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Transkript:

Kapitel I Reelle Zahlen 1 Axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen R 2 Angeordnete Körper 3 Die natürlichen, die ganzen und die rationalen Zahlen 4 Das Vollständigkeitsaxiom und irrationale Zahlen 5 Intervalle, Metrik und Topologie für R 6 Polynome mit reellen Koeffizienten C 1

1 Axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen R 1.2 Partielle und lineare Ordnung 1.3 Obere und untere Schranke, beschränkte Menge 1.4 Maximum und Minimum 1.6 Supremum und Infimum 1.8 Ordnungsvollständigkeit 1.10 Regeln für < 1.11 Gruppe 1.13 Körper 1.14 Angeordneter Körper 1.15 R als angeordneter, vollständiger Körper Die reellen Zahlen R werden dadurch beschrieben werden, daß wir ein Axiomensystem für die Menge R mit den Verknüpfungen + und sowie für die Ordnung angeben. Dieses Axiomensystem ist als ein System von Sätzen anzusehen, die immer vorausgesetzt werden, und auf die wir uns als einziges bei der Herleitung der Resultate der Analysis I IV berufen werden. Von den reellen Zahlen werden wir nun fordern, daß sie partiell, ja sogar linear geordnet sein sollen. Ein Beispiel für eine partiell geordnete Menge, die jedoch in der Regel nicht linear geordnet ist, wird geliefert durch: 1.1 Beispiel Sei X eine nicht-leere Menge. Sei M := P(X) die Potenzmenge von X, d.h. die Menge aller Teilmengen von X. Es sei die Teilmengenrelation, d.h. wir schreiben für zwei Mengen a, b genau dann a b, wenn jedes Element von a auch Element von b ist. Dann gilt für alle a, b, c M: a a; a b b a a = b; a b b c a c. Ist X = {p} eine einelementige Menge, so sind nur und X Teilmengen von X, d.h. Elemente von M. Man hat dann: a b oder b a für alle a, b M. [1] 1 C 1

Axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen In diesem Fall ist M versehen mit der Relation eine linear geordnete Menge im Sinne der Definition 1.2. Enthält jedoch X mindestens zwei verschiedene Elemente p 1 p 2, dann gilt weder {p 1 } {p 2 } noch {p 2 } {p 1 }. Die Relation ist daher eine partielle jedoch keine lineare Ordnung für M im Sinne der folgenden Definition. In dieser Definition ist nun M eine ganz beliebige nicht-leere Menge und irgendeine Relation zwischen den Elementen von M. 1.2 Partielle und lineare Ordnung Sei eine Relation über einer nicht-leeren Menge M. Dann heißt eine partielle Ordnung über M, wenn für alle a, b, c M gilt: (O1) a a (O2) a b b a a = b (O3) a b b c a c (Reflexivität) (Antisymmetrie) (Transitivität). Ist eine partielle Ordnung über M, so heißt M eine partiell geordnete Menge. Ist eine partielle Ordnung über M und ist ferner folgendes erfüllt: (O4) für alle a, b M gilt: a b oder b a, so heißt eine lineare oder totale Ordnung. M heißt in diesem Fall eine linear oder total geordnete Menge. Unser Beispiel 1.1 liefert, wenn wir für die Teilmengenrelation wählen, ein Beispiel für eine partielle Ordnung. Besitzt X mindestens zwei Elemente, so ist, wie wir gesehen haben, jedoch keine lineare Ordnung für M = P(X). Bezeichnet man weiterhin die Teilmengenrelation mit, dann gilt für jede Teilmenge T von M : (1) t X für alle t T ; (2) X M; (1) t für alle t T ; (2) M. X ist also eine obere Schranke und eine untere Schranke für T im Sinne der Definition 1.3. Ist T = {p 1 }, so ist auch {p 1 } untere und obere Schranke von T. Untere und obere Schranken sind also in der Regel nicht eindeutig bestimmt. 1.3 Obere und untere Schranke, beschränkte Menge Sei eine partielle Ordnung über M und T M. s heißt obere Schranke von T, wenn gilt: (1) t s für alle t T ; (2) s M. Besitzt T eine obere Schranke, so heißt T nach oben beschränkt. C 1 [1] 2

Kapitel I Reelle Zahlen s heißt untere Schranke von T, wenn gilt: (1) s t für alle t T ; (2) s M. Besitzt T eine untere Schranke, so heißt T nach unten beschränkt. (iii) T heißt beschränkt, wenn T nach oben und unten beschränkt ist. Betrachten wir wieder das Beispiel 1.1 mit einer mindestens zweielementigen Menge X. Dann ist T 1 := {, {p 1 }, {p 2 }, {p 1, p 2 }} M (mit p 1, p 2 X und p 1 p 2 ) eine Menge, die eine obere Schranke, nämlich {p 1, p 2 }, besitzt, die zu T 1 gehört. Ferner ist eine untere Schranke, die zu T 1 gehört. Hingegen besitzt T 2 := {{p 1 }, {p 2 }} keine untere bzw. obere Schranke, die zu T 2 gehört. T 1 hat also ein Minimum und Maximum, während T 2 weder ein Minimum noch Maximum im Sinne der folgenden Definition besitzt. 1.4 Maximum und Minimum Sei eine partielle Ordnung über M und T M. s heißt größtes Element von T oder auch Maximum von T, wenn gilt: (1) t s für jedes t T ; (2) s T. s heißt kleinstes Element von T oder auch Minimum von T, wenn gilt: (1) s t für jedes t T ; (2) s T. Insbesondere ist also erklärt (T := M) was unter einem kleinsten bzw. größten Element von M zu verstehen ist. Für diesen Fall (d.h. T = M) ist also obere Schranke von M (untere Schranke von M) dasselbe wie Maximum von M (Minimum von M). Beispiel 1.1 hat gelehrt, daß dies für beliebige Teilmengen in der Regel nicht der Fall ist. Dieses Beispiel zeigt auch, daß obere und untere Schranke in der Regel nicht eindeutig bestimmt sind. Maxima und Minima sind jedoch, sofern sie überhaupt existieren, eindeutig: 1.5 Eindeutigkeit des Maximums und des Minimums Sei eine partielle Ordnung über M und T M. Dann besitzt T höchstens ein Maximum und höchstens ein Minimum. Existiert das Maximum, so wird es mit max(t ) bezeichnet. Existiert das Minimum, so wird es mit min(t ) bezeichnet. Beweis. Seien s 1, s 2 zwei Maxima von T. Es ist zu zeigen: s 1 = s 2. [1] 3 C 1

Axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen Nach Definition des Maximums (siehe 1.4(2)) gilt zunächst: s 1, s 2 T und deshalb ist, da Bedingung (1) von 1.4 für s 2 und für s 1 gelten muß: s 1 s 2 und s 2 s 1. Da eine partielle Ordnung über M ist, folgt hieraus s 1 = s 2 (benutze (O2) von 1.2). Entsprechend beweist man die Eindeutigkeit des Minimums. Eine Abschwächung des Begriffes Maximum führt zum Begriff Supremum. Eine Abschwächung des Begriffes Minimum führt zum Begriff Infimum. 1.6 Supremum und Infimum Sei eine partielle Ordnung über M und T M. s heißt kleinste obere Schranke oder Supremum von T, wenn gilt: (1) s ist obere Schranke von T ; (2) s s für jede obere Schranke s von T. Existiert dieses Supremum, so ist es eindeutig bestimmt und wird mit sup(t ) bezeichnet. s heißt größte untere Schranke oder Infimum von T, wenn gilt: (1) s ist untere Schranke von T ; (2) s s für jede untere Schranke s von T. Existiert dieses Infimum, so ist es eindeutig bestimmt und wird mit inf(t ) bezeichnet. Bezeichnet man die Menge aller oberen Schranken von T mit O, so ist s genau dann ein Supremum, wenn gilt: s t für jedes t O, und es ist s O, also genau dann, wenn s das kleinste Element der Menge der oberen Schranken ist. Insbesondere ist daher sup(t ), sofern es existiert, nach 1.5 eindeutig bestimmt. Bezeichnet man die Menge aller unteren Schranken von T mit U, so ist s genau dann ein Infimum, wenn gilt: t s für jedes t U, und es ist s U, also genau dann, wenn s das größte Element der Menge der unteren Schranken ist. Insbesondere ist daher inf(t ), sofern es existiert, nach 1.5 eindeutig bestimmt. C 1 [1] 4

Kapitel I Reelle Zahlen 1.7 Supremum und Maximum Sei eine partielle Ordnung über M und T M. Dann gilt: T besitzt genau dann ein Maximum, wenn T ein zu T gehörendes Supremum besitzt. In diesem Fall ist max(t ) = sup(t ). T besitzt genau dann ein Minimum, wenn T ein zu T gehörendes Infimum besitzt. In diesem Fall ist min(t ) = inf(t ). Beweis. Es gilt t max(t ) für jedes t T (siehe 1.4(1)), also ist max(t ) eine obere Schranke von T. Da max(t ) T ist (siehe 1.4(2)), ist max(t ) s für jede obere Schranke s von T. D.h. sup(t ) existiert, und es ist max(t ) = sup(t ). Sei umgekehrt sup(t ) T. Es ist t sup(t ) für jedes t T (siehe 1.6(1)). Aus beidem zusammen folgt, es existiert max(t ) (siehe 1.4), und es ist sup(t ) = max(t ). beweist man analog zu. Wir zeigen nun mit Beispiel 1.1, daß nicht jedes Supremum einer Menge T zu T gehören muß, also nicht jedes Supremum notwendigerweise ein Maximum sein muß. Sei also wieder M = P(X) mit einer mindestens zweielementigen Menge X. Dann besitzt wie wir schon gesehen haben nicht jede Teilmenge T von M ein Maximum. Daher reicht es zu zeigen (1) s := t T t ist Supremum von T. Beweis. Zunächst ist jedes t T M = P(X) eine Teilmenge von X. Also ist auch die Vereinigungsmenge s aller dieser t eine Teilmenge von X und gehört daher insbesondere zu M. Ferner ist t s für jedes t T. Also ist s eine obere Schranke von T. Ist nun s eine beliebige obere Schranke von T, so gilt nach Definition t s für alle t T. Also ist auch s s. Also ist s das Supremum von T, d.h. es gilt (1). Entsprechend zeigt man (2) t T t ist Infimum von T. Gehört also t T t zu T, so ist es das Maximum von T. Gehört t T t zu T, so ist es das Minimum von T. (1) zeigt insbesondere, daß M := P(X) mit der partiellen Ordnung eine ordnungsvollständige Menge im Sinne der folgenden Definition ist. [1] 5 C 1

Axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen 1.8 Ordnungsvollständigkeit Sei eine partielle Ordnung über M. Dann heißt (M, ) ordnungsvollständig, wenn gilt: Jede nicht-leere nach oben beschränkte Teilmenge von M besitzt ein Supremum. Ist (M, ) ordnungsvollständig, dann besitzt auch jede nicht-leere nach unten beschränkte Teilmenge von M ein Infimum. Beweis. Sei also (M, ) als ordnungsvollständig vorausgesetzt und T M nach unten beschränkt. Dann ist U := {u M : u ist untere Schranke von T }. Zu zeigen ist, U besitzt ein Maximum. Wir zeigen hierzu: (1) sup(u) existiert; (2) sup(u) U, also max(u) = 1.7 sup(u). Zu (1): Da T ist, und jedes Element von T eine obere Schranke von U ist, ist U nach oben beschränkt. Also existiert sup(u) wegen der Ordnungsvollständigkeit von M. Zu (2): Sei t T. Dann gilt u t für jedes u U nach Definition von U. Also ist sup(u) t, und somit sup(u) eine untere Schranke von T. Daher ist sup(u) U nach Definition von U. Die hier als Ordnungsvollständigkeit bezeichnete Eigenschaft wird manchmal auch als beschränkte Ordnungsvollständigkeit bezeichnet. Ist a b, so ist der Fall a = b nach (O1) ausdrücklich mit eingeschlossen. Will man den Fall a = b ausschließen, so kann man a < b durch a b und a b definieren. 1.9 Von abgeleitete Schreibweisen Sei eine partielle Ordnung über M und a, b M. Man schreibt auch: a b für b a; a < b für die zusammengesetzte Aussage a b und a b; (iii) a > b für b < a. Damit erhält man folgende Rechenregeln: C 1 [1] 6

Kapitel I Reelle Zahlen 1.10 Regeln für < Sei eine partielle Ordnung über M und < die gemäß 1.9 abgeleitete Relation. Dann erhält man für a, b, c M: Es gilt höchstens eine der drei Beziehungen: a < b, a = b, b < a; (a < b b < c) a < c. Ist eine lineare Ordnung, so gilt zusätzlich: (iii) Es gilt genau eine der drei Beziehungen: a < b, a = b, b < a. Beweis. Ist a = b, dann kann nach Definition 1.9 von < weder a < b noch b < a gelten. Zu zeigen bleibt: a < b und b < a können nicht gleichzeitig gelten. Andernfalls wäre a b und b a, also a = b (siehe (O2) von 1.2), was wegen a < b unmöglich ist. Sei (1) a < b b < c gültig. Dann gilt a b und b c, also auch a c (siehe (O3) von 1.2)). a = c führte wegen (1) zu c < b und b < c. Dies ist aber wegen unmöglich. Also ist a c und daher insgesamt a < c. (iii) Sei also eine lineare Ordnung. Wegen reicht es zu zeigen: Es gilt mindestens eine der drei Beziehungen a < b, a = b, b < a. Sei nun a b, d.h. es sei nicht a = b. Da eine lineare Ordnung ist, gilt a b oder b a (siehe (O4) von 1.2). Wegen a b ist a < b oder b < a (siehe Definition 1.9). In Beispiel 1.1 ist also a < b gleichbedeutend mit a = b. Die Begriffe kleinstes bzw. größtes Element von T werden wir nicht nur auf die reellen Zahlen, sondern häufig auch auf Beispiel 1.1 anwenden. Ist eine lineare Ordnung, so veranschaulicht man sich die abgeleitete Relation < immer auf einer Geraden. a < b bedeutet dann dasselbe wie a liegt links von b. Sind a, b zwei verschiedene Punkte, so liegt nach 1.10 (iii) also entweder a links von b oder b links von a. 1.10 besagt bei dieser Sprechweise: liegt a links von b und b links von c, so liegt auch a links von c. a b c [1] 7 C 1

Axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen Da es bei partiellen Ordnungen, die keine linearen Ordnungen sind, Elemente gibt, die nicht miteinander vergleichbar sind, d.h. für die weder a < b noch b < a gilt, ist in einem solchen Fall eine Veranschaulichung auf einer Geraden nicht möglich. Ist X := {p 1, p 2 } in Beispiel 1.1, so stellt man die von abgeleitete Relation <, d.h. =, etwa folgendermaßen dar: {p 1, p 2 } {p 1 } {p 2 } Aus der linearen Algebra übernehmen wir die Begriffe Gruppe und Körper. 1.11 Gruppe Eine Menge G versehen mit einer Verknüpfung heißt Gruppe, wenn gilt: (G1) (G2) (G3) (a b) c = a (b c) für alle a, b, c G (Assoziativität). Es gibt ein Element e G mit e a = a für alle a G. Ein solches Element e heißt neutrales Element. Zu jedem a G existiert ein Element a G mit a a = e. Ein solches Element a heißt inverses Element zu a. Eine Gruppe (G, ) heißt kommutativ oder abelsch, wenn gilt (G4) a b = b a für alle a, b G. In der linearen Algebra wird bewiesen: 1.12 Eindeutigkeit des neutralen und des inversen Elementes Sei (G, ) eine Gruppe. Dann gilt: Es gibt genau ein neutrales Element e G, und es gilt ferner a e = a für alle a G. Zu jedem a G gibt es genau ein inverses Element, das mit a 1 bezeichnet wird. Für a 1 gilt ferner a a 1 = e. C 1 [1] 8

Kapitel I Reelle Zahlen Mit Hilfe des Gruppenbegriffs läßt sich besonders prägnant der Begriff des Körpers einführen. Ein Körper wird manchmal auch ausführlicher kommutativer Körper genannt. 1.13 Körper Eine Menge K versehen mit zwei Verknüpfungen + und heißt Körper, wenn gilt: (K1) (K2) (K, +) ist eine kommutative Gruppe. Das neutrale Element bzgl. der Addition + wird Nullelement genannt und mit 0 bezeichnet. (K \ {0}, ) ist eine kommutative Gruppe. Das neutrale Element bzgl. der Multiplikation wird Einselement genannt und mit 1 bezeichnet. (K3) Es gilt für alle a, b, c K : a (b + c) = (a b) + (a c). Es werden die üblichen Konventionen für das Rechnen in Körpern verwandt: Das zu a inverse Element bzgl. + wird mit a bezeichnet. Man schreibt a b statt a + ( b). Statt a b schreibt man auch ab, statt a b 1 auch a b oder a : b. Man verwendet die übliche Vereinbarung: Punktrechnung geht vor Strichrechnung. Daher schreibt man z.b. a b + a c an Stelle von (a b) + (a c). Die Körpereigenschaften alleine reichen zur Charakterisierung der reellen Zahlen bei weitem nicht aus. So zeigt man in der linearen Algebra, daß es Körper gibt, die nur aus zwei Elementen bestehen. Die nun in 1.14 eingeführten angeordneten Körper enthalten wie wir später sehen werden unendlich viele Elemente. Ein Körper mit einer linearen Ordnung, die mit der Addition und Multiplikation verträglich ist, heißt angeordneter Körper: 1.14 Angeordneter Körper Eine Menge K versehen mit zwei Verknüpfungen +, und einer Relation heißt ein angeordneter Körper, wenn gilt: (iii) (K, +, ) ist ein Körper. (K, ) ist eine linear geordnete Menge. Für alle a, b, c K gilt: (A) a b a + c b + c, (M) (a b 0 c) ac bc. Die von der Schule her bekannten rationalen Zahlen Q, die in 3 noch einmal genau eingeführt werden, liefern ein Beispiel für einen angeordneten Körper. Zur axiomatischen Charakterisierung des Körpers der reellen Zahlen benötigt man also noch wenigstens eine weitere Eigenschaft. Diese Eigenschaft ist die Ordnungsvollständigkeit. [1] 9 C 1

Axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen Zum Ausgangspunkt der Vorlesungen Analysis I IV werden wir den folgenden Existenz- und Eindeutigkeitssatz machen. Diesen Satz werden wir jedoch nicht beweisen. Er liefert die am Beginn des Paragraphen gesuchte axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen. 1.15 R als angeordneter, vollständiger Körper Ein angeordneter Körper (K, +,, ) heißt vollständig, wenn (K, ) ordnungsvollständig ist. Es gibt einen angeordneten Körper, der vollständig ist. Je zwei angeordnete, vollständige Körper sind isomorph, d.h. sind K 1, K 2 zwei angeordnete Körper, die vollständig sind, so gibt es eine bijektive Abbildung i von K 1 auf K 2, so daß für alle a, b K 1 gilt: i(a + b) = i(a) + i(b), i(a b) = i(a) i(b), a b i(a) i(b). Der nach + bis auf Isomorphie eindeutig bestimmte angeordnete vollständige Körper wird mit R bezeichnet. Seine Elemente werden reelle Zahlen, er selbst Körper der reellen Zahlen genannt. Wegen der Eindeutigkeit des Körpers der reellen Zahlen sind wir berechtigt, auch von dem Körper der reellen Zahlen zu sprechen und ihn mit dem Symbol R zu belegen. Da wir es bei angeordneten Körpern, und somit insbesondere bei R, mit linear geordneten Mengen zu tun haben, halten wir noch eine andere Charakterisierung des Supremums und Infimums für linear geordnete Mengen fest: 1.16 Supremum und Infimum in linear geordneten Mengen Sei eine lineare Ordnung über M und T M. Dann ist s das Supremum von T, wenn gilt: (1) s ist obere Schranke von T ; (2) s < s s ist keine obere Schranke von T. Dann ist s das Infimum von T, wenn gilt: (1) s ist untere Schranke von T ; (2) s < s s ist keine untere Schranke von T. Beweis. Aus 1.6(2) folgt 1.16(2). Ist 1.16(2) erfüllt und s obere Schranke von T, so kann nicht s < s sein. Da aber eine lineare Ordnung ist, muß s s (siehe 1.10(iii)) sein. Also gilt 1.6(2). Für linear geordnete Mengen sind also die Bedingungen 1.6(2) und 1.16(2) äquivalent. Dieses beweist. folgt entsprechend. C 1 [1] 10

Kapitel I Reelle Zahlen Einen genetischen Aufbau des Körpers R der reellen Zahlen findet man z.b. in E. Landau: Grundlagen der Analysis, Chelsea 1965. A. Oberschelp: Aufbau des Zahlensystems, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1976. Einen Überblick über die verschiedensten Zahlbereiche gibt der Band: Grundwissen Mathematik 1, Zahlen, Herausgeber: Ebbinghaus et al., 2. Auflage, Springer 1988. Der hier beschrittene Weg, die reellen Zahlen axiomatisch einzuführen, wurde von dem wohl größten Mathematiker dieses Jahrhunderts, Hilbert (1862 1943), propagiert. Russell hat hierzu gemeint, die Vorzüge, die dieses Vorgehen hat, sind denen ähnlich, die der Diebstahl vor ehrlicher Arbeit hat: Man eignet sich mühelos die Früchte fremder Leistung an. Wir werden nun mit diesem axiomatischen Aufbau starten. In den folgenden beiden Paragraphen werden wir zunächst Eigenschaften für alle angeordneten Körper und damit insbesondere für R beweisen. Die R charakterisierende Vollständigkeit kommt erst ab 4 zum tragen. [1] 11 C 1