9.4 Therapieschema, Auswahl der Medikamente 131 Diuretikum Betablocker * Calcium- Antagonisten AT 1 -Rezeptor- Blocker ACE-Hemmer * Kombination für Dihydropyrine sinnvoll Kombination synergistisch Kombination möglich Abb. 9.3 Antihypertensiva der ersten Wahl sowie mögliche und synergistische Kombinationen Auswahl der Medikamente A Mögliche Risiken der Behandlung dürfen den möglichen Nutzen nicht überschreiten. Um dies für ein Arzneimittel vor allem bei leichter Hypertonie beurteilen zu können,sind methodisch einwandfreie Langzeituntersuchungen bei mehreren tausend Patienten notwendig. Früher waren es vor allem plazebokontrollierte Studien,heute werden für neue Substanzen vergleichende Studien gegen bereits geprüfte und bewährte Antihypertensiva gefordert. A Für alle Antihypertensiva der ersten Wahl bei Beginn der Hochdruck-Therapie (Abb. 9.3) wurde in mehreren derartigen Studien eine Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität nachgewiesen.! Hinweis: Im Einzelfall lässt sich nicht voraussagen,auf welches Antihypertensivum ein Patient mit erhöhtem Blutdruck am besten anspricht. Deshalb sollten die hier gemachten Vorschläge als Orientierungshilfe angesehen werden. A Grundregeln bei Beginn einer antihypertensiven Therapie: Üblicherweiser Beginn mit einer niedrigen Dosis. Die volle Wirkung der Antihypertensiva wird in der Regel innerhalb von zwei bis sechs Wochen erreicht.
132 Um die Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme zu erhöhen, sollten vorzugsweise Antihypertensiva mit gesicherter Wirkung über 24 Stunden verordnet werden (Tab. 9.10 9.12,Tab. 9.14 9.16). Möglichst einfaches Behandlungsschema. Monotherapie 9 Medikamentöse Therapie A Mittel der ersten Wahl: Siehe Abb. 9.3. Bei den Kalziumantagonisten müssen für eine differenzierte Verordnung Untergruppen unterschieden werden: Dihydropyridine (Nifedipin-Typ),Benzothiazepine (Diltiazem-Typ) und Phenylalkylamine (Verapamil-Typ): siehe Differenzialtherapie S. 157. A Alternativen bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten: Zentrale Antisympathotonika und α 1 -Blocker; für diese ist aber bisher eine Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität in plazebokontrollierten Studien oder durch Vergleiche mit den im Therapieschema genannten fünf Substanzgruppen nicht nachgewiesen worden. Zentrale Antisympathikotonika weisen bei höherer Dosierung eine erhebliche Nebenwirkungsrate auf. Postsynaptische α-blocker werden aufgrund der Daten aus der ALLHAT-Studie wegen der signifikant häufigeren Entwicklung einer Herzinsuffizienz unter Doxazosin im Vergleich zu Chlortalidon nicht mehr als Mittel der ersten Wahl für die Monotherapie der Hypertonie empfohlen. A Vorteile: Differenzialtherapeutische Überlegungen sind bei einer Monotherapie leichter umzusetzen,z. B. Einsatz von ACE-Hemmer oder AT 1 -Rezeptorblocker bzw. Meiden von Diuretika und β-blockern bei Diabetes mellitus.! Hinweis: Bei leichter bis mittelschwerer Hypertonie ist eine Monotherapie evtl. ausreichend. A Nachteile: Die Monotherapie stößt unabhängig von der eingesetzten Substanzgruppe insbesondere bei mittelschwerer und schwerer Hypertonie sehr schnell an die Effektivitätsgrenze. Selbst bei leichter bis mittelschwerer Hypertonie,und selbst in den höchsten Dosen haben sämtliche Substanzgruppen nur eine Normalisierungsrate zwischen ca. 30 und 55%. Auch in den großen Interventionsstudien waren in 30 90% antihypertensive Kombinationen notwendig,um den Zielblutdruck zu erreichen. Trotzdem wurde der Zielblutdruck auch in den Interventionsstudien tatsächlich nur in ca. 30 70% erreicht. Bei Verordnung von halbmaximalen Tagesdosen wie in der LIFE- Studie,erreichen nur 9 bzw. 10% der Hypertoniker normale Blutdruckwerte unter der Monotherapie mit Atenolol bzw. Losartan.
9.4 Therapieschema, Auswahl der Medikamente 133 Jede Monotherapie ist auch ein Kompromiss aus möglichst hoher Effektivität und möglichst geringer Nebenwirkungsrate. Bei einer notwendigen Dosissteigerung wegen unzureichender Blutdrucksenkung,nehmen in den meisten Fällen auch die dosisabhängigen Nebenwirkungen zu. Es ist daher auch nicht überraschend,dass 50 60% der Patienten eine Monotherapie schon innerhalb von sechs Monaten wieder beenden. Kombinationstherapie Grundlagen A Der Beginn der Hypertonie-Behandlung mit einer niedrig dosierten Kombinationstherapie,z. B. aus Diuretikum und ACE-Hemmer oder Diuretikum und β-blocker ist hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen als gleichwertig mit einer initialen Monotherapie anzusehen. A Indikationen: In niedriger Dosierung ist sie auch als Option für die initiale Therapie empfohlen: Sowohl für eine Kombinationstherapie in normalen Dosen,um bei einem hohen Ausgangsblutdruck (20/10 mmhg > Zielblutdruck) eine bessere Chance zur Erreichung des Zielblutdrucks zu haben,als auch für eine niedrig dosierte Kombination als initiale Therapie auch bei der leichten Hypertonie. Für eine primäre Kombinationstherapie (evtl. auch in normaler Dosierung) sprechen ein weit über den Zielwerten liegender Blutdruck sowie Begleiterkrankungen,die ohnehin eine Kombinationstherapie wünschenswert erscheinen lassen (z. B. Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz,Niereninsuffizienz). A Vorteile: Verbesserung der Blutdruckeinstellung und höhere Responderrate: durch additive Wirkungen. durch Neutralisierung gegenregulatorischer Wirkungen. Synergistische organprotektive Wirkungen. Reduktion unerwünschter Wirkungen: durch Neutralisierung unerwünschter Wirkungen. durch geringeren Dosisbedarf. Verbesserung der Compliance (bei fixer Kombination). Reduktion der Kosten: Niedrigere Arzneimittelkosten. Geringere Patientenzuzahlungen. Weniger Diagnostik und Kontrolle.
134 9 Medikamentöse Therapie Da häufig kardiovaskuläre Begleiterkrankungen bzw. Endorganschäden vorliegen und in diesen Fällen die Zielblutdruckwerte zum Teil niedriger definiert werden als früher,ist für die Mehrzahl der Hypertoniker eine Kombinationstherapie erforderlich. A Bewertung: Bei der komplexen Ätiologie und Pathogenese der primären Hypertonie wird eine Kombinationstherapie am ehesten der multifaktoriellen Genese gerecht. Die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen Salz- und Wasserhaushalt,dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System,dem sympathiko-adrenergen System und der Gefäßreagibilität sind mit einer Kombinationstherapie besser zu beeinflussen als mit einer Monotherapie. Dabei wirken verschiedene Antihypertensiva synergistisch auf den Blutdruck und neutralisierend auf die gegenregulatorischen Effekte,die durch eine Substanz induziert werden können. Der unterschiedliche Wirkmechanismus der verschiedenen Substanzen kann auch für eine Addition der organprotektiven Wirkung genutzt werden. A Folgende Kombinationen sind empfehlenswert: ACE-Hemmer und Kalziumantagonist. ACE-Hemmer und Diuretikum. AT 1 -Rezeptorblocker und Diuretikum. β-blocker und Diuretikum. β-blocker und Kalziumantagonist. Diuretikum und Kalziumantagonist. ACE-Hemmer und Kalziumantagonisten A Prinzip: Kalziumantagonisten wirken vasodilatatorisch und stimulieren über ihren peripheren Angriffspunkt das RAAS und den Sympathikus. Das RAAS wird wiederum durch den ACE-Hemmer gehemmt, und durch die hemmende Wirkung auf die Katecholaminfreisetzung wirken ACE-Hemmer Sympathikus dämpfend und einer Tachykardie entgegen,wenn auch längst nicht so wirkungsvoll wie β-blocker. Diese Kombination war in der ASCOT-Studie der Kombination β-blocker + Diuretikum überlegen. A Indikationen: Z.B. allgemeine Gefäßsklerose. ACE-Hemmer und Diuretikum A Prinzip: ACE-Hemmer antagonisieren die Diuretikum induzierte Stimulation des RAAS viel stärker als β-blocker. Dementsprechend ist auch der kaliumsparende Effekte der ACE-Hemmer größer. ACE-Hemmer wirken auch der glykämischen (diabetogenen) und Harnsäure
9.4 Therapieschema, Auswahl der Medikamente 135 steigernden Wirkung der Diuretika entgegen. Die natriuretische Wirkung der Diuretika wird durch die ACE-Hemmer verstärkt. A Indikationen: Patienten mit Herzinsuffizienz,Niereninsuffizienz (v. a. diabetische und hypertensive Nephropathie),linksventrikulärer Hypertrophie und zerebrovaskulären Erkrankungen. AT 1 -Rezeptorblocker und Diuretikum A Prinzip: Siehe ACE-Hemmer-Diuretikum-Kombination. AT 1 -Rezeptorblocker sind äquieffektiv wie ACE-Hemmer,haben aber geringere bzw. keine Substanz spezifischen Nebenwirkungen. A Indikationen: Wie ACE-Hemmer,insb. als Alternative bei Unverträglichkeit gegen ACE-Hemmer (z. B. Husten). β-blocker und Diuretikum A Prinzip: Diuretika stimulieren das Renin-Angiotensin-Aldosteron- System (RAAS), β-blocker haben einen milden Anti-Aldosteron-Effekt und wirken leicht kaliumsparend und damit dem diuretischen Effekt entgegen. Die Diuretika-Komponente wirkt einer Ödementwicklung unter β-blockade,z. B. bei Herzinsuffizienz,entgegen. A Indikationen: Insbesondere bei der isolierten systolischen Hypertonie im Alter erfolgreich. β-blocker und Kalziumantagonist A Prinzip: Die Kombination wirkt insofern komplementär,als β-blocker das Herzminutenvolumen senken,und Kalziumantagonisten den peripheren Widerstand senken,ohne Aktivierung des RAAS und ohne Induktion einer Reflextachykardie,die unter alleiniger Behandlung mit Kalziumantagonisten auftreten kann. A Indikationen: Z.B. stabile KHK. Diuretikum und Kalziumantagonist A Prinzip: siehe oben. A Indikationen: Diuretika und Kalziumantagonisten haben sich besonders in der Therapie der Hypertonie im Alter bzw. der ISH (S. 11) bewährt. Dreifachkombinationen A Wirkt keine der angegebenen Zweifachkombinationen ausreichend, kann eine der folgenden Dreifachkombinationen angewandt werden (Vasodilatator: Kalziumantagonisten,ACE-Hemmer,AT 1 -Rezeptorblocker, α 1 -Blocker und Dihydralazin): Diuretikum + β-blocker + Vasodilatator.