Die Insolvenzaufrechnung im Lichte der BGH-Rechtsprechung Prof. Dr. Reinhard Bork Universität Hamburg
Aufrechnung: Die insolvenzrechtliche Relevanz mit Aufrechnung: beide Forderungen werden voll erfüllt ohne Aufrechnung - InsVw. zieht die Forderung des Schuldners zur Masse ein - Gläubiger bekommt nur die Quote insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote wirken also massemehrend
Zivilrechtliche Grundlagen I: Terminologie S Hauptforderung Gegenforderung G
Zivilrechtliche Grundlagen II: Voraussetzungen Aufrechnungslage, 387 BGB - Hauptforderung des Aufrechnungsgegners - Gegenforderung des Aufrechnenden - Gegenseitigkeit - Gleichartigkeit - Erfüllbarkeit der Hauptforderung - Durchsetzbarkeit der Gegenforderung, 390 BGB Aufrechnungserklärung ( 388 BGB) oder Aufrechnungsvertrag ( 311 BGB) kein Aufrechnungsverbot, 392 ff. BGB
Zivilrechtliche Grundlagen III: Wirkungen beide Forderungen erlöschen, soweit sie sich decken ( 389 BGB) rückwirkend auf den Beginn der Aufrechnungslage ( 389 BGB) Schutz des Aufrechnenden auch bei Abtretung ( 404, 406 BGB), Zwangsvollstreckung ( 392 BGB) und Insolvenz ( 94 ff. InsO)
Charakterisierung der Aufrechnungsbefugnis Aufrechnungsrecht wirkt wie ein Pfandrecht an der Hauptforderung. Konsequenz für die Insolvenz - Aufrechnungsrecht wirkt wie ein Absonderungsrecht - Vertrauensschutz durch 94 ff. InsO ( Wer vor der Eröffnung aufrechnen kann, kann auch hinterher aufrechnen. )
Aufrechnung in der Insolvenz: Details Aufrechnungslage vor Verfahrenseröffnung vollendet - grundsätzlich 94 InsO - Ausn: 96 Abs. 1 Nr. 3 und 4 InsO Aufrechnungslage vor Verfahrenseröffnung angelegt, aber erst danach vollendet: 95 InsO Aufrechnungslage nach Verfahrenseröffnung begründet: 96 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO
Aufrechnung in der Insolvenz: Details Es kommt maßgeblich auf die Verfahrenseröffnung an (mit Modifikationen in 95 InsO). Daher keine Vorverlagerung in das Eröffnungsverfahren (arg. 24 InsO und 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO; BGHZ 159, 388; BGH ZIP 2012, 737).
Aufrechnung in der Insolvenz: Beweislastverteilung Aufrechnungsvoraussetzungen ( 387 ff. BGB): Gläubiger Aufrechnungsverbote des 96 InsO - Nr. 1 und 2: Aufrechnungslage vor Verfahrenseröffnung ist vom Gläubiger zu beweisen, BGH ZIP 2012, 1254 - Nr. 3: Anfechtbarkeit ist vom Insolvenzverwalter zu beweisen, BGH ZIP 1997, 649
Unzulässigkeit nach 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO Gegenforderung des Gläubigers bestand bereits bei Eröffnung (ist Insolvenzforderung) Hauptforderung der Masse wurde erst nach Verfahrenseröffnung begründet; z. B. - Zahlungseingänge auf debitorischem Konto nach Verfahrenseröffnung (BGH ZIP 2008, 1437) - Entgeltforderungen für Dienstleistung des S nach Verfahrenseröffnung (BGH ZIP 2011, 2262) - Anfechtungsanspruch ( 143 InsO; vgl. BGHZ 179, 137)
Unzulässigkeit nach 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO: Voraussetzungen Hauptforderung des S gegen G vor Verfahrenseröffnung entstanden. G erwirbt Gegenforderung von einem Dritten nach Verfahrenseröffnung (BGH ZIP 2007, 1721)
Unzulässigkeit nach 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO: Konzernverrechnungsklauseln BGHZ 160, 107; BGH ZIP 2006, 1740 94 InsO schützt auch aufrechnungserweiternde Vereinbarungen, aber nur in den Grenzen der 95, 96 InsO. Hier 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO, da die Aufrechnungslage (Gegenseitigkeit) erst durch die Aufrechnungserklärung hergestellt wird.
Unzulässigkeit nach 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO: Grundlagen Erfasst jeden anfechtbaren Erwerb einer Schuldneroder Gläubigerstellung. Erfasst alle Anfechtungsgründe. Beseitigt nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung (Aufrechnungsbefugnis), nicht die Rechtshandlung als solche. Es bedarf keiner Anfechtungserklärung durch den InsVw.: Aufrechnungsverbot wirkt ab Eröffnung - kraft Gesetzes - bei bereits erklärter Aufrechnung ex tunc
Unzulässigkeit nach 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO: Anfechtung nach 131 InsO Begründung einer Aufrechnungslage führt i.d.r. zu einer Gläubigerbenachteiligung (BGH ZIP 2014, 22) Ausn: G war bereits anfechtungsfest gesichert (BGH ZIP 2012, 1301; 2008, 888). Begründung einer Aufrechnungslage ist i. d. R. inkongruent. Es kommt allein darauf an, ob der Gläubiger einen Anspruch auf die Rechtshandlung hatte, die zur Begründung der Aufrechnungslage führte (BGHZ 159, 388) Der relevante Zeitpunkt richtet sich nach 140 InsO (BGH ZIP 2010, 682)
Unzulässigkeit nach 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO: Verjährung Es bedarf keiner Anfechtungserklärung durch den InsVw.: Aufrechnungsverbot wirkt ab Eröffnung - kraft Gesetzes - bei bereits erklärter Aufrechnung ex tunc. Aber das gilt nur für die Zwecke und auf die Dauer des Insolvenzverfahrens. Deshalb hat der Verwalter die Hauptforderung in der Frist des 146 InsO geltend zu machen (BGHZ 169, 158; BGH ZIP 2008, 1593).
Vertrauensschutz nach 95 InsO Die Norm schützt das Vertrauen auf die im Kern schon angelegte Aufrechnungslage (BGH ZIP 2007, 239), aber nur in den Grenzen des 95 Abs. 1 S. 3 InsO
Aufrechnung durch nachrangige Insolvenzgläubiger kein Aufrechnungsverbot aber ggf. 96 Abs. 1 Nr. 3, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO
Aufrechnung durch Insolvenzverwalter BGHZ 100, 222: unzulässig BGH ZIP 2014, 1181 - zulässig ( 80 InsO) - Grenze: evidente Insolvenzzweckwidrigkeit - Risiko: Präklusion nach 767 Abs. 2 ZPO
Grenzüberschreitende Aufrechnung Ist die Aufrechnung bereits nach der lex fori concursus zulässig, bleibt es dabei (Art. 4/7 Abs. 2 S. 2 lit. d EuInsVO) Art. 6/9 EuInsO, 338 InsO schützen bestehende Aufrechnungslagen darüber hinaus, wenn - die Aufrechnung nach dem Schuldstatut der Hauptforderung zulässig ist (vgl. auch Art. 17 Rom-I-VO); es entscheidet dann das Insolvenzrecht der lex causae - die Aufrechnung nach der lex fori concursus nicht anfechtbar ist.
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