der negativen Merkmale des Tatbestands; gemäß 16 Absatz 1 Satz 1 (direkt) entfällt also der Vorsatz. Gemäß 16 Absatz 1 Satz 2 besteht nur die Möglichkeit einer Verurteilung wegen Fahrlässigkeit. 18 Ergebnis nach dieser Meinung: Vorsatz ( ). ee) Stellungnahme Gegen die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen spricht zum einen, dass der zweigliedrige Verbrechensaufbau systemwidrig ist. Zum anderen wird bei einer Anwendung von 16 Absatz 1 die Teilnahme eines bösgläubigen (= dolosen) Dritten an der Tat straflos; sowohl Anstiftung ( 26) als auch Beihilfe ( 27) bedürfen einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat eines anderen. Lässt man den Vorsatz entfallen, so gibt es keine teilnahmefähige Haupttat. Teile der Literatur 19 sehen darin unerwünschte Strafbarkeitslücken. Die strenge Schuldtheorie erhält den Vorsatz aufrecht und hat somit nicht das Problem der Strafbarkeitslücke bei der Beteiligung. Allerdings kann man die Ergebnisse der strengen Schuldtheorie durchaus als ungerecht bewerten: Der Täter schätzt nur den tatsächlichen Lebenssachverhalt falsch ein, während er Recht und Unrecht grundsätzlich korrekt unterscheiden kann. Die eingeschränkte Schuldtheorie führt zu einem für den Täter gerechteren Ergebnis als die strenge Schuldtheorie, allerdings eröffnet sich bei einem Entfallen des Vorsatzes wiederum die unerwünschte Strafbarkeitslücke für dolose Teilnehmer. 20 Mit der rechtsfolgenverweisenden eingeschränkten Schuldtheorie wird ein nach den Maßstäben des gesetzlich geregelten Irrtumssystems gerechtes Ergebnis (kein Vorsatz, Bestrafung nur wegen fahrlässiger Tat) erzielt, wobei für bösgläubige Dritte eine Teilnahme gem. 26, 27 möglich bleibt. 21 Ihr wird daher gefolgt. 18 Ergebnisgleich ist die minderheitlich vertretene modifizierte Vorsatztheorie, siehe zu ihr OTTO Jura 1990, 645 (647). 19 Siehe nur BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 474. 20 Zu den Argumenten für diese Theorie (und gegen die anderen) siehe ROXIN AT I 4 14 Rn. 64 ff. 21 Siehe dazu nur die Darstellung bei BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 478 f. 9

Nach dem oben Gesagten entfällt die Vorsatzschuld bei A. Daher bleibt sie straffrei hinsichtlich 223 (a. A. vertretbar; unter Zugrundelegung der strengen Schuldtheorie kann 223 sogar insgesamt bejaht werden, sofern man den Irrtum als vermeidbar ansieht). Anmerkung: Wenn der Bearbeiter einer Meinung folgt, die eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bestehen lässt, muss er nun 229 (fahrlässige Körperverletzung) prüfen. III. 229 / Werfen mit der Hantelscheibe (+/ ) 1. Tatbestand (+/ ) a) Ein Körperverletzungserfolg liegt vor, der Wurf mit der Hantelscheibe ist dafür kausal (siehe oben II 1 a). b) Fraglich ist aber, ob A auch objektiv sorgfaltswidrig handelt. In Betracht kommt hier die sogenannte Irrtumsfahrlässigkeit. Angesichts der Vorgeschichte, des aggressiven Auftretens der B und der Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung hat A aber keine Möglichkeit, die wahre Sachlage zu erkennen siehe schon oben II 3 b cc. Sie hat sich somit objektiv sorgfaltsgerecht verhalten (andere Ansicht bei entsprechender Begründung auch hier vertretbar). Anmerkung: Bejaht der Bearbeiter den objektiven Sorgfaltspflichtverstoß, ist weiter zu prüfen: objektive Zurechnung (+), objektive Vorhersehbarkeit (+), Rechtswidrigkeit (+), Schuld mit individuellem Sorgfaltspflichtverstoß und individueller Vorhersehbarkeit (+). 10

Teil 2 Der vergiftete Proteinshake A. Strafbarkeit der A I. 212 / Übergeben des Shakes an V ( ) A erkennt nicht einmal die Möglichkeit, dass V sterben könnte. Sie handelt folglich ohne Tötungsvorsatz. II. 222 / Übergeben des Shakes an V ( ) V ist Tot, der Erfolg damit eingetreten. Das Übergeben des Shakes ist dafür auch kausal. Allerdings fehlt es an einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung: Ein gewissenhafter und einsichtiger Angehöriger des einschlägigen Lebensbereiches hätte nicht erkennen können, dass ein Vergiftungsrisiko besteht. 22 B. Strafbarkeit der B I. 212 bezüglich V / Vergiften des Proteinshakes (+/ ) 1. Tatbestand (+/ ) a) Objektiver Tatbestand (+) aa) bb) V ist tot, das Vergiften des Shakes ist dafür auch kausal. Auch die objektive Zurechnung ist zu bejahen: B schafft durch das Vergiften ein unerlaubtes Risiko. Gerade dieses hat sich auch im tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklicht. Es liegt kein atypischer Kausalverlauf vor, da es sich in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hält, dass das Opfer ein nicht erkennbar vergiftetes Getränk einem Dritten anbietet. Eigenverantwortliche Selbstgefährdung der V und vollverantwortliches Dazwischentreten der A kommen ebenfalls nicht in Betracht, da es beiden an jeglicher Risikokenntnis fehlt. b) Subjektiver Tatbestand (+/ ) B müsste mit Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale handeln. 22 Vgl. zum Maßstab bei der Beurteilung KINDHÄUSER Strafrecht AT 33 Rn. 16 ff.; T. WALTER Skript AT I Rn. 189. 11

Als bloßer Dolus subsequens ist die nachträgliche Billigung des Todes der V zunächst unbeachtlich, vgl. den Wortlaut des 16 Absatz 1 Satz 1 ( bei Begehung der Tat ). Auch die Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit der Giftdosis sind nicht relevant, da B mit Dolus directus 1. Grades (Absicht) hinsichtlich des Todeserfolgs handelt. Fraglich ist aber, wie es sich auswirkt, dass B eigentlich die A und nicht die V töten wollte. Sie könnte sich in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum nach 16 Absatz 1 Satz 1 befunden haben. 23 aa) h. M.: unbeachtlicher Error in persona Nach überwiegender Ansicht handelt es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, wenn der Täter das Angriffsobjekt nicht sinnlich wahrnimmt, es aber über bestimmte Programmvorgaben mittelbar individualisiert. 24 Hier ließe sich sagen, dass die B ihr Angriffsobjekt über die Vorgabe derjenige, der von dem Proteinshake trinkt mittelbar individualisiert habe. Ergebnis nach dieser Meinung: Vorsatz (+). bb) a. A.: Aberratio ictus Die Gegenmeinung 25 hält diese mittelbare Individualisierung nicht für ausschlaggebend und nimmt hier eine Aberratio ictus an. Der Fall sei also letztlich nicht anders zu beurteilen als ein Danebenschießen des Täters. Wie die Aberratio ictus zu behandeln sei, ist allerdings ebenfalls umstritten: 26 Eine minderheitlich vertretene Ansicht (formelle Gleichwertigkeitstheorie) geht davon aus, dass immer Vollendung hinsichtlich des getroffenen Objekts vorliege. Das schränkt HILLENKAMP 27 mit der materiellen Gleichwertigkeitstheorie ein. Die Tatobjekte müssten für dieses Ergebnis 23 Vgl. zum Folgenden T. WALTER Skript AT I Rn. 257. 24 Stellvertretend BEULKE/SATZGER W/B/S Rn. 255 mit weiteren Nachweisen. 25 Etwa HERZBERG JA 1981, 470 (472 f.); weitere Nachweise bei T. WALTER Der Kern des Strafrechts, S. 289. 26 Siehe zum Ganzen KINDHÄUSER Strafrecht AT, 27 Rn. 53 ff. 27 HILLENKAMP Die Bedeutung von Vorsatzkonkretisierung bei abweichendem Kausalverlauf, 1971, S. 112 ff. 12

gleichwertig sein. Bei höchstpersönlichen Rechtsgütern fehle es an der Gleichwertigkeit. Die h. M. 28 geht davon aus, dass hinsichtlich des getroffenen Objekts Fahrlässigkeit und hinsichtlich des anvisierten Objekts Versuch zu prüfen sei. Sie ist vorzugswürdig: Gegen die Gleichwertigkeitstheorien spricht, dass sie die räumliche und zeitliche Konkretisierung der Tätervorstellung für völlig unbeachtlich erklären. Erstens zwingt das Gesetz dazu nicht, zweitens widerspricht das in vielen Fällen dem Rechtsgefühl. Ergebnis nach dieser Meinung: Vorsatz ( ), a. A. vertretbar. cc) a. A.: einheitliche Behandlung der Identitätsirrtümer Eine minderheitlich vertretene Auffassung in der Literatur 29 erklärt die klassische Unterscheidung zwischen Error in persona und Aberratio ictus für unsachgerecht und will immer danach unterscheiden, ob der Täter seine Tathandlung auch dann vorgenommen hätte, wenn er den Identitätstausch vorhergesehen hätte. Hier lässt sich aus dem Sachverhalt schließen, dass B den Shake auch vergiftet hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die V davon trinken werde. Ergebnis nach dieser Meinung: Vorsatz (+). dd) Stellungnahme Im Ergebnis verneint hier nur diejenige Meinung den Vorsatz, die eine Aberratio ictus annimmt und sie zugleich für vorsatzrelevant erklärt. Sie ist aber abzulehnen, da sie neben dem Vergleich mit den unstreitigen Fällen des Danebenschießens keine sachlichen Argumente vorbringen kann. Letztlich ist insgesamt davon auszugehen, dass sich in den Fällen der mittelbaren Individualisierung die Unzulänglichkeit der klassischen Unterscheidung zwischen Error in persona und Aberratio ictus besonders deutlich zeigt. Weil dagegen die Frage Hätte der Täter auch bei Kenntnis der Verwechslung gehandelt? ein brauchbares Kriterium liefert, soll hier der Minderheitsmeinung gefolgt werden. Der Vorsatz der B ist nicht nach 16 Absatz 1 Satz 1 ausgeschlossen. 28 BGHSt. 37, 214 (216); VOGEL LK 16 Rn. 78. 29 T. WALTER Der Kern des Strafrechts, S. 293; DERS. Skript AT 1 Rn. 258. 13

Anmerkung: Eine andere Ansicht ist bei entsprechender Begründung gut vertretbar! Im Folgenden wird zunächst immer die weitere Prüfung nach Bejahung des Vorsatzes dargestellt und sodann kursiv die weitere Prüfung nach Ablehnung des Vorsatzes. 2. Rechtswidrigkeit (+) 3. Schuld (+) II. 223, 224 bezüglich V / Vergiften des Proteinshakes (+) Der Körperverletzungsvorsatz ist im Tötungsvorsatz enthalten, auch im Übrigen ist 223 erfüllt. B begeht die Körperverletzung durch den Einsatz von Gift ( 224 Absatz 1 Nummer 1) und durch eine das Leben gefährdende Behandlung ( 224 Absatz 1 Nummer 5). Ein hinterlistiger Überfall ( 224 Absatz 1 Nummer 3) scheidet hier wie oben aus, da B ihre Absichten nicht planmäßig verschleiert, sondern nur das Überraschungsmoment ausnutzt. Anmerkung: Da die Körperverletzung ohnehin auf Konkurrenzebene zurücktritt, ist eine ausführliche Prüfung nicht erforderlich. Gleiches gilt für die Sachbeschädigung (siehe sogleich unter IV). III. 22, 212 bezüglich A / Vergiften des Proteinshakes ( ) Bejaht man den Vorsatz hinsichtlich des Todeserfolgs bei V, kann man konsequenterweise nicht zugleich einen Tatentschluss hinsichtlich des Todeserfolgs bei A annehmen. IV. 303 / Vergiften des Proteinshakes (+) 1. Tatbestand (+) a) Objektiver Tatbestand (+) Der Proteinshake steht im Alleineigentum der A und ist damit eine für B fremde Sache. Durch das Vergiften hebt B die Brauchbarkeit dieser Sache zu ihrem bestimmten Zweck (Verzehr) völlig auf und vernichtet sie somit. 30 b) Subjektiver Tatbestand (+) B handelt mit Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale. 30 Vgl. hierzu FISCHER StGB, 303 Rn. 6, 11, 14; T. WALTER Skript REX BT Rn. 389 ff. 14

2. Rechtswidrigkeit (+) 3. Schuld (+) 4. Strafverfolgungsvoraussetzungen Der gemäß 303c erforderliche Strafantrag ist laut Bearbeitervermerk gestellt. V. Konkurrenzen 223, 224 treten hinter 212 zurück (Gesetzeskonkurrenz). Hinsichtlich der Gesundheitsschädigung und der lebensgefährdenden Behandlung ( 224 Absatz 1 Nummer 5) ist 212 Lex specialis, Hinsichtlich der körperlichen Misshandlung und der Beibringung von Gift ( 224 Absatz 1 Nummer 1) liegt materielle Subsidiarität vor. 303 wird als typische Begleittat von 212 konsumiert. 31 B ist also im Ergebnis strafbar nach 212. Falls der Bearbeiter bezüglich des Totschlags an V den Vorsatz ablehnt: II. 22, 212 bezüglich A / Vergiften des Proteinshakes (+) B hat Tatentschluss bezüglich der Tötung eines anderen Menschen. Durch die Vornahme der aus ihrer Sicht genügenden Ausführungshandlung setzt sie auch unmittelbar zum Versuch an. III. 22, 223, 224 Absatz 1 Nummern 1 und 5 bezüglich A / Vergiften des Proteinshakes (+) Vgl. oben B II. IV. 222 bzgl. V / Vergiften des Proteinshakes (+) Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt wäre es vorhersehbar gewesen, dass A den vergifteten Shake einer anderen Person zum Trinken anbietet. V. 303 / Vergiften des Proteinshakes (+) Wie oben B IV. 31 Vgl. zum Ganzen ROXIN AT II 4 33 Rn. 199, 204, 213, 216; T. WALTER Skript AT II Rn. 299 f., 301, 310. 15

VI. Konkurrenzen Die 22, 223, 224 treten hinter 22, 212 zurück (Gesetzeskonkurrenz, vgl. oben). Aufgrund der Klarstellungsfunktion der Tateinheit tritt der vollendete 303 neben die 22, 212. Ebenfalls in Tateinheit dazu steht 222. B ist also strafbar gemäß 22, 212; 222; 303; 52. C. Strafbarkeit der M Lösung für den Fall, dass der Bearbeiter oben den Vorsatz der B bezüglich des Totschlags an V bejaht: 27, 212 bezüglich V / Übergeben des Rattengifts (+/ ) 1. Tatbestand (+/ ) a) Objektiver Tatbestand (+) M müsste einer anderen Person Hilfe leisten, eine Straftat zu begehen. aa) bb) Dafür müsste eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat vorliegen. Hier begeht B einen Totschlag gemäß 212 (siehe oben B I). Die Beihilfehandlung muss die Haupttat ermöglichen oder erleichtern oder den Schaden vertiefen oder den Erfolg absichern. M gibt der B das zur Tötung notwendige Rattengift. Das ist ein Fall der physischen Beihilfe, auch deren Kausalität für die Haupttat ist zu bejahen. 32 b) Subjektiver Tatbestand (+/ ) aa) Vorsatz bezüglich der Haupttat (+/ ) M müsste bezüglich des Totschlags der B auch Vorsatz haben. Fraglich ist hier, wie sich der für den Haupttäter unbeachtliche Motivirrtum auf den Gehilfen auswirkt. Nach h. M. muss der Gehilfe nur das vom Haupttäter zu verwirklichende Delikt (hier also 212) beziehungsweise den wesentlichen Unrechtsgehalt der Haupttat kennen, individualisierende Tatumstände wie Tatzeit, Tatort und Tatopfer sollen unbeachtlich sein. 33 Legt man diese Ansicht auch für den Fall zugrunde, dass sich der Gehilfe über das Tatopfer posi- 32 Vgl. zum Ganzen T. WALTER Skript AT II Rn. 218. 33 Siehe nur FISCHER StGB, 27 Rn. 20 f.; vgl. auch T. WALTER Skript AT II Rn. 221. 16

tiv eine falsche Vorstellung macht, wirkt sich die Personenverwechslung auch auf den Vorsatz der M nicht aus Eine a. A. nimmt eine Aberratio ictus des Gehilfen an, wenn sich der Gehilfe an der Planung beteiligt hat und der Haupttäter von Individualisierungsvorgaben des Tatplans abweicht. 34 Danach wäre hier der Vorsatz der M zu bejahen, da sie sich nicht an der Planung beteiligt hat und sich B jedenfalls an ihren ursprünglichen Plan gehalten hat. Beide Ansichten kommen zum selben Ergebnis, der Streit muss somit nicht entschieden werden. Anmerkung: Bei dieser Konstellation handelt es sich um ein eher exotisches Problem, das in der Literatur kaum behandelt wird. Vom Bearbeiter ist aber jedenfalls zu erwarten, dass er folgende Punkte erkennt: 1. Der unbeachtliche Irrtum des Haupttäters kann sich theoretisch auf die Strafbarkeit des Teilnehmers auswirken. 2. Unser Fall unterscheidet sich von den klassischen Konstellationen Rose-Rosahl und Hoferbenfall dadurch, dass es nicht um einen Anstifter, sondern um einen Gehilfen geht. Als vertretbar muss es bei entsprechender Begründung auch angesehen werden, wenn der Bearbeiter den Gehilfenvorsatz verneint. Da die versuchte Beihilfe bezüglich der Tötung der A nicht strafbar ist, bliebe noch 222 bezüglich V zu prüfen, der zu bejahen ist (vgl. unten). Auch die auf jeden Fall verwirklichte Beihilfe zur Sachbeschädigung ( 27, 303) wäre zu bejahen eine Prüfung unterbleibt beim hier bevorzugten Lösungsweg nur aus den oben schon erwähnten Konkurrenzgründen. bb) Vorsatz bezüglich der Beihilfehandlung (+) 2. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 34 BEULKE/SATZGER W/B/S, Rn. 579, 584; HAFT/EISELE GS Keller, S. 81 (94). 17

Lösung für den Fall, dass der Bearbeiter oben den Vorsatz der B bezüglich des Totschlags an V verneint: I. 27, 22, 212 bezüglich A / Übergeben des Rattengifts (+) 1. Tatbestand (+) a) Objektiver Tatbestand (+) M müsste einer anderen Person Hilfe leisten, eine Straftat zu begehen. aa) bb) Dafür müsste eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat vorliegen. Hier begeht B einen versuchten Totschlag gem. 22, 212 (siehe oben). M gibt der B das zur Tötung notwendige Rattengift, das ist ein Fall der physischen Beihilfe (siehe oben). b) Subjektiver Tatbestand (+) aa) Vorsatz bezüglich der Haupttat (+) M müsste bezüglich der Haupttat auch Vorsatz gehabt haben. Erforderlich ist, dass der Gehilfe die Vollendung der Haupttat will. 35 Hier ist der Totschlag zwar im Versuchsstadium geblieben, M wollte aber die Vollendung der Tat. bb) Vorsatz bezüglich der Beihilfehandlung (+) 2. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) II. 222 bezüglich V / Übergeben des Rattengifts (+) Das Übergeben des Rattengifts war für den Tod der V kausal und angesichts des Planes der B objektiv sorgfaltswidrig. Es war vorhersehbar, dass die A eine andere Person von dem Shake trinken lässt. Auch die objektive Zurechnung ist zu bejahen. Es liegt insbesondere kein eigenverantwortliches Dazwischentreten der B vor: Sie hat weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt. 36 35 Vgl. BEULKE/SATZGER W/B/S, Rn. 584; T. WALTER Skript AT II Rn. 221. 36 Vgl. dazu T. WALTER Skript AT I Rn. 208 f. 18

Rechtswidrigkeit und Schuld liegen ebenfalls vor. III. 27, 303 / Übergeben des Rattengifts (+) IV. Konkurrenzen Die Beihilfe zum versuchten Totschlag, die fahrlässige Tötung und die Beihilfe zur Sachbeschädigung stehen zueinander in Tateinheit, da sie durch eine einzige Handlung verwirklicht werden. M ist also strafbar gemäß 27, 22, 212; 222; 303; 52. Gesamtergebnis für den hier bevorzugten Lösungsweg: Teil 1 Der Wurf mit der Hantelscheibe In der Ausgangskonstellation bleibt B straflos. A hat sich gemäß 223, 224 Absatz 1 Nummern 1 und 5 strafbar gemacht. In der Variante bleibt B wieder straflos. A hat sich gemäß 229 strafbar gemacht. Teil 2 Der vergiftete Proteinshake A bleibt straflos. B hat sich gemäß 212 strafbar gemacht. M hat sich gemäß 27, 212 strafbar gemacht. 19