Deutsche Gebärdensprache und Aphasie. Vivian Raithel

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Transkript:

Deutsche Gebärdensprache und Aphasie Vivian Raithel

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Struktur der DGS Phonologie Morphologie Lexis Syntax

Phonologie (= Chirologie) Manuelle vs. nicht-manuelle Komponenten Handform Handposition Ausführungsort Bewegung Dominanz (einhändige und zweihändige Gebärden)

Phonologie (= Chirologie) Manuelle vs. nicht-manuelle Komponenten Handform Handposition Ausführungsort = Artikulationsort Bewegung = Artikulationsart Dominanz (einhändige und zweihändige Gebärden)

Handformen von verschiedenen Gebärdensprachen

Handformen von DGS Wisch 1990

Handformen von ASL Fromkin & Rodman 1998

Ternes 1987 Deutsche Lautsprache

Phonologie (= Chirologie) Manuelle vs. nichtmanuelle Komponenten Mimik Blick Kopfhaltung Mundbild Mundgestik Oberkörper

Phonologie (= Chirologie) Manuelle vs. nichtmanuelle Komponenten Mimik Blick Kopfhaltung Mundbild Mundgestik Oberkörper Prosodie

Morphologie Morpheme: kleinste bedeutungstragende Einheit Klassifikatorgebärden Fahrrad Auto Singular Dualis Plural ein Glas, zwei Gläser, viele Gläser (drei oder mehr Gläser) Komparativ (Steigerung) klein, kleiner, am kleinsten lesen, viel lesen

Komparativ wird ausgedrückt durch Gebärde Iteration Mimik

Lexis Richtungsverben kommen/gehen bringen/hintragen Lokale Präpositionalobjekte fahren nach... Inkorporation lesen, schließen, tragen, anziehen,...

Syntax Satztypen: Aussagen / Fragen / Befehle / Ausrufe / Konditionale Mimik

DGS Wortstellung: S O V Du Apfel essen. IchBuchlesen. Kein Verbflexion wie wir sie kennen Keine Tempusmarkierung Zeit wird am Beginn der Äußerung markiert Morgen ich Schule gehen.

DGS DGS nutzt einen dreidimensionalen Gebärdenraum Ich treffe eine andere Person. Wir treffen einander. Pronominale Bezüge werden innerhalb des Gebärdenraumes gemacht.

Gebärdenraum

Inkorporation bei Richtungsgebärden

Vergebärdler die häufigsten Vergebärdler sind phonologische Fehler selektiv können einzelne Merkmale betroffen sein: Handform, Handorientierung, Bewegung und Ausführungsstelle

Räumliche Komponente bei Gebärdensprache in Gebärdensprache ist das Visuellräumliche äußert wichtig man könnte daher davon ausgehen, dass bei GS insbesondere die RH von entscheidender Bedeutung ist

dies konnte in mehreren Studien nicht bestätigt werden was gefunden wurde, ist eine höhere Beteiligung des Okzipitallappens in GS (also eine Beteilung des visuellen Cortex)

Prinzipiell kann gesagt werden, dass die Lateralisierung für Sprache bei Lautund Gebärdensprache gleich ist

Gebärdensprache und Aphasie verschiedene Studien haben gezeigt, dass eine LH-Schädigung bei gebärdenden Gehörlosen z.b. zu einem ähnlichen Symptomkomplex führt, wie er bei hörenden Broca- und Wernicke- Aphasikern zu beobachten ist.

Fall 1 linkshemisphärische Schädigung stockende Gebärdenproduktion Produktion einzelner Gebärdenzeichen Produktion von hauptsächlich Substantiven fehlende grammatische Flexion

Fall 2 linkshemisphärische Schädigung fließende Gebärdenproduktion Pronominalverweise ohne jede Bezugsangabe Paraphasien

Fall 3 linkshemisphärische Schädigung Paragrammatismus Auswahlfehler auf lexikalischer und morphologischer Ebene unpassende Flexionen

Bibliographie Boyes Braem, P. 1995. Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung. Hamburg: Signum. Fromkin, V. & Rodman, R. 1998. An Introduction to Language. Fort Worth: Harcourt. Poizner, H., Klima, E. & Bellugi, U. 1990. Was die Hände über das Gehirn verraten. Hamburg: Signum. Ternes, E. 1987. Einführung in die Phonologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Wisch, F.-H. 1990. Lautsprache und Gebärdensprache. Hamburg: Signum.