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Ökologische Intensivierung Auf dem klügeren Pfad Von Felix Prinz zu Löwenstein Die Töpfe für bald neun Milliarden Menschen zu füllen ist eine Herkulesaufgabe, an der die konventionelle Landwirtschaft grandios scheitern wird. Dem ökologischen Landbau hingegen gelingt es schon heute, die Probleme der Agrarindustrie zu vermeiden und produktiver sowie erfolgreicher zu sein als sie. Wie muss eine Landwirtschaft aussehen, die es schafft, eine beständig wachsende Weltbevölkerung zu ernähren? Noch dazu eine, deren Verzehr an tierischen Proteinen steigt und die dem Acker nicht nur Lebensmittel, sondern auch Energie und sonstige Rohstoffe abgewinnen will? Und das unter Anbaubedingungen, die sich durch den fortschreitenden Klimawandel verschlechtern? In den unzähligen Foren, die sich mit dieser Frage befassen, gilt eine Grundforderung an die Landwirtschaft als ausgemacht: Bis Mitte des Jahrhunderts müsse die Produk - tivität um 70 Prozent gesteigert werden. Ist der ökologische Landbau ein Produktionssystem, das dieser Herausforderung gewachsen ist? (1) Diese Fragen lässt sich nicht beantworten, ohne das Paradigma aus drei Gründen infrage zu stellen. Zunächst ist es keine Perspektive, die Steigerung der Erträge mit der Vernichtung der Grundlagen landwirtschaftlicher Produktion zu erkaufen. Genau dies bringt eine Landwirtschaft mit sich, die auf hergebrachte politische ökologie 128 *Welternährung 105

Weise die Produktion erhöhen möchte: Der Verlust fruchtbarer Böden, das Beschleunigen des Klimawandels sowie die Dezimierung der Biodiversität und der Vorräte an sauberem Wasser sind dafür beredte Beispiele. Keine Technologie kann die Verluste kompensieren, die dadurch entstehen. Zweitens liegen die Reserven für eine qualitativ wie quantitativ ausreichende Ernährung in weit höherem Maße in den Lebens- und Ernährungsstilen als in den Produktionsmethoden. Die Essensvernichtung in den Industriestaaten und die Nach - ernteverluste wegen mangelnder Infrastruktur in den Ländern des Südens sind so groß, dass deren Einschränkung schneller und nachhaltiger das Nahrungsangebot vermehren würde als jede denkbare Produktivitätserhöhung (vgl. S. 78 ff.). Ebenso verhält es sich mit der außerordentlich ineffizienten Umwandlung von pflanz lichen Kalorien in die tierischer Produkte. Rechnet man den bundesdeutschen Konsum an Fleisch, Eiern und Milch auf die Weltbevölkerung hoch, wäre es erforderlich, weit mehr als das gesamte weltweit geerntete Getreide in die Futtertröge zu werfen. Schon diese einfach nachzuvollziehende Rechnung verdeutlicht, dass kein Produktionssystem denkbar ist, das dann noch genug Getreide für Brot und Nudeln übrig ließe. Die ökologische Produktion von Lebensmitteln führt drittens zu anderen Kostenverhältnissen insbesondere Fleisch wird erheblich teurer. Das zieht eine Veränderung der Konsummuster nach sich. Diesen Zusammenhang muss eine Rechnung berücksichtigen, die das konventionelle und das ökologische System im Blick auf die Fähig - keit, Ernährungssicherheit zu schaffen, gegenüberstellt. Was Ökolandbau leisten kann Eine Metastudie an der Universität von Michigan hat 2007 versucht zu quantifizieren, wie viele Nahrungsmittel eine ökologische, mit geringem Input an Betriebsmitteln arbeitende, kleinbäuerliche Landwirtschaft zur Verfügung stellen könnte. (2) Dafür haben die Wissenschaftler(innen) des Institute for Food and Development Policy 91 Studien ausgewertet, die 293 Fälle beschreiben, die ökologischen und konventionellen Landbau in Bezug auf den erzielbaren Ertrag vergleichen. Die Metastudie ging davon aus, dass es zwei Ausgangspunkte für die Umstellung von konventionellem auf ökologischen Landbau gibt: 106 politische ökologie 128 *Welternährung

Von einer traditionellen Landwirtschaft kommend, die mangels Zugang oder Kaufkraft ohne Chemie arbeitet, aber die Prinzipien des Ökolandbaus nicht anwendet. Von einer industriellen Landwirtschaft ausgehend, die alle Methoden einer modernen Landwirtschaft praktiziert, insbesondere den Einsatz chemisch-synthetischer Dünge- und Pflanzenschutzmittel und gentechnisch veränderten Saatguts. Das Ergebnis dieser Studie: Die Umstellung der globalen Nahrungsmittelerzeugung würde die Produktion um 50 Prozent auf 4.381 Kilokalorien pro Person und Tag erhöhen! Dabei ging sie nicht von Versuchsergebnissen, sondern von den in der Praxis zu messenden Erträgen aus. Auch bezogen die Wissenschaftler(innen) keine Erwartungen in künftige Steigerungen ein, obwohl angesichts der Milliarden, die in die konventionelle Agrarforschung investiert wurden, und der lächerlich geringen Mittel für die Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft gerade bei der Letzteren ein großes Potenzial zu vermuten ist. Die kleinbäuerliche Praxis weist den Weg Beispiele in Haiti, Kenia, Äthiopien oder auf den Philippinen zeigen, dass dort, wo heute Menschen Hunger leiden, Ertragssteigerungen und Einkommenssicherung möglich sind. Und zwar ohne dass die Bauern ihre Einkünfte für den Kauf von Chemikalien aus den Industriestaaten verwenden müssen und ohne dass sie abhängig von jenen Patenten werden, mit denen die Gentechnikindustrie ihre Saaten versieht. Ein gutes Beispiel für eine ökologische Intensivierung ist das philippinische Projekt Masipag. Der Name Magsasaka at Siyentipiko para sa Pag-unlad ng Agrikultura steht für eine Partnerschaft zwischen Bauern, Bäuerinnen und Wissen - schaft le r(inne)n. Ursprünglich ging es darum, auf der Grundlage der traditionellen Sorten eigene, an die lokalen Bedingungen angepasste Reissorten zu züchten. Die im Zuge der Grünen Revolution eingeführten Hochertragssorten schienen zwar zunächst zu halten, was ihr Name versprach, doch nur dort, wo der Aufwand an Düngemitteln und Pestiziden hoch genug und die Witterungsbedingungen passend waren (vgl. S. 44 ff.). Die notwendigen Voraussetzungen entsprachen allerdings nicht den Erfahrungen der Kleinbauern und -bäuerinnen vor Ort, weil die beschriebenen Bedingungen häufig nicht gegeben waren. Darüber hinaus trieb das Erfordernis, teure Betriebsmittel zu kaufen, viele in die typische Schuldenfalle. politische ökologie 128 *Welternährung 107

In Zusammenarbeit mit indonesischen Wissenschaftler(inne)n bearbeiten die Masipag-Bauern und -Bäuerinnen seit 1985 in eigenen Einrichtungen, in Versuchsstationen und auf den eigenen Feldern traditionelle Reissorten. Darüber hinaus haben sie ein den örtlichen Verhältnissen angepasstes System der ökologischen Intensivierung entwickelt. Heute werden ihre Sorten von über einer Million Menschen angebaut. Auf Versuchsflächen, Feldtagen und kulturellen Veranstaltungen verbreiten die Bauern und Bäuerinnen die Ergebnisse ihrer Arbeit und ihr Wissen. Es ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass die Preise ökologische Wahrheit sprechen. 2008 zeigte eine Studie, welche Ergebnisse die ökologischen Anbaumethoden der Masipag-Bauern im Vergleich zu den konventionellen Methoden zeitigen. (3) Zu diesem Zweck wurden 840 in Struktur und Größe vergleichbare Bauernhöfe ausgewählt und verglichen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass unter den praktischen Bedingungen eines Entwicklungslandes die ökologische Alternative nicht nur all die Probleme der konventionellen Landwirtschaft in Bezug auf die natürlichen Lebensgrundlagen vermeidet, sondern dass sie außerdem produktiver und im Hinblick auf die ökono - mische und soziale Situation der Menschen erfolgreicher ist, als die von der Agrarindustrie empfohlene Landwirtschaft. Dieser Erfolg zeigt sich nicht nur in einer besseren Ernährungssicherung und höheren -unabhängigkeit der Masipag-Bauern im Vergleich mit ihren konventionellen Kolleg(inn)en, sondern auch in vielfältigerer und damit gesünderer Ernährung. Bei Reiserträgen, die denen der Hochertragssorten in den untersuchten Betrieben nicht nachstehen, erzielen sie eine erheblich bessere Eigenkapitalentwicklung als die Landwirte der konventionellen Vergleichsgruppe. Da auch in anderen Gegenden der Welt ausreichend Daten erhoben und ausgewertet worden sind, die die Effizienz des 108 politische ökologie 128 *Welternährung

ökologischen Landbaus belegen, wundert es nicht, dass immer mehr Organisationen der Entwicklungshilfe oder der Vereinten Nationen darauf drängen, auf eine ökologische Intensivierung der Landwirtschaft zu setzen und nicht eine Industrialisierung nach westlichem Vorbild zu fördern. Die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass eine Ökologisierung der Landwirtschaft und der Ernährungsstile unabdingbar ist, um auf Dauer die Nahrungsversorgung einer wachsenden Weltbevölkerung sicherzustellen, ist ebenso komplex wie die Analyse der Ist-Situation. Am schnellsten sollte eine verstärkte Förderung von Forschung und Entwicklung gelingen, die nicht einseitig auf Hightech-Verfahren der industriellen Landwirtschaft, sondern auf öko-systemische Ansätze ausgerichtet ist, wie sie für den ökologischen Landbau kennzeichnend sind. Es wird weiterhin nötig sein, etwa mit dem Instrumentarium der Molekularbiologie Pflanzen und Tiere zu erforschen. Ebenso wichtig ist es aber auch, das Zusammenspiel von Bodenbearbeitung, Fruchtfolge, Kulturpflanzensorte und Begleitflora zu kennen, wenn es um die Frage geht, unter welchen Bedingungen ein Insekt oder ein Pilz zu einem ökonomisch relevanten Schädling werden kann. Da bei solchen Problemlösungen in aller Regel keine Produkte ent - stehen, durch deren Verkauf man die Entwicklungskosten wieder einspielen kann, sondern Wissen, das kostenlos zur Verfügung steht, ist hier nicht die Industrie, sondern der Staat gefragt. Eine Frage des Preises Sowohl für das, was Landwirte tun, als auch für das Verhalten der Verbraucher(innen) spielen Preise eine entscheidende Rolle. Wenn ein Supermarkt ein komplettes Masthuhn für drei Euro im Tiefkühlregal anbietet, bedeutet das zweierlei: Für den Landwirt, der so billig wie möglich Hähnchen herstellen will, heißt es, dass er bis an die Grenzen des gesetzlich Erlaubten gehen muss und wie der Einsatz von Antibio - tika im Stall zeigt auch darüber hinaus. Und für die Verbraucher(innen) bedeutet es, dass sie sich problemlos übermäßigen Fleischkonsum und das Wegwerfen großer Teile des Eingekauften leisten können. Es ist jedoch nicht schwer, all die externen Kosten der Produktion des Hähnchens und der ungesunden Ernährung aufzuzählen, die nicht an der Ladentheke zu bezahlen sind, sondern der Umwelt und der Natur politische ökologie 128 *Welternährung 109

sowie den Lebenschancen künftiger Generationen aufgebürdet werden. Es ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass die Preise ökologische Wahrheit sprechen. Es ist auch deshalb notwendig, damit die Marktsignale die Produktion und den Verbrauch nicht in die falsche Richtung lenken. Das erforderliche Einpreisen externer Kosten wird nur zum Teil durch staatlichen Eingriff möglich sein obwohl auch hierfür etliche Instrumente bislang nicht oder kaum genutzt zur Verfügung stehen: Lenkungsabgaben wie Steuern auf mineralischen Stickstoff oder importiertes Eiweiß sind dafür Beispiele. Es ist keinesfalls illusorisch, dass die gesamte Weltgemeinschaft sich auf solche Lenkungsabgaben verständigt. Im Bereich fossiler Energien soll schließlich mit der Ausgabe von CO 2 -Verschmutzungsrechten Ähnliches geschehen. Auch Auflagen für Tier- und Umweltschutz sind solche Instrumente. Allein das derzeit diskutierte Verbot, Hühnern ihr empfindlichstes Tastorgan die Schnabelspitze zu amputieren, könnte Enormes bewirken, weil die Besatzdichten industrieller Tierhaltung dann nicht mehr möglich wären. Es ist auch unabdingbar, die enormen Mittel der europäischen und nationalen Agrarpolitik zielgerichtet für die Unterstützung solcher Landbausysteme zu verwenden, die die geringsten Kosten für Umwelt und Natur verursachen. Das trifft heute nur für einen deutlich unter 20 Prozent liegenden Teil dieser Mittel zu. Der große Rest wird mit der Gießkanne und unterschiedslos auf die gesamte Landwirtschaft verteilt. Geht es nach dem Willen des deutschen Bauernverbands und der Bundesregierung, soll sich daran auch auf keinen Fall etwas ändern. Eine erhebliche Rolle kommt den Verbraucher(innen) zu. Sie können durch ihre Kaufentscheidung beeinflussen, wie produziert wird und was auf unsere Teller kommt. Die in Deutschland und vielen anderen Ländern steil ansteigende Nachfrage nach Bio-Produkten zeigt, dass viele Verbraucher(innen) diese Verantwortung inzwischen annehmen. Viel wichtiger als die unmittelbare Auswirkung ihres Kaufverhaltens ist aber die Pionierfunktion, die sie und die Landwirte und Landwirtinnen ausüben, deren Produkte sie kaufen. Sie können und müssen den Pfad austreten, der durch zunehmend internalisierte Kosten gelenkt der übrigen Wirtschaft den Weg weisen kann. 110 politische ökologie 128 *Welternährung

Anmerkungen (1) Der Begriff Ökolandbau meint hier die intelligente Nutzung der Natur und ihrer Rege - lungsmechanismen bei möglichst geringem Einsatz von außen hinzuzufügender und Kapital bindender Betriebsmittel. Diese Art von Landwirtschaft fußt auf einer Kombination aus moderner wissenschaftlicher Erkenntnis und dem reichen Erfahrungswissen, das insbesondere in traditionellen Gesellschaften noch vorhanden ist. (2) Badgley, Catherine et al.: Organic Agriculture and the Global Food Supply. In: Renewable Agriculture and Food Systems 22/2007, S. 86-108. (3) Bachmann, Lorenz/Cruzada, Elisabeth/Wright, Sarah (2009): Food Security and Farmer Empowerment. A Study of the Impacts of Farmer-led Sustainable Agriculture in the Philippines. Aachen. Davor hat er in der Entwicklungsarbeit, als Universitätsdozent sowie als Verwalter und Geschäftsführer gearbeitet. 2011 erschien von ihm Food Crash. Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr. Zum Autor Felix Prinz zu Löwenstein, geb. 1954, Agrarwissenschaftler und Bio-Landwirt, ist seit 2002 Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Kontakt Dr. Felix Prinz zu Löwenstein Hofgut Habitzheim D-64853 Otzberg Fon ++49/(0)6162/734 94 E-Mail felix.loewenstein@t-online.de politische ökologie 128 *Welternährung 111