Dialyse: Ende und Neubeginn?

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1 KfH Nierenzentrum Würselen, 01. 10. 05 Das Beste aus dem Leben machen Umgang mit chronischer Krankheit Dialyse: Ende und Neubeginn? DP Theodora Wirth-Junghöfer & DP Martin Junghöfer, Bonn Wenn ein Mensch dialysiert, sind seine Nieren so sehr beschädigt, daß dieser Mensch ohne Dialyse bald sterben würde. Deswegen ist der Beginn der Dialyse als ein Ende zu bezeichnen eines meistens schleichenden, manchmal rapide verlaufenden Verschlimmerungsprozesses. Gäbe es keine Dialyse egal ob HD oder PD hier wäre das Ende des Lebens erreicht! Schauen wir uns einmal die fünf großen, lebensnotwendigen Organe an: Herz, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nieren und stellen wir uns vor, eins dieser Organe fällt total aus und es gäbe keine Transplantation bzw. man müßte sieben Jahre drauf warten: Herz - Tod Lunge - Tod Leber - Tod Bauchspeicheldrüse - Tod Niere - eigentlich auch Tod, aber... Es gibt keinen Dauerersatz für Herz, Lunge Leber und Bauchspeicheldrüse, die ein wenn auch eingeschränktes Leben ermöglichen! Nur bei der terminalen, d.h. beendenden oder beendigten Niereninsuffizienz gibt es eine Chance zum Weiterleben und da dies verglichen mit den anderen lebensnotwendigen Organen durchaus auch als außergewöhnlich bezeichnet werden kann, kann man hier auch von einem Neubeginn sprechen. Soweit diese nüchterne, realitätsgerechte Beschreibung. In einer Oper heißt es: Doch wie s dadrin aussieht, geht niemand was an! Wenn das in der Oper und in unendlich vielen Situationen im Alltag gelten mag, so ist es unsere Profession als Psychologen, genau dies zu durchbrechen und genauer hinzuschauen: Wie sieht s dadrin aus, wenn * die Diagnose gestellt wird: terminale Niereninsuffizienz und * wie kann der Neubeginn optimiert werden? Wir Psychologen heißt hier konkret: meine Frau Theodora Wirth-Junghöfer, 56 Jahre und ich, 59 Jahre alt. Meine Frau ist Betroffene, sie hat sich 2001 für Bauchfelldialyse entschieden und dialysiere mit dem Cycler. Ich bin in diesem Zusammenhang Angehöriger. Von Beruf sind wir beide Psychotherapeuten, wir beide haben weit über 20 Jahre Menschen in und durch Krisen begleitet, vor allem im Zusammenhang mit chronischen Krankheiten, ich bin zudem Fachpsychologe Diabetes das wird später in diesem Vortrag noch wichtig. Weil wir wissen, wie wichtig die seelische Verarbeitung der Krankheit ist, sind wir bestrebt, unser fachliches Wissen - und meine Frau noch zusätzlich ihr Erleben als Betroffene - nutzbringend weiterzugeben.

2 Die erste Frage lautet: Wie sieht s dadrin aus, wenn die Diagnose gestellt wird: terminale Niereninsuffizienz? Aus psychologischer Sicht, genauer aus psychotraumatologischer Sicht wird das Auftreffen einer lebensbedrohlichen Krankheit wie z.b. die Diagnose der terminalen Niereninsuffizienz - als Faktor psychischer Traumatisierung angesehen. Psychische Traumatisierung ist gekennzeichnet: * durch ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten; * durch dauerhafte Erschütterung des Selbst- und des Weltverständnisses; * durch den Verlust von Selbstvertrauen und * durch den Verlust von Vertrauen in die soziale und die pragmatische Realität. Durch die Diagnose entsteht eine existentiell bedrohliche Situation und man erlebt, daß die eigenen alt bewährten Handlungsmöglichkeiten überhaupt nicht greifen, die Situation zu bewältigen. Es kann zu einer dauerhaften Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses kommen nichts ist mehr so wie es vorher war -, zum Verlust des Selbstvertrauens, d.h. Angst und Hilflosigkeit nehmen überhand. Man befürchtet, nichts mehr zu schaffen! Das Vertrauen in die soziale und pragmatische Realität schwindet: man fragt sich, ob das soziale Netz hält oder ob Familie und Freunde mit einem jetzt überfordert sind und einen verlassen. Erschwerend kommt hinzu, daß die Gewalt -einwirkung oder der Angriff nicht von außen, sondern von innen kommt, innerhalb des eigenen Körpers stattfindet. Dadurch kann die bei Streß normale Kampf-Flucht-Reaktion nicht gelingen. Man kann dem Angriff auf die eigene Person von innerhalb des eigenen Körpers nicht ausweichen. Die normalen Bewältigungsmechanismen werden unter diesen Umständen häufig außer Kraft gesetzt, so daß kein Verhaltensrepertoire für diese Situation zur Verfügung steht. So eine Lebenskrise erlebt jeder Mensch, der die Diagnose Nierenversagen erhält. Die Theorie der Psychotraumatologie sagt darüber hinaus auch einen meist regelhaften, phasischen Verlauf voraus und ermöglicht daraus abgeleitete Hilfsmöglichkeiten für die soziale Umgebung des Betroffenen, sowohl der professionellen Helfer als auch der Angehörigen und Freunde. Phase 1: Aufschrei, Überflutung Daraus abgeleitete Hilfe: Sicherheit geben, Rückzugsmöglichkeit nicht nur anbieten sondern wirklich geben, Einbinden des sozialen Umfeldes, nicht allein lassen, Weichen stellen. Konsequenz für die professionellen Helfer: sich selbst nicht abschrecken lassen von Gefühlen der Hilflosigkeit; die Erkenntnis Raum greifen lassen, daß Helfer nicht alles alleine leisten können! Phase 2: Vermeidung, Verleugnung, Abstumpfung, Dichtmachen Daraus abgeleitete Hilfe: Geduld! Nur im äußersten Notfall über den Kopf des MmN hinweg entscheiden! Ressourcenorientiert vorgehen, Ich-Stärkung

3 Phase 3: Intrusion, d.h. sich aufdrängende Bilder und Gedanken Daraus abgeleitete Hilfe: den MmN zu verstehen geben, daß das NORMAL ist, daß sie sich schon in der 3. Von 4 Phasen befinden; sie ermuntern, mit anderen Betroffenen zu reden, die diese Phantasien kennen (Selbsthilfegruppe)! Auch abstruseste Phantasien, Ängste, Befürchtungen müssen zugelassen werden; man muss alles aussprechen dürfen! Phase 4: Durcharbeiten Daraus abgeleitete Hilfe: Helfen, die Dialyse in das jeweilige individuelle und einzigartige Leben zu integrieren, so daß man sie leben kann. Mit Hilfe der Psychotraumatologie kommt man also auch vom Ende zum Neubeginn. Ich habe vor einigen Tagen in einem Buch über Sprache den wundervollen Satz gelesen: Der Mensch, der in fast allen irdischen Umwelten zu überleben versteht, ist das anpassungsfähigste aller Tiere, und das Nonplusultra seiner Anpassungsfähigkeit ist die Sprache... Sprache ist u.a. das wesentliche Medium, mit dem wir uns gegenseitig helfen, bei Katastrophen, bei Traumata und in der hoffentlich langen Phase danach, der Phase im und nach dem Neubeginn. Erinnern wir uns, die zweite Frage hieß: Wie kann der Neubeginn optimiert werden? Nach unserer Überzeugung und der vieler anderer professioneller Helfer, die im Bereich verschiedenster chronischer Krankheiten arbeiten, soll/muß an diesem Neubeginn an oberster Stelle das Wort Selbstbestimmung stehen bzw. gestellt werden, und das sowohl auf Seiten der Betroffenen als auch auf der Seite der professionellen Helfer. Dieses Statement fordert heraus zum Nachdenken, zum Umdenken, zur neuen Einnordung des zukünftigen Lebens nach dem Neubeginn. Was meint Selbstbestimmung und warum ist Selbstbestimmung so wichtig? Selbstbestimmung erfordert von beiden Seiten die Bereitschaft, umzulernen: von den Betroffenen, den Mut aufzubringen, das Leben in der eigenen Hand zu halten und von den professionellen Helfern die Bereitschaft, den mündigen Patienten auch mündig sein zu lassen. Dies setzt bei beiden die Bereitschaft voraus, sich immer mal wieder zu hinterfragen Betroffene und Helfer und sich gelegentlich zu korrigieren. Wenn die professionellen Helfer dies verstehen, können sie die Betroffenen besser darin unterstützen und laufen nicht Gefahr, das manchmal aufmüpfige Verhalten von den Patienten als Trotzigkeit oder Angriff auf ihre Kompetenz zu interpretieren. Bitte denken Sie nicht, daß dies ein irgendwie geartetes emanzipatorisches Geschwätz sein soll. Selbstbestimmung ist eine existentielle Angelegenheit für alle; sie kann nur zusammen erreicht werden. * Die Krankheit nimmt dem Menschen die Kontrolle über sein Leben aus der Hand. * Durch die Behandlung versucht er, wieder ein Stück Kontrolle zurück zu erhalten. * Alles, was dazu angetan ist, dem Betroffenen die Kontrolle über sein Leben zu erhalten oder wieder zu geben, ist ein richtiger Schritt in Richtung Lebensqualität.

4 Als Psychodiabetologe und Ehemann einer Frau mit Nierenversagen vergleiche ich immer wieder Menschen mit Diabetes und Menschen mit Nierenversagen und ich versuche mit meiner Frau zusammen das, was auf dem Sektor der Selbstbestimmung in der Diabetologie nach einer langen Phase der z.t. kontroversen Entwicklung weitgehend selbstverständlich ist, auch in die Nephrologie hineinzutragen. In diesem Zusammenhang habe ich letzte Woche einen Versuch gewagt, den ich hier vorstellen möchte. Es gibt von der DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) eine offizielle Patientenleitlinie Psychosoziales und Diabetes und ich habe diese übersetzt, so als gäbe es eine offizielle Patientenleitlinie Psychosoziales und Niereninsuffizienz der GfN (Gesellschaft für Nephrologie). Hier also dieser Übersetzungsversuch: Psychosoziales und Niereninsuffizienz Bei der Therapie der Niereninsuffizienz kommt dem Patienten die entscheidende Rolle zu, da dieser die wesentlichen Therapiemaßnahmen dieser Krankheit in seinem persönlichen Alltag dauerhaft und eigenverantwortlich umsetzen muß. Die Prognose der Niereninsuffizienz hängt daher zu einem großen Teil davon ab, inwieweit dies dem Betroffenen auf dem Hintergrund seines sozialen, kulturellen, familiären und beruflichen Umfeldes gelingt. Dies wird erschwert, wenn eine Person mit Niereninsuffizienz * zu wenig Wissen über die Erkrankung und deren Behandlung hat und ungenügende Fertigkeiten besitzt, um damit im Alltag zurechtzukommen, * die Niereninsuffizienz gefühlsmäßig nicht akzeptiert hat, * eine sehr negative Einstellung gegenüber der Erkrankung und der Niereninsuffizienztherapie hat, * Probleme im Umgang mit den Anforderungen der Niereninsuffizienztherapie und möglichen schweren Komplikationen hat, * Lebensgewohnheiten nicht verändert, die einer erfolgreichen Behandlung entgegenstehen (z.b. Essensgewohnheiten), * Persönliche Probleme oder schwierige Lebensumständen hat, die einer erfolgreichen Niereninsuffizienzbehandlung im Alltag entgegenstehen, * zusätzliche psychische Probleme oder Erkrankungen hat (z.b. Depressionen, Ängste, Essstörungen, Suchterkrankungen). Es gibt eine Reihe wirksamer psychosozialer Hilfsmöglichkeiten, die Patienten mit Niereninsuffizienz unterstützen, möglichst erfolgreich mit ihrer Therapie zurechtzukommen und trotz der Erkrankung eine gute Lebensqualität zu erhalten. Die Patientenschulung * In der Niereninsuffizienzschulung sollen Patienten mit Niereninsuffizienz Kenntnisse und Fertigkeiten im Umgang mit ihrer Erkrankung erlernen, die sie befähigen, auf der Basis eigener Entscheidungen die Niereninsuffizienz in das eigene Leben zu integrieren, akute oder langfristige negative Konsequenzen der Niereninsuffizienz zu vermeiden und die Lebensqualität zu erhalten.

5 * Die strukturierte Patientenschulung ist ein unverzichtbarer Teil der Behandlung von Menschen mit Niereninsuffizienz. * Jede Person mit Niereninsuffizienz hat ein Recht auf eine Schulung. Eine Basisschulung sollte nach Möglichkeit unmittelbar zu Beginn der Erkrankung erfolgen. Entsprechend dem Wissens- und Kenntnisstand, den Therapieanforderungen, wie auch den Bedürfnissen der Patienten sollte eine erneute Grund-, Aufbau-, Wiederholungs- oder problemspezifische Schulung wahrgenommen werden. * Die Inhalte und Methodik einer Niereninsuffizienzschulung hängen von der Therapieform wie auch dem Alter, den Fähigkeiten und der Motivation einer Person ab. Daher müssen Schulungsangebote angemessen diese verschiedenen Einflußfaktoren berücksichtigen. Eine gemeinsame Schulung von Patienten mit verschiedenen Formen der Dialyse (HD oder PD) oder sehr unterschiedlichem Vorwissen, Fertigkeiten oder Alter ist daher nicht sinnvoll. * Im Rahmen der Patientenschulung sollen Patienten motiviert werden, persönliche Behandlungsziele zu formulieren. Sie sollen angemessene Hilfestellungen erhalten, um diese Ziele im Alltag zu erreichen. Ende des Übersetzungs- bzw. Übertragungsversuchs. Es gibt hier wie ich meine zwei Kernsätze: 1. Bei der Therapie der Niereninsuffizienz kommt dem Patienten die entscheidende Rolle zu, da dieser die wesentlichen Therapiemaßnahmen dieser Krankheit in seinem persönlichen Alltag dauerhaft und eigenverantwortlich umsetzen muß und 2. Jede Person mit Niereninsuffizienz hat ein Recht auf eine Schulung. Zu 1: Hier wird unmißverständlich die Selbstbestimmung der Menschen mit einer chronischen Krankheit an die erste Stelle dieser Leitlinien gesetzt! Hier wird der Mensch mit Niereninsuffizienz und der professionelle Helfer auf die gleiche Stufe der Verantwortung gehoben. Das ist, so habe ich manchmal den Eindruck gewonnen, für Betroffene mindestens genauso schwierig wie für professionelle Helfer, weil sie, die Betroffenen, aus dem alten Trott des passiv leidenden Patienten heraustreten müssen, der alle Verantwortung an den Arzt delegiert. Diese immer noch weit verbreitete Haltung gelingt letztlich bei chronischen Krankheiten nicht. Diese Erkenntnis setzt sich immer weiter durch. Viel persönliches Engagement ist am wirken, sowohl von Betroffenen in vielfältigen Formen wie z.b. Selbsthilfegruppen oder wie in unserer Gruppe, dem HDP. Aber natürlich engagieren sich auch sehr viele professionelle Helfer in diesem Sinne wie z.b. die meisten Praxen, in denen wir betreut werden und viele andere, auch die handelnden Personen dieser Schwerpunktpraxis hier in Würselen. Es gibt sehr viele Initiativen und Aktivitäten in diese Richtung Selbstbestimmung

6 Zu 2.: Das beinhaltet auch, daß es viele Schulungen und Aufklärungsveranstaltungen gibt, von den Praxen, den Kliniken, den Firmen, den Selbsthilfegruppen usw. Aber, so meinen wir, sie sind noch zu sporadisch, zu vereinzelt und beileibe nicht selbstverständlich. Deswegen hier die Forderung: Jede Person mit Niereninsuffizienz hat ein Recht auf eine Schulung. Und das beinhaltet natürlich auch eine gesicherte Finanzierung. Ich wünsche mir, daß wir alle gemeinsam diese beiden Minimalessentiales, Selbstbestimmung und Schulung, zu einem gelungenen Neubeginn für viele werden lassen. Ich danke Ihnen - auch im Namen meiner Frau - für Ihre Aufmerksamkeit.