Manuskript Beitrag: Burnout durch Arbeit Unternehmen treiben Mitarbeiter in die Krankheit Sendung vom 28. August 2012 von Christian Esser und Manka Heise Anmoderation: Allzeit bereit. Immer erreichbar. Und stets auf Bewährung. So muss funktionieren, wer seinen Job behalten will. Weil er in einem Unternehmen arbeitet, das Mitarbeiter und ihre Leistungsbilanz bis ins Letzte auswertet. Gute und miese Noten verteilt. Aus dem Druck wird häufig totale Erschöpfung - Burnout. Das Stress- Syndrom grassiert geradezu in vielen deutschen Unternehmen. Einst gerühmt für vorbildliche Arbeitskultur, scheinen sich manche Firmen immer mehr in die Gnadenlosigkeit zu verabschieden, zeigen Christian Esser und Manka Heise. Text: O-Ton Natascha Derbort: Ich konnte die Treppe mit den Tüten nicht mehr hoch laufen und da habe ich gemerkt, irgendwas stimmt hier nicht mehr. Und da habe ich richtig Angst bekommen. O-Ton Anke Domscheit-Berg: Ich glaube, es liegt immer noch daran, dass die meisten Unternehmen Arbeitskräfte als Ressource betrachten und nicht als Mensch. Thomas Radermacher: Der Akku ist leer. Die brechen zusammen und sind dann erst einmal von der Bildfläche verschwunden. O-Ton Mahmet Karahasan: Was ihn halt zermürbt hat, war einfach die Arbeit. Aus dem Hamsterrad kam er nicht raus. Bayram Karahasan schafft es nicht. Immer mehr und immer schneller im Hamsterrad zu arbeiten. Neun Jahre lang war er im Großkundenvertrieb beim Softwarekonzern Microsoft beschäftigt. Sein Job machte ihm lange Spaß. Doch irgendwann wurde es zu
viel, immer weniger Freizeit, ständige Erreichbarkeit. Sein Bruder erzählt, wie sein Vorgesetzter mit ihm umging. O-Ton Mahmet Karahasan: Es sind so Kommentare wie: Das schaffst du sowieso nicht. Wo bleiben denn deine Umsatzziele? Jetzt gib mal Gas. Aber weißt du was, das klappt ja sowieso nicht. oder Dich kriege ich noch. Am Ende hält er den Druck nicht mehr aus. Stürzte sich vor drei Jahren in den Tod. O-Ton Mahmet Karahasan: Ja, was passiert ist eben, dass da mein Bruder liegt und vom 13. Stock eben gesprungen ist. Mit Sicherheit hat der Job ihn krank gemacht. Das, was seine letzten Aussagen waren - ganz klar, er ist kaputt, er ist am Ende, er ist im Burnout. Er hatte eine Kommunikation mit seinem Chef, wo er sich ja noch entschuldigt, dass er wirklich es probiert hat, da zu sein und er schafft s nicht. Und als Antwort von seinem Chef kommt nicht: Mensch super, sieh zu, dass du auf den Weg kommst. Passt schon, mach dir keine Sorgen. Nein, nur ein ganz kurzer Satz: Hast du auch die anderen Kollegen und die anderen Teams verständigt, dass du nicht mehr dabei bist? Und das ist ein bisschen schwach, ein bisschen wenig. Hier in der Münchner Microsoft-Zentrale hat Bayram zuletzt gearbeitet. Für den Pressesprecher von Microsoft war der Selbstmord Folge einer Depression. Eine Mitschuld des Unternehmens kann er nicht erkennen, man habe ihm schließlich Hilfe angeboten. Ob aus dem Bereich, den wir als Arbeitgeber zu vertreten haben, was schief gelaufen ist, glaube ich eigentlich nicht. Also ich glaube, dass es eine Menge von Dingen waren, die zusammen gekommen sind. Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Arbeit selber nicht der Auslöser dafür war. Sie glauben, das Privatleben war der Auslöser? Es gibt viele Faktoren, die uns als Menschen glücklich oder unglücklich machen können, das ist die Freizeit, das ist die Arbeitszeit. Ich habe jeden Tag 1.440 Minuten, um mich glücklich oder unglücklich zu machen. Unglücklich hat viele Mitarbeiter das harte Bewertungssystem bei Microsoft gemacht. So etwas gibt es auch in anderen Firmen, doch bei Microsoft wird es auf die Spitze getrieben.
Das kritisiert Thomas Radermacher. Er ist Betriebsrat beim Software-Riesen. Er erklärt uns, wie durch ein Schulnotensystem dauernder Konkurrenzdruck erzielt wird. Das Perfide daran: Schlechte Noten müssen vergeben werden. O-Ton Thomas Radermacher, Betriebsrat Microsoft: Wenn ich eine Gruppe von hundert Leuten habe und alle haben eine super Leistung gemacht, muss es fünf geben, die eine fünf haben, ne schlechte Wertung, und zehn, die auch eine schlechte Bewertung haben, eben ne vier. Das heißt, es ist von vornherein festgelegt, egal wie die Leistung ist, wenn alle toll sind - ich habe hundert Mitarbeiter: gibt es fünf, die einfach weinend aus dem Zimmer laufen, wenn sie ihre Note sehen, und zehn, die mindestens geknickt sind, wenn nicht sehr unglücklich. Und das ist meines Erachtens, das ist wirklich menschenverachtend. Kollegen von Thomas Radermacher, die nicht erkannt werden wollen, hat dieses System krank gemacht. O-Ton Microsoft-Mitarbeiter: Ich bekomme schlechte Noten, obwohl ich gute Umsätze mache und meine Kunden zufrieden mit mir sind. Trotzdem werde ich abgemahnt oder noch schlimmer, man will mich schnell mit einem Aufhebungsvertrag loswerden. Das ist einfach absurd. O-Ton Microsoft-Mitarbeiter: Microsoft ist ein Durchlauferhitzer. Die können sich ihre Mitarbeiter immer noch aussuchen. Das heißt, im Grunde tut es dem Unternehmen nicht weh, wenn, na sagen wir mal, es einen gewissen Schwund gibt. Die Folge: Erschöpfung Burnout. Diese Krankheit gibt es nicht nur in der IT-Branche, sie hat längst die Masse der Betriebe ergriffen. Die Krankenkassen haben in den vergangenen Jahren eine deutliche Zunahme von Burnout registriert: Laut AOK waren 2004 nicht einmal ein Prozent vom Burnout betroffen. In den vergangenen sieben Jahren stieg die Zahl jedoch deutlich an. 2011 blieben fünfmal so viele zu Hause, konnten wegen Erschöpfung nicht mehr arbeiten. Natascha Derbort, ehemalige Kommunikationsberaterin. Auch sie litt unter Burnout. Inzwischen betreibt sie eine Beratungsstelle in Frankfurt. Nach ihrer Erfahrung müssen Arbeitnehmer überall die Folgen von Rationalisierung und Arbeitsverdichtung tragen. O-Ton Natascha Derbort, Bertatungsstelle für Burnout: Was ich sehr häufig höre, ist die Tatsache, dass die
Mitarbeiter häufig zehn bis sechzehn Stunden arbeiten, aber das es nie reicht, um die Arbeit zu erledigen. Das ist demotivierend, das ist erschöpfend. Gleichzeitig erlebe ich, dass der Druck steigt. Das heißt, dass Vorgaben gemacht werden, wie Umsatzzahlen oder Volumen von Arbeit oder Projekten, von denen die Mitarbeiter von vornherein wissen, dass sie die gar nicht erfüllen können. Anke Domscheit-Berg ist heute Unternehmerin. Zuvor hat sie jahrelang im Management internationaler Firmen gearbeitet - oft am Limit. Nach 15 Jahren stieg sie aus: Burnout. Heute spricht sie offen über Druck, Konkurrenzkampf und die ständige Erreichbarkeit. O-Ton Anke Domscheid-Berg, Unternehmerin: Wenn ich immer damit rechnen muss, dass mich einer irgendwo abfängt, wo ich grad auf dem Weg bin, das Kind abzuholen oder beim Tatort gucken sitz, oder mit den Kindern gerade spiele, und die Kinder auch erleben, Mama oder Papa gehen da immer ran und gucken wieder total gestresst. Das ist keine Erholung. Das ist immer so auf Standby und Standby brennt aus wie ne Glühbirne. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt herrscht inzwischen ein System permanenter Bewährung und Bewertung. Arbeitsplätze sind unsicher, Verträge immer öfter befristet. Viele halten das nicht aus. O-Ton Prof. Gerhard Bosch, Arbeitssoziologe, Universität Duisburg-Essen: Sie wissen, es geht nicht weiter, wenn sie das Projekt nicht erfolgreich zu Ende bringen, wenn Sie die Fristen überschreiten. Sie wissen, es geht nicht weiter, wenn sie schlechte Werte in der Personalbeurteilung bekommen, wenn sie sozusagen, heute heisst das so schön, ein schlechter Performer sind. Das heißt, vielen Beschäftigen wird vorgerechnet, dass sie eigentlich nur beschäftigt werden können, wenn sie sich betriebswirtschaftlich rechnen. Und da wird Unsicherheit und Angst mit verbreitet. Diese Angst hat vor allem die Mitarbeiter großer Konzerne erreicht, die in den vergangenen Jahren reorganisiert, verschlankt wurden. Das zeigt die Analyse einer Klinikkette. Beispiele: Von den 35.000 Mitarbeitern haben bei E.ON schätzungsweise 2.500 Menschen Burnout. Bei der Post sind von 168.000 Mitarbeitern etwa 11.600 von der Krankheit betroffen. Und bei Daimler sieht es ähnlich aus. Von den 168.000 Mitarbeitern leiden bis zu 11.400 unter Burnout.
Auch bei der Lufthansa sind von 67.000 Mitarbeitern bis zu 4.500 von Burnout betroffen. Die IT-Branche ist oft Vorreiter, wenn es um angebliche Leistungssteigerung bei den Mitarbeitern geht. Und hier ist die Burnout-Rate doppelt so hoch wie in anderen Betrieben. Beispiel Microsoft. Hier spiegelt sich das offenbar in der Krankenstatistik wieder. Die Zahlen werden uns aus der Zentrale zugespielt. Wir fragen nach: Seit 2008 hat sich die Anzahl der Mitarbeiter, die sich krank gemeldet haben, verdoppelt. Wie kann so was sein? Also ich kann es ehrlich gesagt nicht kommentieren, die sehe ich heute zum ersten Mal, müsste ich tatsächlich Rücksprache halten. O-Ton Frontal 21: Auch die Krankheitstage sind von 6.200 auf 9.600 gestiegen. Habe ich jetzt spontan, ehrlich gesagt, keine Erklärung für. Also, das ist doch Ihre eigene Krankenstatistik aus der Personalabteilung. Okay. Wo auch hervorgeht, dass die Langzeitkranken sich verdoppelt haben. Nee, habe ich keine Erklärung für, sorry. Im Nachhinein bestätigt Microsoft die Entwicklung bei den Langzeiterkrankten, streitet aber die anderen Zahlen ab. Wie lange hält die Gesellschaft die Überforderung von Menschen noch aus? Schon jetzt fallen immer mehr Beschäftigte für immer längere Zeit aus. Das Ergebnis einer Unternehmensunkultur, die Mitarbeiter nicht als Menschen sondern als Ressource betrachtet. Abmoderation: Was in den Unternehmen so eingespart wird, das zahlen wir alle
wieder drauf - als wachsende Kosten für die Krankheiten der Überarbeiteten. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.