Westfälische Kliniken Warstein und Lippstadt. R. Holzbach. Lippstädter Modell. Stationäre Behandlung von Medikamentenabhängigen

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Transkript:

Lippstädter Modell Stationäre Behandlung von Medikamentenabhängigen

Abteilungsaufbau Westfälische Kliniken Warstein und Lippstadt 2 Standorte (Warstein und Lippstadt) 6 Stationen, 110 Betten, 2 Institutsambulanzen Drogenbereich: Jungerwachsene Paare Behandlungserfahrene Migranten Legaler Bereich: Alkohol offen / geschlossen Basis-Gruppe / Behandlungserfahrene Medikamentenabhängige Migranten Übergreifend: Sucht + Angst Sucht + Depression (Sucht + Psychose)

Eigentliches Thema: völlig unzulänglicher Erreichungsgrad

In der Bundesrepublik Deutschland ca. 1,5 Mio. Alkoholabhängige ca. 1,9 Mio. Medikamentenabhängige aber : weniger als 0,5% aller Medikamentenabhängige kommt jährlich in stationäre Entzugs-Behandlung.

Stationäre Behandlung von Medikamentenabhängigen Probleme im Vorfeld der Behandlung -ärztliche Ebene -Betroffenen-Ebene Probleme im stationären Behandlungsrahmen -Entzugssymptomatik -Inkompatibilität der Krankheitskonzepte

Probleme im Vorfeld der Behandlung - ärztliche Ebene Wird nicht erkannt Wird nicht ernst genommen Wirkverlust wird fehlinterpretiert Entzug erscheint nicht zumutbar Behandelbarkeit Grundproblem unterschätzt - Betroffenen-Ebene Passive Grundhaltung Nicht erkannt Fehlinterpretation Entzugssymptome Folgeerscheinungen mindern Veränderungsmöglichkeit

Symptome der Benzodiazepin-Abhängigkeit typische Trias Gefühlserleben abgeschwächt Vergesslichkeit und geistige Leistungsminderung gestörtes Körpergefühl / verminderte körperliche Energie akzessorische Symptome gereizte Verstimmungszustände Fähigkeit zur Selbstkritik abgeschwächt Konfliktvermeidung Überforderung in bzw. Vermeidung von neuen oder belastenden Situationen muskuläre Schwäche, ggf. mit Reflexverlust Appetitlosigkeit Vermeidung des Themas Tabletten / heimliche Einnahme

Probleme im stationären Behandlungsrahmen -Entzugssymptomatik Fehlendes Wissen um Entzugserscheinungen Entzugserscheinungen erschweren Integration Psychische Störungen sprengen Rahmen Suchtmedizin

Benzodiazepin-Entzugssymptome Unspezifische Symptome Häufigkeit in % Schlafstörungen 71 Angst 56 Verstimmung / Stimmungsschwankungen 49 Muskelschmerzen / -zuckungen 49 Zittern 38 Kopfschmerzen 38 Übelkeit / Brechreiz / Appetitverlust 36 Schwitzen 22 Verschwommenes Sehen 20 Wahrnehmungsstörungen Überempfindlichkeit + gegen Geräusche 38 + gegen Licht 24 + gegen Geruch 15 + gegen Berührung 7 Qualitative Veränderung Bewegungen >24 Sehen >13 Geschmack 13 Hören 2 Geruch 2 nach Schöpf 1983, Laux 1995

Probleme im stationären Behandlungsrahmen -Inkompatibilität der Krankheitskonzepte Abgrenzung gegenüber Alkoholikern (z.b. andere psychosoziale Situation) Rigides SHS Patienten müssen Abhängigkeit bekennen System Sucht oder System psychische Störung

Konzept der Medikamentengruppe: Ursprünglicher Ansatz (entwickelt am UKE Hamburg): Motivationsgruppe und Entzugs-Gruppe Im Verlauf: Unterstützung Entzug Information Sucht-Identitäts-stiftend

Untersuchung der Inanspruchnahme (UKE Hamburg) (Dezember 2002 bis März 2004) 102 PatientInnen 69% Frauen (51 ± 11 Jahre), 12 ± 16 Sitzungen 31% Männer (46 ± 11 Jahre), 10 ± 15 Sitzungen

Patienten-Charakteristika 45% ohne Vorerfahrung mit Alkohol - Frauen 54%, Männer 29% 71% Komorbidität - Frauen 69%, Männer 73% 96% Benzodiazepine 28% Opiaten 14% freiverkäufliche Schmerzmitteln (lifetime)

Zugang / Erstkontakt 58% innerhalb des stationären Entzuges 4% nach der Entlassung 14% von anderen Stationen der Klinik 21% über die Ambulanz 3% über andere Zugangswege.

Haltequote 26% nur von Station 25% nur ambulant 28% von Station und ambulant 7% nur von anderen Stationen der Klinik 8% von anderer Station und ambulant 6% von anderen Stationen, Station, ambulant 2,8 mal von Station aus 4,2mal von anderen Stationen der Klinik 12,5mal ambulant Frauen 12 ± 16 Sitzungen Männer 10 ± 15 Sitzungen

Lippstädter Ansatz Qualifizierung Mitarbeiter Suchtmedizinische und psychiatrische Kompetenz Eigene Gruppen-Therapie

Rahmen Schwerpunkt-Station für Medikamentenabhängige und Komorbide (Sucht + Angst, Sucht + Depression) ausschließlich stationäre Patienten Einbindung in das Grund-Programm Qualifizierter Entzug 1x wöchentlich Medikamenten-Gruppe Information Mitpatienten

Effekte des veränderten Settings Durch das Fehlen der erfahrenen (ambulanten) Patienten: weniger Austausch untereinander Gruppenleiter alleiniger Experte Schwerpunkt Informationsvermittlung Weniger sucht-identitäts-stiftend Weiter hohe Haltequote

Bei allen Gemeinsamkeiten die Besonderheiten der Medikamentenabhängigen müssen berücksichtigt werden

Bei der Behandlung zu berücksichtigen: älter weiblicher sozial integrierter komorbider differente Krankheitskonzepte ( ich bin abhängig, nicht süchtig ) differente Behandlungskonzepte ( erst muss meine psychische Krankheit XY behandelt sein, dann kann ich mit den Medikamenten aufhören ) andere Prioritäten ( meine psychischen Probleme stehen im Vordergrund ) Gefühl des (medizinisch) gerechtfertigten Konsums ( ich habe das Medikamente wegen Krankheit XY genommen, nicht um mich zu berauschen ) passives Opfermodell ( mein Arzt hat mir doch die Tabletten verschrieben ) Vorurteile gegenüber Alkoholikern verbunden mit dem Bedürfnis sich gegenüber diesen abzugrenzen ( Ich bin keine haltloser und willensschwacher Mensch ) auch viele Ärzte sehen bei der Niedrigdosisabhängigkeit keine Behandlungsnotwendigkeit aus Unwissenheit über die Folgen

Therapeutische Ansatzpunkte: hoher Anspruch zu funktionieren mit geringer Beziehungsfähigkeit Defizite in der Wahrnehmung eigener Gefühle und Defizite in der Wahrnehmung (und Umsetzung) eigener Bedürfnisse.

Empfehlung für andere Kliniken / Abteilungen ( Mindest-Standard ): Schulung der Mitarbeiter Info-Gruppe Info für Mitpatienten Wo möglich gemischte ambulante stationäre Gruppe Mitbehandlungsmöglichkeit von Begleiterkrankungen