Naturerlebnis-Pädagogik

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Transkript:

Naturerlebnis-Pädagogik Die Naturerlebnis-Pädagogik wurde 1998 an der Universität Köln entwickelt und seither bei über 20.000 Teilnehmenden erfolgreich eingesetzt. Zusammenhänge Schon im Begriff Naturerlebnis-Pädagogik sind die Verbindungen zu anderen pädagogischen Richtungen erkennbar: Sie lässt sich zum einen einordnen in die weite Landschaft der ökologischen Bildung oder Umweltbildung. Darunter fallen zahlreiche mehr oder weniger abgegrenzte Konzepte zur Förderung des Umweltbewusstseins, z.b. Umwelterziehung, Ökopädagogik, Flow Learning, Rucksackschule, Waldpädagogik usw.. Da keiner dieser Begriffe geschützt ist, mangelt es meist an einer klaren Definition. Hintergrund aller Konzepte ist die in den 1960er Jahren entstandene Erkenntnis, dass besonders die Menschen der Industrienationen ihre Lebensweise ökologisch verträglich gestalten müssen, um die fortschreitende Zerstörung unseres Planeten aufzuhalten. Mittlerweile ist wissenschaftlich belegt, dass Aufklärung allein keine Verhaltensänderung bewirkt, und so verfolgen die meisten Konzepte heute zwei Ziele: - Wissensvermittlung über Natur und Umweltschutz - Förderung einer emotionalen Beziehung zur Natur Eine zweite Verbindung besteht zur Erlebnispädagogik. Dieser pädagogische Ansatz ist heute v.a. für seine spektakulären Methoden wie Klettern, Segeln oder Seilgärten bekannt. Auch dieser Begriff ist bisher nicht allgemein gültig definiert. Geistiger Vater der Erlebnispädagogik ist Kurt Hahn (1886-1974), der mit seiner Erlebnistherapie verschiedenen sozialen Verfallserscheinungen entgegenwirken wollte: einem Mangel an menschlicher Anteilnahme, Verfall der Sorgsamkeit, Verfall körperlicher Tauglichkeit sowie Verfall der Unternehmungslust, Initiative und Spontaneität. Moderne erlebnispädagogische Programme haben heute vor allem zum Ziel: - individuelle Persönlichkeitsentwicklung - Verbesserung einer Gruppenstruktur Menschenbild Allein die Formulierung ihrer Ziele und die Einordnung in andere pädagogische Richtungen würde Naturerlebnis-Pädagogik nur unzureichend beschreiben. Es ist vielmehr die ihr zugrundeliegende Haltung, die diese Konzeption ausmacht. Ihre Popularität ist nicht zuletzt darin begründet, dass sie einen Ansatz bietet, der den Menschen als Ganzheit wahrnimmt und ihn in seinen positiven Entwicklungsmöglichkeiten stärkt. Geistige Heimat der Naturerlebnis-Pädagogik ist das humanistische Menschenbild aus der Humanistischen Psychologie, das besagt: - Der Mensch ist ein selbstverantwortliches (autonomes, selbstreflexives) Wesen, das alle Möglichkeiten und Fähigkeiten zum Wachstum in sich trägt. - Der Mensch ist von Natur aus gut. Er strebt in einem lebenslangen Prozess nach Wachstum und Harmonie. Dabei hat er aber die Wahlmöglichkeit zwischen aufbauenden und zerstörerischen Tendenzen. Darüber hinaus verfügt er über noch nicht realisierte Möglichkeiten. - Der Mensch ist ein handelndes und wollendes Wesen

Das Geschehen während der Veranstaltungen geht weit über das hinaus, was an Spielen und Aktionen geboten wird. Es sind außerdem die kleinen Gesten der ReferentInnen, der partnerschaftliche Umgang und die persönlichen Gespräche, die die Teilnehmenden sich verändern lassen. 1. Ziele und Konzept der Naturerlebnis-Pädagogik Übergeordnetes Ziel ist es, einen partnerschaftlichen Umgang des Menschen mit der Natur (auch der menschlichen) zu fördern. Damit ist nicht nur ökologisches Handeln gemeint, sondern z.b. auch Suchtprophylaxe, Gewaltprävention und Arbeit an der Geschlechtsrollenidentität. Wir müssen heute von einer noch weitgehend bestehenden Trennung von Mensch und Natur ausgehen. Die meisten Menschen sind sich ihrer Zugehörigkeit zur Umwelt nicht bewusst, sondern leben entgegen ihrer naturgemäßen Bedürfnisse. An dieser Stelle setzt Naturerlebnis-Pädagogik an, indem sie ein Bewußtsein für die Verbundenheit des Menschen mit der Natur schafft sowie Handlungsalternativen anbietet. Während der Seminare werden Werte, Wissen und Handlungskompetenzen vermittelt, die das ökologische und soziale Handeln der Teilnehmenden aktivieren: 1.1 Ökologische Werte Die Vermittlung von Werten nimmt in der Naturerlebnis-Pädagogik einen zentralen Platz ein. Es ist das Ziel, Achtung vor allem Leben und eine Liebe und Verbundenheit zur Natur zu vermitteln. Wir gehen davon aus, dass alle Wesen eine Bedeutung für das ökologische Gleichgewicht des Planeten und das gleiche Recht auf Leben haben. Daher muss jeder Art von Leben auf der Erde Liebe, Respekt und Wertschätzung entgegengebracht werden. Menschen sind ebenfalls ein Teil der Natur. Das bedeutet, dass eine Liebe zur Natur auch eine Liebe zu den Menschen mit einschließen muss. Wenn die TeilnehmerInnen lernen untereinander und mit der Natur in Frieden zu leben, rückt das Ziel einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Mensch und Natur in greifbare Nähe. Naturerlebnis-Pädagogik schafft deshalb Erfahrungsräume, in denen ein respektvoller Umgang mit den Lebewesen gepflegt wird. 1.2 Wissen über Ökologie Wer die Natur bewusst wahrnimmt und respektiert, muss zusätzlich Wissen erwerben, um natürliche Zusammenhänge verstehen zu können. Dieses Verstehen macht es erst möglich, Handlungsentscheidungen auf der Grundlage von Verantwortung und Partnerschaft zu treffen. Dabei ermöglicht der direkte Kontakt mit Natur ein Lernen durch Erleben. In den Veranstaltungen werden Dinge nicht indirekt durch Bücher oder andere Medien ausschließlich kognitiv vermittelt, sondern die ganze Person ist beteiligt. Pestalozzi prägte den Ausspruch vom Lernen mit "Kopf, Herz und Hand". Lerninhalte werden in der Naturerlebnis-Pädagogik so vermittelt, dass der Verstand (Kopf), die Emotionen (Herz) und das Bedürfnis nach Tätigkeit bzw. Handlung (Hand) angesprochen und befriedigt werden. Der Wissenserwerb steht bei unseren Aktionen immer im Zeichen einer Liebe zur Natur, d.h. wir verhalten uns umsichtig und rücksichtsvoll. Zwar sind dem Erkenntnisstreben dadurch manchmal Grenzen gesetzt; es wird jedoch deutlich, dass Forschergeist keine hinreichende Begründung für die Zerstörung von Lebensräumen oder Lebewesen sein kann. 1.3 Förderung von Handlungskompetenzen Angesichts der heutigen Umwelt- und der sozialen Probleme sind eine Vielzahl gesellschaftlicher Veränderungen notwendig. JedeR Einzelne muss in ihrem/seinem Handeln Verantwortung für sich und andere Lebewesen übernehmen. Grundlage dafür ist der vertraute Umgang mit Pflanze, Tier und Mensch, der in den Veranstaltungen der Naturerlebnis-Pädagogik eingeübt werden kann. Zudem ist die Ausbildung einer Reihe menschlicher Fähigkeiten sinnvoll und hilfreich, denn heute sind mündige BürgerInnen gefordert, innovative Lebensweisen und Formen des Umgangs mit Natur zu finden. 1.3.1 Persönlichkeitsbildung Kreativität und Phantasie, positives und selbstständiges Denken, Selbstbewusstsein und das Üben von Verzicht seien hier genannt. Bei den Aktionen mit hohem Aufforderungscharakter fällt es au

ßerdem leichter, persönliche Grenzen kennen zu lernen und zu erweitern. In der Naturerlebnis- Pädagogik möchten wir unseren TeilnehmerInnen vermitteln, dass sie den Bedingungen ihres Umfeldes nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern dass sie Veränderungen bewirken können, wenn sie ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten kennen und auf sie vertrauen. 1.3.2 Förderung sozialer Fähigkeiten Die Geringschätzung der Natur führt auch zur Geringschätzung des Menschen." (FROMM 1971) So ist es schwer vorstellbar, dass ein Mensch, der Tiere quält, dieses Verhalten Menschen gegenüber nicht auch in irgendeiner Weise zeigt. Dies gilt auch umgekehrt: Wer im Umgang mit Menschen gelernt hat, Rücksicht zu nehmen und Schutz zu geben, wird eher fähig sein, diese Haltung auch auf andere Lebewesen auszuweiten. In der Natur bieten sich also vielfältige Möglichkeiten, soziales Verhalten einzuüben. Direkten Nutzen bringt dies z.b. für die Stärkung der Gruppengemeinschaft: Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten werden verbessert, Strategien zur gewaltfreien Konfliktlösung erprobt und das Vertrauen gestärkt. 2. Acht pädagogische Prinzipien der Naturerlebnis-Pädagogik Den Naturerlebnis-PädagogInnen kommt die Aufgabe zu, Erfahrungsräume bereitzustellen, die einen partnerschaftlichen Umgang mit Natur fördern. Ihr Tun ist von folgenden pädagogischen Prinzipien geprägt: 2.1 Ganzheitliches Lernen In den naturerlebnispädagogischen Veranstaltungen wird der Mensch als Einheit von Körper, Gefühl und Intellekt angesprochen, um ein effektives und sinnvolles Lernen zu ermöglichen. Dies bedeutet z.b., dass die Emotionen, die beim Lernprozess entstehen oder aus einem anderen Grund bereits vorhanden sind, mit einbezogen werden. Weiterhin bedeutet es, dass ein naturerlebnispädagogisches Programm aus abwechslungsreichen Aktivitäten für jeden der drei Aspekte besteht. Auch Sachverhalte werden im Sinne der Ganzheitlichkeit nicht zerstückelt oder nur in Einzelteilen betrachtet. Ein Prinzip aus der Gestalttheorie besagt: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" (WALTER 1992, S.35). Erst durch ihre Organisation werden Fakten, Sinneswahrnehmungen, Verhaltensweisen und Phänomene für den Menschen definierbar, nicht allein durch ihre Bestandteile. Lernen in naturerlebnispädagogischen Seminaren erfolgt deshalb so weit wie möglich ganzheitlich. Die TeilnehmerInnen werden durch eigene Erlebnisse in der Natur angeregt, Fragen zu stellen und aus eigener Motivation heraus ihre Fähigkeiten wie ihr Wissen zu erweitern. 2.2 Lernen in der Gruppe Die Dinge der Natur, die Dinge der Welt bekommen erst eine Bedeutung innerhalb der Beziehung zu lebendigen Menschen." (GEBHARD 1994, S. 98) Dies gilt vor allem für Kinder, die eine gesicherte menschliche Beziehung besonders benötigen. In den naturerlebnispädagogischen Seminaren wird durch das Teilen von Erlebnissen mit anderen Menschen der Bewusstseinsförderung, der Wissensvermittlung und der Vermittlung von sozialen sowie persönlichkeitsbildenden Fähigkeiten Rechnung getragen. Um in unserer Gesellschaft Dinge verändern zu können, ist es hilfreich schon einmal erlebt zu haben, dass man innerhalb einer Gruppe etwas bewirken und den Gruppenprozess beeinflussen kann. Die pädagogische Aufgabe ist, die Veränderbarkeit einer Gruppe und die Relativität so genannter Gruppenstrukturen für die jungen Menschen erfahrbar zu machen, so dass sie ermutigt werden, destruktive oder untergeordnete Reaktionsbereitschaften wieder aufzugeben und ihre Gemeinschaft zu ihrer Zufriedenheit zu entwickeln." (WALTER 1992, S. 87) Das Leben und Lernen in Gruppen wird deshalb in der Naturerlebnis-Pädagogik sowohl praktisch erfahren als auch theoretisch erörtert.

2.3 Vorleben statt Lehren Den PädagogInnen fällt die Aufgabe zu, ein naturverträgliches Verhalten vorzuleben, sozusagen mit gutem Beispiel voranzugehen. Nicht der erhobene Zeigefinger darf in der Vermittlung ökologisch orientierter Wertvorstellungen dominieren, sondern die freie Entscheidungs- und Wahlmöglichkeit der TeilnehmerInnen. Vielleicht wird durch das Vorbild ihr Interesse geweckt, sie stellen Fragen und suchen selbständig nach Wegen, es den LeiterInnen gleichzutun. Hilfestellungen von außen können dann eher angenommen werden. Jeder Mensch hat das Recht, für sich selbst zu entscheiden, wann und wie er an Dinge herangeht. Die PädagogInnen müssen die Selbstverantwortung der/des Einzelnen akzeptieren. Sie können aber helfen, die Gründe für Vermeidungen und Widerstände bewusst zu machen. Eine Methode, Gedanken und Gefühle bewusst zu machen, ist die Reflexion. Nicht nur die TeilnehmerInnen, sondern auch die Naturerlebnis-PädagogInnen selbst sind aufgefordert, ihr Verhalten und ihre Erlebnisse in der Natur zu reflektieren und andere Menschen an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. 2.4 Freiwilligkeit und Selbstverantwortung Jedem Menschen wird die Eigenständigkeit zugesprochen, seine Weiterentwicklung selbst zu bestimmen. Wir können sicher sein, dass er nur Dinge aufnimmt, die er für seine persönliche Entwicklung als wichtig erachtet. Die Naturerlebnis-Pädagogik geht somit von der positivistischen Sicht aus, dass jeder Mensch letztendlich die beste Entscheidung über sein Leben selbst treffen kann und muss. Nicht werden, was man nicht ist, sondern sein, was man ist." (WALTER 1992, S. 10) Die TeilnehmerInnen nehmen freiwillig an den Übungen und Spielen der Seminare teil. Niemand wird gezwungen oder bedrängt, denn unser Ziel ist die Selbstverwirklichung des Menschen. Außerdem werden den TeilnehmerInnen (Erwachsene genauso wie Kinder) immer wieder Frei- Zeiten in der Natur zur Verfügung gestellt, denn...die Spannweite von Naturerfahrungen zwischen Kontinuität und ständiger Neuigkeit kann nicht unter Aufsicht erfahren werden, sondern muss wohl in kleinen, aber selbständigen Schritten erschlossen werden. Ein wesentlicher Wert von Naturerfahrungen besteht also offenbar in der Freiheit, die sie vermitteln (können)." (GEBHARD 1994, S. 95) 2.5 Gewaltfreiheit und Toleranz Konflikte in der Gruppe werden gemeinsam im Gespräch gelöst. Gewalttätige Auseinandersetzungen werden nicht geduldet. Die TeilnehmerInnen sollen lernen, sich verbal gegen Angriffe zur Wehr zu setzen. Zusätzlich erfahren sie, dass Unterschiedlichkeit nicht bedrohlich und negativ sein muss: Die Natur bietet eine unermessliche Vielfalt an Formen, Farben, Lebensweisen. Die Wahrnehmung dieser Vielfalt schließt auf für die Grunderfahrung, dass andere (Kollegen, Nachbarn, Ausländer, politische Gegner) anders sind und dass dies ein völlig natürlicher Zustand, ja sogar nötig und positiv ist. Die Vielfalt der Natur ist nicht ein Nebeneinander, sondern wahrnehmbar ein äußerst produktives, schönes, organisches Miteinander. Vielfalt in der Konsumwelt hingegen bedeutet Gegeneinander (Konkurrenz) oder zumindest beziehungsloses Nebeneinander. Vielfalt in der Natur bedeutet auch, dass es keine Uniformiertheit gibt. Es gibt nicht das perfekte Rotkehlchen. Überall prägt sich individuelle Form aus und überall wirken die äußeren Kräfte anders ein, so dass ideale Formen nur als Zeichnung in Lehrbüchern auftreten. In der Übertragung heißt das: Den perfekten Menschen gibt es nicht, sondern lebendige Vielfalt." (KALFF 1994, S. 41) Auch hier gilt wieder, dass die LeiterInnen der Seminare eine Haltung vorleben, die von Gewaltfreiheit und Toleranz geprägt ist und den TeilnehmerInnen Hilfestellung geben, ebenfalls ein solches Verhalten zu üben. 2.6 Freude im Spiel Die TeilnehmerInnen sollen in der Gruppe Freude im gemeinsamen Tun erleben und sich dabei entspannen können; daher herrscht in den Seminaren eine freundliche und angstfreie Atmosphäre. Sie wird unterstützt durch die zahlreichen spielerischen Methoden. Spielen hat zudem positive Auswirkungen auf die Entwicklungen von Phantasie, Intelligenz und sozialem Verhalten. Im Spiel lassen sich Konflikte erfahren und austragen, denn oftmals lässt sich durch das Spiel die Atmosphäre entkrampfen und eine Aussprache in einem gelösten Gespräch ermöglichen. Dadurch, dass

Spielregeln eingehalten, aber auch auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt werden müssen, werden Verbindlichkeit und Urteilskraft trainiert. Die Wertschätzung der Vielfalt zeigt sich auch bei der Auswahl der Spiele; so wird z.b. auf Aktionen mit Wettkampfcharakter vollständig verzichtet. Die LeiterInnen geben den TeilnehmerInnen Zeit und Freiräume, damit sie Erfahrungen in den Spielsituationen sammeln und Experimente im Verhalten machen können, ohne dass von außen korrigierend eingegriffen wird. So können sie selbständig zu Lösungen gelangen und dadurch Ausdauer, Geduld, Geschicklichkeit sowie Flexibilität im Denken erlernen. 2.7 Ernstcharakter In den naturerlebnispädagogischen Seminaren nehmen Spiel und Spaß sehr viel Raum und Zeit ein. Aber auch Lerninhalte mit Ernstcharakter finden ihren Platz. Die TeilnehmerInnen kommen in den Seminaren in unmittelbaren Kontakt mit Natur und somit mit dem Leben. Sie erfahren, dass die Natur nicht nur zahm und schutzbedürftig ist, sondern auch grausam und gefährlich sein kann. Zudem erkennen sie oftmals ihren Anteil an der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, was Betroffenheit auslösen und Ängste bewusst werden lassen kann. Mögliche Ansätze zur Verhaltensänderung und Angstbewältigung können gefunden werden. Kinder lernen im Umgang mit Natur Spiel und Ernst zu unterscheiden. Kinder und Erwachsene lernen, dass ihr Bedürfnis nach Spaß dort begrenzt werden muss, wo es andere Lebewesen gefährden kann. Aber sie erfahren auch, dass sie genügend Raum für sich finden können, ohne sich über die Regeln in der Natur hinwegsetzen zu müssen. 2.8 Einfachheit Naturerlebnis-PädagogInnen wählen Setting und Material für ihre Aktionen möglichst bescheiden und alltagsnah aus. Zwischen den Naturphänomenen und den TeilnehmerInnen sollen möglichst wenig Medien stehen, weil diese oft vom eigentlichen Inhalt ablenken und ein intensives Naturerlebnis sogar verhindern können. Statt Kanus, Kletterausrüstung oder aufwändiger Schautafeln wird in den meisten Fällen nur ein kleiner Rucksack mit einigen Augenbinden, Karten, Schnur usw. benötigt; der Rest ist Kreativität der Leitung. Dies signalisiert den Teilnehmenden, dass schöne Erlebnisse unabhängig von Status oder Geld möglich sind, und macht sie unabhängiger von alltäglichen Konsumangeboten oder Süchten. Vom abhängigen Lebensgefühl des Haben möchten wir überleiten zum selbständigen Sein. Der Leitsatz Nimm nur das, was Du unbedingt brauchst wird aus den Seminaren in den Alltag übertragen. Auch bei der Wahl des Veranstaltungsorts ist der ganz normale Wald in der Nähe einer spektakulären Landschaft vorzuziehen, um zu verdeutlichen, dass die Natur vor der Haustür ebenfalls spannend und liebenswert ist. Sandra Wucherer, 2003 Literatur Fromm, Erich: Die Revolution der Hoffnung, Klett Verlag, Stuttgart 1971 Gebhard, Ulrich: Wie viel Natur braucht der Mensch? - Psychologische Befunde und umweltpädagogische Konsequenzen, in: Schreier, Helmut (Hrsg.): Die Zukunft der Umwelterziehung, Krämer Verlag, Hamburg 1994, S. 85-118 Kalff, Michael: Handbuch zur Natur- und Umweltpädagogik, Günter Albert Ulmer Verlag, Tuningen 1994 Morenzin, Martina: Naturerlebnis-Pädagogik, unveröffentlichtes Manuskript, 1998 Walter, Klaus: Erziehen ist eine Kunst - eine Einführung in die Gestaltpädagogik in der Jugendhilfe, Verlag der Jugendwerkstatt Östringen e.v., Östringen 1992