BGH, Urteil vom 21. August 2002, BGH NStZ 2003, 35 Berlinfahrt Sachverhalt: Anton ist pleite und möchte von Frankfurt nach Berlin fahren. Er besteigt ein Taxi und lässt sich zuerst an einen bestimmten Ort in der Nähe fahren. Als der Taxifahrer Theo anhält und bei laufendem Motor abkassieren will, richtet Anton eine geladene und schussbereite Schreckschusspistole auf Theos Halsbereich und fordert diesen auf, Innenlicht sowie Sprechfunk auszuschalten und ihn nach Berlin zu fahren. Theo, der die Schreckschusspistole für eine scharfe Waffe hält, nimmt die Drohung ernst und fährt auf die Autobahn in Richtung Berlin. Unter dem Einfluss der fortdauernden Bedrohung kauft Theo für Anton in der Nähe von Kassel für ca. 10 etwas zu essen, lässt ihn mit seinem Handy ein Telefongespräch führen und händigt ihm an einer weiteren Raststätte 10 in bar und die Autoschlüssel aus, weil Anton nochmals etwas zu essen kaufen möchte. Während Anton einkauft, wartet Theo im Taxi. Dabei entdeckt er, dass Anton die Schreckschusspistole unter dem Beifahrersitz versteckt hat und nimmt diese an sich. Als Anton dies bei seiner Rückkehr bemerkt, wirft er die Autoschlüssel ins Taxi und flieht. Wie hat Anton sich strafbar gemacht? Thema: 316a StGB; Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs Anmerkungen: Beckemper, JA 2003, 541
Lösungsübersicht: A. Strafbarkeit wegen eines Betrugs, 263 I StGB (+) - Durch Erlangung der Taxifahrt B. Strafbarkeit wegen einer räuberischen Erpressung, 253 I, 255 StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel (+) b) Nötigungserfolg Problem: Taxifahrt und Wegnahme der Sachen als Nötigungserfolg? BGH: Ja, denn Erpressung ist Grundtatbestand Lit.: Nur bezüglich Autofahrt, bezüglich Übergabe der Sachen keine freiwillige Vermögensverfügung und daher Raub c) Kausalzusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg (+) d) Vermögensnachteil (+) 2. Subjektiver Tatbestand (+) a) Vorsatz bzgl. der objektiven Tatbestandsmerkmale (+) b) Bereicherungsabsicht (+) II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) C. Strafbarkeit wegen einer schweren räuberischen Erpressung, 253, 255, 250 I Nr. 1a, II Nr. 1 StGB (+) Die geladene und schussbereite Schreckschusspistole erfüllt die Qualifikationen des 250 I Nr. 1a, II Nr. 1 StGB D. Strafbarkeit wegen eines erpresserischen Menschenraubs, 239a I StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tatobjekt: ein anderer Mensch (+) b) Tathandlung: Entführen oder Sich-Bemächtigen - Sich-Bemächtigen: Durch Vorhalten der Schreckschusspistole wurde stabile Zwangslage (Fahrt nach
Berlin) geschaffen (+) bb) Ausnutzen der Bemächtigungslage: Duldung der Wegnahme der Sachen (nach h.l. strittig zumindest bzgl. der Wegnahme der Sachen, da hier Raub und nicht räuberische Erpressung vorlag). Bzgl. der Sachen lag hier 239a I Alt. 3 StGB vor, da die Wegnahme der Sachen bei Fahrtantritt noch nicht beabsichtigt war. Daher muss auch jedenfalls versuchter Raub als objektives Tatbestandsmerkmal vorliegen (+) 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz bzgl. der objektiven Tatbestandsmerkmale (+) b) Erpressungsabsicht (bzgl. Taxifahrt) II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) E. Strafbarkeit wegen eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, 316a I StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Verüben eines Angriffs auf Leib, Leben oder Entschlussfreiheit des Kfz-Führers oder Mitfahrers (+) b) Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs (hier: str.) 2. Subjektiver Tatbestand (+) II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
Lösungsvorschlag: A. Strafbarkeit Antons wegen eines Betrugs, 263 I StGB Indem Anton Theos Taxi bestieg und sich zu einem bestimmten Ort fahren ließ, könnte er sich wegen eines Betrugs gemäß 263 I StGB strafbar gemacht haben. In objektiver Hinsicht hat Anton, der bereits zu Fahrtbeginn zahlungsunfähig war, bei Theo die Fehlvorstellung hervorgerufen, dass er die Taxifahrt auch bezahlen wolle und werde, so dass er diesen über Tatsachen, nämlich seine Zahlungswilligkeit und -fähigkeit täuschte. Dies führte zu einem entsprechenden Irrtum Theos. Durch diesen Irrtum veranlasst, nahm Theo die Taxifahrt und damit eine Vermögensverfügung, die regelmäßig in jedem Tun, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt, bestehen kann, vor. Infolge der Nichtzahlung seitens des Anton führte die Taxifahrt auch zu einem Vermögensschaden für Theo. Anton handelte in subjektiver Hinsicht wissentlich und willentlich in Bezug auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes, also mit dem erforderlichen Vorsatz. Zudem wollte er sich auch gezielt einen rechtswidrigen und stoffgleichen Vermögensvorteil verschaffen (Fahrt mit dem Taxi, die ansonsten nur gegen Entgelt zu haben ist) und handelte daher auch mit der erforderlichen Bereicherungsabsicht. II. Rechtswidrigkeit und Schuld Gründe, die Antons Verhalten rechtfertigen oder entschuldigen könnten, sind nicht ersichtlich. III. Ergebnis Anton hat sich durch die erschlichene Taxifahrt wegen eines Betrugs gemäß 263 I StGB strafbar gemacht.
B. Strafbarkeit Antons wegen einer räuberischen Erpressung, 253 I, 255 StGB Durch die nachfolgende Fahrt in Richtung Berlin kommt auch eine Strafbarkeit Antons wegen einer räuberischen Erpressung gemäß 253 I, 255 StGB in Betracht. I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel Indem Anton den geladenen Schreckschussrevolver auf Theos Halsbereich richtete, hat er Theo für den Fall des Widerstands erhebliche Gesundheitsverletzungen in Aussicht gestellt, ihm also mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gedroht. Möglicherweise könnte das Vorhalten der Schreckschusspistole außerdem Gewalt in Form der vis compulsiva darstellen. Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass auf Seiten des Täters keine besondere Kraftanstrengung zur Bejahung der Gewalt erforderlich ist, vielmehr insoweit auch eine minimale Kraftentfaltung sofern eine solche nicht gänzlich für entbehrlich gehalten wird, weil es lediglich auf die Wirkung beim Opfer ankommen soll ausreicht. Streitig ist aber, ob auch auf Opferseite ein nur psychisches Wirken des vom Täter eingesetzten Zwangs genügt oder ob es sich um einen körperlich wirkenden Zwang handeln muss. Eine psychische Zwangswirkung ging von dem von Anton eingesetzten Zwang in jedem Falle aus. Im Interesse der Rechtsklarheit und -sicherheit ist jedoch auch eine irgendwie geartete physische Zwangswirkung zu fordern, die sich dem Sachverhalt vorliegend nicht entnehmen lässt, so dass nur die Alternative der Drohung erfüllt ist. b) Nötigungserfolg Durch die Drohung müsste Anton den Theo zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gezwungen haben. Hier lagen mehrere Tat-
handlungen und Nötigungserfolge vor: Anton erzwang zunächst die Fahrt mit dem Taxi in Richtung Berlin, ließ sich dann von Theo etwas zu essen kaufen, das Handy zum Telefonieren geben und später noch 10 in bar und die Fahrzeugschlüssel aushändigen. Ob der Tatbestand zur Abgrenzung gegenüber dem Raub gemäß 249 StGB ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in Form einer freiwilligen Vermögensverfügung voraussetzt, ist umstritten. Während dies von der Theorie der tatbestandlichen Exklusivität gefordert wird, weil sie in 253 StGB ein Selbstschädigungsdelikt und in 249 StGB ein Fremdschädigungsdelikt sieht, mit der Konsequenz, dass sich Raub und räuberische Erpressung gegenseitig ausschließen, grenzt die Gegenansicht (vertreten auch von der Rechtsprechung), die den Raub als lex specialis zu 253, 255 StGB ansieht, beide Tatbestände nach dem äußeren Erscheinungsbild ab: Ein Raub liege demnach vor, wenn der Täter sich die Sache nimmt, während eine räuberische Erpressung anzunehmen sei, wenn das Opfer dem Täter die Sache gibt. Nach letzterer Auffassung läge hier wegen der Weggabe der oben genannten Sachen durch Theo sowie der Vornahme der Fahrt nach Berlin eine Erpressung vor. Nach der Ansicht der überwiegenden Literatur hingegen stellt sich lediglich die Taxifahrt als mehr oder minder freiwillige Vermögensverfügung seitens des Theo dar, während bezüglich der Übergabe der Sachen diese Freiwilligkeit nicht anzunehmen ist, weil Anton sich diese genauso gut hätte selbst nehmen können. Eine Streitentscheidung ist somit erforderlich. Für die Ansicht der Rechtsprechung spricht offensichtlich der Wortlaut des 253 StGB, der keine Vermögensverfügung verlangt, aber ausdrücklich die Variante des Duldens kennt. Dem kann man in systematischer Hinsicht entgegensetzen, dass durch die Theorie der tatbestandlichen Exklusivität eine einheitliche Struktur der Vermögensdelikte geschaffen wird, nach der Diebstahl und Raub Fremdschädigungsdelikte, Betrug und Erpressung hingegen Selbstschädigungsdelikte sind. Auch wäre es merkwürdig, dass nur bei 253, 255 StGB für den Strafrahmen der lex generalis auf den der lex specialis verwiesen würde. Zudem würde durch die Ansicht der Rechtsprechung die vom Gesetzgeber vorgesehene Privilegierung der Gebrauchsanmaßung umgangen. Für die von der Rechtsprechung vertretene Auffassung lässt sich aber ebenfalls ein
systematisches Argument vorbringen: 253 StGB fordert eine Nötigung, die wie in 240 StGB zu verstehen sei, so dass auch vis absoluta erfasst werden müsse. Würde man 253 StGB indes als Selbstschädigungsdelikt verstehen und damit eine Vermögensverfügung fordern, käme bei der Anwendung von vis absoluta eine Strafbarkeit nach 253 StGB nicht in Betracht. Hiergegen spricht neben dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung, dass regelmäßig ein besonders brutal vorgehender Täter privilegiert würde. Außerdem hinkt der Vergleich zwischen 253 StGB und 263 StGB, weil das Opfer bei einer Erpressung den Vermögensnachteil grundsätzlich nur aus einem Zwang heraus hinnehme. Da nur die Ansicht der Rechtsprechung einen lückenlosen Rechtsschutz gewährleistet und dem Wortlaut des 253 StGB besser gerecht wird, ist ihr zu folgen, so dass weiterhin eine Erpressung zu prüfen ist. c) Kausalzusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg Durch das Vorhalten der geladenen und schussbereiten Schreckschusspistole übte Anton eine länger andauernde Zwangseinwirkung in Form einer Bedrohung mit einer Gefahr für Leib und Leben auf Theo aus. Aufgrund dieser Zwangseinwirkung nahm Theo die Fahrt nach Berlin vor, kaufte Anton etwas zu essen, überließ ihm sein Handy und gab ihm später noch das Bargeld und die Autoschlüssel. Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Nötigungshandlung und den hier mehreren Nötigungserfolgen liegt daher vor. d) Vermögensnachteil Durch die von Theo vorgenommen Handlungen müsste ihm ein Vermögensnachteil entstanden sein. Ein Vermögensnachteil liegt dann vor, wenn bei einem Vergleich zwischen dem Vermögensstand vor und nach der abgenötigten Handlung eine nachteilige Vermögensdifferenz eingetreten ist, ohne dass diese Einbuße durch ein Äquivalent wirtschaftlich voll ausgeglichen wird. Dies ist unzweifelhaft bei der Taxifahrt, dem Einkaufen, dem Telefonieren mit dem Handy und der Übergabe von weiteren 10 in bar der Fall. Zudem entstand Theo aber auch durch die Übergabe der Autoschlüssel ein Vermögensnach-
teil, denn der Besitz am bzw. die faktische Verfügungsgewalt über das Fahrzeug sind ebenfalls Bestandteil des Vermögens. Der objektive Tatbestand der räuberischen Erpressung gemäß 253 I, 255 StGB wurde somit vollständig von Anton erfüllt. 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz bzgl. der objektiven Tatbestandsmerkmale In subjektiver Hinsicht handelte Anton vorsätzlich bezüglich der Verwirklichung des objektiven Tatbestands. b) Bereicherungsabsicht Auch wies Anton die Absicht stoffgleicher Eigenbereicherung auf, wobei ihm bewusst war, dass diese Bereicherung rechtswidrig erfolgte. II. Rechtswidrigkeit und Schuld Rechtfertigungsgründe für Antons Verhalten liegen nicht vor. Nach 253 II StGB muss jedoch zusätzlich die Zweck-Mittel-Relation als verwerflich anzusehen, d.h. die Nötigung sittlich missbilligenswert und sozial unerträglich sein. Hier ist sowohl der angestrebte Zweck ungerechtfertigte Bereicherung durch die Fahrt in Richtung Berlin als auch das dazu eingesetzte Mittel Drohen mit einem geladenen und schussbereiten Schreckschussrevolver rechtlich missbilligenswert. Im Übrigen sind auch keine weiteren entlastenden Umstände ersichtlich, so dass Antons Verhalten auch verwerflich und daher im Ergebnis rechtswidrig war. Weiterhin unterliegt auch Antons Schuld keinen Bedenken. III. Ergebnis Anton hat sich durch die erzwungene Fahrt in Richtung Berlin wegen einer räuberischen Erpressung gemäß 253 I, 255 StGB strafbar ge-
macht. Die ebenfalls verwirklichte Nötigung gemäß 240 I StGB tritt dahinter zurück. C. Strafbarkeit Antons wegen einer schweren räuberischen Erpressung, 253 I, 255, 250 I Nr. 1a, II Nr. 1 StGB Wegen der in 255 StGB angeordneten Bestrafung des Erpressers gleich einem Räuber sind auch die Qualifikationstatbestände des Raubes zu prüfen. In Betracht kommen vorliegend das Beisichführen gemäß 250 I Nr. 1a StGB und das Verwenden einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs gemäß 250 II Nr. 1 StGB. Für das Merkmal des Verwendens genügt es, wenn der Gegenstand wie hier von Anton als Drohmittel eingesetzt wird. Fraglich ist aber, ob eine Schreckschusspistole eine Waffe oder eher ein anderes gefährliches Werkzeug darstellt. Unter dem Begriff der Waffe in 250 I und II StGB sind nur Waffen im technischen Sinn zu verstehen, d.h. Gegenstände, die nach der Art ihrer Anfertigung geeignet und bestimmt sind, bei üblichem Gebrauch Menschen durch mechanische oder chemische Wirkung körperlich zu verletzen. Wenn man die abstrakte Gefährlichkeit betont, kann die Einordnung von Schreckschusspistolen als Waffen deshalb abgelehnt werden, weil eine mit Schreckschussmunition geladene Pistole im Allgemeinen nur die Funktion hat, aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit einer Schusswaffe und durch Erzeugung eines Knallgeräuschs abschreckend zu wirken. Allerdings können jedenfalls dann, wenn eine Schreckschusspistole aus nächster Nähe abgefeuert wird, durch Explosionsgas und Materialpartikel erhebliche Verletzungen auftreten. Insbesondere ergibt sich auch bei Schreckschusswaffen, welche direkt und aus nur geringem Abstand auf den Körper des Opfers gehalten werden, eine erhebliche Verletzungsgefahr, denn zumindest entfalten auch diese beim Abfeuern eine bedrohliche, mitunter lebensgefährliche Druckwelle. Demnach ist eine Gleichbehandlung mit den Waffen im technischen Sinn angebracht. Für diese Einordnung spricht letztlich auch die Tatsache, dass Schreckschusspistolen nach 1 II WaffG i.v.m. Anlage 1, Abschnitt 1, Unterabschnitt 1, Punkt 2.7. nunmehr auch im Waffengesetz als Waffen behandelt werden.
Da Anton auch bezüglich der Verwendung der Schreckschusspistole vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft handelte, ist er wegen einer schweren räuberischen Erpressung nach 253 I, 255, 250 II Nr. 1 StGB zu bestrafen, hinter der die Strafbarkeit aus dem Grundtatbestand gemäß 253 I, 255 StGB sowie die ebenfalls verwirklichte Qualifikation des 250 I Nr. 1a StGB zurücktritt. D. Strafbarkeit Antons wegen eines erpresserischen Menschenraubs, 239a I StGB Auf der Fahrt in Richtung Berlin könnte sich Anton zudem auch wegen eines erpresserischen Menschenraubs gemäß 239a I StGB strafbar gemacht haben, indem er die Bedrohung Theos auch nach dem Eintritt des ersten Nötigungserfolgs, nämlich dem Unterlassen des Abkassierens für die Fahrt, fortdauern ließ und die dabei geschaffene Zwangslage Theos zu weiteren Erpressungshandlungen ausnutzen wollte und auch tatsächlich ausnutzte. I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Durch das Vorhalten der Schreckschusspistole könnte sich Anton des Theo bemächtigt haben. Unter einem Sichbemächtigen ist das Erlangen der physischen Herrschaft über einen anderen Menschen zu verstehen. Infolge der Drohung mit einer Gefahr für Leib und Leben durch das Vorhalten der Schreckschusspistole war Theo so erheblich eingeschüchtert, dass Anton die Herrschaftsmacht über ihn erlangte. Problematisch ist die Tatbestandsvariante des Sichbemächtigens jedoch regelmäßig in Zwei-Personen-Verhältnissen, wie dem hier vorliegenden. Aus der Normstruktur des 239a I StGB als unvollkommen zweiaktigem Delikt ergibt sich, dass es die Absicht des Täters sein muss, die durch Zwangseinwirkung geschaffene Lage zu einer Erpressung auszunutzen. Über den Zwang hinaus, der schon in dem Sichbemächtigen (1. Akt) liegt, muss ein weiterer Zwang, der der eigentlichen vom Täter angestrebten Erpressung (2. Akt) dienen soll, gewollt sein. Der hier von Anton zusätzlich gewollte Zwang bestand darin, Theo zunächst zur Fahrt nach Berlin zu bewegen. Eine hinrei-
chend stabile Zwangslage lag also ab dem Zeitpunkt vor, ab dem Anton die ursprüngliche Bedrohung durch das Vorhalten der Schreckschusspistole fortdauern ließ. Hinsichtlich der weiteren erpresserischen Tathandlungen Herausverlangen der Sachen liegt indes die 3. Variante des 239a I StGB vor, weil die Ausnutzung der Zwangslage hier spontan erfolgte und jeweils nicht von Anton geplant war. 2. Subjektiver Tatbestand In subjektiver Hinsicht handelte Anton vorsätzlich hinsichtlich aller Merkmale des objektiven Tatbestandes und mit der besonderen Absicht, die Sorge Theos um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. II. Rechtswidrigkeit und Schuld Rechtswidrigkeit und Schuld unterliegen keinen Bedenken. III. Ergebnis Mithin ist Anton auch wegen eines erpresserischen Menschenraubs gemäß 239a I StGB zu bestrafen. E. Strafbarkeit Antons wegen eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, 316a I StGB Durch das Bedrohen des Theo mit der Schreckschusspistole nach dem Halt in der Nähe von Frankfurt kommt zudem eine Strafbarkeit wegen eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer nach 316a I StGB in Betracht. I. Tatbestand Dazu müsste zunächst der Tatbestand des 316a I StGB erfüllt sein.
1. Objektiver Tatbestand a) Verüben eines Angriffs auf Leib, Leben oder Entschlussfreiheit des Kfz-Führers oder Mitfahrers Die Tat richtete sich gegen Theo, der Führer eines Kraftfahrzeugs war. In dem Vorhalten der Schreckschusspistole ist eine feindselige Handlung gegenüber Theos Entschlussfreiheit und körperliche Unversehrtheit zu sehen, mithin ein tatbestandsmäßiger Angriff. b) Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs Anton müsste jedoch auch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt haben, d.h. er müsste sich eine Gefahrenlage zu Nutze gemacht haben, die dem fließenden Straßenverkehr eigentümlich ist und gerade deshalb und nur für einen Teilnehmer am Straßenverkehr entsteht. Die Tat muss also in einer engen Beziehung zur Benutzung des Fahrzeugs als Verkehrsmittel stehen. Grund für diese Beschränkung ist einerseits, dass sich der Fahrzeugführer gerade wegen des Lenkens des Fahrzeugs und der damit verbundenen körperlichen und geistigen Aktivität oft nicht effektiv gegen einen Angriff zur Wehr setzen kann, andererseits, dass aufgrund des beengten Raums und der eingeschränkten Möglichkeit, ein sich bewegendes Fahrzeug schnell zu verlassen, das Gefährdungspotential erhöht ist. Angesichts der Tatsache, dass Theo hier angehalten hatte, könnte man bezweifeln, dass Anton die besonderen Verhältnisse des fließenden Verkehrs ausgenutzt hat. Allerdings zählt auch ein verkehrsbedingtes Anhalten eines Fahrzeugs, z.b. vor einer roten Ampel oder in einem Stau, noch zu den typischen Gefahren des fließenden Verkehrs. Erst wenn das Fahrzeug endgültig abgestellt wird, endet die Teilnahme am Straßenverkehr i.s.d. 316a I StGB. Hier hatte Theo den Motor beim Abkassieren nicht abgestellt. Aus seiner Sicht handelte es sich lediglich um einen berufsbedingten vorübergehenden Halt. Insofern nahm er immer noch am Straßenverkehr teil, so dass Anton die besonderen Verhältnisse desselben ausnutzte.
2. Subjektiver Tatbestand Anton wies Vorsatz hinsichtlich sämtlicher Tatbestandsmerkmale auf. Insbesondere nutzte er bewusst die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs aus. Zudem besaß er die Absicht, zumindest die Fahrt nach Berlin räuberisch zu erpressen. Auch der subjektive Tatbestand wurde daher vollständig erfüllt. II. Rechtswidrigkeit und Schuld Anton handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. III. Ergebnis Demnach hat sich Anton auch wegen eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß 316a I StGB strafbar gemacht. F. Gesamtergebnis Wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs sollte hier insgesamt von einer Handlungseinheit ausgegangen werden, so dass Anton wegen folgender tateinheitlich begangener Delikte zu bestrafen ist: 263 I; 239a I; 253 I, 255, 250 II Nr. 1; 316a I; 52 StGB.