Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. Nicht angeforderte. Stellungnahme

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Transkript:

Geschäftsstelle Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.v. Aachener Str. 5 10713 Berlin Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. Nicht angeforderte Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 23.09.2015 zu den Anträgen bzw. Gesetzentwürfen zur Regelung der Sterbehilfe Sie erreichen uns unter: Telefon 030 / 8200758-0 Telefax 030 / 8200758-13 info@dhpv.de www.dhpv.de Geschäftsführender Vorstand: Prof. Dr. Winfried Hardinghaus Vorstandsvorsitzender Dr. Anja Schneider Stellvertr. Vorsitzende Erich Lange Stellvertr. Vorsitzender Berlin 15. September 2015 Amtsgericht Berlin: VR 27851 B Gemeinnützigkeit anerkannt durch das Finanzamt Berlin Bankverbindung: Bank für Sozialwirtschaft Konto 834 00 00 BLZ 370 205 00 IBAN: DE 4337 0205 0000 0834 0000 BIC: BFSWDE33XXX

I. Grundposition des DHPV Die Hospizbewegung betrachtet das menschliche Leben von seinem Beginn bis zu seinem Tod als ein Ganzes. Das Sterben ist somit Teil des Lebens. In modernen und aufgeklärten Gesellschaften sind Selbstbestimmung und Autonomie zentrale Werte. Die Wertedebatte darf hier jedoch nicht einseitig zugunsten einer individualisierten und auf Leistung hin ausgerichteten Gesellschaft geführt werden. 1 Vorstellungen von Leben und Autonomie, die den Beziehungscharakter menschlichen Lebens und dessen Verwiesenheit auf andere nicht einbezieht, sind unvollständig. Ein Bild von Würde, das mit persönlicher Leistungsfähigkeit verbunden wird, gefährdet den Respekt vor jenen Menschen, die in erhöhtem Maße vulnerabel sind. 2 Die Akzeptanz von Abhängigkeit und die Bereitschaft, für andere Sorge zu tragen, ist Voraussetzung für jede menschliche Gesellschaft. Insofern steht die Sorgefähigkeit der Gesellschaft auf dem Prüfstand. Im Zentrum der hospizlichen Sorge stehen die Würde des Menschen am Lebensende, die Verbundenheit mit dem Sterbenden und die Beachtung seiner Autonomie. Dies wird ermöglicht durch die Anteilnahme der Mitmenschen, die Linderung von Schmerzen und anderen Symptomen durch eine gute palliativärztliche und palliativpflegerische Versorgung sowie eine psychosoziale und spirituelle Begleitung der Betroffenen und Angehörigen. Der in der Bevölkerung verbreiteten Angst vor Würdeverlust in Pflegesituationen und bei Demenz sowie vor unerträglichen Schmerzen und Leiden ist durch eine Kultur der Wertschätzung gegenüber kranken und sterbenden Menschen sowie flächendeckende Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung zu begegnen. Flankierend muss eine breite Aufklärung der Bevölkerung über die Optionen der Hospiz- und Palliativversorgung erfolgen. Auf diese Weise werden die berechtigten Nöte und Ängste schwerstkranker und sterbender Menschen sowie ihrer Angehörigen ernst genommen, gleichzeitig können jedoch Alternativen zu einem assistierten Suizid aufgezeigt und den Betroffenen ein Sterben in Würde und Selbstbestimmung ermöglicht werden. 2

II. Stellungnahme zu den vorgelegten Gesetzentwürfen Der DHPV lehnt alle Formen der gewerblichen und organisierten Beihilfe zum Suizid ab. Eine Normalisierung der Beihilfe zum Suizid würde den Druck auf kranke und alte Menschen erhöhen, anderen nicht zur Last fallen zu wollen und kann in einer solidarischen Gesellschaft nicht gewollt sein. Der assistierte Suizid wird vor diesem Hintergrund auch nicht als eine ärztliche Aufgabe angesehen. Eine Kriminalisierung der Angehörigen, die in einer ihnen ausweglos erscheinenden Situation Beihilfe zum Suizid leisten, wird vom DHPV jedoch nicht gefordert. Der DHPV befürwortet darüber hinaus ein Verbot der Werbung für alle Formen der Beihilfe zum Suizid. Im Einzelnen: 1. Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Brandt, Griese, Vogler u.a.) Der Entwurf schlägt die Schaffung eines neuen Straftatbestandes im StGB vor, der die geschäftsmäßige (und damit auch die gewerbliche) Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt ( 217 StGB-E). Geschäftsmäßigkeit ist dann gegeben, wenn die Handlung in der Absicht folgt, die Suizidhilfe zu einem wiederkehrenden und dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen. Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen, die sich lediglich als nicht geschäftsmäßig handelnde Teilnehmer an der Tat beteiligen, sollen von der Strafandrohung ausgenommen werden (s. Gesetzesbegründung). Ein Verbot der Werbung für die Förderung der Selbsttötung sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Der DHPV begrüßt, dass mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung eine zentrale Forderung des DHPV aufgegriffen wurde. Notwendig ist, nicht nur der auf Gewinn abzielenden, sondern der regelmäßig wiederkehrenden, in organisierter Form durchgeführten Förderung der Selbsttötung die Basis zu entziehen. 3

In der Gesetzesbegründung wird klargestellt, dass die Hilfe beim Sterben, die im Rahmen medizinischer Behandlungen geleistet wird, grundsätzlich nicht unter den neu zu schaffenden 217 StGB-E fallen soll. Im Gegensatz dazu entspricht die Hilfe zum Sterben nicht dem Selbstverständnis der Angehörigen der Heilberufe. Wird diese von diesem Personenkreis im Einzelfall aber gleichwohl gewährt, geschieht dies so die Gesetzesbegründung nicht in der Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden, d.h. geschäftsmäßigen Bestandteil der Beschäftigung zu machen und würde insofern ebenfalls nicht von 217 StGB-E erfasst werden. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ist im Zuge der parlamentarischen Debatte angezweifelt worden. Der DHPV geht jedoch davon aus, dass dem notwendigen Bestimmtheitsgrundsatz durch die vorgeschlagene Regelung (noch) ausreichend genüge getan wird. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen. 3 Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe im Strafrecht sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht von vornherein verfassungsrechtlich zu beanstanden. 4 Gegen ihre Verwendung bestehen jedenfalls dann keine durchgreifenden Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes und durch eine Berücksichtigung des Normzusammenhangs, oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt, so dass der Einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen. 5 In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Strafbarkeit erkennbar. 6 Insgesamt dürfen die Anforderungen an den Gesetzgeber nicht übersteigert werden, weil das Gesetz sonst zu starr und kasuistisch würde. 7 4

Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit ist nach dem Wortlaut unter Zuhilfenahme anderer bereits bestehender Strafvorschriften (z.b. 206 StGB) sowie der historischen Auslegung auf der Basis der bereits zitierten Gesetzesbegründung ausreichend scharf umrissen. Die Regelung spiegelt die Realität insofern angemessen wider, als die medizinischen Fachgesellschaften darauf hinweisen, dass nur wenige Krebs- und/oder Palliativpatienten ihren Arzt um Suizidbeihilfe bitten. 8 Gleichwohl ist die Strafbarkeit (auch eines Arztes) dann gegeben, sofern die Suizidhilfe in der Absicht erfolgt, diese planmäßig zu einem wiederkehrenden und dauernden Bestandteil seiner Beschäftigung zu machen. 9 Die so ausgestaltete und differenzierte Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid ist angemessen und für den Bürger erkennbar. Zuzugestehen ist allenfalls, dass im Einzelfall der Nachweis der Absicht wiederholter Suizidbeihilfe schwer zu führen sein dürfte, sofern keine entsprechende Einlassung bzw. Zeugenaussagen vorliegen. Dies gilt jedoch in vergleichbarer Weise auch in anderen Straftatbeständen, in denen eine Absicht vorausgesetzt wird. Der Gesetzentwurf trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot somit ausreichend Rechnung. Auch hinsichtlich des auslegungsbedürftigen Begriffes nahestehende Personen bestehen keine Bedenken, da der Begriff in 35 StGB ( entschuldigender Notstand ) ebenfalls verwandt wird und hier bereits eine ausreichend gefestigte Rechtsprechung existiert. Keine Zustimmung findet der Gesetzentwurf insofern, als er die Information über die Suizidhilfe bzw. die Werbung dafür nicht unter Strafe stellt. Fällt man zu Recht die Werteentscheidung der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen und gewerblichen Förderung der Selbsttötung, so ist es zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nur konsequent, auch die diesbezügliche Werbung zu verbieten. Zudem ist die Gesetzesbegründung zur Straflosigkeit der Werbung widersprüchlich, da einerseits die Werbung für die Suizidhilfe nicht unter Strafe gestellt wird (S. 11 des Gesetzentwurfs), gleichzei- 5

tig aber auf der Hinweis erfolgt, dass eine strafbare Beihilfe zur Förderung der Selbsttötung im Einzelfall auch dann in Betracht kommen kann, wenn jemand für die geschäftsmäßige Suizidhilfe eines anderen geworben und dies die Begehung der Haupttat konkret ermöglicht oder erleichtert, also tatsächlich gefördert hat (S. 19 des Gesetzentwurfs). Unabhängig davon ist zu befürchten, dass die Vorschrift hinsichtlich der Tätigkeit von Sterbehilfevereinen ins Leere laufen könnte, da sich zumindest eine Vielzahl der dort vorgenommenen Tätigkeit unter Information oder Werbung subsumieren lassen. Der DHPV würde daher die Aufnahme eines Verbotes der Werbung für die Beihilfe zum Suizid in den Gesetzentwurf befürworten. 2. Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Hintze, Reimann, Lauterbach u.a.) Der vorgenannte Entwurf verzichtet auf das Strafrecht und regelt im Rahmen des Zivilrechts in einem neu zu schaffenden 1921a BGB, unter welchen Voraussetzungen der von Ärzten vorgenommene ärztlich assistierte Suizid zulässig sein soll. Der DHPV lehnt den vorgelegten Gesetzentwurf in Gänze ab, da der assistierte Suizid nicht als eine ärztliche Aufgabe verstanden wird. Auch ist problematisch, inwiefern das im Gesetzentwurf vorgesehene Anknüpfen an bestimmte, medizinische Voraussetzungen zur Sicherung der unantastbaren Würde eines jeden einzelnen Menschen am Lebensende beizutragen vermag und diese nicht vielmehr in Frage stellt. Darüber hinaus ist der Gesetzentwurf nicht wie postuliert geeignet, Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten herzustellen und die Selbstbestimmung von unheilbar erkrankten Patienten zu stärken. Dies aus den nachfolgenden, beispielhaft aufgezählten Gründen: 6

1. Die Festschreibung der Voraussetzungen des ärztlich assistierten Suizids im Zivilrecht statt im Strafrecht bringt für den Arzt keinerlei rechtliche Vorteile: hält der Arzt die zivilrechtlichen Voraussetzungen des ärztlich assistierten Suizid nicht ein (liegt beispielsweise keine Einwilligungsfähigkeit des sterbewilligen Patienten vor), greift gleichwohl das Straf- bzw. ärztliche Berufsrecht. Vor diesem Hintergrund ist es ohne Belang, ob die Regelung in das BGB oder StGB eingefügt wird. 2. 1921a BGB soll so die Gesetzesbegründung Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Patienten sein. Eine Regelung, die die ärztliche Suizidassistenz zum Inhalt eines Behandlungsvertrages gem. 630a ff. BGB mache, komme demgegenüber nicht in Betracht (S. 11 Gesetzentwurf). Auch dies birgt für den behandelnden Arzt eher Gefahren, als dass es ihm Vorteile bringt: ist die ärztliche Suizidassistenz nicht Teil des Behandlungsvertrages, dürfte der Schutz der ärztlichen Berufshaftpflichtversicherung nicht (mehr) greifen. Der Arzt dürfte dann zwar zivilrechtlich eine ärztliche Suizidassistenz gem. 1921a BGB durchführen, wäre jedoch gegen etwaige Haftungsansprüche nicht (mehr) abgesichert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welches konkrete Rechtsverhältnis stattdessen (mit welchen Rechten und Pflichten?) zwischen Arzt und Patienten bestehen soll. 3. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind in ihrer Reichweite z.t. unscharf formuliert und lassen befürchten, dass hier eine innergesellschaftlichen Normalisierung des ärztlich assistierten Suizids befördert wird: Die Zulässigkeit einer ärztlich begleiteten Lebensbeendigung knüpft u.a. an das Tatbestandsmerkmal einer unheilbaren Erkrankung, die unumkehrbar zum Tod führt an. Nach der Gesetzesbegründung ist die Vorschrift auf die Fälle von nicht mehr therapierbaren organischen und zugleich irreversibel tödlich verlaufenden Erkrankungen eingeschränkt (S. 13 der Gesetzesbegründung; Beispiele: z.b. Amyotrophe Lateralsklerose S. 10, einige Krebserkrankungen S. 10-11). Keine Anwendung fände die Vorschrift auf psychische Erkrankungen oder auf eine lediglich altersbedingte Demenz (S. 13). 7

Die Auswahlkriterien, die die Zulässigkeit der ärztlichen Suizidbeihilfe bei bestimmten Erkrankungen begründen, bei anderen wiederum ausschließen, sind inkonsequent. Der Anwendungsbereich bleibt insofern zumindest widersprüchlich: bei der Amyotrophen Lateralsklerose handelt es sich um eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, welche in der ICD10- Klassifizierung unter Krankheiten des Nervensystems eingruppiert ist. Zwar führt die ALS im fortgeschrittenen Stadium zu einem Organversagen. Gleiches würde jedoch im Prinzip auch auf eine Demenz zutreffen, die eine Einwilligungsfähigkeit nicht per se ausschließt. Patienten mit schweren Krebserkrankungen oder in anderen Grenzsituationen stehen im Rahmen der Palliativmedizin adäquate Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung (Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen unter ärztlicher Begleitung bis hin zur palliativen Sedierung). Gleichwohl soll hier in bestimmten, letztlich nicht näher definierten Einzelfällen die ärztliche Suizidbeihilfe zulässig sein. Kritisch ist zudem anzumerken, dass die Freiwilligkeit eines Suizidwunsches aufgrund der häufig bestehenden Ambivalenz kaum zuverlässig festgestellt werden kann. Schlussendlich ist keine Dokumentationspflicht vorgesehen. Dies läuft ebenfalls dem Schutz des Patienten zuwider. 4. Da keine Beschränkung auf Patienten mit Wohnsitz in Deutschland erfolgt, ist ein Sterbehilfe-Tourismus in Deutschland zu befürchten. 3. Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung (Künast, Sitte, Gehring u.a.) In diesem Entwurf wird positiv normiert, dass die Hilfe zur Selbsttötung sei es durch Angehörige, sei es durch Ärzte oder Sterbehilfevereine nicht strafbar ist. Lediglich die gewerbsmäßige, d.h. gewinnorientierte Hilfe zur Selbsttötung soll verboten werden, wobei nach der Gesetzesbegründung auch Ärzte gewerbsmäßig handeln können, wenn sie sich für die Hilfe entlohnen lassen und nicht ausschließlich kostendeckend 8

arbeiten. Darüber hinaus werden (unzureichende) Kriterien für die Beratung und Dokumentation aufgestellt. Der Gesetzentwurf wird in Gänze abgelehnt. Dieser ist zudem nicht geeignet, einen ausreichenden Schutz der Patienten sicherzustellen. Insbesondere wird kritisch gesehen, dass die Zulässigkeit der Hilfe zur Selbsttötung lediglich einen sterbewilligen Menschen voraussetzt. Der Gesetzentwurf leistet somit einer Normalisierung der Hilfe zur Selbsttötung mit der Gefahr eines Dammbruchs Vorschub. Diese Gefahr ist auch nicht nur ein gesellschaftstheoretisches Konstrukt: Laut einer aktuellen Studie hat sich in Belgien die aktive Sterbehilfe seit ihrer Legalisierung im Jahr 2002 zu einer validen Option entwickelt. 10 Zum einen sind die Zahlen kontinuierlich gestiegen, zum anderen haben sich die Indikationen verändert. Zunächst waren es vor allem Menschen mit schwersten körperlichen Leiden, bei denen Beihilfe zum Suizid und auch aktive Sterbehilfe ermöglicht wurden. Dann folgten zunehmend auch Menschen mit psychischen Erkrankungen. Seit 2014 ist in Belgien die aktive Strebehilfe außerdem bei Kindern und Jugendlichen möglich. In den Niederlanden zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Laut Jahresbericht der Regionalen Prüfungskommission für Sterbehilfe im Jahr 2013 nahmen beispielsweise knapp 100 an Demenz Erkrankte Sterbehilfe in Anspruch, das sind mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Zahl der psychisch Kranken verdreifachte sich auf 42. Abgesehen von dieser Gefahr der gesamtgesellschaftlichen Aufkündigung der Solidarität mit vulnerablen Bevölkerungsgruppen ist darüber hinaus in dem Gesetzentwurf die Gewichtung des Handlungsunrechts zum Teil nicht nachvollziehbar: Fehlt es beispielsweise an einer Freiverantwortlichkeit, begeht die Sterbehilfeorganisation nach dem Gesetzentwurf lediglich eine Ordnungswidrigkeit. Das Konkurrenzverhältnis zu den Tötungsdelikten im StGB bleibt unklar. 9

4. Antrag auf Änderung des Strafgesetzbuchs: Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung (Sensburg u.a.) Der Entwurf regelt erstmals die Strafbarkeit der Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) an der Selbsttötung. Auch der Versuch soll bestraft werden. Eine Ausnahme für Angehörige oder Ärzte ist nicht vorgesehen. Die Selbsttötung selbst bleibt straffrei. Der DHPV lehnt diesen Vorschlag ab. Eine Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid mit der Folge der Kriminalisierung insbesondere von Angehörigen und nahestehenden Personen ist nicht gewollt. Darüber hinaus ist im deutschen Strafrecht im Grundsatz die Teilnahme nur strafbar, wenn eine vorsätzlich begangene rechtswidrige (nicht notwendigerweise schuldhafte) Haupttat vorliegt (sog. Grundsatz der limitierten Akzessorietät). Dieser Grundsatz wird mit diesem Gesetzesvorschlag durchbrochen. 5. Antrag: Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe (Keul, Sütterlin-Waack, Zypries u.a.) Nach diesem Antrag seien keine neuen Straftatbestände im Hinblick auf die Beihilfe zur Selbsttötung notwendig. Die geschäftsmäßige Hilfeleistung sei es durch Ärzte, sei es durch Vereine soll straffrei bleiben. Der DHPV lehnt diesen Vorschlag vor dem Hintergrund ab, dass auch eine geschäftsmäßige Hilfeleistung zum Suizid unter Strafe gestellt werden sollte (vgl. oben). 10

III. Ergebnis: Der DHPV hofft, dass die aktuelle Diskussion dazu führt, den notwendigen flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung mit der gebotenen Priorität voranzubringen. Dem Staat obliegt der verfassungsrechtliche Auftrag, die Würde des Menschen zu schützen (Art. 1 GG) und sich schützend und fördernd vor das Leben eines jeden Einzelnen zu stellen (Art. 2 Abs. 2 GG) und auch vor An- und Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren. Die schwerkranken und sterbenden Menschen sind Teil der Gesellschaft und müssen in ihren Ängsten und Bedürfnissen ernst genommen, umsorgt und unterstützt werden. Der DHPV befürwortet daher, die geschäftsmäßige und gewerbliche Beihilfe zum Suizid und der Werbung dafür einem Verbot zu unterstellen, ohne dabei die Einzelfallgerechtigkeit, insbesondere die Vermeidung der Kriminalisierung von Angehörigen, aus dem Blick zu verlieren. Daher unterstützt der DHPV den Gesetzentwurf der Abgeordneten Brand, Griese u. a., fordert aber, auch die Werbung für Gelegenheiten der Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e.v. (DHPV) Der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e.v. (DHPV) vertritt die Belange schwerstkranker und sterbender Menschen. Er ist die bundesweite Interessensvertretung der Hospizbewegung sowie zahlreicher Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Deutschland. Als Dachverband der überregionalen Verbände und Organisationen der Hospiz- und Palliativarbeit sowie als Partner im Gesundheitswesen und in der Politik steht er für über 1000 Hospiz- und Palliativdienste und -einrichtungen, in denen sich mehr als 100.000 Menschen ehrenamtlich, hauptamtlich und bürgerschaftlich engagieren. 11

1 Klie/Andreas: Zwischenruf: Verzicht auf gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid in: die hospiz zeitschrift, 5/2015, S. 35 ff. 2 Klie/Andreas: Zwischenruf: Verzicht auf gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid in: die hospiz zeitschrift, 5/2015, S. 35 ff. 3 BVerfG: Beschluss vom 10.03.2009 (Az.: 2 BvR 1980/07) 4 BVerfG: Beschluss vom 10.03.2009 (Az.: 2 BvR 1980/07) 5 BVerfG: Beschluss vom 10.03.2009 (Az.: 2 BvR 1980/07) 6 BVerfG: Beschluss vom 19.03.2007 (Az.: 2 BvR 2273/06) 7 BVerfG: Beschluss vom 06.05.1987 (Az.: 2 BvL 11/85) 8 DGP: Debatte um Beihilfe zum Suizid geht an wirklichen Problemen der Patienten vorbei, Stellungnahme vom 08.06.2015; Tolmein: Ärztliche Sterbehilfe ist nicht alltäglich in: FAZ, Artikel vom 29.08.2015 9 Vgl. auch Tolmein: Ärztliche Sterbehilfe ist nicht alltäglich in: FAZ, Artikel vom 29.08.2015 10 Chambaere/Stichele/Mortier/Cohen/Deliens: Recent Trends in Euthanasia and Other End-of-Life Practices in Belgium in: The New England Journal of Medicine, N Engl J Med 2015; 372: 1179-1181, March 19, 2015; DOI: 10.1056/NEJMc1414527 12