Elke Kirchhoff-Rode Wohlbefinden und Lebensqualität bei Demenzbetroffenen ALeWo das praxisnahe Assessmentinstrument für Pflegekräfte Zielgerichtet beobachten Wohlbefinden erkennen Lebensqualität bieten
Nutzen zusätzlicher Dokumentation aufgebürdet, um die externen Qualitätskriterien (u. a. durch den MDK) zu erfüllen, die ihren Ursprung in den gesetz lichen Vorgaben zur Sicherung einer guten Pflegequalität haben. Gelingt es, die Mitarbeiter in die Entwicklung und Umsetzung von hausinternen Assessments einzubeziehen und deutlich zu machen, welchen Nutzen es für die eigene Arbeit bringen kann, wird dieser Prozess leichter vonstatten gehen: Das Einbeziehen der Mitarbeiter in die Entwicklung von hausinternen Assessments steigert lt. Umfragen bei den Pflegenden ihre eigene Motivation. Die Einsicht in die Notwendigkeit bedeutet, dass das Dokumentieren nicht mehr ausschließlich als ein überflüssiges Übel und»viel Schreiberei«angesehen sondern der Nutzen deutlich wird. Es wird als hilfreich für eine geplante, individuelle und professionelle Pflege erkannt. 3.2 Nutzen Der Nutzen von ALeWo lässt sich auf drei Ebenen fixieren: 1. Die Auswertung des ALeWo geht bestenfalls für den einzelnen Kunden mit einer Verbesserung seines Wohlbefindens einher. 2. Die MDK-Prüfkriterien werden mit einem geringeren Aufwand erfüllt, als es mit anderen Assessments der Fall ist. Somit kann mit dieser fachkompetenten Arbeit eine gute MDK-Note erzielt werden. 3. Über die Auswertung im Qualitätsmanagement kann es zu einer weiteren Steigerung der Lebensqualität der Kunden kommen. Dafür müssen die Ergebnisse zu Veränderungen auf der Strukturebene führen. Zu den Änderungen auf der Strukturebene zwei kurze Beispiele: Fällt etwa bei der Befragung der Kunden auf, dass mehrere Kunden ein nächtliches Hungergefühl äußern, kann eine generelle Anpassung der Angebote sinnvoll sein. Oder wird vermehrt die Frage nach der Langeweile bejaht, ist es ein Anreiz, hier gezielt Wünsche zu erfragen, um ein neues kundenorientiertes Angebot zu schaffen. 19
20 Anforderungen an ALeWo Wie wertvoll das Ermitteln von Wohlbefinden ist, zeigt der 3. Bericht des MDS über die Qualität in der ambulanten und stationären Pflege (2012):»Wird das Wohlbefinden ermittelt, findet auch die Biografie und die Selbstbestimmung eine größere Berücksichtigung. So ist auch eher die individuelle Körperpflege umgesetzt.«(mds, 2012) Die Annahme dabei ist: Wird der Mensch als Ganzes gesehen, ist es einfacher, sich in seine Welt einzufühlen. Hier unterstützt ALeWO als Baustein eine ganzheitlichen Betrachtung. Wichtig dabei: Das Erfassen von Wohlbefinden sollte nicht als Pflichterfüllung gelten, sondern immer als Chance, sich ein möglichst vollständiges Bild von einem anvertrauten Menschen zu verschaffen. Die Umsetzung scheint trotz bereits vorhandener Empfehlungen durch den MDK (QPR stationär, 2009, S. 189) nicht ausreichend zu gelingen. Der 3. Bericht des MDS (2012) belegt, dass nach wie vor Schwierigkeiten im Bereich des Ermittelns von Wohlbefinden und der Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen bestehen. Bislang wurde nur bei 57 % der betreffenden Zielgruppe das Wohlbefinden ermittelt, obwohl bereits in der Qualitätsprüfrichtlinie (QPR) vom 1.1.2006 das Dementia Care Mapping (DCM) empfohlen wurde, sich aber offensichtlich in der Praxis nicht ausreichend durchsetzte. Ebenso wurde in der QPR von 2009 die Skala der Bradford Dementia Group empfohlen. Es scheint, dass die vorhandenen Assessments wie DCM und die Skala der Bradford Dementia Group nicht im ausreichenden Maß von den Pflegeeinrichtungen angenommen werden. Seit 2011 gibt es ein weiteres, umfassendes Assessment zur Erfassung von Lebensqualität: H.I.L.DE. (Heidelberger Instrument zur Lebensqualität Demenzkranker). Dazu war im 3. Bericht des MDS noch keine Aussage möglich, da H.I.L.DE. zu dem Zeitpunkt der Berichterstellung noch zu neu war. Deutlich ist in jedem Fall: Um den Anforderungen im Bereich»Wohlbefinden ermitteln«des MDK gerecht zu werden, muss ein Assessment zum Tragen kommen, das mit den vorhandenen personellen Ressourcen der Ein-
21 Nutzen richtungen umgesetzt werden kann. Das bedeutet: Das Wohlbefinden der Demenzbetroffenen muss von der Pflegefachkraft bis hin zur der gering qualifizierten Betreuungskraft ermittelt werden können das macht ALeWo möglich. Der Vorteil von ALeWo liegt auch darin, dass es von unterschiedlichen Berufsgruppen genutzt werden kann und so Verbindungen und Schnittstellen geschaffen werden. Betreuungskräfte haben den Kundenkontakt aus einem anderen Blickwinkel als Pflegekräfte und erhalten Informationen von den Demenzbetroffenen, die während der Pflegehandlungen so manches Mal verborgen bleiben. Diese Informationen sind aber unter Umständen durchaus auch für Pflegende hilfreich, etwa um dem sogenannten herausfordernden Verhalten zu begegnen oder eine pflegerische Maßnahme zur Zufriedenheit beider Seiten umzusetzen. Exkurs»Betreuungskraft«Betreuungskräfte bieten zusätzliche Betreuungsangebote für Menschen mit erheblichen Einschränkungen in den Alltagkompetenzen an. Die Grundlage für diese Tätigkeit ist der 87b des Elften Sozialgesetzbuches (SGB XI). Die Qualifikation»Betreuungskraft«umfasst durchschnittlich 160 Stunden Ausbildung. Diese setzen sich aus einem fünftägigen Orientierungspraktikum und einer Qualifizierungsmaßnahme zusammen. Die Qualifizierungsmaßnahme besteht dabei in der Regel aus drei Modulen. Zu Beginn werden in 100 Unterrichtsstunden Grundkenntnisse über Demenzerkrankungen, die spezifischen Anforderungen bei der Kommunikation und dem Umgang mit demenziell Erkrankten sowie Grundkenntnisse der Pflege vermittelt. Es schließt sich ein zweiwöchiges Praktikum an, um Erfahrungen in der Betreuung von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz zu sammeln. Hiernach werden die bislang erworbenen theoretischen und praktischen Erkenntnisse in einem 60 Unterrichtsstunden umfassenden Aufbaukurs vertieft. Inhaltlicher Schwerpunkt sind Methoden und Techniken über Verhalten, Kommunikation, Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitgestaltung für Menschen mit Demenzerkrankungen sowie vertiefende Kenntnisse zur Hauswirtschaft, Ernährungslehre und Rechtskunde.
22 Anforderungen an ALeWo Neben dem Arbeitsgebiet in der stationären Pflege können die Betreuungskräfte ebenfalls für die Tätigkeiten in der ambulanten Pflege im Bereich der 45b Leistungen eingesetzt werden sogenannte niedrigschwellige Angebote. Neben der Nutzbarkeit für die unterschiedlichen Berufsgruppen stellt die Befragungsmöglichkeit der Kunden eine weitere Priorität des neuen Assessments dar. Es ist immens wichtig, dass ihnen die Chance gegeben wird, sich selbst mitzuteilen. Denn im dritten Bericht des MDS (2012, S. 121) wird bei der Erfassung des Wohlbefindens/der Lebensqualität klar formuliert:»( ) der Betroffene muss bei der Frage nach seinem subjektiven Befinden selbst zu Wort kommen können. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass Demenzbetroffene selbst in fortgeschrittenen Stadien ihrer Erkrankung noch über die Fähigkeit verfügen, ihr jeweiliges emotionales Befinden in bestimmten Pflegesituationen zum Ausdruck zu bringen, nämlich nonverbal durch ihre Mimik und Gestik.«Auch die Grundsatzstellungnahme Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen vom MDS (2009, S. 14) untermauert diesen Anspruch:»( ) es sollte zusätzlich immer versucht werden, zu allererst den Menschen mit Demenz direkt zu befragen und nicht vorschnell zu entscheiden, dass er sich ja nicht mehr dazu äußern kann«. Um die nonverbalen Signale der Betroffenen zu dokumentieren, bietet das ALeWO-Formular einfache Dokumentationsmöglichkeiten. Praxisbeispiel Frau Jazz, 89 Jahre, hat eine neurologisch diagnostizierte Demenz vom Alzheimertyp im Stadium I. Die Pflegenden beobachten, dass die noch sehr bewegliche Frau Jazz ein mangelndes Interesse an den hausinternen Beschäftigungsangeboten zeigt und sich zurückzieht. Sie befürchten längerfristige Einschränkungen der Mobilität und eine mögliche Depression, da sich Frau Jazz auch nicht durch Aufforderungen motivieren lässt.
Praktische Kriterien an ein Assessmentformular Eine Mitarbeiterin aus dem Betreuungsteam beobachtet weiter und stellt der Kundin schließlich die Frage nach der Langeweile. Die erweist sich als sehr hilfreich, denn Frau Jazz genießt es nach eigenen Aussagen, Langeweile zu haben, nichts zu tun und einfach nur dazusitzen.»langeweile sei für sie als Kind schon etwas Schönes gewesen«, sagt sie. Als Resultat der Beobachtungen erhält Frau Jazz weiterhin Einladungen, an den Angeboten teilzunehmen, ihre Absagen werden hingegen nicht mehr als Unlust, Unvermögen oder depressive Verstimmung angesehen. Hin und wieder nimmt sie auch mit einem Augenzwinkern an den Gruppenangeboten teil»weil sie nicht immer Nein sagen möchte«. Große Freude bereiten Frau Jazz individuelle Angebote, die sie dann auch in ihrer körperlichen Aktivität fördern. 3.3 Praktische Kriterien an ein Assessmentformular Welche Kriterien werden aus der Praxis an ein neues Assessment/Assessmentformular gestellt? Aus Sicht der Demenzbetroffenen: Das Formular muss zuallererst die Option enthalten, dass der Mensch mit Demenz selbst zu seinem Wohlbefinden befragt wird (MDS Grundsatzstellungnahme, 2009, S. 14). Die Selbsteinschätzungen der Betroffene/Kunde kann selbst beurteilen, ob er mit der Situation zufrieden ist müssen darstellbar sein. Aus Sicht der Mitarbeiter in der Pflege und der Betreuung: Kriterien zur Beobachtung und Beurteilung einer Situation (Fremdeinschätzung) müssen gegeben sein, wenn eine Selbsteinschätzung nicht mehr möglich ist. Wohlbefinden soll abgebildet werden und so das Transparenzkriterium 39 (QPR stationär 16.6) erfüllen. Das Formular muss von der Betreuungskraft bis hin zur Fachkraft auszufüllen sein. Das Formular muss übersichtlich, verständlich, selbsterklärend sein bestenfalls nur»ein Blatt«. 23